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Über Stefan George

Je perspektivischer wir die Gestalt Stefan Georges in ihrer zeitlichen Entrückung allmählich betrachten können, desto genauer zeigt sie sich uns in Ausmaß und klarer Begrenzung. Der Tod hat die Gestalt dieses Dichters an Größe nicht erhöht. Die Gloriole, die sonst er zu verleihen pflegte, wurde, beinahe anmaßend, durch das Leben vorweggenommen. So hat der Tod an dieser Gestalt das Gegenteilige verrichtet; er reduzierte sie; die menschlich echteste Situation in Georges Leben war sicher sein Sterben. Es konnte nicht anders geschehen: der zu Lebzeiten um Georges Erscheinung künstlich drapierte Mythos, der die Zeitgenossen mit einer beidemal unbegründeten Heftigkeit entweder begeisterte oder lästerlich spotten ließ, mußte wie eine Theaterpose mit dem Tod des Akteurs verfallen. Denn das wahrhaft Mythische, in dessen Höhe entrückt uns eine Gestalt erscheint, ist unbeeinflußbar von persönlicher Absicht. Es ist allein Folge und Ausdruck eines in Werk oder Überlieferung zur Eigenlebendigkeit gelangten Geistes, der die Gestalt seines einstigen Trägers von dorther nochmals formt, losgelöst von ihren zufälligen Bedingtheiten, als Geistgestalt, und damit freilich richtiger.

Dieser Vorgang steht, wenn er überhaupt eintritt, der Gestalt Stefan Georges noch bevor. Heute, nach seinem Tod, und auch schon während der letzten Jahre seines Lebens, da er schwieg, mit dem Gefühl, Sendung und Aufgabe bereits erfüllt zu haben, verharrt sein dichterisches Werk in einem seltsamen Zustand von Reglosigkeit. Es hilft uns nicht mehr für den Tag wie ehemals, als jedes Wort aus dem Munde eines lebendigen Mahners kam, und anderseits hören wir noch nicht mit Deutlichkeit, wo das Ewige spricht, das der besonderen Anwendung nicht mehr bedürfte; beides ist da, aber es geht noch unentschieden ineinander über; manche Verse, mit ihrer Härte und ihrem Klang von Metall, sind unserem Gedächtnis längst gegenwärtig geworden, aber nur wie herübergerettet aus der Vergangenheit; der Umriß eines als Gegenwart restlos gültig bleibenden Ganzen muß erst noch gezogen werden. Vorderhand sind wir geneigt, das Werk, wie es uns in der Gesamtausgabe (Verlag Bondi, Berlin) vorliegt, mit einem historisch kühlen Blick zu betrachten, als das großartige, aber immerhin in ein Museum gebrachte Werkzeug, mit dem es einst Stefan George gelang, auf Zeit und Menschen formgebend einzuwirken.

Keine Voreingenommenheit kann dies bestreiten. In einer Zeit, da das Wesen des Deutschen erstarrt war zu einer trüben, undurchsichtigen Stofflichkeit, da es, verführt durch eine unheilvolle, imperialistische Politik und Wirtschaft, sich erschöpfte in einem schlimmen, selbstgefälligen Protzentum, das, mit einem verfälschten Begriff von Bildung übertüncht, verbrämt mit dem schmählich mißbrauchten »Gemüt«, Anspruch erhob, eigentliche und beste Lebensform der Deutschen zu sein, – war Stefan George unter der jungen Generation, die das Bild des idealischen Menschen als unbedingte geistige Forderung aufs neue errichtete, derjenige, der am stärksten die Gabe besaß, auf Geister entscheidenden Einfluß zu gewinnen.

Es scheint, als stimme die Größe einer Persönlichkeit mit dem Ausmaß ihrer möglichen Wirkung nicht immer überein. Die Größe ist zweifelsohne absolut, die Wirkung aber ist etwas Bedingtes, da sie abhängt von räumlichen und zeitlichen Sachverhalten, von persönlichen Anlagen, deren Mangel der Größe keinen Abbruch täte: von der Kunst zu überzeugen, zu gewinnen, zu bezaubern, zu erziehen. Sie ausgenützt zu haben, um eine der dringlichsten Aufgaben seiner Zeit zu erfüllen, bleibt das unvergängliche Verdienst Georges. Dabei war er freilich keineswegs stark genug, um auf sokratische Weise Menschen nach ihrem eigenen, in ihnen angelegten Bilde zu formen. Alle, die unter der Macht seines Einflusses blieben, mußten verkümmern. Für viele aber, später für einen Großteil der deutschen Jugend, stand er als die richtunggebende Persönlichkeit am Anfang ihres geistigen Lebens, denn in ihm war wieder der Geist tägliche, sichtbare Lebensform geworden. Die Grundsätzlichkeit dieser Forderung war ein unerhört beglückendes Erlebnis, zugleich aber auch eine Probe, denn es mußte sich daran jeweils kundtun, ob Kraft genug vorhanden war, diese Forderung aufs neue zu erfüllen, oder ob das Erlebnis beschränkt blieb auf eine unfruchtbare Nachahmung der besonderen Erfüllung, die ihr George gegeben hat und die als solche, wenn auch aus der Zeit erklärbar, so doch niemals verbindlich sein kann.

Sabine Lepsius, die mit Reinhold Lepsius lange Jahre zum engsten Freundeskreis Georges gehört hatte, in deren Hause in Berlin die berühmten Lesungen abgehalten wurden, zeichnet in einem Erinnerungsbuch »Stefan George, Geschichte einer Freundschaft« (Verlag Die Runde, Berlin) die historische Erscheinung des dreißig- bis vierzigjährigen Dichters mit einer Aufrichtigkeit, die so glaubwürdig ist, so gar nichts verbiegt und verhehlt, mit einer Unbefangenheit, die selbst Fehlurteile noch so erträglich macht, daß dieses Buch, wichtiger als die neulich erschienenen Schriften ähnlichen Inhalts von Bondi und Lechter, heute als das hauptsächlichste Zeugnis für den Menschen George zu bewerten ist.

Eine beiliegende Mappe enthält in Faksimile Briefe Georges und zwölf Bildnisse, die teilweise sehr überraschen, indem sie sein uns nur stilisiert überliefertes Antlitz durch aufschlußreiche, ganz unvermutete Ansichten mit dem Leben des Augenblicks füllen. Der erste Eindruck bleibt unabweisbar: ein Mensch, der eine Fülle ungebrochener Vitalität aufbietet, um seine Natur über das Schema einer willkürlich gefaßten Vorstellung zu zwängen. Eine ungeheure Pose entsteht; aber die Leistung, sie durchzuhalten, ohne daß die geringste Nachlässigkeit unterläuft, mußte eine derart große menschliche Überwindung erfordern, und diese Übersteigerung des Geformten ins Starre und, es sei zugegeben, ins Verkrampfte geschah angesichts einer derart formlos gewordenen Zeit, daß es nicht so obenhin angeht, diese Pose als sinnlos abzutun. Sie war unbezweifelbar ernsthaft gemeint und alles andere als dekadent. Das Byzantinische, das Hieratische, das Kostbartun widersteht freilich unserem Gefühl; aber nicht, weil wir uns in diesen Ansprüchen über Banausentum betroffen sehen, wie die trivialen Spötter von einst, sondern weil uns seither Möglichkeiten von Geist und Form erschienen sind, echt und selbstverständlich genug, um zu ihrer Behauptung auf den Spießerschreck des Preziösen verzichten zu können.

Sabine Lepsius schildert in ihrem Buch sehr lebendig den schon historisch gewordenen Kreis, der in ihrem Hause sich um George zusammenscharte. Sie selbst war nach Natur und Bildung das unsichtbare Bindemittel dieser Geister, noch eine späte Nachfahrin der Frauen aus der deutschen Romantik, zwar nicht mehr so beschwingt wie sie, nicht mehr so eins in Geist und Herz: das Schöngeistige, das nur erträglich ist als ein charmantes, allein den Frauen erlaubtes, letzten Endes unverbindliches Spiel, gewinnt bei ihr unangenehm männliche Züge. Sie malt, dichtet, komponiert, leider nicht nur als Ausdruck ihrer liebenswürdigen Person, sondern mit dem Anspruch auf eine allgemeine Gültigkeit, die ihr durchaus versagt bleiben mußte. Kunstübung ist für sie, ebenso wie für Reinhold Lepsius, der sie beeinflußt hat, ein Mittel zur Steigerung des Lebensgefühles, ein Schweben auf den sogenannten Höhen der Menschheit, eine Welt des schönen Scheins (nicht einmal immer geschmacksicher), die dann der Ansturm eines übergroßen Ereignisses auch jäh zertrümmerte. Reinhold Lepsius brach während des Krieges zusammen; seine Kunst, dieser zu einer gewissen Großartigkeit gesteigerte Dilettantismus, hielt nicht stand, während die echten Künstler, denen die Kunstübung eine natürliche Seinsform ist, nie aufhörten, Künstler zu sein. Hat nicht Franz Marc noch an der Front in seiner Arbeit fortgefahren? – Auf die Frage, wie er den Krieg von 1870 verbracht habe, gab Cézanne die lapidare Antwort, er sei in Estaque über einem Motiv gesessen. –

»Geschichte einer Freundschaft« nennt sich das Buch. Sabine war eine der wenigen Frauen, zu denen George in eine herzliche Beziehung trat. Die Gemeinschaft, die zwischen ihnen entstand und verging, ohne Zweifel erotisch, aber innerhalb der sublimsten Sphären spielend, gehört zu jenen seltenen menschlichen Möglichkeiten, deren wir uns in Gestalt von großen Beispielen erinnern. Beide Figuren in diesem Verhältnis sind von Natur aus auf das Typische angelegt. Jenseits des individuell Bedingten und Unzulänglichen stellt George doch den Typus des Männlichen dar: ewig über die Wirklichkeit hinauszielend, sie neu schaffend, sie umbildend, streng gegen sich selbst und gegen andere, – während Sabine im Kern ihres Wesens, den sie sich glücklicherweise unversehrt von allem Kunst-Tun erhält, die Wirklichkeit bloß erfüllt, in ihr ruht, sie als schon Gestaltetes hinnimmt, nachsichtig und in höchstem Sinne verbindlich. In der Einigung dieser Gegensätze, die unleugbar metaphysisch begründet sind, erreicht der Eros sein fernstes Ziel. Eine kurze Zeitlang war auch zwischen George und Sabine diese menschliche Konstellation zu beobachten. Wenn dann schließlich Entfernung und Entfremdung erfolgten, so war es George, der die Schuld trug, freilich im überpersönlichen, tragischen Sinne, denn die Idee, die er zu erfüllen hatte als seine besondere Aufgabe, erforderte eine Ausschließlichkeit, die ein Bestätigen des Partners in seinem Anders-Sein nicht dulden konnte. Ein geglückter Versuch, die gefühlswarme Sabine in seinen Bezirk harter Entschlossenheit hinüberzuziehen, hätte sie als Frau in ihrem Wesen zerstört.

Trotz des dissonanten Ausgangs dieser Beziehung schildert Sabine die Gestalt des Dichters ohne den leisesten Groll. Das ist bewunderungswürdig. Doch wenn sie sich selbst rückhaltlos offenbart in Schmerzen und Nöten ihres Lebens, so wirkt das Schwärmerische ihrer Gefühlswelt für den Leser oft abkühlend. Ihre Empfindung ist nicht immer glücklich ins Wort übersetzt. Der schriftliche Ausdruck eines Gefühls als unmittelbare Folge eines starken Erlebnisses, wie es die eingefügten Tagebuchblätter sind, wird immer in Gefahr sein, peinlich und formlos zu wirken. Wieder stoßen wir hier auf die Inkongruenz von Mensch und Künstler, deren Übersehen für die Charakterisierung dieser Menschen bedeutsam ist. Man schloß vom Wert eines Menschen auf den Wert seiner Kunst. Damit aber war dem Dilettantischen freie Bahn gegeben.


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