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Der Haselnußpfarrer.

Das war ein seltsamer Kautz, und wäre es wohl in jedem Stande gewesen, darum möchte ich ihn keineswegs als Typus des seinigen zeichnen; weil er aber doch einmal ein Pfarrer gewesen, so möge er hier seinen Platz finden, schon um seines Hauses willen, das gewiß der geistlichen Pflicht der Demuth und Niedrigkeit in reichem Maße nachgekommen. – Am besten ist's, wir begleiten, um Eingang in's Pfarrhaus zu erhalten, einen seiner Vikare, deren er gar viele gehabt, denn sonst ist es äußerst selten aufgesucht worden.

Es war im Sommer 18.., als ein neuernannter Vikar muthigen Schrittes in das ihm noch gänzlich unbekannte Dorf einzog, dessen Pfarrer er in Folge höherer Weisung zum Gehülfen gesandt wurde. Das Pfarrhaus aufzufinden war aber keine leichte Sache, wenn man einem nicht zuvor gesagt hatte, es sei das baufälligste Haus im Ort. Unter Anleitung des Büttels, der zugleich Gänsehirt war und eben seine Schaar heimgetrieben hatte, kam der Vikar aber doch damit zu Stande. Klein war das Haus eben nicht, sah aber höchst trübselig und wirklich lebensgefährlich aus, denn es war auf einer Seite mit Stricken an einen daneben stehenden starken Lindenbaum gebunden.

Der Vikar fragte nach dem Herrn Pfarrer und der Frau Pfarrerin. »Die Frau,« hieß es, »ist über Feld, der Herr aber sind im Garten.« So ging er denn, ihn dort aufzusuchen und dachte sich einen ehrwürdigen Herrn zwischen Blumenbeeten und Obstbäumen umherwandelnd. Dem war aber nicht so, und einen solchen Garten hatte er noch nie gesehen. Ein halb Viertel Morgen war mit lauter Haselnußstauden, hohen und niedrigen, bepflanzt, nichts dazwischen als schmale Pfade. Inmitten dieser Haselnußwildniß wandelte der Pfarrer, eine dürre, starkknochige Gestalt mit einer bedeutend rothen Nase und lederbraunem Gesicht, und erspähte prüfenden Blickes den Grad der Reife seiner Nüsse. Er empfing seinen neuen Vikar ziemlich kühl und schien es mißliebig aufzunehmen, daß man ihn in diesen Hain eingelassen habe, führte ihn auch alsbald in das Wohnzimmer.

Dort war indeß die Frau Pfarrerin von ihrem Gang auf den Markt der benachbarten Stadt angekommen, eine gleichfalls magere, höchst ungut aussehende Dame, die sich, nachdem sie einen himmelan stehenden Hut abgelegt hatte, in einer vergilbten Filethaube präsentirte und den Vikar fragte, ob er nicht Thee wolle, wenn es ihm nicht zu spät sei vor dem Nachtessen, worauf er natürlich refüsirte.

Sonderlich wohl ward es dem Vikar nicht diesem Ehpaar gegenüber, zwischen dem ein außerordentlich kühler Ton zu herrschen schien. Heiterer und gemüthlicher Natur, versuchte er aber doch einen fröhlichen Ton anzuschlagen und gab alte Universitätsspäße zum besten, was wirklich beim Pfarrer einen gurgelnden Ton hervorrief, der ein Lachen vorstellen sollte, und auch die Frau Pfarrerin, der das besonders zu behagen schien, versuchte ihre Muskeln zum Lächeln zu verziehen.

Nach dem Nachtessen brach der Pfarrer plötzlich auf und der Vikar sah ihn mit einem schweren Kruge versehen die Treppe hinabsteigen. Auch ihm wurde nun sein Gemach angewiesen, das im obersten Stockwerk gelegen war und so unerquicklich, dürr und trocken aussah, wie das ganze Haus; er konnte seinen Stern nicht besonders preisen, der ihn unter dieses Dach geführt. Sein Verhältniß zu der Frau Pfarrerin schien sich indeß recht erträglich zu gestalten, während der Pfarrer sich auf den nöthigsten Verkehr beschränkte und besonders ängstlich bemüht schien, ihn von seiner Studirstube fern zu halten, in der er den Tag über und Abends fast alle Zeit zubrachte.

Als eines Tags der Pfarrer nach dem Nachtessen abermals verschwunden war, begann die Pfarrerin ganz zutraulich: »Herr Vikar, ich höre, Sie verstehen sich auf die Physiognomien und sehen den Leuten an, wie lang sie noch leben werden.« Der Vikar gab zu, daß er sich hie und da damit befaßt und namentlich bei Kranken oft einen richtigen Blick gehabt habe. – »Nun, meinen Sie, daß ich oder mein Mann zuerst sterben werde?« Als der Vikar, erstaunt über eine so ruhig gestellte Frage dieser Art aus dem Munde einer Gattin, die Antwort schuldig blieb, fuhr sie mit schauerlicher Gelassenheit fort: »Sehen Sie, ich und mein Mann haben gar nie zusammen gepaßt; ich hätte ihn gar nie genommen, wenn mir's nicht um einen eigenen »Unterschlauf« (Obdach) zu thun gewesen wäre. Seit wir geheirathet sind, hat er mich nur erzürnt: wenn ich fett koche, will er mager essen, habe ich eingeheizt, sperrt er die Fenster auf, will ich Bohnen pflanzen, pflanzt er Haselnüsse. Ich ärgere mich nun schon lange nicht mehr, aber ich muß oft denken, es wäre fast am besten, wenn der liebe Gott Eines von uns Zweien zu sich nähme, ich könnte dann nach Nürtingen ziehen.« – Der Vikar, der nicht wußte, ob er über diese gottergebene Ehfrau lachen oder weinen solle, zog sich aus der Sache, so gut er konnte, und meinte, der Herr Pfarrer sehe noch recht robust aus, doch habe man freilich Exempel, daß auch die kräftigsten Leute schnell wegsterben u.s.w.

Ein Räthsel, dessen Lösung ihn täglich beschäftigte, war für den Vikar des Pfarrers Studirstube, zu der Niemand Zutritt hatte; selbst Bauern, die zu ihm wollten, wurden stets die Treppe hinaufgewiesen. Um's Leben gern hätte er gewußt, was er eigentlich dort trieb: theologische Studien schwerlich, denn seine Gelehrsamkeit war ziemlich verrostet und seine Predigten mahnten an die Gebeträder der Buddhisten, die dieselbe Leier mechanisch abrollen. Hatte er einmal gar nicht studirt, so verkürzte er die zur Predigt bestimmte Zeit damit, daß er nach Verlesung des Evangeliums, anhub: »Dieses Evangelium ist so schön und so schön, daß ich's eurer Liebe noch einmal vorlesen muß,« und so fort. Classische Studien trieb er wohl eben so wenig, denn seine ganze Kenntniß der alten Sprachen schien darauf eingeschrumpft, daß er das Wort Vikarius durch alle Fälle deklinirte: »Das ist des Herrn Vikarii Glas; schenke dem Herrn Vikario ein; Herr Vikarie, ich wollte Sie noch fragen –; hat Sie den Herrn Vikarium gesehen?« – Was ging denn aber vor im geheimnißvollen Gemach, aus dem nur hie und da dumpfe, brummende Musiktöne in stiller Nacht heraufdrangen?

Da ereignete sich's einmal, daß das Pfarrpaar, das man fast nie zusammen erblickte, weil sie stets daheim blieb, wenn er ausging, und fortging, wenn er dablieb, eine gemeinsame Einladung zu einem Hochzeitfest annahm. Zudem fügte es sich, dem Vikar äußerst erwünscht, daß man am selben Tage eine nöthige Notiz aus einem der Kirchenbücher verlangte, die unter des Pfarrers Gewahrsam waren. Dieser hatte zwar den Schlüssel mitgenommen, aber Bäbel, die alte Hausmagd, erbot sich, mit dem Hauptschlüssel zu öffnen. Mit erwartungsvollem Schauder, fast wie Annchen in Blaubarts Stube, trat er in das geöffnete Heiligthum.

Siehe, da standen auf einem Tisch die sehr wenigen Bücher, deren der Pfarrer sich bediente, zwei lange Pfeifen, ein tüchtiger Krug, daneben lehnte eine mächtige Baßgeige, und an allen Wänden der Stube lagen Säcke mit Haselnüssen gefüllt. – Bäbel bemerkte sein stummes Erstaunen: »Ja, der Herr Pfarrer brechen immer selber alle die Haselnusse und essen sie auch allein.« – »So? deßhalb bleibt er so lange auf?« – »Ja, und da kriegen Sie Durst von den vielen Nussen, und den da,« auf den Krug zeigend, »trinken Sie aus. – Sie übersehen sich aber nie, Sie können's gut vertragen, man spürt Ihnen gar nichts an,« fügte sie entschuldigend hinzu.

So war's also entdeckt, das dunkle Geheimniß! Jeden Abend um halb neun Uhr zog der Pfarrer sammt seinem Krug, den er eigenhändig mit rothem Wein gefüllt, in die untere Stube, schwelgte dort in Haselnüssen und baßgeigte dazwischen, bis der Krug leer war. Das also war's, was des Pfarrers Leben ausfüllte, was ihn stumpf machte für's Wissen, lau im Beruf, gleichgültig gegen häusliche Freudlosigkeit! – Ein so seltsames Surrogat für Glück war dem Vikar noch nie vorgekommen.

Das konnte man dem Pfarrer nicht nachsagen, daß er neuerungssüchtig oder anspruchsvoll in Betreff seiner Wohnung sei.

Das Mansardenzimmer des Vikars war allen Unbilden der Witterung ausgesetzt und an einem schönen Wintermorgen mit einem solchen Schneehügel bereichert, daß es nöthig wurde, für längere Zeit einen gemeinsamen Schlafsaal zu errichten, was der annoch lebende Todtengräber des Orts bezeugen kann.

Der Pfarrer nahm solches Mißgeschick mit großer Philosophie auf. Seit das Pfarrhaus durch den Lindenbaum wieder gestützt worden war, lebte er geruhig darin fort, versunken in seine Haselnüsse, bis eines schönen Morgens, da die Hausbewohnerschaft eben am Frühstück saß, der Zimmerboden ohne besondere Veranlassung hinunterbrach und sämmtliche Mitglieder des Hauses, Herrn und Frau, Vikar und Bäbel, rasch und sicher in den darunter befindlichen Kuhstall versetzte. – Das war eine große Ueberraschung; die Frau Pfarrerin richtete sich zuerst auf, sie war weich gefallen, und sah nach, ob sie noch keine Veranlassung habe, nach Nürtingen zu ziehen; aber auch der Herr Pfarrer waren unverletzt; nur der Vikar lag härter und wirklich gefährlich unter einer Kuh.

Sobald man sich nothdürftig erholt hatte, ward ein Expresser abgesandt mit einem Bericht dieser merkwürdigen Begebenheit an's königliche Cameralamt. Besagtes Amt kam Tags darauf in höchst eigener Person mit einem Werkmeister, um den Schaden einzusehen und aufzunehmen. Die Herstellung des eingebrochenen Zimmerbodens sollte unverzüglich in den Bauüberschlag für's nächste Jahr, die der durch den Fall zerschmetterten Fenster aber in den für's nachfolgende aufgenommen werden, wenn der Pfarrer den Beweis herstellen könne, daß die Fenster nicht noch durch Ausheben hätten gerettet werden können. Auf des Pfarrers dringende Vorstellung, daß er sein Zimmer nicht entbehren könne, ward ihm gestattet, dasselbe einstweilen auf eigene Rechnung herstellen zu lassen, mit der Bedingung, daß er die Stube wieder in statum quo setze, falls das Haus an einen Andern übergeben würde, noch ehe die Herrschaft den Bauüberschlag genehmigt habe.

Der Stubenboden wurde wieder hergestellt; die Herzen des Ehpaars schienen sich aber auch durch diese tragische Katastrophe nicht näher gekommen zu sein. Dem Vikar gefiels je länger je weniger; er ward es immer mehr satt, die trübselige Frau Pfarrerin zu unterhalten, während der Pfarrer seine Orgien in der Haselnußkammer feierte. So zog er denn ab, sobald es sich thun ließ.

Sein Nachfolger, ein hagebüchener, ausgedienter Vikar, war, scheint es, die verwandte Seele, die dem Pfarrer lange gefehlt hatte. Er begleitete des Pfarrers Baßgeige mit dem Violoncell und ihm ward die Gunst gewährt, deren sich noch kein Sterblicher erfreut hatte: er durfte Theil nehmen an den Schwelgereien unter den Nußsäcken; auch mußte von nun an der Krug allabendlich noch einmal aufgefüllt werden.

Nach Jahr und Tag führte den ersten Vikar sein Weg wieder in die Gegend. Da beschloß er denn, den Pfarrer wieder aufzusuchen und ihn mit einem Säckchen extraschöner Aug'stnüsse zu erfreuen. In der Nähe des Orts aber traf er mit dem hagebüchenen Vikar zusammen, der so eben seine Bestallung als Amtsverweser daselbst erhalten hatte. – Der Haselnußpfarrer und seine Frau waren an einem und demselben Tage gestorben.


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