Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kritische Arbeiten

Maschinen-Lyrik

Unter den Gedichten, die die »Dame« in ihrem zweiten Januarheft Januar 1935. als die besten Einsendungen anläßlich eines Lyrikpreisausschreibens veröffentlichte, befindet sich eines, »Der Dieselmotor« von Heinrich Dachs, das hier zum Gegenstand einer kurzen grundsätzlichen Erörterung gemacht werden soll. Leider müssen wir vermuten, daß gerade dieses Gedicht seine Wahl nicht nur geistigen und ästhetischen Werten, sondern in der Hauptsache der Aktualität verdankt, die schon aus seiner Überschrift entgegenspringt. Ich wende mich nicht grundsätzlich gegen das Aktuelle. Es gibt menschliche Dinge, die wie elektrische Spannung in der Lebensluft liegen und die nur darauf warten, daß ein Dichter sie zur Entladung bringt, um alsbald die Zeitgenossen unmittelbar zu ergreifen. Goethes Werther war seinerzeit in diesem Sinne aktuell. Wie fragwürdig aber das Aktuelle künstlerisch und damit menschlich sein kann (denn Kunstübung ist als reinste Schöpfung die höchste aller menschlichen Fähigkeiten und Handlungen), wird offenbar bei einem Gebilde wie dem folgenden Gedicht, in dem eine distanzlos gesehene Stofflichkeit den Anspruch auf geistige und damit überzeitliche Gültigkeit erhebt.

Der Dieselmotor

Des Dieselmotors Kolbenherz schlägt hell wie meins,
und um ihm fließen ölgetränkte Silberbänder.
Sein Stahlhaupt glänzt im Widerspiel des Morgenscheins,
dahinter locken buntgefärbte Wunderländer.

Gewohnte Hände haben Wochen dran gebaut.
Auf einmal hüpfen schlanke Hebel auf Ventilen,
wie Finger eines, der erst lange zögernd schaut,
um dann, auf dem Klavier, zum Tanze aufzuspielen.

Oft weiß ich nicht, ist's nun ein Motor? Ist's ein Pferd,
des Flanke bebt, des Füße stampfen vor dem Rennen?
Bin ich sein Reiter, dessen Blick, in sich gekehrt,
erstarrt vor Zielen, die wie Flammen nächtens brennen?

Ein Motor treibt des Sehnens lichtverlangend Schiff!
Ich fahr hinaus, ein Suchender auf neuen Meeren,
und werden Inseln, nahe, auch zum Tränen-Riff,
und fuhr auch mancher, ohne je zurückzukehren.

Das Schwungrad kreist. Die zähen Wünsche kreisen mit.
Sie jagen wie Planeten durch die Lichtgefälle.
In Gischt und Strudel schwindet, was der Mensch erlitt –
Das Leben kreist, und wir sind leicht wie Kinderbälle!

Es sei gerne zugestanden, daß diese einer Maschine gewidmeten Verse versuchen, eine tiefere Absicht auszudrücken. Der Autor, der sie erfand, ist nicht nur ein dichtender Techniker, der, wie man es schon erlebt hat, glühend begeistert eine Apostrophe an die Materie Maschine richtet. Maschine und Mensch ist hier die Idee des Gedichtes: Gestaltung der gefühlsmäßigen Einstellung eines Menschen zum Motor, Ausdruck der Beziehung, die beide miteinander verbindet und durch die, wie gesagt werden soll, ein siegreiches, über alle Niederlagen triumphierendes Gefühl von der Maschine her in den Menschen einflutet. Aber schon ein erstmaliges Lesen zeigt, und noch in höherem Maße jedes weitere, wie unzureichend es nur gelang, diesem Gefühl einen Ausdruck zu verleihen, der unabhängig von der stofflichen Aktualität des Gedichtes, die etwa eine augenblickliche Wirkung erregen mag, als überzeugende Leistung vor den Gesetzen des Geistes bestünde. Schon Anzeichen im Gebrauch von Wort und Bild, die das innere instinktiv reagierende Gehör verletzen, machen dies klar. Dieselmotor, ölgetränkt, Stahlhaupt, Ventile, Schwungrad, das sind hier Wörter, die wie ungeschmolzene Fremdkörper in den Guß des übrigen Wortkörpers eingebacken sind. Und es kann nicht an ihnen selbst liegen. Ich stoße mich keineswegs daran, daß es zum Teil Wörter sind, die vielleicht noch nie ein dichterischer Gebrauch geadelt hat. Jedes Wort ist imstande, der Dichtung dienlich zu sein. Rilke hat Begriffe derselben Kategorie verwendet, Dampfkessel, Fabrik, Maschine, Apparat, die sich bei ihm ohne die geringste peinliche Auffälligkeit wie selbstverständlich in den Bau seiner Verse einfügen. Hier aber, in diesem Gedicht, herrscht eine beunruhigende Zwiespältigkeit zwischen dem, was gesagt werden soll, und der Art, wie es gesagt wird. Gefühlsinhalt und Ausdrucksmittel gehen auseinander, neben jedem Eindruck von Mangelhaftigkeit beunruhigend deshalb, weil dies der geistigen Tendenz des Gedichtes, das die Verbundenheit von Mensch und Maschine darstellen will, beständig widerspricht.

Das Gedicht versucht uns etwas Neues zu künden. Aber es ist, als sei dies Neue, wenn auch erlebt, so doch nicht auf seine Berechtigung und Wahrhaftigkeit hin geprüft und bewältigt worden. Es ist, als werde etwas mit Augen betrachtet, die nicht richtig sehen, mit einer Seele empfunden, die in ihrem Fühlen Fehler begeht, indem sie eine Fühlweise auf etwas anwendet, das dieser Fühlweise in keiner Hinsicht antwortet. Und was geschieht?

Die Maschine, dies Tote von allem Toten, dies heute noch unbeseelteste Werk aller menschlichen Werke, wird verlebendigt. Ihre Erscheinung wird aufgerufen mit Wortgestalten, die durch sie bedingt sind: Motor, Kolben, Stahl. Das mag hingehen. Nicht aber, daß nun weiterhin das Lebendigsein der Maschine mit Ausdrucksmitteln dargestellt wird, die wir bereits als stereotyp in anderem Zusammenhang aus der Überlieferung her kennen. Es ist unglaubhaft, daß dies alles nun plötzlich für die Maschine gelten soll. Und daraus ergibt sich dieses merkwürdig Schiefe und Peinliche der gebrauchten Metaphern, die zuweilen bis zum Banalen gehen. Denn (um zugleich eine Bemerkung über das Wesen der Metapher einzufügen) aus zwei Objekten, die sich nur äußerlich ähnlich sehen, kann, indem man sie vergleicht, keine wirkliche Metapher gebildet werden. Das ergibt ein plattes Nebeneinandersetzen. So wenn der Dichter sagt: Auf einmal hüpfen schlanke Hebel auf Ventilen, / wie Finger eines, der erst langsam zögernd schaut, / um dann, auf dem Klavier, zum Tanze aufzuspielen. Eine überzeugende Metapher entsteht nur dann, wenn das eine Objekt mit dem anderen, in das es »hinübergetragen« werden soll, eine innere Verwandtschaft, eine Wesensverwandtschaft besitzt. Es genügt, wenn diese festgestellte Verwandtschaft für die besondere, einmalige Gelegenheit gilt. Auch braucht sie uns nicht bekannt gewesen zu sein. Ja, das Überraschende ist geradezu ein Kennzeichen der guten Metapher.

Hier allenfalls hätte die Neuschöpfung des Dichters einsetzen müssen. Aber er selbst ist, wie ich glaube, wohl kaum dafür verantwortlich zu machen. Der Grund, warum ein solches lyrisches Unternehmen notwendigerweise mißlingen mußte, liegt tiefer, liegt wohl in dem starken und fast allgemein empfundenen Gefühl unserer Zeit, das durch die Allmacht der Technik erregt worden ist: in dem vielfach angepriesenen »neuen« Lebensgefühl, das sich darin erschöpft, das menschliche Dasein nur vom siegreichen Augenblick aus zu werten. Darin liegt die Ursache künstlerischer Impotenz. »In Gischt und Strudel schwindet, was der Mensch erlitt. / Das Leben kreist, und wir sind leicht wie Kinderbälle.« Man verstehe wohl! Es ist etwas anderes, wenn Horaz das Carpe diem preist, eine Haltung, die, wenn auch frivol, in ihrem Grunde doch, indem sie vom Augenblicklichen den Wert des Ewigen verlangt, in das unerschöpfliche Meer des Seins reicht. Denn diese Haltung kann ernsthaft werden bis zu Nietzsches Gefühl, »denn alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!« Hier aber wird das Ewige des Seins bewußt ignoriert, aufgelöst in eine sinnlos ins Unabsehbare fortgehende Reihe von Augenblicken, jeder mit der Prätention, der einzige und der höchste zu sein, in dessen Erleben (das notwendig im Nur-Zeitlichen befangen bleibt) Sinn und Zweck des menschlichen Daseins beschlossen liegen. Die Maschine ein Sinnbild! Dies wird in dem Gedicht vom Dieselmotor ausgedrückt. Und mehr: die Maschine, dies ununterbrochen sich selbst überholende Gebilde, welches seine augenblickliche Erscheinungsform nicht der Zerstörung (denn das hätte als Naturgesetz einen Sinn), sondern der Entwertung zahlloser vorhergegangener Maschinen verdankt, die Maschine, konkretisiert als Dieselmotor, als eine jener im Verhältnis zur Ewigkeit der Zeit nur Augenblicke gültigen Erscheinungen (unwiederholbar), wird hier zum Gleichnis, ja, wenn es dem Dichter ernst ist, indem er sagt: »des Dieselmotors Kolbenherz schlägt hell wie meins«, zu der einen Seite einer Gleichung, auf deren anderer Seite der Mensch mit seiner ewigen Gültigkeit fungiert. Unmöglich, daß diese Gleichung stimmen kann. Sie ist falsch und wird als Gedicht ihren Fehler in jedem Wort offenbaren müssen.

Ein Zeitgedicht meinten die Preisrichter in diesen Strophen zu erkennen, ein Gedicht also, das unsere Zeit und uns, die wir in ihr leben, in besonderem Maße angeht, das uns von niemand anderem hätte gesagt werden können, als von einem Dichter aus unserer Mitte. Aber was wird und was kann dieses Gedicht der nächsten und übernächsten Generation noch sagen? Man suche in verjährten Anthologien nach Versen, die, durch die Wunder der Technik veranlaßt, zu ihrer Zeit durchaus das Gefühl einer Generation wiedergegeben haben. Sie bedeuten uns nichts. Wir können nun schon ein gutes Jahrhundert überblicken, seitdem die Technik ihre Herrschaft entwickelte; Gelegenheit genug, um festzustellen, daß das, was uns aus demselben Zeitraum an bleibendem geistigen Werk überliefert ward, der Technik als dem ausgeprägtesten Zug dieser Zeit in nichts verpflichtet ist. Anderseits aber kennen wir Zeitgedichte, z. B. aus dem 17. Jahrhundert, unmittelbar geboren aus Augenblick und Ereignis, aus denen uns noch heute eine Kraft entgegenschlägt, die uns in Besitz nimmt, als sei sie unmittelbar uns zugedacht. Das gibt zu denken. Soll es wirklich unserer Zeit nicht gelingen, ihr Wesen in großer Dichtung auszusagen, um es für die Kommenden zu bewahren? Ist unsere Zeit unvereinbar mit dem Bilde der Dichtung, wie es uns von der Vergangenheit her überkommen ist? Und muß sich demnach die Haltung des Dichters vom Grunde auf ändern, um erst so dieser Zeit, die die unsrige ist, gerecht zu werden?

Tatsächlich werden auf diese Fragen immer wieder Antworten geboten, die bestätigen, daß unsere Zeit in ihrem Wesen von so grundsätzlicher Neuheit ist, daß sich auch das Wesen der Dichtung ihr entsprechend umformen müsse. Und schon ist man bereit, uns Belege für diese angeblich neue Fühlweise zu geben, Beispiele wie dieses Gedicht über den Dieselmotor.

Dichtung aber, wenn auch wie alles Menschliche innerhalb von Raum und Zeit entstehend und beiden Ordnungen verpflichtet, gehört ihrem Wesen nach so völlig dem Überzeitlichen an, daß, sollte sie sich dieser Verpflichtung entbinden, sie damit den Wert ihres Daseins von selbst aufhebt. Dichtung ist Überwindung der Zeit. Es ist ihre Aufgabe, alles, was uns im Zeitlichen ergreift und erschüttert, was uns wert und teuer an ihm wird, und unser zeitliches Dasein selbst aus der Gefährdung durch die Zeit herauszuheben, um es kraft des Geistes im Wort zu bewahren. Deshalb kann sie nur von Menschen geleistet werden, die der Gewalt ihrer Zeit mit einer stärkeren Gewalt, die aus ihrem Inneren wächst, entgegentreten, von Menschen, die ihr Leben innerhalb ihrer Zeit überwinden durch ihr Leben im Geiste. Generationen, die sich im Dienste des jeweiligen Tages verzehrten, die ihr Denken und Tun nur von den Anforderungen und von den Ansprüchen des Augenblicks bilden ließen, haben nie lautere Dichtungen hervorgebracht, ja, die Wertung eines einzelnen dichterischen Werkes durch die Nachwelt geschieht immer nach dem Maß, mit dem sein Urheber entweder dem ewigen Geist oder dem Zeitgeist gehuldigt hat.

Noch ist die Maschine nicht dem Menschen unterworfen. Noch nicht dem Ewigen, das im Menschen wirkt. So wie die Maschine heute ist, als tote Materie sich die Herrschaft über die Welt und alles Lebendige anmaßend, ist sie geistfremd und damit trotz ihrer gegenwärtigen Selbstherrlichkeit der Zeit und deren Vergänglichkeit ausgesetzt. Wer sich an sie bindet, teilt ihr Schicksal.

Wenige sind es erst, die als beständigen Untergrund ihres Handelns erkennen, daß die Errungenschaften, die uns die Gegenwart brachte, wertlos sind, solange wir in falscher Begeisterung ihren Wert übertreiben. Maschinenmenschen stehen nie an einem Ende. Kein Anlaß also, uns als Sieger zu fühlen. Maschine als Begriff ist nicht denkbar ohne die Tatsache ihrer beständig sich selbst zerstörenden Weiterentwicklung innerhalb der Zeit. Darin ist sie unterschieden vom Werkzeug, denn ein Werkzeug, eine Pflugschar z. B., kann zwar verbessert werden, aber niemals ersetzt. Die menschliche Idee, den Erdboden umzubrechen, hat sich mit ihrer Erfindung über alle Zeiten hinaus vollkommen erfüllt. Es gab nur diese eine beste Möglichkeit. Eine andere läßt sich nicht denken. Ist aber ebenso die Idee der Krafterzeugung identisch mit der Erscheinung eines Dieselmotors? So wenig wie die Idee der Beleuchtung mit der Erfindung der elektrischen Glühbirne. Der Dieselmotor ist, wie jede andere Maschine, ein Gebilde, das teils durch die dem Menschen bisher zufällig bekannten Möglichkeiten (die durch andere wieder ersetzt werden können), teils durch die Willkür des sie herstellenden Individuums bedingt ist. Aber niemals ist er im Sinne eines Werkzeugs Verwirklichung einer Idee. Kein Anlaß also, angesichts einer Maschine das griechische heureka auszurufen. Wer heute triumphierend einem Dieselmotor zujubelt, wird morgen vor der nächsten Maschine, die denselben Zweck noch besser erfüllt, wer weiß, vor einer vollkommen andersartigen Kraftquelle vielleicht, beschämt, wenn nicht gar mit dem Odium der Lächerlichkeit schweigen müssen.

Dort, wo die Maschine in der Rangordnung menschlicher Werte stehen müßte, wo sie zu Recht bestünde und uns erst wahrhaft dienlich wäre, entspringt kein ewiger Gesang. Wir lieben die Erscheinungen der Mode, wir benutzen die neuen Heilmittel der Ärzte, ein Flugzeug versetzt uns in einem Tag um Hunderte von Kilometern; aber dies alles gilt nur für unseren Tag, für unsere Zeitlichkeit, die dessen bedarf oder mit Vergnügen davon Gebrauch machen kann. Ein Menschsein aber, das nicht mehr enthält als diese zufälligen Geschenke einer zufälligen Zeit, dessen Fähigkeit zu fühlen sich huldigend der Zeit unterwirft, anstatt sie sich zu unterwerfen, wird mit ihr vergehen und für kommende Gegenwarten, die Unvergängliches von uns fordern, entwertet sein. Das ist die Gefahr für die heutige Dichtung: daß viele mit dem Anspruch, Dichter zu sein, vergessen, daß ein Vers, selbst wenn er das Zeitlichste zum Vorwand nimmt, zeitübersteigend und zeitüberwindend sein muß, will er wahrhaft als Dichtung bestehen, das heißt, nie mehr verstummend vom Tage seiner Geburt an den Menschen eine unvergängliche Gültigkeit künden.

Erinnern wir uns an Rilkes Beispiel. Unter seinen Sonetten an Orpheus befinden sich welche, die, von der Zeit den Gegenstand erhaltend, mit ihrer ersten Absicht an die Zeit sich wendend, Ausdruck der Zeit und Ansprache an die Zeit, also wahrhafte Zeitgedichte sind und dennoch hohe Dichtung, weil ihr beständiger Wille ins Ewige zielt. Man höre dort:

Hörst du das Neue, Herr,
dröhnen und beben?
Kommen Verkündiger,
die es erheben.

Zwar ist kein Hören heil
in dem Durchtobtsein,
doch der Maschinenteil
will jetzt gelobt sein.

Sieh, die Maschine:
wie sie sich wälzt und rächt
und uns entstellt und schwächt.

Hat sie aus uns auch Kraft,
sie, ohne Leidenschaft,
treibe und diene.


 << zurück weiter >>