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Fünf Versuche

 

Die Gestalt Stefan Georges in unserer Zeit

War es einst wirklich, daß sich an der Gestalt Stefan Georges die deutschen Geister schieden? Der Ausspruch, den Gundolf einmal zu Recht und in Wahrheit tun konnte, man müsse George entweder anheimfallen oder ihn vernichten, hat seine Gültigkeit heute verloren. Die Lästerzungen von einst können, sofern ihnen das Tadeln nicht Selbstzweck ist, George ein Maß von Größe nicht länger mehr absprechen, und die Lobredner, wenn sie nicht eitle Schwätzer sind, wagen nicht mehr, Bedenken und Einwände noch länger aufzuhalten. Dennoch ist ein Urteil, wie es sich gerecht nur durch die reine Berührung von Betrachter und Gegenstand ergibt, immer noch schwer, da George von sich aus alles unternommen hat, um ein solches zu verhindern. Seine Geistigkeit wird zwar durch die zeitliche Perspektive ihrem Ausmaße nach allmählich sichtbar; es zeigt sich, daß sie nicht, wie behauptet wird, in ihrer Ausdehnung unfaßlich bleibt, doch auch, daß sie nicht nur ein aufgeblasenes Trugbild war. Zeitliches Fluidum und Substanz seiner Gestalt lassen sich nur schwer voneinander lösen, da das eine nicht als periphere Ausstrahlung vom zentralen Kern des andern ausgeht, sondern weil das Ganze eine einige Masse bildet: das typisch georgesche Element, bei dem das Bestandhafte, das objektiv Gültige, das aus der Überpersönlichkeit des Geistes lebt, aufs engste mit dem nur als persönlich Erscheinenden und nur Scheinhaften verbunden ist. Künstlich erzeugter Schein ist auch der Mythos, der Georges Gestalt vor dem Anblick sachlicher Betrachtung schützen sollte. Ihn hervorzubringen, muß sein ganzes Werk herhalten. Das Bestandhafte daran, das allein uns wichtig sein kann, dient nur als Mittel, um die Person Georges zu beleuchten. Sie ging nicht im Werke auf, wodurch allein sie unantastbar geworden wäre. George kennt nur die Treue gegen sich selbst. Das Werk ist deshalb maßlos subjektiv. Was kann es uns, rein an sich betrachtet, noch bedeuten?

Unser Ideal ist heute, nicht ohne Grund, die autonome Leistung, zu der sich Rilke seit den »Neuen Gedichten« durchgesetzt hat. Er hielt schließlich jenes besondere Verhältnis von Werk und Schöpfer ein, in dem ich für die Zukunft das große Beispiel sehe: Das Werk ist hier nicht mehr Ausdruck eines Subjektes, Mittel, von dem der Künstler Gebrauch macht, um sein Individuum mitzuteilen, sondern die individuelle Artung dient nur noch als Ausdruckskraft; das Ich wird bis aufs letzte objektiviert, bis es, wie im »Malte Laurids Brigge«, als reine Gegenständlichkeit erscheint. Daher auch der merkwürdige Eindruck von Anonymität, den das Buch hinterläßt.

Der Notstand der Kunst dauert an. Er wird aber nur von Fall zu Fall überwunden werden, nur durch das Erschaffen von Werken, deren Dasein sich als künstlerisches Gebilde unbestechlich erweist. Fragen wir von dieser aktuellen Situation aus nach Georges Dichtung, so wird sie schweigen, denn sie lebt, mit Ausnahme einiger Gedichte, nicht durch sich selbst. George setzte auf neuer Basis fort, was im 19. Jahrhundert, während Hölderlin in seiner Treue zu Geist und Werk verkannt blieb, der vorherrschende Zug der deutschen Lyrik gewesen war: Lyrik als das Vehikel privater, politischer, weltanschaulicher Meinungen, Lyrik als Steigerung, als Superlativ des Prosaischen.

Freilich entbehrt Georges Persönlichkeit nicht der Größe, die auch in ihrem subjektivsten Ausdruck durch den Vers noch die Würde des Dichterischen wahrt. Sie wieder aufs neue errichtet zu haben, nachdem sie das ausgehende Jahrhundert verraten hatte, ist sogar ein unzweifelhaftes Verdienst von ihm. Was ihn aber von Leuten wie Bierbaum und Dehmel abhebt, ist keine wesenhafte Unterscheidung, sondern nur eine gradmäßige; er war in seiner menschlichen Haltung ungleich stärker als diese Zeitgenossen, aber wiederum keineswegs stark genug, als daß man ihn, wie es geschieht, als Lyriker neben Goethe stellen dürfte. Dazu ist Georges Menschentum zu eng begrenzt, und, was sich hinsichtlich seines Werkes unbedingt gefährdend auswirken muß: George ist im Zustand des Schöpferischen niemals wie Goethe nur Mensch, der Mensch, der seine goethesche Größe etwa dazu gebraucht, um ein Versgebilde zu machen wie »Über allen Gipfeln«, schlicht, persönlich und doch letztgültig: eine der höchsten Möglichkeiten subjektiver Lyrik. Demgegenüber ist Georges Subjektivität nie ursprünglich; sie ist stets eine vorgefaßte Positur, eine durchaus romantizistische Haltung also – das äußerste, zu dem ein Individualist in seiner Willkür gelangen kann, der Punkt, der sich außerhalb jedes objektiven Maßes befindet, wo die Gültigkeit des Menschen nur noch von ihm selbst abhängt, wo er gezwungen ist, um sich nicht jeder Wirkung zu begeben, Menschen nach seinem eigenen Bilde zu formen. George hat es auch wirklich versucht. Nicht anders ist seine Wendung zur Gemeinschaft zu verstehen. Die Gemeinschaft, wie George sie sieht, ist nichts Objektives, in dessen Wirklichkeit er selber eingereiht und eingeordnet wäre, sondern er selbst ist mit seiner Einmaligkeit, die ihm als Berufung erscheint (aber von wessen Gnaden?), für die Gemeinschaft Maß, Gesetz und Urteil. Sie bedeutet nichts anderes als die Ausweitung seiner Selbstherrlichkeit.

*

Das Grunderlebnis, das dem jungen, noch unklar wollenden und nur dilettantisch vermögenden George zum künstlerischen Bewußtsein verhalf, war ein Aufenthalt in Paris, 1889, wo er in lebhaftem Verkehr mit der Schule der französischen Symbolisten stand. Der Symbolismus war eine späte Erscheinung der französischen Romantik, die ihren eigentlichen Anfang mit Charles Baudelaire nahm, der, was von jeher ein Wesenszug französischer Dichtung war, dieser neuen Haltung in dem berühmten Sonett »Correspondances« programmatisch erscheinenden Ausdruck gab. Der Symbolismus war, im Gegensatz zu dem gleichzeitigen Naturalismus und dem »Parnasse«, in der neueren französischen Literatur die fruchtbarste Erscheinung, die noch bis in die Gegenwart nachwirkt: Gide, Proust, Valéry, Claudel, Jammes besitzen als geistige Ahnen die Symbolisten Verlaine, Mallarmé und den abseitigen Rimbaud, doch ohne daß dies eine direkte Abhängigkeit bedeuten würde. Man wird sich erinnern, daß die zuletzt genannten Namen, ebenso wie der Baudelaires, auch in Georges Werk ihren Platz einnehmen. Als literarische Erscheinung ist der Symbolismus nicht einheitlich, sondern zerfällt in die ganz individuellen Werke der einzelnen Dichter, die den Begriff Symbol jeweils anders definieren. Gemeinsam aber ist ihnen allen der romantisch erfühlte Gegensatz von Geist und Welt: er ist die Ursache des baudelaireschen Schmerzes; er ist die Unerträglichkeit, der Rimbaud entschlossen die Dichtkunst opfert, um als Abenteurer und Händler ein ungebrochenes Leben zu fuhren; ihn versucht Mallarmé beständig in seinen Gedichten zu überwinden, indem er die Welt aufgibt, sie auflöst in Bild und Schein; ihn überwindet Verlaine durch die einigende Kraft des katholischen Glaubens.

Gemeinsam ist auch allen Symbolisten die Einstellung zur Kunst als etwas Absolutem. Als letztes Ziel des Kunstwerks gilt nur das Schöne an sich, das Schöne als Idee, das allein noch imstande ist, vor der geisttötenden, unsinnigen Zweck- und Nützlichkeitsbezogenheit zu retten, die das 19. Jahrhundert anfing allem menschlichen Tun zu geben, und deren Satire Flaubert in dem beinah irrsinnigen Buche von »Bouvard und Pécuchet« schrieb.

Als Reaktion auf diese entwertete Welt ist auch die Figur des Dandy zu verstehen, in dessen Haltung mit Vorliebe diese mit George befreundeten Dichter erschienen. Baudelaire hat uns eine geradezu metaphysisch gesehene Charakteristik von ihm gegeben. Danach ist der Dandy der vollkommen Einsame; aber nicht aus Anmaßung, sondern notgezwungen. Seine empfindliche Seele, die sich nach »luxe, ordre et beauté« sehnt, nach »Atmosphäre, Gesetz und Schönheit«, erträgt keine Berührung mit dieser gestaltlos gewordenen Welt des Bourgeois und Händlers, ohne nicht tödlich zu leiden. In dieser Welt gibt es für Baudelaire nur noch drei als Dasein wirklich erfüllte Gestalten: den Priester, den Soldaten und den Dichter. Das Dichtertum aber war für Baudelaire immer vom Zweifel bedroht. Als Mensch, der keine von diesen drei Formen bruchlos verwirklichen kann, nimmt er, um die Würde des Menschenbildes zu wahren, die Haltung des Dandys an, der sich aus seiner Umwelt löst, um bewußt in Zeit- und Raumlosigkeit zu schweben. Die Dinge, die er zu seinem Gebrauch erwählt, können nicht kostbar und erlesen genug sein: ein Übertreiben, das sich versteht als Reaktion auf die Gleichgültigkeit, mit der eine stillose Zeit sich zu ihnen verhielt. Die Abscheu vor dem Gemeinen und Formlosen erstreckt sich bis auf die Dinge der Natur, denn auch sie ist aus der Ordnung der Welt herausgefallen. Am Akt der Zeugung sieht der Dandy nur noch das Tier im Menschen beteiligt. Der Dandy ist der Schönheit zuliebe, die als Kunst im Gegensatz zur Natur steht, seinem Wesen nach asketisch, ein priesterlicher Diener der Schönheit, aber auch, indem er durch sein Auftreten den Bourgeois herausfordert, ein Kämpfer für sie.

Ist das nicht zugleich ein Bild des jungen George, der, von Frankreich zurückgekehrt, in seinem eigenwillig geschnittenen Gehrock, mit Zylinder und Monokel, in einem Berliner Caféhaus sitzt, auf der Zigarette das glimmende Weihrauchkörnchen? Der George aus den Edelsteingärten des »Algabal«, der »Herr der Insel« in den »Hirten- und Preisgedichten«? Der George, der seine Freunde mit alexandrinischen Namen nennt, die Frauen, deren Weiblichkeit er mißtrauisch begegnet, nur schätzt in ihrer Erscheinung als virago oder Huldin? – Noch ist seine geistige Substanz nicht stark genug ausgewachsen. Im »Algabal« ist die »Denkerstörung« noch unwillig aus dem Werk verbannt. George scheint ein Dichter zu sein im Sinne der französischen Symbolisten; es scheint, als sei er unter dem Eindruck des Werkerlebnisses, den er im Umgang mit Mallarmé empfing, nur um den Kult der Sprache und um die reine Leistung des Kunstwerks bemüht. Er gab damit der deutschen Dichtung eine außerordentlich wichtige Anregung. Doch in Wirklichkeit ist auch diese anfängliche Unterwerfung seines Selbst unter das Werk schon als eine Art seiner Selbstherrlichkeit zu deuten, indem es ja zu erwarten stand, daß diese Art des Vorgehens in Deutschland ein unerhörtes Aufsehen erregen mußte. Wichtiger als die Versgebilde an sich war von Anfang an ihr Dichter, und sobald sich George auch geistig ausgeprägt hatte, hörte er auf, die »Denkerstörung« zu verachten; er gibt auch die Haltung des Dandys auf und nimmt die von Leconte de Lisle an, einem Dichter des Parnaß, den er schon früher bewundert hatte, dem Verfasser der »Poèmes antiques« und »Poèmes barbares«, der dem Dichtertum ein priesterliches Gehabe verlieh.

Leconte de Lisle war der typische Weltanschauungsdichter, der seine pessimistischen Betrachtungen in Verse von hoher Sprachkunst goß. Äußerlich, der Haltung nach betrachtet, steht ihm George im »Siebenten Ring« am nächsten. Mit diesem Versbuch trat das in weiterem Sinne Politische bei George seine ausschließliche Vorherrschaft an; das Werk wird ihm immer stärker unterworfen; schließlich dient es nur noch als Wort des Propheten und verliert dementsprechend immer mehr an objektivem Wert. Es ist merkwürdig, aber dennoch erklärlich: je mehr sich Georges Eigenart ausprägt, je stärker er als Persönlichkeit wird, desto mehr nimmt er ab an künstlerischer Bedeutung. Historisch gesehen hat er mit seinen gedankenarmen, geistig richtungslosen Anfängen seine größte Bedeutung gehabt. Doch so und nicht anders wie einst Martin Opitz, dessen Gedichte zu Recht verschollen sind, der aber der deutschen Lyrik den Sinn für Form gab; oder so wie die »fruchtbringenden« Sprachgesellschaften im 17. Jahrhundert, die den Deutschen wieder das Bewußtsein ihrer Sprache schenkten, freilich nicht durch die Beispiele, die ihre Mitglieder gaben, aber durch das Methodische ihres Tuns, das wahrhaft fruchtbringend gewesen ist.

Auch George hat in verödeter Zeit bewirkt, daß man sich wieder auf das Wesen der Dichtung besann. Es selbst erfüllt zu haben, kann von seinem Werk als Gesamtheit nicht gesagt werden. Es gelang ihm nur in einzelnen Fällen. Rein künstlerisch betrachtet erreicht er seine höchste Stufe mit dem »Jahr der Seele« und dem »Teppich des Lebens«. Hier ist er am meisten Dichter, sein Vers ist nicht mehr nur angewandte Sprache wie noch meist in den früheren Büchern, besitzt aber auch noch nicht das Oratorische von dem »Stern des Bundes« und dem »Neuen Reich«. Freilich, zu dem, was das eigentlich Lyrische ist, zum bildhaften Wort, zum unmittelbaren Bild, durch das Gedanke und Gefühl körperhaft und sinnlich anschaubar werden, dringt George nur selten vor. Die Gedichte, mit denen es ihm wirklich gelingt, sind an den Fingern abzuzählen. Gewöhnlich ist sein Wort nur eine bloße Benennung, in seiner Stofflichkeit als Klang und Gesicht zwar durchaus erfühlt, aber ohne Sinn für seine Eigenlebendigkeit. Georges Wort bezeichnet, bedeutet, aber nur selten ist es. Er meistert die Sprache, er meistert sie bis zur Gewalt, aber er dient ihr nicht, belauscht sie nicht in der Eigengesetzlichkeit ihrer lebendigen Natur; er hat sich ihr nie unterworfen wie Hölderlin oder der späte Rilke, oder, man staune nicht, Christian Morgenstern, dessen Scherze, was die Sprache betrifft, eine äußerst ernsthafte Sache sind.

*

Man muß sich das kulturell verödete Deutschland um die Jahrhundertwende vorstellen. Wo sollte wieder sichtbar werden, was so schmerzlich vermißt ward: die Form, inmitten einer Zeit, die die Unform selber war; wo umgeben von schwankenden Geistern, von Blinden und Tauben, mitten im offenen Aufruhr des Niedrigen und Trivialen gegen den Geist, die Haltung und das geistige Gewissen, wenn nicht durch den Entschluß und das Beispiel eines Einzelnen, der mutig genug war, um allein gegen eine Welt anzugehen, die in Stumpfsinn befangen war und sich weder für rechts noch für links entschied, sondern die jeder Geistigkeit den mastigsten aller Materialismen entgegensetzte: die Lehre und die Anbetung des Geldes.

George war sicherlich nicht der einzige, der sich um eine Abkehr davon und um eine Erneuerung des Geistes bemühte. Bei keinem aber trafen so wie bei ihm die Vorbedingungen zusammen, durch die eine Wirkung nach außenhin möglich wurde: was dabei am stärksten galt, war, daß nirgends so offenkundig Geist als Lebensform erschien. Auch nicht bei Nietzsche, dessen privates Leben ganz hinter seinem Werk verschwand. Es ist das Unvergleichliche an George, daß bei ihm die öffentliche Person und die private völlig übereinstimmten; beispielhaft stand er mit seinem Dasein vor dem Anblick seiner Zeit; das Werk war durch den Menschen und der Mensch durch das Werk schließlich in einem Maße bestimmt, stilisiert, daß es heute zunächst überrascht, wenn vertraute Freunde Intimes aus seinem Leben berichten, wie es sich dem Bilde der noch unlängst unter uns weilenden olympischen Erscheinung schwerlich einfügen will.

Die Macht seiner Persönlichkeit war primär. Sie ging nicht von objektiven Werten aus, vor denen sich das Urteil unbedingt zur Anerkennung beugen müßte. Er zwang die Menschen mit einer Gewalt, die man dämonisch nennen mag, die ihm jedenfalls als Gabe der Natur verliehen war, auch als ein tüchtiger Schuß Schauspielertum, als Fähigkeit des Beeinflussens und des Bezauberns, als Kunst des Überzeugens und Erziehens, wie sie ein Mann des Geistes, um groß zu sein, in seinem irdischen Umgang keineswegs bedarf. George hat sie angewandt schon als junger Dichter. Es ist ihm stets gelungen, etwas davon in seine Verse einfließen zu lassen. Anders hätte es auch niemals sein können, daß schon seine ersten Gedichte eine solch leidenschaftliche Erörterung erregten, wie es der Fall war. Als bloße dichterische Tatsache genommen, ohne die Vorstellung von Georges Person, die unwillkürlich hinter dem Gefüge der Worte auftaucht, wäre an diesen ersten Gebilden nicht mehr als ihre kunstgewerbliche Neuartigkeit hervorzuheben.

Aus der Fähigkeit des Erziehers fließt denn auch bei George das eigentlich Schöpferische. Nicht aus seinem dichterischen Werk, auch nicht aus der Gewalt seiner Ideen. George ist auf keine Art ein ursprüngliches Genie gewesen. Doch er selbst und seine Apologeten besaßen nicht Kritik genug, um diesen Sachverhalt einzusehen. Man ist versucht, die Anmaßung, mit der George als a priori unfehlbar dargestellt wurde, als gefühlsmäßige Kompensation dieses Mangels zu deuten. Eine Schwäche durch eine übertrieben ausgeführte Geste zu verbergen, ist ein genugsam bekanntes Verhalten des Menschen. George ist nicht frei von Pose, sie ist der erste Zweifel an seiner wirklichen Größe, er wird genährt durch die Stellen in Georges Werk, wo er unumwunden von seiner Vorbildlichkeit spricht.

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Georges Verdienst, in seiner gesichts- und richtungslosen Zeit wieder maßgebende Bilder aufgerichtet zu haben, bleibt davon unbeschadet. Daß Hölderlin und Jean Paul, daß Stifter, und daß vor allem Goethe auf eine ganz neue, ungleich wirklichere Art, als ihn die Philologen-Generation des letzten Jahrhunderts gesehen hat, in das Bewußtsein der Deutschen drangen, ist dem Hinweis zu danken, den George seinen Schülern gab. Die Unbedingtheit der geistigen Haltung ist das Gemeinsame geworden, durch das sich die besten Werke aus dem »Kreis« auszeichnen. Und über alle wesensmäßigen Bedenken hinweg unbedingt bejahenswert ist auch das besondere Verhältnis zur Sprache, das all diesen Schriftstellern eigen ist, ein Verhältnis voll Bewußtsein, Zucht und Verantwortung, die die Sprache mit Ehrfurcht als etwas Wesenhaftes anerkennt, wodurch, in Beziehung auf den Gedanken, den die Sprache tragen und ausdrücken soll, eine seit langem selten gewordene Sprachkunst wieder zur Regel wird. Gundolf, Bertram, Hildebrandt, Reinhardt, Kommerell sind, auch wenn sie schließlich von Georges Welt- und Menschenbild abrückten, ohne das Beispiel, das er ihnen gab, nicht denkbar. Dieser eine georgesche Wesenszug, diese Unanfechtbarkeit, mit der er eine Idee zu leben und zu verkörpern unternahm, das Methodische seiner Erscheinung, möchte ich sagen, im Gegensatz zu ihrem Gehalt, ist das, was am großartigsten an ihm bleibt, was auch von keiner Kritik betroffen werden kann, das, wodurch seine Menschlichkeit den einzigen Bezug ins Gültige erhält.

Wir glauben aber im Recht zu sein, wenn wir verneinen, daß George seiner geistigen Substanz nach Muster und Richtung sein könnte. Es war für seine Gestalt Schicksal, daß sie, die ihrer Subjektivität Norm und Gesetz gebende Macht zusprach, durch diese Ausdrücklichkeit des Persönlichen zwar in hohem Grade Einfluß auf das Zeitliche erhielt, daß es ihr aber gerade deshalb versagt war, zu der objektiven Gültigkeit zu gelangen, die allein Vorbild und Maß sein kann. Georges geistige Entwicklung ist ihrer Art nach nie in die Höhe des Überpersönlichen aufgestiegen, sondern sie vollzog sich als eine gleichmäßig nivellierte Ausdehnung ins Weite: dem ästhetischen Bereich wird allmählich der persönlich-menschliche hinzugefügt, später noch der politische. Das Niveau aber dieses geistigen Elementes blieb stets auf dem georgeschen Privatmaß stehen.

Deshalb ist auch das Geschmacklose, das immer entsteht als eine Untreue der Person gegen das Gegenständliche, gegen die Umwelt überhaupt, Georges Erscheinung nicht fremd. Seine Versuche um Stil und Kunst mußten, weil er auch hier mit subjektiver Willkür vorging, sich in ihrem Ergebnis als wertlos erweisen. Er schätzte Böcklin, ohne Marées zu kennen. War auch Böcklin gewiß ein tüchtiger Maler: George schätzte ihn gerade dort, wo er sich außerhalb der künstlerischen Gesetze stellte: in der Absicht, in der krassen Tendenz. George bewunderte die bayrischen Schlösser Ludwigs II., weil er meinte, in ihnen den Stil zu sehen, den er in seiner Zeit so schmerzlich vermißte. Und er suchte, als das deutsche Kunstempfinden in allen seinen Äußerungen bis auf die Gestaltung von Buch und Letter wie niemals vorher stumpf geworden war, nicht wieder das Gesetz zu erkennen, das als Idee in den Dingen lebt, sondern er zwang ihnen selbstherrlich auf, was ihm als gut und recht erschien. Er kam vom Gedanken her zum Gegenstand. Das ist die Haltung des Jugendstiles. Und so ist denn die Ausstattung seiner Bücher, die Melchior Lechter vornahm, phantastisch geschmacklos, und die Letter, in der seine Werke gedruckt wurden und die jenen verkommenen Buchstabentyp ersetzte, dessen sich noch die große Weimarer Goethe-Ausgabe bedient, ist in ihrer Verkrampftheit völlig leblos und enthält an Stil nicht mehr als den didaktischen Willen dazu. Immerhin gab George auch damit einer stillosen Zeit die sichtbare Anregung, derzufolge sie wieder begann, sich auf die Wirklichkeit von Stil und Form zu besinnen.

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Die Beziehung Georges zu Nietzsche ist offenkundig. Der Mensch, der von George und den Seinen als Ziel und Ideal verkündet wird, ist seiner Abstammung nach ein Sohn Zarathustras. Alle Unterscheidungen, die von den Anhängern Georges dagegen gemacht werden, zeigen nur, obwohl sie natürlich George mindestens ebenbürtig Nietzsche zur Seite stellen wollen, wie sehr George durch Nietzsche beeinflußt ist: zeigen aber auch, daß seine Aufnahme von Nietzsches Ideen eine Verengerung für sie bedeutet, ja ein Mißverstehen, wenn man die neuen Züge betrachtet, die ihr George einfügte, z. B. indem er das Typische, als das der ideale Mensch bei Nietzsche erscheint, auf blut- und rassenmäßige Voraussetzungen reduziert.

Es steht Nietzsche noch bevor, eine Wiedergeburt zu erleben, durch die das Gefüge seines Geistes erst in seiner Ganzheit offenbar wird. Bisher ward nur der Nietzsche der Hybris gesehen. Was von ihm bis jetzt in der Hauptsache gewirkt hat, ist die Lehre vom Übermenschen gewesen, in der eine schwache Zeit begeistert ihre Losung zu vernehmen glaubte. Auch George. Er wurde zum einflußreichsten Propheten dieses mißverstandenen Nietzsche. Er hat Zarathustra verkannt; er hat ihn umgänglich gemacht, ihn aus der scharfen Bergluft in den Zibetgeruch seiner künstlichen Gärten versetzt, auf »schön« gerichtet, wir stehen nicht an zu sagen, verkitscht.

Die europäisch gültige Abrechnung, die Nietzsche mit den mißbrauchten Idealen und den hinfällig gewordenen Werten vorgenommen hat, wenn sie auch heute immer noch zählen mögen, ist auf keinen Fall nur entwicklungsmäßig zu betrachten, als das einleitende Vorspiel, das der Krönung des Nietzscheschen Gedankens durch die Lehre vom Übermenschen vorangegangen sei. Es wird allmählich klar: der Übermensch war eine Illusion, ein Traum, den Nietzsche ausspann, als er das nihil, das er in seiner ganzen grauenhaften Denkbarkeit empfand und erfühlte, nicht länger mehr zu bestehen vermochte. Zarathustra war in der Übersteigerung, die durch ihn das Bild des Menschen erhielt, ein Zwischenspiel; nicht nur für die Mit- und Nachgeborenen, sondern, was in Hinsicht auf Nietzsches Gestalt ungleich wichtiger wird: Zarathustra ist auch für Nietzsche selbst ein berauschendes Trugbild gewesen, Selbstbetrug. Denn der Mensch, dessen Gestalt uns der Denker in seinem Nachlaß noch fragmentarisch hinterließ, ist ein anderer. Er steht wieder der entwerteten Wirklichkeit ohne die gauklerische Pose der Selbstherrlichkeit gegenüber; sieht sie und weiß, daß ihre Überwindung nicht erfolgt, indem man sie leugnet. Er kennt das Nichts, seine Gefahr, seine Möglichkeit wenigstens, was ein Jahrhundert lang, sichtbar seit Kierkegaard, das Grunderlebnis des europäischen Geistes war, was hinter den tausend Masken der täglich neu erfundenen Ideologien nur schlecht verdeckt hindurchschimmert. Und dieser Mensch der »Umwertung der Werte« ist wieder wahrhaft Geist von Nietzsches Geist, ist wieder der alte Mensch der »Fröhlichen Wissenschaft«, der Zerstörer der Täuschungen, und ist der neue, der die einseitig konstruierte Gestalt Zarathustras erlöst und mit der Wahrheit des Lebens erfüllt. Es ist eine grausame Desillusionierung, die dieser Mensch da vollzieht, und das Leben, das so entblößt noch zurückbleibt, scheint vielleicht sinnlos; aber es wird, so wie es ist, ertragen, und es gewinnt, rein aus dieser sachlichen Einstellung heraus, dennoch, nur durch das Dasein dieses Menschen, Sinn und Form. Und er ist stark genug, um nicht den Glauben an die Götter, die er entthront sieht, durch Selbstvergötzung zu ersetzen.

Dies ist die reinste Ausprägung des tragischen Menschen, die da geschieht, des Menschen, der nicht mehr aus Gott lebt, der ihn aber auch nicht einmal leugnet, sondern der von ihm schicksalhaft entfernt ist.

In Nietzsche hat sich diese Gestalt in ihrem Heldentum wie in ihrer Hinfälligkeit vollkommen verkörpert, wenn auch, da sein jähes Ende sein Leben als Torso zurückließ, sie sich nicht restlos erfüllen konnte. Selbst die ständige Versuchung, die im Wesen dieses Menschen liegen muß, blieb ihm nicht erspart: die Hybris, in seiner Gottverlassenheit den Menschen zu vergotten. Sie ist sicher nicht nur in Zarathustra, sondern als Möglichkeit in seinen Werken überall da, aber ebenso sicher ist sie niemals das Zentrum von Nietzsches Geistigkeit gewesen.

Wenn man aus dem George-Kreis hört: »Nietzsche hatte den Boden aufgepflügt: in die gelockerte Erde senkte George die Saat eines neuen Menschentums«, so ist das anders interpretiert richtig. Was bei Nietzsche Versuchung und Traum war: die Herrschergebärde, der er sich begab, um in der Haltung des Soldaten auf verlorenem Posten zu sterben, das wird bei George wirklichkeitsfremd und tatsachenverneinend durchgeführt. Grüßt er nicht Ludwig II., den bayrischen Traumkönig, als seinen Bruder? Das neue Menschentum, von dem George kündet, ist ein durchaus künstliches, willkürliches Gebilde, das auf der Flucht vor einer als entwertet angeschauten Welt entstand.

Nur sie, die nach dem heiligen Bezirk
geflüchtet sind auf goldenen Triremen,
– – – – –
nur deren Schatten folg ich noch mit Huld.

(Der Stern des Bundes)

Es können jedoch angesichts der Wirklichkeit für den geistig bewußten Menschen nur diese beiden Möglichkeiten sein: der christliche Mensch, für den die Welt durch Gott erlöst ist, oder der tragische Mensch, der keine Erlösung kennt, da er der Gnade entbehrt. Der andere Fall, da sich der Mensch als durch sich selbst erlöst verkündet, verkennt das Wesen der Wirklichkeit ebenso wie das des Menschen. Sein Bild wird Unnatur, die Wirklichkeit wird einem Traum geopfert.

Diese Haltung zeigt sich bei George nirgends so klar wie bei der Ausformung, die er dem Maximin-Erlebnis gab. Das Tatsächliche des Erlebnisses zu bemäkeln liege uns durchaus fern. Knabenliebe: es sei an dieser Stelle nicht über ihre Moral gestritten; man mag an Platon denken und an die Höhe, die sein Ethos im Symposion erreicht. Aber schlimm, greuelhaft, geschmacklos ist der Anstrich, den ihr George gibt, obwohl er sich dabei platonisch fühlend glaubt. – Er begegnete in mittleren Jahren einem jungen Menschen aus einer kleinbürgerlichen Familie Schwabings, der kurz nach dieser Bekanntschaft starb und in dessen konkrete Erscheinung nun George eigenmächtig alles, was er jemals an Traumvorstellungen erlebt hat, als wirklich hineindeutet. Er zögert nicht, diesen Jungen als Gott auszurufen, er scheut sich nicht, in den Gedichten, die ihm im »Siebenten Ring« gewidmet sind, die Vergleiche aus der christlichen Heilsgeschichte zu entlehnen. Wenn Friedrich Wolters, der offizielle Verfasser des georgeschen Mythos, selbst von George schreibt: »Seine gläubige Kraft hat den Gott geboren, in ihm allein ist die neue Welt begründet«: – ist damit durch diese Beziehung von »allein« und der georgeschen Subjektivität, nicht zugleich die Unwahrscheinlichkeit dieser georgeschen Welt zugegeben? – Sie war die Landschaft eines Traumes; sie wäre als solche (traumhaft) in ihrem Dasein noch wahr gewesen. Daß sie aber von George ausgerufen wurde als etwas zu Verwirklichendes, zu dem die lebendige Realität nur den Stoff, Latten und Leimfarbe hergab, macht sie unwahr, kulissenhaft und künstlich. Wolters berichtet, George habe eine »Traumvorstellung« gehabt, »es gäbe auf irgendeinem Schloß einen Knaben, ihn müsse man finden«. Diesem subjektiven Bild entsprechend wurde dann der junge Maximin maskiert. Die Wirklichkeit wurde vergewaltigt, um einer wirklichen Vorstellung zur Verkörperung zu dienen. Fälschlicher kann Platon nicht mehr gedeutet werden, er, der lehrte, wie nur durch die hingebend liebende Anschauung des Wirklichen allmählich die Idee erschaut werden kann. Wie sagt doch Diotima? »Denn dies heißt richtig zum Erotischen gehen oder geführt werden, daß man bei den schönen Dingen beginnend jenes Schönen wegen immer hinaufsteige, gleichsam auf Stufen steigend, von einem zu zweien und von zweien zu allen schönen Leibern und von den schönen Leibern zur schönen Lebensführung und von der schönen Lebensführung zu den schönen Erkenntnissen, bis man von den Erkenntnissen endlich zu jener Erkenntnis gelangt, welche die Erkenntnis von nichts anderem als jenem Schönen selbst ist und man am Ende jenes Selbst, welches schön ist, erkenne.«

Dieses »Selbst« ist die Idee, und sie ist alles andere als ein Traum; sie ist starke und stärkste Wirklichkeit, jene, zu deren Anschauung Shakespeare durch die Liebe zu einem Knaben in seinen Sonetten emporsteigt, so hoch, daß das einmalig Zufällige dahinter weit zurückbleibt.

In diesem Sinne, als etwas Objektives, das erschaut werden kann, besitzt George keine »Idee«. Sie wird bei ihm immer subjektiv und frei erfunden: Illusion des Geistes, die, um ihre vermißte Wirklichkeit zu erhalten, sich mit der Wirklichkeit gewaltsam und unrein vermischt; ein Zerrbild entsteht. Die Gestalt Maximins muß in ihrer georgeschen Überlieferung als eine zwar unfreiwillige, aber doch unvermeidliche Karikatur erscheinen, geschmacklos, weil das Verhältnis von Sein und Sicht gestört ist, sentimental entsprechend der georgeschen Wirklichkeitsferne, ja anstößig insofern, als das Private, ohne objektiv gültig zu werden, sich öffentlich preisgibt.

Doch es darf nicht verschwiegen sein, wie sehr George um die Verwirklichung seines Wahnbildes gelitten hat, wenn er auch in seinem Werke kaum davon spricht. Eine neuliche Veröffentlichung einiger seiner Briefe enthält eine Stelle wie diese: »Ich kann mein Leben nicht leben, es sei denn in der vollkommenen Oberherrlichkeit. Was ich darum streite und leide und blute, dient keinem zu wissen. Aber alles geschieht ja auch für die Freunde. Mich so zu sehen, wie sie mich sehen, ist ihr stärkster Lebenstrost. So streit und duld und schweig ich für sie mit. Ich gehe immer und immer an den äußersten Rändern – was ich hergebe, ist das letzte Mögliche ... auch wo keiner es ahnt.«

Wieder ist es das Methodische, das an George damit beispielhaft aufglänzt, die Unnachgiebigkeit gegen die Unform, die Treue zu seinem Ideal, die unerbittliche Strenge, die auch die eigene Natur nicht ausnimmt. Aber dennoch: dieser oberherrliche Mensch, der in seiner Welt mit einem Machtwort die Tragik überwunden glaubte, ist, von außen her betrachtet, tragisch wie nur je, donquijotehaft. Er ist der Mensch, der, wenn auch ohne es zu merken, sich in der Wirklichkeit vollkommen aufhebt. Die Form, die er bildet, ist demnach leer und tot, sein Ideal, selbst in seiner Verwirklichung, ein Phantasiegebilde, und seine Erscheinung, bei aller Großartigkeit ihrer Konsequenz, eine ungeheuerliche Pose.


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