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II.
Ein ausgebranntes Herz.

Als düsterer Gegensatz zu der freundlichen Erscheinung der guten Jungfer Mine drängt sich mir das Bild einer frühgealterten Jungfrau auf, die auf demselben Schauplatz ein verfehltes Dasein beschloß.

Ich sehe sie noch vor mir, die welke Gestalt mit der gelblichen Farbe auf dem eingefallenen Gesicht, das durch nichts mehr belebt war als durch ein paar glänzend blaue Augen, in denen aber ein so unheimlich Feuer glühte, daß Niemand wohl dabei ward. Nach außen konnten sie keine Flamme mehr entzünden, diese Augen, wie schön sie gewesen sein mochten; die Glut, die aus ihnen leuchtete, wandte sich nach innen und verzehrte das eigene Herz der Armen, die einst hell damit in's Leben hinaus geblickt. Und es war noch nicht zwanzig Jahre her, daß dieses unheimliche Wesen eine vielbewunderte Schönheit gewesen war, ein blühendes Mädchen, strahlend von Jugend und Lebenslust, vor der ein langes Leben voll Freude und Glück zu liegen schien. Sie war eine Zeit lang das einzige junge Frauenzimmer von Stande im Städtchen, die Schönheit der ganzen Gegend, die Tochter eines angesehenen Beamten. Was Wunder, wenn sie von früher Jugend an von Anbetern umringt war, wenn sie mehr und mehr Gefallen fand an all den Vergnügungen, von welchen sie den Mittelpunkt bildete, den Festen, deren unbestrittene Königin sie war; was Wunder, wenn ihr der Sinn verschlossen blieb für den Ernst und die wahre Bedeutung des Lebens? Die Mutter fand ihre Herzenslust daran, Luise so früh bewundert zu sehen, sie erging sich in lachenden Plänen für ihre Zukunft, und hielt beständig Musterung, wen unter den eifrigen Verehrern sie des Glücks werth halten sollte, ihr Töchterlein davon zu führen.

Da ging ein glänzender Stern an Luisens Horizont auf, die stattliche Gestalt eines jungen Edelmanns, der auf dem benachbarten Schlößchen seinen Sitz hatte; natürlich eine äußerst wichtige Erscheinung in den bürgerlichen Cirkeln einer kleinen Stadt. Es wundert wohl Niemand, daß es dem Baron leicht wurde, Luisens Herz zu gewinnen und alle Aktuare, Buchhalter und praktischen Aerzte, die seither ihren Hofstaat gebildet hatten, tief in Schatten zu stellen. Uebertraf er doch alle weit an freier, gefälliger Sitte, verband er doch mit seinem guten Adel und seiner schönen jugendlichen Gestalt eine gewisse Treuherzigkeit und passive Gutmüthigkeit, die den wenigen ernsten Ansprüchen genügten, deren sich Luisens verflachtes Herz noch bewußt war. – So zogen sich allmählig Alle zurück, die ihr seither in flüchtiger Huldigung oder mit ernstern Absichten genaht waren; auf allen Bällen, an allen Vergnügungsorten der Gegend sah man die schöne Luise am Arm des Barons, und recht mit vollem Herzen gab sie sich dem Genuß und der Freude der Gegenwart hin, ohne an eine Zukunft zu denken.

Man sagte, der Baron sei ehrlich mit ihr verfahren, er habe ihr frühe im Ernst gesagt, daß er ihr nichts als seine Liebe geben könne, daß die Rücksicht auf seinen Stand, auf seine Verwandten es ihm unmöglich mache, eine Bürgerliche zu freien, zumal wenn sie den Mangel eines Stammbaums nicht mit Gold aufwiegen könne. So weit freilich ging seine ritterliche Ehrenhaftigkeit nicht, daß er bei Zeiten sich entschieden zurückgezogen hätte. Oder erlaubte ihm seine Gutmüthigkeit nicht, dem armen Kind so weh zu thun, ihr mit einem kurzen, wenn auch schmerzlichen Herzweh die Qual langer Jahre und einen schaudervollen Tod zu ersparen? Ich weiß es nicht. – Genug, das Verhältniß dauerte fort und fort. Sie dachte an kein Zurücktreten; entweder trug sie sich mit der Hoffnung, seine Liebe, ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit werden doch den Sieg über Standesrücksichten davon tragen, oder ließ ihr die glühende, verzehrende Leidenschaft, die sie befangen hatte, keine Wahl mehr. Sie hat selbst einmal einer Freundin gestanden, sie habe nicht mehr beten können von der Stunde an, in der sie den Baron kennen gelernt, weil sein Bild sich vor alle ihre Gedanken an Gott gedrängt habe.

Der Vater starb früh, die schwache Mutter, ohnehin von der Tochter beherrscht, wiegte sich wohl auch mit der Hoffnung ein, ihre Luise doch noch als Baronin zu sehen, und wagte nicht, den Besuchen des Geliebten ein Hinderniß in den Weg zu legen. Aber Jahre um Jahre vergingen; »eine Mädchenjugend ist – abgeblüht in kurzer Frist« – und die Blüthe der schönen Luise war von besonders kurzer Dauer; sie verwelkte an der ewig unbefriedigten Glut ihres Innern. Die Liebe des Barons ward kühler und immer kühler, seine Besuche seltener, der Ton seiner Unterhaltung höflicher. Wie sein Herz erkaltete, wurde das ihre immer heißer, ihrem scharfen, ihn weit übersehenden Verstande blieb sein Erkalten nicht verborgen, eine quälende Furcht, ihn vollends ganz zu verlieren, eine rastlose Eifersucht ergriff sie. Einst die Freude und die Lust seiner leichten Stunden, hing sie sich jetzt an ihn wie ein feindlicher Dämon, der ihm jede Lebenslust verbitterte. Wo sie glaubte, er könnte den Blick auf eine andere geworfen haben, da spann sie künstliche Lügengewebe, schrieb falsche Briefe, um ihn der Nebenbuhlerin zu entleiden; sie suchte ihm selbst durch Intriguen bei höher Gestellten zu schaden, vielleicht nur in der Hoffnung, wenn seine Stellung in der großen Welt Noth leide, wenn seine andern Plane fehlschlagen, werde er bei ihr Trost suchen und sich nicht mehr zu hoch dünken, sie zur Gattin zu nehmen.

Auf Todte war sie nicht mehr eifersüchtig. Eine leidige Episode (wohl nicht die einzige) in seinem Roman mit Luise war ein Liebesabenteuer mit einem schönen Bauernmädchen, das mit seinem Kinde gestorben war. Der Baron war, wie schon gesagt, ein gutmüthiger Mann, er ließ das arme Geschöpf mit möglichsten Ehren begraben und ihm einen schönen Denkstein setzen. Auf diesem Grabe sah man manchmal an einem hellen Morgen oder stillen Abend Luise in tiefem schmerzlichem Sinnen. Was da durch ihre Seele ging, was sie hinzog zu diesem Grab, wer will dieß in Worten aussprechen?

Sich gänzlich von ihr abzuziehen wagte der Baron nicht; war es noch ein halbverkohlter Rest alter Neigung, war es seine gerühmte Gutmüthigkeit oder eine gewisse Furcht vor ihr, genug, von Zeit zu Zeit besuchte er sie immer noch und suchte sie durch allerlei Beweise von Freundschaft zu trösten über die entflohene Liebe. – Ihre Gesundheit wurde leidend, sie meinte, ein Aufenthalt auf einem Dorfe und in der Waldluft würden ihr gut thun. Ach, die stärkende Luft wehte von dem Schlößchen, in dessen nächster Nähe das Dorf lag, das sie in den Sommermonaten bezog! Das waren ihre sonnigsten Tage; er besuchte sie da pflichtlich, brachte ihr Blumen oder sonst kleine Geschenke, auch sah man sogar hie und da die welke, sorgsam geschmückte Gestalt am Arm des noch immer schönen, stattlichen Mannes, und peinlich bemüht war sie, in eifrigen Gesprächen noch einen Hauch aus alten Zeiten zurückzurufen. Sie lebte auch wunderbar auf in dieser Landluft; Sonntags sammelte sich im Dörfchen oft Gesellschaft aus benachbarten Orten, sie mischte sich darunter, und manchmal erwachte wieder in ihr all die Lebendigkeit und Fröhlichkeit, die fesselnde Unterhaltungsgabe, die einst von den frischen jugendlichen Lippen entzückt hatte.

Wir betrachteten sie immer mit einer gewissen Scheu, als einem traurigen Geschick verfallen, und sie sah die ganze nachwachsende Jugend mit Widerwillen an, als ob sie in jeder jugendlichen Gestalt eine Nebenbuhlerin gefürchtet hätte. Unter diesem bittern, friedlosen Wesen litten ihre Umgebungen mehr und mehr, am meisten die alte Mutter. Ohne Ruhe schweifte Luise oft Tage lang umher; sie meinte noch gewaltsam erzwingen zu können, wozu längst die Hoffnung vorüber war. Jede sanfte weibliche Tugend, jeden Zug jungfräulicher Würde hatte nach und nach der Hauch der Leidenschaft in ihr zerstört. Oft wenn der Baron von einem fröhlichen Ausflug zurückkehrte, hat er in einem Gang seines Schlosses wie ein böses Gespenst die bleiche Gestalt seiner ehemaligen Liebe erblickt, die ihm mit maßloser Heftigkeit seine Treulosigkeit vorwarf und ihr verlorenes Lebensglück von ihm forderte, so daß er nur mit Mühe sie bewegen konnte, sich zu entfernen, um ihn und sich nicht bloßzustellen.

Immer mehr zur Qual wurde ihm dieß Treiben, diese furchtbare Anhänglichkeit, und endlich beschloß er, sie um jeden Preis abzuschütteln. War er doch ein schöner Mann, der überall zu gefallen wußte, der seine Augen noch auf die frischesten Blumen richten konnte; wie sollte er sich halten und stechen lassen von den Dornen, die allein noch übrig waren von der Rose, die er in leichtem Spiel an seine Brust gesteckt, bis sie verwelkt war und die Blätter abgefallen? – So schrieb er ihr endlich mit Entschiedenheit und aller daneben möglichen Schonung: »er werde immer ihr Freund bleiben, bereit zu Rath und Hülfe, aber ein zärtliches Verhältniß mit ihr fortzusetzen, sei ihm unmöglich. Da er aber nicht verkenne, wie sie ihre Jugend durch ihn verloren, so möge sie ihm erlauben, als Freund für ihre Zukunft zu sorgen.« Mit aller Zartheit bot er ihr dann eine ziemlich bedeutende Geldsumme zur Unterstützung ihrer Mutter. – Mit kurzen Worten antwortete ihm Luise: ihre Liebe, ihre geopferte Jugend lasse sie sich nicht abkaufen, doch werde er bald von ihr befreit werden.

Nach wenigen Tagen fand man sie früh Morgens todt in einem kleinen Teiche der Umgegend. Sie hatte gewaltsam den Kopf bis zum Grunde gebeugt, um den Tod zu finden in dem seichten Wasser. – Der Baron begab sich bald darauf auf Reisen; erst nach langen Jahren kam die Nachricht von seinem Tode aus dem Auslande. Er war unvermählt geblieben.


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