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Noch ein gastfreies Pfarrhaus.

Zwar ist schon so viel Liebes und Schönes von den Pfarrhäusern gerühmt worden, daß man sich neben so viel Licht billig auch etwas Schatten gefallen lassen sollte; doch wäre es aber möglich, daß die ehrwürdige Geistlichkeit das geizige Pfarrhaus etwas übel genommen hätte. Darum soll es denn zwischen zwei gastfreie, wie ein Hering zwischen zwei fette Butterschnitten gepackt werden, als klarer Beweis, wie überwiegend in Pfarrhäusern das gute Element ist. Wer dann in dem geizigen hungrig geworden ist, der kann sich im gastfreien Nummer zwei wieder gehörig erholen.

Da zu einem Pfarrhaus gewöhnlichem Begriff nach zunächst Mann und Frau gehören, so will ich für diesmal etwas weit ausholen und erwähnen, wie sie zusammengekommen sind.

Wer hat nicht in seiner Kindheit in der tausend und einen Nacht das schöne Märchen vom Prinzen Kameralzaman und der Prinzessin Badure gelesen? Ein Prinz und eine Prinzessin von gleich wunderbarer Schönheit, in gleich üppiger Umgebung, sind aus verschiedenen Gründen der Ehe abgeneigt, bis sie einander gesehen haben und dann durch den Beistand etlicher guter Genien den Bösen zum Trotz zusammenkommen. In ähnlicher Weise hat dereinst der gastfreie Pfarrherr seine Hälfte (es waren eigentlich zwei Dritttheile) gefunden, nur mit wenigen Schwierigkeiten, denn sonst hätt' er's bleiben lassen.

Bevor er zur geistlichen Würde gelangte, war er »des Oberamtmanns Ferdinand,« die gute Stunde selber, wie seine Mama meinte: »ich sag Ihnen, der Ferdinand hat Ihnen ein Herz, so findet man keins mehr, alles läßt er sich gefallen.« Ja wohl, alles; der gute Ferdinand! Er hat sich's gefallen lassen, daß man ihm bis in's vierzehnte Jahr die Strümpfe und Stiefeln anzog, daß man ihm ein Chaischen anschaffte, darin ihn des Vaters Johann zur Schule fahren mußte, wenn es schmutzig zu gehen war; er hatte sich's gefallen lassen, daß beim Essen, wenn ihm die Suppe zu heiß war, der Johann kommandirt wurde: »Johann, verkühl' Er dem Herr Ferdinand seine Suppe!« und als er durch kein ärztliches Zeugniß vom Besuch der Kinderlehre im Winter befreit werden konnte, da ließ er sich's auch gefallen, daß der Johann zuvor ein Bärenfell auf dem Platz ausbreitete, wo er stehen mußte. Das Institut der Prügelknaben bestand nicht mehr, sonst hätte seine Mama gewiß auch einen Stellvertreter besoldet, der die Tatzen des Präzeptors für ihn ausgehalten hätte. Da nun diese aber unter die Sachen gehörten, die er sich nicht gern gefallen ließ, so entschloß sich Ferdinand, ordentlich zu lernen, was auch gelang, da er einen guten Kopf hatte. Als die Mama für gut hielt, ihn zum Theologen zu bestimmen, ließ er sich's auch gefallen; »was sollst Du Dich im Staatsdienst plagen, Ferdinandle, wir haben's Gottlob! Mit Deinem Vermögen kannst Du einen guten Vikar halten, und dann hat ein Pfarrer das beste Leben auf der Welt!« In's Landexamen durfte Ferdinand natürlich nicht, aber es reichte glücklich zum Studium in der Stadt; und als er nahe an der Bedienstung war, da hielt es die Mama für Zeit, sich nach einer Frau umzusehen, die da würdig wäre, das ausgezeichnete Herz ihres Ferdinandles zu theilen.

Da ging just um diese Zeit ein Gestirn erster Größe auf in der Gegend, eine Pfarrtochter, aber was für Eine! Von einer Gouvernante erzogen, in einer französischen Pension polirt, ein Wunder von Geist und Schönheit, die Klavier und Harfe spielte und drei lebendige Sprachen sprach! Da sie daneben noch reich war, so konnte es nicht fehlen, daß dies Phänomen von allen heirathsfähigen Jünglingen weit und breit gesucht und gestürmt wurde. Gleich jener Prinzessin Badure war's ihr aber zu wohl daheim, als daß sie viel Lust zur Ehe gehabt hätte. Pfarrer hatten noch gar nicht gewagt, um die stolze Schöne zu freien, die Mama des Ferdinand aber, die gar viel von ihr reden hörte, setzte sich in Kopf, die Leonore müsse ihr Ferdinand haben, obgleich er selbst gar nicht geneigt war, seine goldene Freiheit und die gute Pflege der Mama aufzugeben. Eine Gelegenheit zum Zusammentreffen gab sich leicht, und Ferdinand, als er die schöne Leonore gesehen, ließ sich's in der That gefallen, die nöthigen Schritte zu thun, um sie zu erlangen. Es war der Mama eben gelungen, eine sehr anmuthig gelegene Pfarrei für ihn zu erringen, da war's denn die beste Zeit für seine Bewerbungen, und es gelang ihm, was so Vielen mißglückt, die Festung ergab sich, so wenig er sich auf's Stürmen verstand. Vielleicht gewann eben seine außerordentliche Ruhe Leonorens bewegliche Natur, und da keine Lebensstellung in unsern hausbackenen Verhältnissen ihrem Geschmack entsprach, so wählte sie wohl am liebsten eine solche, die ihr am meisten Freiheit ließ, ihr Haus nach eigenem Sinn zu gestalten.

Das Hochzeitfest wurde sehr glänzend gefeiert, keine Zimmtsternhochzeit, wo man die Gäste mit einem Kelch Malaga und einem Stückchen Backwerk wieder heimziehen läßt, ein recht solid schwäbisches Mittagsessen, das von Morgens elf Uhr bis Nachts elf Uhr dauerte; – nach Tisch aber, beim Dessert war der vielbeneidete Bräutigam von der Seite der schönen Braut verschwunden. Man vermißte ihn längere Zeit, endlich wurde man unruhig, war es Unwohlsein? war es das Uebermaß seines Glücks, das ihn in die Einsamkeit trieb, um sich zu fassen? Die Braut selbst entschloß sich zuletzt, ihn suchen zu helfen, dunkle Ahnungen beschlichen ihr Herz, schaurige Geschichten tauchten in ihr auf von Verlobten, die am Hochzeittag jählings gestorben, – sie fürchtete zu kühl gegen ihn gewesen zu sein; sollte seine äußere Ruhe ein inneres Feuer gedeckt und Zweifel an ihrer Liebe ihn am Ende fortgetrieben haben, jetzt, an der Schwelle des Glücks? – immer schwärzer wurden ihre Phantasien, als sie ihn im Garten vergeblich suchte, bis sie in die dunkle Laube am äußersten Ende kam. – Da lag der Ferdinand, behaglich ausgestreckt, in so tiefem, festem, gesundem Schlaf, wie nur je ein Menschenkind einen geschlafen. Ein Schrei entfuhr der Braut, der ihn erweckte. Mit langem Dehnen richtete er sich auf: »So, Du bist's Liebe?« – »Und Du hast geschlafen?« – »Ja, Liebe, siehst Du, wenn ich mehr esse als gewöhnlich, da schläfert mich's ungeheuer, und ich habe heut so viel gegessen, der Aal war delikat, ist der Kaffee schon getrunken?« – Da läßt sich nicht rechten, und die Braut ergab sich in ihr Geschick, als sie an seiner Seite zurückkehrte.

Da somit wenig Aussicht auf idillische Honigmonde war, so fand es die Braut für's Beste, einige ihrer Brautjungfern zum Besuch in ihr neues Pfarrhaus einzuladen, das an Eleganz und Komfort es mit jedem Freiherrnsitz aufnehmen konnte. Dem Pfarrer war das eine rechte Erleichterung, da er sich nicht so ganz auf die ausschließliche Hingebung verstand, die von einem jungen Ehemann billig erwartet wird, und nicht recht wußte, wie er's anzugreifen hätte, um wie sein unglücklicher Namensbruder »in einem Lächeln seiner Luise, Stoff für Jahrtausende« zu finden. Mit dieser ersten Einladung war denn das Signal zu Eröffnung einer so großartigen Gastfreundschaft gegeben, wie wohl kaum eine je ein Pfarrhaus belebte.

Um der Frau die häuslichen Sorgen und Mühen zu ersparen, zu denen sie weder Lust noch Zeit hatte, wurde eine gute unverheirathete Tante eingethan, die denn ihre Mission vollkommen begriff und täglich nur für wenige Stunden aus dem Küchendampf und Rauch auftauchte. So konnte sich nun die schöne Frau Pfarrerin recht mit Muße ihren Gästen widmen, die sich auch einstellten in allen Altern und Geschlechtern, von jedem Rang und Stand, zu jeder Zeit und Stunde.

Das Pfarrhaus gewährte auch alle erdenkliche Annehmlichkeit, die sich Gäste nur wünschen können: einen hübschen Salon, eine reiche Bibliothek, einen schönen Garten, eine vortreffliche Küche. Es war der Stolz der Tante, diese jederzeit so gut auf dem Laufenden zu erhalten, als die beste Küche der Stadt. »Aber wie machen Sie's nur, Jungfer Christiane, wenn Sie so unvermuthet Gäste bekommen?« fragte eine verwittwete Frau Hofräthin, die allemal einen Tag in's Bett liegen mußte, nachdem sie einen Gast gehabt hatte, »wenn man im Ort gar nichts haben kann?« »O, das macht nichts,« versetzte Jungfer Christiane mit würdevoller Ruhe, »man hat 'was im Rauch, man hat 'was im Salz, man hat 'was eingemacht, man hat 'was im Keller, man hat 'was in der Speiskammer.« Das war gerade ein Triumphtag für sie, wenn unvorhergesehen eine Kutsche voll Gäste vorfuhr und es wollte sich nimmer erschöpfen und leeren beim Aussteigen; zwar lamentirte sie gehörig in der Küche herum, aber es war nicht so schlimm gemeint, ein wahrer Schlachtenwuth wachte in ihr auf und sie setzte sich nur hie und da mit zu Tische, um sich am Anblick ihrer gelungenen Werke und am Appetit der Gäste zu freuen. Es ist eine alte Wahrnehmung nemlich, daß Gäste in Pfarrhäusern den allerbesten Appetit haben, hauptsächlich für Kinder sind sie wahre Eß-Eldorados, oder waren es wenigstens, solang die Zehnten noch nicht abgelöst waren.

Die Frau Pfarrerin saß indeß schön geschmückt in ihrem Salon und empfing die Gäste, sie wußte die unbedeutenden zusammenzuschieben, während sie die geistvollen um sich versammelte. Auf ihrem Tisch lagen stets die neuesten Werke, auf ihrem Klavier die neuesten Musikalien, in ihrem Kopf die neuesten Ideen. Sie ließ sich nicht nur ihre Gäste gefallen, sie wollte ihnen gefallen, und als Fixstern, der sich um seine eigene Axe drehte, in seinem eigenen Glanze sonnte, konnte sie auch immer gleich liebenswürdig, gleich anmuthig sein. Die Frauen waren ihr gerade nicht sehr hold und wurden zu Zeiten ganz grimmig, wenn die Männer ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit priesen: »Ja, da ist's keine Kunst, liebenswürdig sein, wenn man am Werktag weiße Kleider trägt und Klavier spielt solang die Magd Wäsche aufhängt, ich will's auch einmal so anfangen und auf den Sopha sitzen und Gedichter machen, dann kannst Du zusehen, wer Deine Socken flickt und für's Mittagessen sorgt! Ja wohl liebenswürdig!«

Die Pfarrerin selbst zog auch männlichen Umgang weit vor und hatte stets einen Kreis von Verehrern, natürlich in allen Ehren. Am stärksten war sie in der Heranbildung strebsamer Jünglinge, mit denen sie geistvolle Korrespondenzen anfing, sie in den Ferien beherbergte, in der Kunst des Umgangs unterrichtete und ihre Gefühle regulirte. Sie war wohl auch großmüthig genug, ihnen mit reellen Mitteln zu Fortsetzung ihrer Studien unter die Arme zu greifen, was ihr dadurch erleichtert war, daß ihr die freie Verfügung über ihr bedeutendes Vermögen zustand.

Aber der Herr des Hauses, der Ferdinand, der sich alles gefallen ließ, wie stand sich der dabei? O vortrefflich, er ließ sich auch das gefallen; es war ihm sogar sehr angenehm. Für die Unterhaltung seiner Gäste sorgte die Frau, für ihre Bewirthung die Tante, die Ausgaben bekümmerten ihn nicht; mit Galanterie gegen die Frau durfte er sich nicht anstrengen, so konnte es ihn nur freuen, wenn er jeder Zeit einer Gesellschaft zum Tarok oder zum Schach oder Bretspiel im eignen Hause gewiß war, und es kam ihn eine wahre Aengstlichkeit an, wenn er einmal den Salon leer fand.

Es konnte sich nämlich bei anhaltend schlimmem Wetter je und je ereignen, daß das Pfarrhaus leer von Gästen war, da nicht alle Bekannten des Hauses über Equipage verfügen konnten. Um diesem Uebelstand abzuhelfen, wurde im Pfarrhaus beschlossen, ein Roß einzustellen, das im Nothfall die Gäste herbeiholen konnte. So wurde denn ein ausgedienter Schimmel vom Militair angeschafft, der hier sein kriegerisches Feuer ablegen konnte, und sobald die Gastzimmer leer wurden und keine neuen Besuche in Aussicht standen, wurde die Pfarrkalesche hervorgeschoben, der Schimmel daran gespannt und Jakob, der Knecht des Hauses, ausgesandt, um frische Zufuhr zu bringen.

Nun sagt mir einmal, wo ist die Gastfreundschaft je so weit gegangen? Die alten Erzväter waren gewiß respektabel wegen ihrer Gastlichkeit, so auch die Araber und unterschiedliche orientalische Völker, aber nirgends habe ich von ihnen gelesen, daß sie einen Gaul angeschafft haben, nur um Gäste herholen zu lassen.

Der Jakob bereitete der Jungfer Christiane einmal eine schöne Ueberraschung: er hatte eben ein Paar Gäste fortgeführt und sollte auf dem Heimweg in etlichen befreundeten Häusern der Stadt und Umgegend kleine Botschaften besorgen. Zuerst mußte er bei der Frau Oberamtmännin Levkoypflanzen mitnehmen; da er nun gewöhnt war, daß in sein Pfarrhaus jedermann und zu jeder Zeit eingeladen wurde, so hielt er's für seine Pflicht, auch in diesem Genre das Seinige zu thun.

»Sie kommen ja als gar nimmer in's Pfarrhaus,« begann er, als ihm die Frau Oberamtmännin einen Schoppen vorsetzte, »die Frau Pfarrerin haben gesagt, Sie sollen nur auch einmal wieder kommen.« – »Ach, Herr Pfarrers haben immer so gar viel Besuche, da bin ich schüchtern.« – »Ei das macht gar nichts, das ist ihnen ihre Freud', und am nächsten Mittwoch ist kein Mensch mehr da, da wäre es recht angelegt.« – »Nun, ich will mit meinem Mann sprechen.« – »Aber nehmen Sie nur auch die Kinderlein mit, und der Herr Schreiber soll auch noch nachkommen im Feierabend, kommen Sie nur g'wiß am Mittwoch!«

Von da mußte Johann zum Doktor, um eine Anweisung zum Rattengift, auch im Auftrag der Tante; beim Gehen sagte er: »ei, Herr Oberamtmanns kommen am Mittwoch, Sie werden doch auch kommen.« – »Ja, ja, kann schon sein.« – Den Dekan, an den er ein Schreiben vom Pfarrer hatte, köderte er mit dem Doktor, und so warb er auf dem ganzen Heimweg überall, wo er zu thun hatte, neue Gäste, alles auf den Mittwoch, ohne zu zählen und zu bedenken, zu welcher Lawine seine Einladungen geworden. Als er wieder in's Pfarrhaus einrückte, ward's ihm doch selbst bedenklich, ob er denn zu solcher Liberalität ermächtigt gewesen, und er hielts für's Klügste, inzwischen zu schweigen, er wußte ja, daß die Tante sich allzeit zu helfen wußte.

Die Tante aber, die hatte ihre eignen Plane auf den Mittwoch, an dem allerdings eine Pause in dem Strudel von Gästen zu erwarten stand; sie hatte große Thaten im Sinn, furchtbare Schlachtpläne: in der Küche mußte ein neuer Herd gesetzt, im Wohnzimmer Sopha und Sessel frisch gepolstert und in den andern Stuben geweißt werden; sie beschloß, lieber alles zugleich vornehmen zu lassen, da so äußerst selten Ruhe im Haus war zu solchen Geschäften. Die Tante hatte Löwenmuth zu dergleichen Unternehmungen. So wurde denn Jakob abermal ausgesandt mit Einladungen andrer Art, an Sattler, Maurer, Schreiner ec. Nun erst war er mäuschenstill über seine Generosität und tröstete sich in der Stille mit der Hoffnung: hat's ja Keins gewiß versprochen, vielleicht kommen sie auch nicht! Doch fand er's gerathen, sich an dem verhängnißvollen Tag aus dem Staub zu machen: er mußte nothwendig mit dem Schimmel in die Stadt, um ihn beschlagen zu lassen.

Der Tag brach an, der Sturm ging los,
Wer legt noch die Hände feig in den Schooß?

Die Tante war schon vor der Sonne auf, überall und allenthalben auf dem Platz, räumte aus, gab und half an allen Ecken und Enden, die Mägde nebst einem Halbdutzend Gehilfinnen vom Dorf waren auf den Beinen, putzten und wuschen, die Frau Pfarrerin wollte auch nicht unthätig sein, sie machte sich d'ran, die Bibliothek auszuräumen, die heut noch gereinigt werden sollte. Der Pfarrer flüchtete sich in's Schlafzimmer, das allein noch einigermaßen verschont blieb, denn selbst die Studirstube war mit Gerümpel angefüllt, das man aus andern Zimmern hergeschafft, – kurz, man meinte, das Weltende oder eine neue Schöpfung sei nahe.

Siehe, da gewahrte Lisbeth, die Küchenmagd, von der Höhe eines Fenstersims aus zwei Kutschen: »Gäst', Jungfer Tante, Gäst'!« schrie sie aus Leibeskräften. »Bist nicht gescheidt, das ginge mir ab!« »Gäst', zwei Kutschen voll!« schrie vom Hof die Hausmagd, und langsam, langsam, unaufhaltsam, unerbittlich wie das Schicksal, rollten die zwei Chaisen den Hügel heran, sie hielten im Pfarrhof, und mit etwas bedenklichem Gesicht schaute der Kopf der Frau Oberamtmännin aus der einen auf den Hof voll Geräthe, auf die ausgehobenen Fenster, an denen wie massive Gespenster die Maurer mit Pinseln sich hin und her bewegten.

Mit der Fassung der Jungfer Christiane war's diesmal zu Ende, mit zusammengeschlagenen Händen sank sie auf einen Küchenstuhl, nur dämmernde Gedanken »nichts im Haus, nichts am Feuer, blos Reis und Fleisch zu Mittag;« zogen schwarz durch ihre Seele. Die Pfarrerin aber zeigte, was Seelengröße ist: schön geputzt anmuthig lächelnd wie immer, gegen Frauen gnädig, duldsam, gegen Männer verbindlich, stand sie unter der Hausthür, die Wagenthüren gingen auf:

Da speit das doppelt geöffnete Thor
Zwei ganze Geschlechter auf einmal hervor.

Oberamtmanns mit Familie, Herr und Frau Dekan nebst zwei Gästen, denen man auf diese Weise eine wohlfeile Ehre anthun konnte, kamen zum Vorschein. »So, Frau Pfarrerin, diesmal werden Sie zufrieden sein, daß wir auch einmal zum Essen kommen!« rief ganz beglückend die Frau Oberamtmännin. »Ja, wenn Sie's nicht gewesen wären,« meinte der Herr Dekan, »so hätt' ich heute meine Frau nicht fortgebracht, sie hat große Wäsche,« mit bittersüßem Lächeln drückte die Frau Pfarrerin ihre Dankbarkeit aus und führte sie in's Haus; sie meinte, es müsse derweil irgend ein Wunder geschehen sein, um es produzibel zu machen. Dem aber war nicht so, – im Salon klopfte der Sattler, im Speiszimmer hauste der Maurer, im Kabinet polirte der Schreiner, in der Bibliothek war der Boden mit Büchern bedeckt, in den Gastzimmern putzten die Mägde; – so blieb nur eine Zuflucht, die Schlafstube, das Asyl des Pfarrers, der denn auch aufgescheucht wurde aus seiner Höhle, und nolens volens den Angenehmen spielen mußte. Während Jungfer Christiane in Desperation in der Waschküche stand, wo sie heute kochen mußte, und die totale Unmöglichkeit einsah, noch ein andres Diner herzustellen, that die Frau Pfarrerin ihr Möglichstes, liebenswürdig zu sein: sie sprach mit dem Herrn Dekan über Schleiermachers Monologen, mit der Frau Oberamtmännin über Erziehung, mit dem eingeführten Vetter über die Catalani, – sie suchte großmüthigst den Gästen zu verbergen, wie entsetzlich ungeschickt sie gekommen waren, und begriff die seltsamen Blicke nicht, die die Frauen wechselten, während es doch an ihnen gewesen wäre, sich höchlich zu entschuldigen.

Es wurde Mittag, man deckte so gut es ging; Jungfer Christiane verbarg sich in den untersten Winkel der Waschküche, als sie Liesbeth mit der Reissuppe, die erst noch angebrannt war, und dem zähen Fleisch, das auf die guten Zähne der Maurer und Dorfweiber berechnet war, hinauf sandte; – ihr Schlachtenmuth war gebrochen, sie hatte nichts mehr ersinnen können; und auch der Jakob fort, der noch auf dem Schimmel hätte etwas herbeischaffen können! Immer bedenklicher wurden die Blicke der Gäste, als sie allmählich merkten, daß dies der ganze Umfang der Mahlzeit sei; die Frau Dekan hatte ihre Gäste nach der delikaten Küche der Jungfer Christiane lüstern gemacht, der Herr Oberamtmann aß selbst gern was Gutes, – vergebens, vergebens; Reis und Kuhfleisch, hernach etliche Rettige, dabei bliebs, – dazu war der Schlüssel zum Speiskammerschrank verlegt und konnte nicht einmal Eingemachtes herbeigeschafft werden; – mühselig würgten sie die einfache Kost hinunter, mühselig erhielt die Frau Pfarrerin die Unterhaltung im Gang; – es ist nun einmal so, man kann am eigenen Herd nach Umständen bei einem Wassersüppchen vergnügt sein, wo aber Mehrere beisammen sind, da braucht es auch ein Uebriges an Speis und Trunk, um die Unterhaltung zu erwärmen und zu beleben, und die reichsten Geister sind davon nicht ausgenommen.

Eben hatte man abgetragen und Jungfer Christiane war bemüht, den Reis aufzufüllen, damit er noch ausreiche für Handwerker und Dienerschaft, da erscholl der Schreckensruf: »Jungfer Tante, noch eine Kutsch!« – Diesmal trat Jungfer Christiane ihrem Schicksal selbst entgegen; da sprang eben der Doktor von seinem Einspänner und half seinem Töchterlein und halberwachsenen Filius herab. »Nicht wahr, wir kriegen schon noch was?« rief er ganz erwartungsvoll, »habe da noch einen Krankenbesuch gemacht, nun meinte Mathilde, zum Essen kommen wir zu spät, ich aber sagte: das müßte gar nicht mehr die Tante sein, wenn sie nicht noch ein Stückchen Braten für uns übrig hätte!«

Mit säuerlichem Lächeln nahm die Tante diese Vertrauensadresse auf, doch hob sich dadurch ihre Kraft ein wenig; sie schickte zur Schulmeisterin um Geräth und brachte endlich noch Pfannkuchen zu Stand. Kaum fand der Doktor und seine Jugend noch Platz in der vollgepfropften Schlafstube und genoß den nachgebrachten Imbis, um den sie von den früher angekommenen Gästen sehr beneidet wurden.

Sie hatten abgespeist und die Hoffnung auf Braten und Nachtisch zu Grabe gelegt, man stellte sich in Ermanglung andrer Unterhaltung an die Fenster, – siehe, da pilgerte der dicke Pfarrer von Grüpdorf nebst seinem langgelockten Vikar und rothbackigen Töchterlein auf das Pfarrhaus zu. – Mit stummer Fassung trat ihnen die Tante entgegen, – »ja, das kann doch nur die Jungfer Tante,« rief bewundernd der Pfarrer, »zu Maurer und Schreinern noch Gäste einladen, das wäre ein Exempel für meine Frau, die heut nur wegen des Bettensonnens daheim geblieben ist!« – »Einladen?« frug unwillkürlich die Tante. – »Nun ja, der Jakob hat's doch recht ausgerichtet? auf Mittwoch? Pfarrers von Wend und der gelehrte Herr Magister, der wirklich in Feldberg wohnt, haben's auch so verstanden und kommen gleich nach, sie haben nur noch im Amthause zu Heimstett angerufen.« Jetzt begann das Räthsel sich zu lösen; Jungfer Christiane, obwohl sie noch nicht an die grenzenlose Frechheit des Jakob glauben konnte, war doch nimmer so innerlich ergrimmt über die Gäste, von denen es ihr zuvor pure Bosheit geschienen, daß sie heut gekommen. Richtig kam noch die Pfarrfamilie von Wend und der interessante Privatgelehrte, ein spezieller Verehrer und platonischer Anbeter der Frau Pfarrerin, noch verstärkt durch die Amtmannsfamilie, die sich als ungebetene Gäste angeschlossen hatte, Alle in der angenehmen Gewißheit, höchst willkommen im Pfarrhause zu sein.

Als die droben noch die neue Zufuhr anrücken sahen, da begannen doch Alle mehr und mehr etwas Ungewöhnliches zu ahnen, das konnte nicht purer Zufall sein. Da ohnedies die Masse Leute in dem engen Schlafzimmer noch wunderbarer gewesen wäre als ein Haspel in einem Glasfläschchen, so beschlossen sie herabzukommen, um unten das Nähere zu vernehmen; der Pfarrer benützte diese kurze Erlösung, um sein Mittagsschläfchen nachzuholen. So stand nun im Hof die ganze Schaar der Gäste sammt Pfarrerin und Tante, und lachte und verständigte sich und erzählte einander gegenseitig den dringenden Zuspruch des Jakob. Da kam eben dieser Verräther mit seinem neubeschlagenen Schimmel den Hügel heraufgetrollt und übersah mit einem Blick sein Werk. Hat er es aus dem Monolog der Jungfrau von Orleans deklamirt:

Und mich, der all dies Herrliche vollendet,
Mich rührt es nicht, das allgemeine Glück

 

Und aus der Freunde Kreis muß ich mich stehlen,
Die schwere Schuld des Busens zu verhehlen.

so weiß ich's nicht, davonstehlen galt aber nicht; die Tante mit ihrer durchdringenden Stimme rief ihn alsbald herbei: »aber, Jakob, was denkt denn Er?« – »Ha, i hab' halt denkt,« sagte der Jakob, verlegen im Kopf kratzend, »se werde net glei alle so komma.«

Nun, geschehen war's, und Alle machten gute Miene zum bösen Spiel; Jungfer Christiane ließ die große Laube ausräumen, die heut der Zimmermann hätte repariren sollen; wer darin nicht Platz fand, der mußte sich außen placiren; und sie feuerte abermals unter ihrem Waschkessel, um Kaffee zu kochen. Lisbeth und Margareth wurden in's Dorf geschickt, um Milch beizuschaffen und Jakob, der einladende Bösewicht, wurde verurtheilt wieder zur Stadt zu reiten und einen Korb voll Wecken aufzutreiben. Das that er denn auch und galoppirte dergestalt, daß der Thurmwächter in der Stadt ihn für einen Feuerreiter ansah und die Sturmglocke anzog, worauf die Feuermannschaft zusammenlief und alles schrie, lärmte und fragte, »was gibts, wo brennts,« bis endlich aus dem Bäckerhause eine Stimme brüllte: »s' Pfarrers Knecht von Aichelhausen hat Wecka g'holt.« Und der Jakob, hoch zu Roß, sprengte mit einem gewaltigen Tragkorb donnernd über das Pflaster und suchte das Weite, da er groß in Gefahr war, daß die Städtler ihre Feuerspritze auf ihn gerichtet hätten.

Das Einladen auf eigene Hand hat der Jakob von nun an unterlassen, auch hatte dieser Sturmtag zur Folge, daß das Pfarrhaus eine Zeit lang von Gästen aus der Nachbarschaft wenig heimgesucht wurde.

Jungfer Christiane ließ sich's übrigens nicht nehmen, daß, um die Ehre des Hauses zu retten, später die sämmtlichen Theilhaber dieser verfehlten Parthie eingeladen, und so reichlich und köstlich bewirthet wurden, daß das Andenken an den angebrannten Reis und das Kuhfleisch gänzlich auslöschen mußte.

Schöne Zeit, wo bist du? kehre wieder
Holdes Blüthenalter der Natur!

Suchet nicht mehr nach Ur- und Nachbildern solcher Pfarrhäuser, das alles ist dahin; ein Pfarrer hat kein Vorrecht mehr als das, der erste Bettler seiner Gemeinde zu sein, der für Alle bettelt und von allen angebettelt wird, und er muß fürchten, daß auch seine harmlosesten Gäste mit scheelen Augen angesehen werden. Während alle Welt, bis zum Schulknaben hinab, wenigstens eine Weile, sich schmeicheln konnte, Märzerrungenschaften gewonnen zu haben, kann der arme Pfarrer nur von Märzverlusten sprechen, und die sind viel dauerhafter, als die Errungenschaften gewesen sind.


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