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Das gastfreie Pfarrhaus.

»Ist das grünliche Haus dort ein Gasthof?« hätte in R. Wohl jeder Fremde gefragt, wenn nach R. andere Fremde gekommen wären als eben in das grünliche Haus. Wer aber in das sanfte, fast schüchterne Gesicht der Hausfrau sah und die abziehenden Gäste beobachtete, die niemals mit langem Gesicht und leerem Geldbeutel, sondern stets mit heitrer Miene und vollgepfropften Taschen abzogen, der konnte allmählig errathen, daß das kein Wirthshaus sei, sondern das Pfarrhaus des Orts.

In der That, es würden viele Gasthäuser für eine Frequenz dankbar sein wie die, mit der das Pfarrhaus zu R. gesegnet war. Selten verging ein Tag, wo nicht zu Fuß, zu Roß oder zu Wagen Gäste eingesprochen hätten, höchst mannigfaltige Gäste: flüchtig einkehrende aus der nächsten Umgegend, »nur so auf einem Spaziergang,« die man dann mit einiger Mühe zum Längerbleiben nöthigen mußte; Gäste über Mittag, Gäste über Nacht; recht dauerhafte, solide Gäste, um Luftkuren, Wasserkuren, Traubenkuren zu brauchen; perennirende Gäste sogar, die das Landleben recht aus dem Grunde kennen lernen wollten, die sich beim Buttern betheiligten, indem sie frisches Butterbrod in Menge verschlangen, beim Melken indem sie kuhwarme Milch tranken; die sich beim Grasmähen in das duftende Heu legten, mit einem Buch in der Hand, wenn es eben zusammengerecht war, die in der Ernte die ersten Ernteküchlein aßen und im Herbst Trauben verzehrten, als müßten sie sich vorsehen bis an ihr Lebensende.

Da waren frühaufstehende Gäste, die den guten Pfarrer um seinen Morgenschlaf brachten; langschlafende Gäste, denen man den Kaffee bis neun Uhr warm halten mußte; trübselige Gäste, die man aufheitern und schonend behandeln sollte; lustige Gäste, deren Gelächter den Trübseligen die Nerven angriff; Kindergäste, die das Obst unreif abrissen, des Pfarrers Lieblingskatze in den Schwanz kneipten und das Schwein in den Garten ließen; alte Gäste, die keinen Kinderlärm ertragen konnten; kurz Gäste von allen Arten und Sorten, die sich aber zuletzt unter dem gastlichen Dache des Pfarrhauses so friedlich vertragen lernten, als ob sie bei jenem Künstler in die Schule gegangen wären, der Katzen und Ratten, Tauben und Marder aus Einer Schüssel speisen ließ.

Aber warum dieser erstaunliche Zulauf zu dem Pfarrhause? War es ein Muster von Eleganz, von comfortabler Einrichtung? war es ein Palast an Umfang? war es ein Sitz besondern Geistesreichthums? oder blühten liebliche Töchter darin? Nichts von alle dem. Der Pfarrer spielte zwar Violine, war aber kein Paganini, noch Ole Bull; die Pfarrerin war ein guter, aber kein schöner Geist; das Pfarrhaus ein alter Rumpelkasten, Kinder hatten sie keine, als eben die, die ihrer gerade bedurften. Wo also stak der Zauber? Das ist schwer zu sagen, wenn er nicht in der lautern Güte, der selbstvergessenden Liebe und ungeschminkten Herzlichkeit bestand, mit der hier alle Gäste aufgenommen und beherbergt wurden.

Hier waren Alle willkommen, nicht die zumeist, die ihnen Vergnügen und Unterhaltung brachten, nein, die, denen man geben, helfen und nützen konnte; und für die Freude, die Pfarrers Andern bereiten durften, waren sie so kindlich dankbar, als hätte man ihnen das Größte gegeben. Was ihnen selbst angenehm und behaglich war, das hatten sie lange vergessen; daß sie nie mehr ruhig und in gewohnter Weise leben konnten, daran dachten sie nicht, sie hatten keine gewohnte Weise mehr. Wenn es regnete, fiel ihnen nie ein, daß sie nun doch vielleicht einmal in Ruhe bleiben dürfen, nein, sie beklagten nur die etwaigen Gäste, die bei solchem Wetter unterwegs sein könnten. Hatten sie an einem schönen Tage sich gerüstet, auch einmal einen Besuch zu machen, und wurden vor dem Hause von einem Gegenzug besuchender Nachbarn abgeschnitten, ach da war's noch das größte Glück, daß sie nicht schon früher ausgegangen waren.

Eben dieser selbstvergessenden Güte wegen wurden sie auch nicht bloß heimgesucht von Freunden und Verwandten, vom Herrn Dekan auf der Visitation, vom Herrn Oberamtmann, wenn er Ruggericht, vom Notariatsasststenten, wenn er eine Theilung im Ort hatte. Nein, sogar ambulirende Krämer, geistliche Colporteurs und dergleichen Leute suchten ein Obdach in dem mildthätigen Hause; selbst für auswärtige Maurergesellen, die im Orte arbeiteten, fand sich noch ein Dachstübchen, und für die armen fremden Weiber, die im nahen Wald Erdbeeren und Himbeeren sammelten, wie für unzählige Handwerksbursche wenigstens ein Freitisch.

Auf Eleganz und Comfort konnte dabei natürlich nicht immer Rücksicht genommen werden. Der Sopha des Wohnzimmers hatte schon seinen siebenten Ueberzug zerrissen, da mußte man aufs Dauerhafte sehen. Der Raum des Pfarrhauses war für eine gewöhnliche Menschenfamilie berechnet, nicht für ein Weltbürgerobdach. Darum ging es hie und da eng genug zu, und die Betten, so reichlich sie auch vorhanden waren, mußten oft getheilt werden. Aber es hätten steinerne Herzen sein müssen, die nicht aus dieser warmen Liebesquelle ein Tröpfchen Genügsamkeit in sich aufgenommen hätten. Unter allen Mühen und Verlegenheiten, die aus dem Conflikt verschiedenartiger Gäste hervorgingen, wandelte die Pfarrfrau mit demselben sanften freundlichen Gesicht, überall aufmerksam, wo sie einen Wunsch erspähen, einem Mangel abhelfen könne. Selbst der Garten schien etwas von der Gabe überkommen zu haben, immer geben zu können, ohne arm zu werden, denn kein Gast wurde ohne einen duftigen Blumenstrauß oder süße Früchte entlassen, und doch blühte und duftete es drunten unermüdet fort.

Die Pfarrmagd war immer in Eile, stets im Amtseifer, selten ward ihr's so gut, sich in behaglichem Geplauder wo verweilen zu können, und eine Pfarrmagd plaudert doch so gern! Sie ist so eine Art von Standesperson und sich ihrer Würde stets bewußt; ein Abglanz vom Nimbus des Pfarrhauses umfließt auch ihr Haupt, und wenn der Pfarrer Sonntags recht erwecklich predigt, so schaut sie triumphirend in der Kirche herum: »Nicht wahr, mein Herr sagt's euch!« Die Pfarrmagd in R. aber konnte nicht oft sich in Ruhe dem Bewußtsein ihrer Würde hingeben; sie hatte nicht nur für die Gäste des Hauses zu sorgen, ihr ward auch das angenehme Amt, im ganzen Dorfe die Freude- und Hülfebringende zu sein.

Ihr müßt nämlich nicht glauben, über den Fremden seien die eigenen Ortskinder vergessen worden; gewiß nicht. Da war heute eine Wöchnerin, die eine kräftige Suppe brauchte, dort eine andere, der eine süße Weinspeise wohlgethan hätte, morgen eine Frau in gesegneten Umständen, die besonderes Gelüsten nach einem gebratenen Huhn verspürte, oder ein altes Weib, das nichts mehr als Kaffee vertragen konnte; drüben lag der Nachbarin krankes Mädchen, die nur gekochtes Obst genoß, unten im Dorf der genesende Michele, der alles aß und nie genug hatte. Für sie alle reichte die Küche des Pfarrhauses, auf der der Segen jenes geweihten Oelkrügleins ruhte.

Ein Hauptreiz des Aufenthalts im Pfarrhause war auch, daß Jedermann alles treiben durfte, was ihm zusagte, und in diesem Punkte vereinte es die schwäbische Gastlichkeit mit der freieren englischen Sitte. Man gab, was man hatte und konnte, man verlangte und erwartete nichts, als daß die Gäste vergnügt seien. Die Pfarrerin hätte wo möglich noch einen Fischteich angelegt und eine Jagd gepachtet, um etwaige Jagd- und Fischliebhaber zu befriedigen. Die Gäste benutzten auch solche Freiheit zur Genüge und trieben was ihr Herz begehrte. Nicht nur, daß sie spazieren gingen, spielten, sangen, ja sogar tanzten, wenn es ihnen einfiel (wobei die Frau Pfarrerin sorgsam die Läden schloß, um keinen Anstoß zu geben): die Kinder warfen Scheiben ein, fielen Löcher in den Kopf und brachen Arme und Beine; Jünglinge und Jungfrauen fingen glückliche und unglückliche Liebschaften an, eine besuchende Frau kam in die Wochen, um dem kinderlosen Ehepaar auch den Genuß von ganz kleinem Kindergeschrei zu verschaffen, und ein langweiliger alter Herr starb sogar zu Gast, nachdem er sich, zuvor wochenlang hatte verpflegen lassen.

Die Pfarrermagd hatte natürlich auch ihre Gäste auf eigene Hand, Brüder, Basen, Pathen und sonstigen Anhang, und es war respektabel vom Hofhund, daß er nicht auch größere Zusammenkünfte mit befreundeten Hunden veranstaltete.

Schon beim Beginn seines jungen Ehestandes hätte der Pfarrer seine Gastfreundschaft beinahe theuer bezahlen müssen. Es kam eines Tages ein seltsam und düster aussehender Mann in sein Dorf, der sich als Missionär zu erkennen gab und den Wunsch aussprach, hier eine Missionsstunde zu halten. Der Pfarrer räumte ihm bereitwillig die Kirche ein, obwohl ihm der Mann mit seiner düstern, heftigen Frömmigkeit nicht gefiel. Da das Wirthshaus des Ortes schlecht war, so boten ihm die guten Pfarrleute die Wohnung im Pfarrhaus an, obwohl sie auf dieser ihrer ersten Stelle so beschränkt im Raume waren, daß die junge Frau in's Zimmer ihrer Mutter ziehen mußte, um dem Gaste im Schlafzimmer bei ihrem Manne Platz zu machen.

Inmitten der Nacht wacht die Mutter an einem ängstlichen Traume auf; jetzt erst beunruhigt sie's, daß man den Pfarrer so ganz allein mit dem seltsamen Fremden gelassen. Sie steht endlich auf, um hinabzugehen und an der Thüre zu lauschen; da alles still ist, geht sie wieder hinauf und legt sich zu Bette. Am frühen Morgen trafen sie den Missionär nicht mehr, der vor Tag abgereist war, der Pfarrer aber beklagte sich, daß ihn der unruhige Gast beinahe ganz um den Schlaf gebracht habe, da er die halbe Nacht im Zimmer auf und abgegangen.

Nach langen Jahren, als der sonderbare Gast fast ganz vergessen war, kam ihnen in einem Missionsblatt der Bericht eines fremden Missionärs zu. Er erzählte darin, daß er sich vor Jahren auf einer Reise durch Deutschland in einer besonders trüben, heftig aufgeregten Gemüthsstimmung befunden habe. Einmal sei er in einem Pfarrhause mit ungemeiner Güte aufgenommen und in des Pfarrers eigenem Schlafzimmer beherbergt worden. Da, in stiller, schlafloser Nacht, sei ihm der Gedanke gekommen, ob er nicht am besten thäte, den Pfarrer so in all seiner Herzensgüte, in der Fülle seines Glücks aus der Welt zu schaffen, ehe ihn der Hauch dieser bösen Welt vergifte. Er habe die ganze Nacht mit diesem Gedanken gerungen, ihn aber zuletzt niedergekämpft und sich vor Tage entfernt, um ihn nicht am Ende doch noch auszuführen. Die guten Pfarrleute überlief's kalt, wenn sie an die schauerliche Liebeserweisung dachten, die ihnen zugedacht gewesen war; ihr gütiges Herz ward aber dadurch nicht abgeschreckt.

Ein so unheimlicher Gast hat nie mehr die gastliche Schwelle überschritten, und die Hand des stillen Gottesboten, der stets zur rechten Stunde kommt, hat den unsichtbaren Schild eingezogen, der das Pfarrhaus zu einem so gesuchten Gasthofe machte: eine offene Hand und ein liebevolles Herz.


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