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Von dem Doktor und des Amtmanns Sophie.

Es war ein schönes stattliches Dorf des schwäbischen Unterlandes, wo der Amtmann seit Jahren seinen Ruhesitz genommen hatte und der Landwirthschaft oblag. Er war ein Studirter, sogar ein schöner Geist, machte Verse und schrieb leitende Artikel in's Wochenblatt und war, nicht »weil,« sondern »obgleich« er dies that, ein grundgescheidter Mann, der mit dem Zeitgeist rüstig Schritt hielt, ohne sich von ihm in irgend einer Weise fortreißen zu lassen. Es war wohl zumeist seiner Frau zulieb geschehen, daß er so frühe schon sein Amt aufgegeben und sich im Dorf niedergelassen hatte, auf den väterlichen Gütern, auf denen sie großgewachsen war. Obwohl sie sich längst zu ihm herangebildet, lebte und webte sie doch mit ganzer Seele in ihren Hanf- und Kartoffelpflanzungen, ihrem stattlichen Hühnerhof und ihren Gärten, wo sie die schönsten Gemüse zog, den meisten Kopfsalat überwinterte und jederzeit vierzehn Tage vor der Frau Pfarrerin Lattich producirte.

Sophie war ihr einziges Töchterlein, ein junges Blut von siebzehn Jahren, leichtfüßig und leichten Herzens, hie und da ein wenig verlegen und unbeholfen; doch schaute eine so frische, lebendige Seele aus ihren schwarzen Augen, daß man das gern übersah. Das war freilich fatal, und Herrn Oberamtmanns Mathilde und Dekans Pauline aus der benachbarten Stadt äußerten sich oft recht bedenklich darüber, daß Sophie eben noch so gar ungebildet war. Sie hatte noch nichts von Schiller gelesen und von Goethe kaum gehört, obwohl sie in des Vaters Bibliothek standen, und als ihr die Mathilde das neuste von Friederike Bremer leihen wollte, da meinte sie: »Ja, siehst Du, ich habe eben den Tag über so viel zu thun, da mag ich Abends nicht auch noch lesen.« Die Mutter selbst, obgleich sie sich keiner klassischen Bildung rühmen konnte, war über diesen Mangel an Strebsamkeit angefochten, durch den ihre Sophie so sehr zurückblieb hinter den Forderungen der Zeit, und meinte, man sollte das Mädchen doch auf ein Jahr nach Stuttgart thun; der Vater aber sah mit unbegreiflichem Gleichmuth zu, wie diese wilde Rose sich zwanglos am Vaterhaus hinaufrankte, und hatte seine Herzensfreude an der kindlichen Frische des Mädchens, das daneben ein folgsames und fleißiges Kind war, wie sie Vögel fütterte oder schreiende Nachbarskinder herumschleppte, deren Mütter auf dem Feld waren, während Cousine Clara mit dem Provisor höchst mühselige vierhändige Sonaten einstudirte oder mit etlichem Gähnen den Bulwer las.

Clara, eine früh verwaiste Nichte des Amtmanns, war seit langen Jahren im Amthaus daheim, eine volle, schöne Gestalt, blond und weiß und roth, wenige Jahre älter und viel kultivirter als Sophie. Sie war fast zwei Jahre in Stuttgart gewesen, hatte daselbst Tanzen und Sticken, Kleider- und Putzmachen gelernt, auch einen Curs Literaturgeschichte gehört, von dem ihr etliche unklare Erinnerungen zurückgeblieben waren. Sie verstand sich prächtig zu kleiden, machte feine Arbeiten, und wenn sie in Gesellschaft just nicht mitzusprechen wußte, so machte sie doch wenigstens ein Gesicht, als ob sie das alles besser verstände und nur mit dem besten Urtheil nicht herausrücken wollte.

Da fand es denn alle Welt natürlich, daß der junge Praktikus, der sich im nächsten Marktflecken gesetzt hatte und vom Amtmann als Hausarzt angenommen war, seine Huldigung alsbald Clara zuwandte, zumal sie auch für eine Erbin galt. Man bemerkte zwar nicht, daß er ihr ausdrücklich den Hof gemacht hätte, aber im Amthause war er den lieben langen Tag zu finden. Niemals noch war jedes flüchtige Unwohlsein der Insaßen so überaus gründlich mit Vor- und Nachkuren behandelt worden als zu jener Zeit. Ein Splitter, den sich Wara im kleinen Finger gefangen hatte, bedurfte einer achttägigen Behandlung; die gute Mama sollte eine Warze an der Nase, deren Dasein sie selbst ganz vergessen hatte und die ihrer Schönheit längst keinen Abbruch mehr that, mit Aetzen und Unterbinden vertilgen lassen; selbst Käthchen, die alte Hausmagd, kam einst mit hellem Lachen: jetzt meine der Doktor gar noch, sie habe einen Reformatismus, weil sie sich eben den Fuß ein wenig übertreten habe.

Es war in der Gegend ein solcher Reichthum an Aerzten, daß es nicht zu verwundern war, wenn der Doktor, trotz seiner anerkannten Geschicklichkeit, so viel Zeit und Mühe auf dieses Eine Kundenhaus verwenden konnte. Er war es müde geworden, mit seinem Apotheker halbe Tage lang Schach zu spielen und über die robuste Bevölkerung zu lamentiren, und diese noch schwache Praxis war wohl auch der Grund, warum er mit seinen Absichten auf Clara so lange hinter dem Berge hielt. Diese, die ein äußerst ruhiges Herz besaß (um nicht zu sagen gar keines), ließ sich's in allem Gleichmuth gefallen, für die Angebetete des Doktors zu gelten, und that nichts dazu und nichts davon. Der Doktor, ein heiterer und angenehmer Gesellschafter, war im Amthaus von Alt und Jung jederzeit gern gesehen; sogar Sophie, die sonst selten dazu zu bringen war, zahm und gesittet an gebildeter Gesellschaft Theil zu nehmen, ließ sich herbei, wenn er da war, und brachte manchmal Einfälle zu Tage, die noch gescheidter waren als die Gesichter der Cousine Clara, so daß die Mutter dachte, wenn's mit dem Doktor und der Clara einmal Ernst geworden sei, so müsse man die Sophie auf einige Zeit hinüber thun zu ihnen; der Doktor bringe noch am ehesten etwas an sie hin.

Recht verwunderlich war's, daß auch Sophie, sonst ein Bild der Gesundheit und des Lebens, doch eines Tags nach einer Schlittenfahrt, wo der Doktor Clara geführt hatte, die auf des Vaters Wurstschlitten nicht mehr Platz gefunden, bleich aussah und Kopfweh klagte. Trotz ihres Sträubens schickte die Mutter nach dem Doktor, der, wie billig, diesen Fall nicht leichter nahm als die früheren im Hause. Er dachte an allerlei bedenkliche Wendungen, die die Krankheit möglicherweise nehmen könnte, und verordnete das Gehörige. Die Mutter ließ sich's nicht nehmen, bei Sophie zu wachen, die jedoch die ganze Nacht steinfest schlief und frisch und rothwangig erwachte. Die Mutter aber erlaubte ihr durchaus nicht aufzustehen, bis der Doktor dagewesen. Der kam auch in aller Frühe angeritten und fand trotz sorgfältigsten Forschens wenig Krankheitsspuren mehr. »Nur noch ein etwas rascher Puls und diese dunkelrothe Gesichtsfarbe, die sich gestern schon zeigte, ist mir bedenklich; wir wollen doch einmal sechs Blutegel ansetzen.« Mußte also die arme Sophie ihr tiefes Erröthen beim Eintritt des jungen Doktors mit dem Biß von sechs Blutegeln büßen.

Nicht lange nach dieser glücklich überstandenen Lebensgefahr der Sophie kam eines Abends der Doktor in besonders fröhlicher Laune in's Amthaus, um den Freunden zu verkünden, daß er endlich eine langersehnte Anstellung mit Wartgeld, (die Mediciner sind doch die einzigen Leute in der Welt, die für das Warten noch bezahlt werden!) erhalten habe. Sie freuten sich herzlich über sein Glück, obschon's dem Vater leid that, den geselligen Nachbar zu verlieren. Die Mutter dachte bei sich: »Wie ärgerlich, daß die Clara gerade heut nach B. in's Casino gehen mußte! Der Doktor hätte gewiß gern sein Wort angebracht,« und besann sich schon, ob sie zu Clara's Aussteuer den Sattler in's Haus nehmen, oder alles auswärts machen lassen wolle. Sophie aber war unvermerkt abhanden gekommen, wahrscheinlich weil sie dachte, es wäre schicklich dem Doktor zu gratuliren, und doch nicht wußte wie. Erst als der Doktor nach ungebührlich langem Verweilen sich zum Gehen anschickte, tauchte sie im Hintergrund auf. Sie leuchtete ihm auf der Treppe, da bat sie der stets noch zögernde Gast, ihm doch ihre jungen Seidenhasen zu zeigen (Sophie hielt stets eine kleine Menagerie). Obgleich es ziemlich spät war, zeigte sich das allzeit gefällige Mädchen doch bereit, und ging mit ihm in das untere Stübchen, das ihr dazu eingeräumt war. Die Mutter meinte, es schicke sich doch nicht so recht, der Vater aber sagte lachend: »Laß sie nur machen!«

Nicht lang stand's an, so hörte man den Doktor die Hausthür zuschlagen, und obgleich er dießmal zu Fuß gekommen war, in hellem Galopp davoneilen. Sophie aber stürzte mit glühendem Gesicht die Treppe herauf und in's Zimmer. –»Was ist's? was gibt's? was ist Dir begegnet?« fragte der Vater. – »Ach, so etwas ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht begegnet!« rief Sophie. – »Ja, was denn?« fragte die Mutter. – »Der Doktor will mich heirathen!« stieß Sophie heraus, und hob an zu weinen, weil sie im Augenblick schlechterdings nichts anderes zu thun wußte. – »Das ist mir ein saubrer Patron!« fuhr der Vater mit gutgespieltem Zorn auf; »spricht dem unschuldigen Kind da vom Heirathen und bringt mir's zu bitteren Thränen! Dem will ich meine Meinung sagen, und das sogleich, dem werde ich einen Brief schreiben, den er nicht an den Spiegel steckt!« Und höchst aufgebracht ging er auf seine Stube.

Noch war er nicht lange dort, als Sophie eintrat; ihre Augen waren schon getrocknet. »Vater,« fing sie schüchtern an, »ich meine, Du solltest doch nicht gerade einen Boten fortschicken mit dem Brief an den Doktor; – es – es –« – »Ei, warum nicht, Du armes, gekränktes Kind?« – – »Es – es kostet so viel Porto,« sagte Sophie in größter Verlegenheit. – »O Du sparsames Kind!« lachte der Amtmann im höchsten Vergnügen; »was für eine gute Hausfrau wirst Du werden! Ja, ja, so lassen wir's denn einstweilen gehen, weil es so viel Porto kostet, bis wir's dem Doktor mündlich sagen können, daß man mit siebzehnjährigen Kindern noch nicht vom Heirathen spricht.« – »Aber meine Großmutter hat schon mit sechszehn geheirathet,« meinte Sophie und ergriff eiligst die Flucht.

Nun, der Doktor ist wieder gekommen und sie haben sich alle zusammen mündlich verständigt, auch hat er der Sophie keine Blutegel mehr gesetzt, obgleich ihr Gesicht noch dunkler glühte, als dazumal. – Die Hochzeit wurde, wie billig, noch etwas verschoben, aber es gab ein fröhliches Verlobungsmal, ehe der Doktor abzog. Clara war freilich auf's Höchste überrascht durch die Neuigkeit, doch schickte sie sich mit gutem Anstand in den Verlust ihres Anbeters; sie gab seiner Zeit eine hübsche Brautjungfer und tröstete sich binnen kurzem an der Seite eines langbeinigen Gerichtsaktuars.

Ob der Doktor der Sophie Schiller und Goethe noch beigebracht hat, ist mir nicht bekannt, aber soviel weiß ich, daß sie nie das unerhörte Ereigniß beklagt hat, das ihr damals zugestoßen, und daß sie nie bereute, jenen Botenlohn erspart zu haben.


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