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V.
Das Schlößchen in B.

Wir mögen es uns gestehen oder nicht, wir alle haben ein aristokratisches Element in uns, wie freisinnig wir auch von jeher gewesen oder durch die neue Zeit geworden sein mögen. Nicht allein eine Art von Rangstolz, der sich auch in den alleruntersten Schichten der Gesellschaft nicht verliert, und der durch kein Vor- und kein Nachparlament abgeschafft werden kann, ein Rangstolz, der den Schuster, der neue Stiefeln macht, mit der souveränsten Verachtung auf den Flickschuster, die Stubenmagd mit gnädigster Herablassung auf eine Stallmagd blicken läßt; nein, eine gewisse Bewunderung und Vorliebe für das Hohe und Vornehme zeigt sich selbst bei Kindern so frühe, daß sie unmöglich nur eingelernt sein kann. So hat mich als Kind das Bewußtsein ganz glücklich und stolz gemacht, daß ich einen Großonkel habe, der in einem Schlößchen wohne, und also, was ich mir unzertrennlich davon dachte, eine Art von Ritter oder Baron sei.

Später erfuhr ich nun freilich, daß der Großonkel nur ein bürgerlicher Hofrath und Beamter der adeligen Herrschaft war, der das Schlößchen, das er bewohnte, zugehörte. Das Schloß selbst, das mir als ein Inbegriff ritterlicher Herrlichkeit erschienen war, stellte sich mir nachher als ein verrauchtes altes Gebäude dar mit engen, winklichen Zimmern. Diese Enttäuschung hatte jedoch wenig zu bedeuten; denn auf dem alten Schlößchen und seinen Erinnerungen ruht ein Zauber, den keine Zeit zerstören kann. Was bedeutet es, ob der Großonkel ein Ritter oder Graf war, oder bürgerlich? Hatte er doch einen fürstlichen Sinn, wo es galt, Fröhliche zu machen, und kein königliches Schloß wird sich rühmen können, so viel frohe und glückliche Menschen beherbergt zu haben, wie das unscheinbare Schlößchen in B.

Dieses Schlößchen selbst, obgleich alt und verwahrlost und durchaus in gar keinem Styl gebaut, hat doch seine eigenthümlichen Reize. Gleich der plätschernde Brunnen in dem stillen Hof, in dem immer zahlreiche Fische lustig herumschwammen, hat etwas höchst Anziehendes; das mannigfaltige Gesträuch zu den Seiten des Eingangs, der Durchblick durch den Hof in einen grünen behaglichen Obstgarten, die offene alterthümliche Treppe und der Dorfbrunnen im Vordergrund, um den sich immer zahlreiche Ortsbewohner gruppiren, gestalten es zu einem ansprechenden Bild niederländischer Schule. Die Zimmer, obschon unregelmäßig und durchaus nicht elegant, hatten so trauliche Ecken und verborgene Treppen, daß man immer neue Entdeckungen darin machen konnte.

Das Leben und die Seele des Hauses war aber der Großonkel selbst. Er gehörte zu den glücklichen Menschen, denen es vergönnt ist, jung zu bleiben bis an's äußerste Lebensziel; nicht auf die für andere so peinliche Weise, wo man das äußere Schattenbild der Jugend festhalten will noch in grauen Haaren, und durch jugendliche Geberden, Theilnahme an jugendlichen Belustigungen u.s.w. zur lächerlichen Karikatur wird. Nein, es war die rechte, unverwelkliche Herzensjugend, die Licht und Wärme ausgoß auf ihre ganze Umgebung. Ich sehe ihn noch den alten freundlichen Mann, wie er oben in der Erkerstube saß, dem gewöhnlichen Wohnzimmer, zu dem der Weg durch eine ungeheure Küche führte, die nicht im Gebrauch stand, und wohl vormals als Prunkküche gedient hatte; wie er für jeden Besucher einen herzlichen Willkomm und einen fröhlichen Scherz hatte. Er war ein feiner Mann, der Großonkel, und hatte noch die zierlichen Formen altfränkischer Höflichkeit, das schönste Erbtheil der Rococozeit. Aber diese Höflichkeit kam vom Herzen, aus einem Gemüthe, das keiner Seele wehe thun konnte; darum war es Jedermann wohl ums Herz dabei, man fühlte sich in einer heitern Atmosphäre, in die kein unfreundliches Element eindringen konnte.

Willkommen war im Schlößchen Jedermann und zu jeder Zeit. Es war das Paradies der Kinder, die in dem alten Haus, in den obstreichen Gärten einen unverkümmerten Tummelplatz fanden und für welche Tante Hanne jederzeit noch Süßigkeiten in Bereitschaft hatte. Wo hätte der Osterhase reichlicher gelegt, das Christkind schöner bescheert als in B.? In jeder der zahlreichen Familien, die im Schlößchen ihren Mittelpunkt hatten, bewahrt man noch etwas von den Herrlichkeiten, mit denen die Kinderwelt in B. erfreut worden war, als Reliquien aus der guten alten Zeit des Schlößchens.

Es war das erste Reiseziel jedes neuen Brautpaares in der Familie, da man stolz war, dem neu aufgenommenen Glied die Freuden einer Familienheimath zu zeigen, wiewohl wenige Geschlechter sich einer rühmen konnten. Es war die Heimath der Jugend, wo die Studenten der Familie sicher waren, fröhliche Ferien zu erleben, wo die jungen Mädchen sich erholen durften von Waschen, Gartenarbeiten und all den Geschäften, die man dazumal noch von einer erwachsenen Tochter verlangte; es war der angenehmste Ausflug für alte und junge Frauen, für die alten Herren und die geplagten Geschäftsmänner, die dem Onkel verwandt oder befreundet waren, und die um den runden Tisch bei dem vortrefflichen Wein und guten Kaffee alle Lebenslasten vergaßen im Gespräch mit dem immer heitern Mann, dessen ganze Vergangenheit nur ein unerschöpflicher Schacht ergötzlicher Bilder schien.

In den Zeiten seiner allerbesten Laune stieg er immer zurück in die Erinnerung an die unschuldigen Schelmenstreiche seiner Kindheit. Er ermüdete andere nie mit diesen Reminiscenzen, wie es wohl sonst bei alten Leuten der Fall ist, denen man nur aus Gefälligkeit zuhört; er wuchs so hinein in jene Zeit, daß man selbst mit ihm zum Kinde wurde.

Die Mutter wollte ihn einmal nicht auf die Straße gehen lassen, bis er das Schwesterchen in Schlaf gewiegt. »Ja, wann schläft es denn?« – »Wann es die Augen zu hat.« Als nun dieses ersehnte Resultat nicht alsbald erzielt wurde, klebte er dem Schwesterlein mit Gummi die Aeuglein zu und sprang mit dem besten Gewissen hinunter. »Jetzt schläft's.« – Ein andermal hieß ihn die Mutter daheim bleiben, um auf den Schneider, der im Hause damit beschäftigt war, die aufblühende Generation herauszuflicken, Acht zu haben, damit er nicht Seide stehle. Aber der Jubel der Kameraden drang gar zu verführerisch herauf; da nahte er endlich dem Schneider mit der höflichen Bitte: »Nicht wahr, Herr Schneider, Er ist so gütig und stiehlt meiner Mama keine Seide? Ich möchte so gern in den Hof.«–Als das ebengenannte Schwesterlein gestorben war, hatte er sich unters Haus gesetzt und seinen Kameraden gegen ein Honorar von sechs Schussern die Erlaubniß ertheilt, das Schwesterlein auf den Kirchhof tragen zu helfen; seinem besten Freund aber gab er die Erlaubniß gratis, und dieser verhieß ihm gutmüthig: »sei zufrieden, Gottfried, mein Luisle hustet schon lang; wann die stirbt, darfst Du sie auch umsonst tragen.«– Einmal war in seinem elterlichen Haus ein hochangesehener Herr Vetter auf Besuch, den man zu beerben hoffte und mit aller nur denkbaren Ehrerbietung behandelte. Die Kinder betrachteten natürlich den gefeierten Gast höchst aufmerksam. Als die Familie sich setzte nach dem Tischgebet, das von allen stehend verrichtet wurde, fing der kleine Gottfried an: »Mama, warum hat denn der Herr Vetter so krumme Füß'?« In tödtlichster Verlegenheit nahm ihn die Mutter bei Seite, um ihm aus höchst fühlbare Weise begreiflich zu machen, wie unmanierlich er sich gegen den Herrn Vetter benommen. Mit den besten Vorsätzen kehrte er zurück und erwog während der Mahlzeit, wie er dem Herrn Vetter glänzende Satisfaktion geben könne. Als nach Tische wieder alle zum Dankgebet aufgestanden waren, erhob er seine Stimme und sagte: »Mama, warum hat denn der Herr Vetter so gerade Füß'?«

In seiner Eltern Haus lebte die uralte, kindische Großmutter, der, wenn die Eltern ausgegangen waren, eines der Kinder Gesellschaft leisten mußte. Als das Loos ihn traf, fiel ihm ein, wie oft sich die Großmutter nach einem Besuch ihrer Juliane, einer weit entfernt wohnenden Jugendfreundin, gesehnt hatte. Um sich nun die Langweile zu kürzen, die ihm das Hüten der Großmutter machte, putzte er sich mit einigen Kleidungsstücken von ihr und der Mutter heraus und stellte sich der halb blinden Frau als die Juliane vor. Die Großmutter war überglücklich und bewirthete den Schalk mit dem Besten, was ihr Vorrathskämmerchen aufzuweisen hatte. Als ihre Tochter nach Hause kam, konnte die Alte nicht genug erzählen von der großen Freude, die ihr geworden. Nur die rührende Glückseligkeit, die der Spaß der alten Frau gemacht, rettete den leichtfertigen Burschen von der väterlichen Züchtigung.

Der Onkel war ein Sommerkind gewesen sein Leben lang und es war kein Wunder, daß ihn eine so sonnige Atmosphäre umgab; er hatte verstanden das Glück beim Schopf zu fassen und seine Gaben ohne Ueberschätzung in's rechte Licht zu setzen.

Als der Sohn einer kinderreichen Familie mußte er voraussehen, seinen Weg durch's Leben sich selbst suchen zu müssen und widmete sich mit allem Eifer, der einen heitern Lebensgenuß nicht ausschloß, dem Studium der Rechte. Er hatte absolvirt und dachte mit Seufzen an den Eintritt in die nüchterne, praktische Thätigkeit, während ihn seines Herzens Sehnsucht in die Ferne, in fremde Länder, in neue Umgebungen unter Völker anderer Zunge trieb. Reisen war damals kein Spaß wie heutzutage, wo jeder hoffnungsvolle und hoffnungslose Sohn in jeder Vakanz das Wanderlied anstimmt:

Nach Italien, nach Italien
Möcht' ich Alter jetzt einmalichen; –

und der Onkel hatte schon gänzlich verzichtet, als er zufällig hörte, man suche für einen jungen Baron einen Hofmeister gesetzten Alters, von gewandtem Benehmen, mit Kenntniß der neuern Sprachen, als Begleiter auf die ersten Universitäten und in die ersten Städte Europa's.

Frisch gewagt, ist halb gewonnen, dachte der Onkel, der nicht eine der gewünschten Eigenschaften besaß und stellte sich, mit dem Empfehlungsschreiben eines Verwandten und seinen Universitätszeugnissen bewaffnet, der Mutter des Barons, einer geistvollen, welterfahrenen Dame dar.

Noch hatte er sich in keinen anderen Kreisen, als in den zwanglosen Umgebungen des Vaterhauses und der Studentenwelt bewegt, und mußte sich zum erstenmal in eine Gallakleidung mit Staatsdegen zwängen. Beim Eintritt bei der Baronesse kam ihm besagter Degen zwischen die Beine und er purzelte geradezu ins Zimmer. Ohne über diese erste Probe seiner Gewandtheit außer Fassung zu kommen, richtete er sich rasch auf, verbeugte sich mit mehr Glück und bat: »Vergeben Sie meinem Degen, gnädige Frau, der meiner Verehrung für Sie so wirksam nachgeholfen und mich Ihnen so geräuschvoll zu Füßen gelegt hat.« Die Dame mußte lachen und fragte in guter Laune nach seinem Anliegen. Etwas erstaunt fragte sie, als sie dies aus dem Empfehlungsbrief ersehen: »Sie selbst gedenken sich um die Hofmeisterstelle bei meinem Sohn zu bewerben?« »Ich habe den Muth, gnädige Frau.« »Sie wissen, daß ich einen Mann von gereiften Jahren suche, darf ich um ihr Alter fragen?« »Zweiundzwanzig, gnädige Frau; ich wage nicht, Sie auf die altbekannte Thatsache aufmerksam zu machen, daß die Jugend der einzige Fehler ist, der sich mit jedem Tag von selbst verbessert, und ich schmeichle mir, daß mir größere Gleichheit der Jahre auch größern Einfluß auf Ihren Herrn Sohn sichern würde.«

»Mein Sohn soll die bedeutendsten Städte Europas besuchen, sich in den ersten Cirkeln bewegen: Gewandtheit auf Reisen, Kenntniß der feinen Umgangsformen sind die ersten Bedingungen für seinen Begleiter; darf ich fragen, wo Sie Gelegenheit gehabt, sich diese zu erwerben?« »Nirgends, gnädige Frau, aber es würde vom höchsten Vortheil für unser Verhältniß sein, wenn es auch noch Branchen gibt, in denen ich von meinem Zögling lernen kann.«

»Französisch verstehen und sprechen Sie natürlich, aber auch englisch und italienisch?« »Kein's von allen, gnädige Frau, aber ich gedenke alle drei Sprachen in kürzester Zeit inne zu haben, und würde mich freuen, Ihnen einen neuen Beweis für die Wahrheit des Sprüchworts zu liefern: wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand.« »Sagen Sie selbst,« sprach die Dame halb ärgerlich, halb lachend, »finden Sie nicht sonderbar, daß Sie sich um die Stelle bewerben, ohne eine einzige der geforderten Eigenschaften dazu?« »Allerdings, gnädige Frau,« versetzte der Student mit angenommenem Ernst, »so weit ich aber als Unbefangener in der Sache sprechen kann, würde ich Ihnen gerade der Sonderbarkeit wegen rathen, den Versuch zu machen; die wichtigste Eigenschaft von allen haben Sie unter Ihren Bedingungen doch vergessen, den guten Willen, und den bringe ich in reichstem Maße mit.

Die Baronesse wagte es und fand nie Grund, das Wagstück zu bereuen: Sprachkenntniß und Umgangsgewandtheit erwarb sich der Onkel wirklich in kürzester Zeit und bewährte sich nicht nur als liebenswürdiger, sondern auch als treuer und einsichtsvoller Freund und Begleiter des jungen Barons, der sich nie mehr von ihm trennen wollte.

Als die große Tour vollendet war, wurde der Baron Gesandter, sein Freund Gesandtschaftssekretär; als er sich in's Privatleben zurückzog, übertrug er ihm die oberste Verwaltung seiner Güter, immer aber mußte er sich so viele Zeit frei behalten, um einen Theil des Jahrs ganz bei ihm zubringen zu können.

Aus allem Glanz der Höfe, aus allem Geräusch und Gewühl der Weltstädte, aus der geistigen Aristokratie der Universitäten hatte sich der Onkel einen reichen Fond schwäbischer Gemüthlichkeit, einen tiefen Sinn für Familienfreude gerettet, der das eigentliche Element seines Wesens war. Er entzog sich nicht der dringenden Aufforderung, die ihm ungesucht zukam, seiner Heimath als Vertreter ihrer Rechte in der Kammer zu dienen: sein feiner Verstand, seine reiche Erfahrung und sein warmes Herz ließen ihn auch hier überall am rechten Platze sein. Aber als ihn seine geschwächte Gesundheit nöthigte, jeder öffentlichen Stellung zu entsagen, da bezog er das Schlößchen so gern, gehörte den Seinen so ganz, daß auch jetzt noch sein Andenken als die erfreuende und belebende Sonne der Familie am lebendigsten geblieben ist.

Der Glanzpunkt seiner Jugenderinnerungen blieb vor allem seine Reise nach England. »So habe ich es in England gesehen,« war das große Zauberwort, mit dem jeder Gebrauch geheiligt wurde. An den Tagen der frohesten Familienfeste für die allerwerthesten Gäste wurde auf die Tafel ein Roastbeef befohlen. Wenn dieser höchste Triumph der Bewirthung kam, so durfte man gewiß sein, daß des Onkels Laune die allerglücklichste war; beim Roastbeef hat er gewiß nie eine Bitte abgeschlagen.

Seinen königlichen Spaß hatte der Onkel mit dem Herrn Wenz, seinem Amtsgehülfen, einem braven und gescheidten jungen Mann, der ganz zur Familie gehörte und nur durch seine Eitelkeit und sein empfindsames Herz manche Gelegenheit zu gutmüthigen Scherzen gab. Noch mehr Stoff zu dergleichen gab aber Herr Reutter, der Leibchirurg. Der Herr Hofrath war die höchste Autorität, das eigentliche Centrum des Herrn Reutter; die Stunde, in der er ihm den Bart abnahm, war das Ziel, auf das sich alle Gedanken und Bestrebungen seines übrigen Lebens bezogen. – Er verwendete seine Existenz auf das Einsammeln von Neuigkeiten, aus denen er die merkwürdigsten zur Mittheilung für den Herrn Hofrath aussichtete, die der Onkel mit dem anscheinend größten Interesse anhörte. Als Napoleon unser Ländchen besuchte, reiste Herr Reutter schnurstracks nach der nicht allzuentfernten Hauptstadt, nicht sowohl um seine eigene Neugierde zu befriedigen, als um dem Herrn Hofrath am folgenden Morgen, während er den Seifenschaum schlug und der anwesende Herr Wenz ein Geschäftsreferat beendigte, nur so en passant sagen zu können: »Ei, Herr Hofrath, gestern habe ich auch den Napoleon gesehen.« – »Ei so? Herr Reutter, das ist mir höchst interessant; was ist es denn für ein Mann?« – »Was soll ich sagen? Es ist ein kleines Mannche, ein geringes Mannche, ein unansehnliches Mannche, ein Mannche wie der Herr Wenz.«

Der indignirte Herr Wenz lernte von Stund an mit Lebensgefahr sich selbst rasiren, um den unverschämten Chirurgen entbehren zu können; der Onkel aber war höchlich ergötzt und nahm es dem Herrn Reutter nicht übel, als er einige Tage darauf, gekränkt über einen eintägigen Aufschub des Rasirens, bemerkte: »Der Herr Hofrath haben einen Bart wie der Schultheiß von Wetterspach.« – »So? was hat denn der für einen Bart?« – »Einen Bart wie lauter Schweinsborsten, Herr Hofrath.«

Es schien eine beständige Feiertagssonne über dem Schlößchen zu leuchten. Selbst die Geschäfte, deren es viele gab bei der ausgedehnten Oekonomie und den stets zahlreichen Besuchen, wurden gemeinschaftlich in so heiterer, geräuschloser Weise abgemacht, daß auch sie das Ansehen einer neuen Ergötzlichkeit gewannen. – Das Wort »sparen« war nicht in das Wörterbuch des Onkels aufgenommen, obwohl er für sich kein üppiges, wenn gleich behagliches Leben führte und keine kostbaren Liebhabereien hatte, außer der kostbarsten und edelsten von allen, der sich schon der gute Vikar von Wakefield rühmte – der Liebhaberei, glückliche Gesichter und frohe Herzen um sich zu haben. Ueberall war eine behagliche Fülle, ein reichliches, fröhliches Geben, es wurde Jedermann wohl im Hause. Die Kutscher fuhren noch einmal so gern, wenn es nach dem Schlößchen in B. ging, wo sie einer warmen Stube, eines guten Trunks und eines Stücks Braten gewiß waren; man sagt sogar, die Pferde seien schneller gelaufen und die Hunde haben mit dem Schwanz gewedelt in der Nähe des Schlößchens, im Vorgeschmack der guten Verpflegung, die sie dort erwartete.

Als Schillers Dramen in der höchsten Blüthe standen, ließ sich der Onkel einmal von seinem Johann in die Residenz kutschieren, um der Aufführung von Kabale und Liebe anzuwohnen. Unterwegs dauerte ihn der arme Bursch, der immer nur Andere zum Vergnügen führen und selbst kein Plaisir haben sollte. »Besorg' die Pferde gut, Johann, dann kannst du heut Abend mit mir in's Theater gehen.« – Der Johann könnt' es fast nicht glauben, war aber überglücklich, als ihn der Herr Hofrath in der That mit sich nahm und sogar an seine Seite in der Fremdenloge setzte. In hohem Erstaunen gaffte er mit offenem Mund den weiten Raum des Hauses, die prächtigen Kronleuchter, die fürstliche Loge an, deren Front durch die stattliche Gestalt des Regenten ausgefüllt wurde, vor allem aber den Vorhang, aus dem der Olymp in schreiender Farbenpracht prangte. »So, Herr Hofrath, iez hemmers gnuag gseha,« meinte er nach einer Viertelstunde. – »Wart nur, Johann, es kommt noch besser.« Das Orchester begann und Johann war aufs Neue entzückt, daß man auch noch aufspiele; als aber gar der Vorhang aufging und das Spiel begann, da stieg seine Verwunderung aufs Höchste: »Ja wer sind denn die Leut', Herr Hofrath?« Der Onkel zeigte ihm den Theaterzettel und erklärte ihm die Personen, »'st scho recht, aber do stoht jo net, s'wehl der Kabale ischt;« er schien aber doch das Stück zu begreifen, denn er folgte dem Gang der Dinge mit dem äußersten Interesse und der Onkel hatte Mühe, seine lebhaften Aeußerungen zurückzuhalten. Als aber gegen das Ende des Stücks der Hofmarschall in der Scene mit Ferdinand in seiner ganzen Erbärmlichkeit dastand, da wurde er am Ende so aufgebracht, daß er Ferdinand mit schallender Stimme zurief: »Bach' em ois, bach' em ois.« »Versetze ihm eines.« Das ganze Haus brach in ein jubelndes Gelächter aus, die gestörten Schauspieler selbst konnten sich des Lachens nicht enthalten, die Polizei wollte einschreiten und den Störer verhaften, der regierende Herr aber, der sich vor Lachen, den stattlichen Bauch halten mußte, befahl, ihn ruhig zu lassen und hoffte auf weitern Spaß. Der Johann jedoch war verduzt über seinen unerwarteten Erfolg und verhielt sich still bis zum Schluß. Erst bei der Heimfahrt bemerkte er gegen den Onkel, »'ist erst wohr, er hätt' em ois bacha solla.«

Einmal, als der Onkel besonders vergnüglich sich in Kindheitserinnerungen erging, fiel ihm auch des Nachbars Baste wieder ein, sein getreuer Freund, der ihm Hirschkäfer und Eichhörnchen gefangen und ihn so oft auf seinem Bock hatte reiten lassen. »Muß doch hören, was aus dem Baste geworden ist!« Mit einiger Mühe erfuhr er endlich, daß der Baste in der Nähe seines Heimathorts als Drahtbinder und Korbflechter kümmerlich sein Dasein friste. Gut denn, der Baste wurde mit seinem Handwerksgeräth zum Besuch aufs Schlößchen beschieden, man räumte ihm ein Schlafplätzchen ein und Tante Beate mußte alle Töpfe und Kacheln herbeisuchen, die irgendwie des Einbands bedürftig waren. Da saß der alte Baste unter dem großen Hollunderstrauch, der den Eingang in's Schloß beschattet, band Geschirre ein und flickte und reparirte Körbe nach Herzenslust und lachte hell auf vor Freude, daß man's drei Häuser weit hörte, wenn sich der Herr Hofrath je und je zu ihm setzte und ihn an ihre alten Bubenstückchen erinnerte. Daneben wurde er unter der Direktion der Tante mit Speise und Trank reichlich verpflegt. Es war verwunderlich anzusehen, wie das eingerostete Gesicht des Alten wieder gelind und beweglich wurde, er sah um zehn Jahre jünger aus, als er nach vier Wochen wieder heimkehrte, schon beglückt durch eine Einladung aufs nächste Jahr. Wieder daheim, meldete er sich alsbald bei Maier, dem Stundenhalter (dem Leiter religiöser Privatversammlungen), und bat um Aufnahme in die Versammlung, wie er denn auch von Stund an fleißig zur Kirche ging. »Aber Baste,« fragte ihn der Maier erstaunt, »wie ist das so schnell gekommen? es hat mich seither oft betrübt, daß Ihr so in den Tag hinein lebt und Euch nichts, um Euer Seelenheil bekümmert.« »Ihr habt Recht, Maier, es war eine Sünde, seht, ich bin ein armer Mann, ein Wois (Waise)« – er war bald sechszig! – »habe so in der Trübsal ahne gelebt und nicht an Himmel und Hölle gedacht; ich pacht', unser Herrgott hätt mich halt auch vergessen und 's könn' mer nicht viel böser gehn in der Höll als auf der Welt. Seit ich aber beim Herr Hofrath gewesen bin, muß ich immer denken: wenn's im Himmel nur halb so brav ist wie im Schlößle, so möchtest doch gern n'ein. Gucket, Maier, deßwegen will ich in d'Stund.«

Es waren freilich auch einmal Tage des Leids über dem Schlößchen hingegangen, damals als der Onkel seine geliebte Hausfrau in blühendem Jugendalter zu Grab geleiten mußte. Die Geschichte seiner Heirath trägt dasselbe heitere Gepräge, das sein ganzes Leben auszeichnet. Als fröhlicher Student ging er vor langen Jahren mit seinen Genossen über den Marktplatz der alten Reichsstadt, als eben ein stattlicher Taufzug vorüber kam. In jugendlichem Uebermuth trat er hinzu und lüftete das grünseidene Tuch, darunter ein zierliches Kindlein schlummerte. »Was ist's?« fragte er die Trägerin desselben. »Ein Mägdlein.« – »Ei, das gäbe gerade eine Frau für mich!« rief er lustig und zog lachend mit seinen Kameraden weiter. Und es fügte sich, daß nach achtzehn Jahren dasselbe Mägdlein, nun eine schöne Jungfrau und reiche Erbin, ihre Hand gern und freudig in die des vierzigjährigen Mannes legte, zu einer Zeit, wo solche Altersverschiedenheit bei Eheleuten noch viel seltener war als jetzt. Sie hat auch niemals den Entschluß bereut. Unter den Vielen, die des Onkels Güte froh und glücklich machte, war seine geliebte Gattin gewiß nicht die am wenigsten Glückliche. Und so wie er sie mit Liebe und Treue durch schwere, lange Krankheit bis zum Tod verpflegte, so hat er auch ihr Andenken in Liebe und Treue bewahrt. Keine andere Gattin hat er gewählt, obwohl gewiß dem reichen, überall geliebten und geachteten Mann die Wahl unter den Töchtern des Landes offen gestanden hätte. Aber in seiner unzerstörbar heitern Seele hat auch das Andenken an Leid und Tod eine milde, versöhnende Gestalt angenommen, und wenn er der geschiedenen Gattin dachte, so dachte er nicht an ihr Leiden, nicht an ihr frühes Sterben, sondern an ihre Liebe, an die glücklichen Stunden, die er mit ihr verlebt, an das selige Wiedersehen, das seiner wartete. So warf der Tod der Gattin keinen Schatten, wohl aber ein Licht aus einer höhern Welt auf sein Erdenleben.

Nach dem Tode seiner Gattin nahm Tante Hanne, seine unverheiratete Schwester, seine ächte Schwester an Herzensgüte und Freundlichkeit, sich des Haushaltes an, dessen Lasten später die Nichte Julie mit ihr theilte. Tante Hanne war eine stille Seele; sie hatte ihr eigenes Eckchen im Wohnzimmer, wo sie mit unveränderlicher Ruhe saß, mit stiller Herzlichkeit die Gäste willkommen hieß und ihre Anordnungen für den Haushalt traf, die von der Nichte Julie rasch und eifrig vollzogen wurden. Julie war eine Art verborgener Genius im Hause, überall und nirgends; sie hatte ein fabelhaftes Gedächtniß für Jedermanns Leibgericht und Jedermanns Geburtstag, sie war überall am Platz und kam immer zur rechten Zeit, sie arbeitete wie eine Magd und wurde vom Gesinde geehrt wie eine Königin. Ohne Base Julie wäre das Schlößchen in B. in dieser Vollkommenheit gar nicht möglich gewesen.

Dem Oheim hatte seine Gattin einen einzigen Sohn geschenkt, seines Herzens Stolz und Freude, der unter der mütterlichen Pflege der herzguten Tante Hanne in der freundlichen Gesellschaft der Base Julie zu äußerst stattlichem Gedeihen heranwuchs. Mit welcher Freude sah er seinen Karl als flotten Studenten die Universität beziehen, wie herzlich waren dessen Studiengenossen zur Ferienzeit im Schlößchen ausgenommen! Der Onkel hätte für die ganze Universität Raum zu schaffen gewußt. Nur Eine Klage hatte der Vater über ihn, eine Klage, wie sie noch wenige Väter zu führen halten: »Der Bursch braucht mir zu wenig Geld. Julie, schreib ihm nur wieder, er soll sich nichts abgehen und sich überall recht honorig finden lassen.«

Zur Freude der Familie war dem guten Onkel ein hohes Alter bestimmt, und er starb ohne die Leiden, die Gebrechen, die geistige Abnahme späterer Jahre zu erfahren. Hell und ungebrochen blieb sein Geist bis zum Tode. Ich will sein heiteres Lebensbild nicht trüben mit Schilderung des Leides, das sein Tod gebracht. Heute wird nur in Frieden und Freude seiner gedacht; wo frohe Herzen sich zusammen finden, um die Bande des Blutes noch zu ehren, da ersteht sein Bild in seiner ganzen lichten Freundlichkeit.

Noch steht das alte Schlößchen, noch plätschert der Brunnen im Hof; aber keine Fische schwimmen mehr darin zur fröhlichen Mahlzeit bestimmt, keine leichten jungen Tritte fliegen mehr die alte Treppe herauf, kein freundlicher Willkomm ertönt mehr aus der Erkerstube, die mit den andern Gemächern leer steht und nur selten zur Aufnahme der entfernt wohnenden Herrschaft geöffnet wird. So ist wohl heute manches Haus entleert, auch wo die Bewohner geblieben sind. Der Kampf um die Existenz, die Ansprüche des öffentlichen Lebens haben jene Blüthen der Familienfreude wie ein rauher Märzwind verweht.


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