Christoph Martin Wieland
Agathodämon
Christoph Martin Wieland

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IV.

Ich überlasse es deinem Herzen, Hegesias, dich etwas davon ahnen zu lassen, wie seinen vertrautern Anhängern, diesen gutmütigen, treuen, so ganz an ihm hängenden, und an den täglichen Umgang mit einem solchen Manne seit einigen Jahren gewöhnten Menschen, zu Mute war, und was in ihrem Innern vorging, als sie ihn nicht mehr sahen, nicht länger zweifeln konnten, daß sie nun von ihrem so herzlich geliebten Meister und Herrn – zwar nicht auf ewig, aber doch auf eine ungewisse, ihrem Gefühl nach immer sehr lange Zeit – geschieden seien.«

Ich. »Ich habe einen guten Maßstab dazu in mir selbst, Apollonius. Ich darf mir nur vorstellen, wie mir an dem heutigen Abend zu Mute sein wird, wenn ich dich nicht mehr sehen, nicht mehr hören werde, – wiewohl heut erst der dritte Tag ist, da du mir den Zutritt zu dir vergönntest.« – Eine Träne trat mir in die Augen, indem ich dies sagte. Er drückte mir die Hand und fuhr fort.

Apollonius. »Indessen war zwischen dem, was sie fühlten, da sie ihn am Kreuz verscheiden sahen, und was sie jetzt fühlten, nachdem er wieder vierzig Tage lang, als der auferstandene, wirklich lebende, und dadurch von Gott selbst (wie sie glaubten) unmittelbar bestätigte Messias, mit und unter ihnen gewesen war, ein himmelweiter Unterschied. Damals betrachteten sie sich als verstreute hülflose Schafe, die ihren Hirten verloren hatten: jetzt konnten sie nicht mehr zweifeln, daß er lebe und ewig leben werde. Sie waren nun gewiß, daß ihr Glaube an ihn sie nicht täuschen könne; er hatte sie mit seinem Geist angehaucht, ihnen zugesagt, daß er immer bei ihnen sein werde; sie fühlten seine Gegenwart; ihre Herzen brannten. Nie hatten sie ihn, da er ihren körperlichen Augen noch sichtbar war, so innig geliebt, nie so fest auf ihn vertraut als jetzt. Sie erinnerten einander nun an alles, was er getan und gesprochen hatte; und da sie immer beisammen waren, und an nichts anders dachten, von nichts anderm sprachen, die für sie so wichtigen wundervollen Begebenheiten der letztern Wochen und Tage immer vor ihren Augen standen, die letzten Worte, Aufträge und Verheißungen des scheidenden Gottessohns immer in ihrem Ohre klangen, was war natürlicher, als daß ihre mit so viel brennbarem Stoff angefüllten Seelen, von dem mächtigen Geist ihres Meisters angeweht, wie in einer einzigen Lohe aufwallten, und nun desto stärker und anhaltender brannten, je länger es gewährt hatte, bis sie in Feuer gesetzt worden waren? Diese vor kurzem noch so furchtsamen Menschen fühlten jetzt einen Mut in sich, den keine Gefahr, keine Drohung, keine Mißhandlung, die sie von den unversöhnlichen Feinden ihres Meisters zu erwarten hatten, schrecken konnte. Sie traten öffentlich als Zeugen seiner Auferstehung von den Toten mitten in Jerusalem auf, und predigten den Glauben an ihn, als den ihren Vätern geweissagten Messias, mit einer Kraft, Freudigkeit und Geistesfülle, die jedermann desto mehr in Erstaunen setzte, da man sie vorher als ungelehrte Handwerksleute gekannt hatte, und nicht begreifen konnte, wie sie, ohne übernatürliche Mittel, auf einmal zu einem so hohen Mut und zu solchen Geistesgaben gekommen wären; zumal da sie (wie ihre Geschichte sagt) ihre Predigt noch durch viele, im Namen des Auferstandnen verrichtete Zeichen und Wunder bekräftigten. Die Vorsteher der Juden benahmen sich hierbei, wie jede Obrigkeit in solchen Fällen zu tun pflegt: sie untersagten ihnen beides, das öffentliche Lehren und Wundertun, bei scharfer Strafe; aber vergebens. Die Apostel behaupteten, daß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen, trieben ihr Amt nur mit desto größerm Eifer, duldeten die angedrohten körperlichen Züchtigungen mit heroischer Standhaftigkeit, und das Blut des Ersten, der für sein Zeugnis von dem Auferstandnen, nach jüdischer Weise, zu Tode gesteiniget wurde, ging in einer so reichen Saat von Neubekehrten und Gläubigen auf, daß die Gegner jetzt für klüger hielten, einen gelindern Weg einzuschlagen, und zu sehen, ob der vermeinte Fanatism, wenn man ihm etwas Luft ließe, nicht ruhiger brennen und sich desto eher in sich selbst verzehren werde. Aber weder Gelindigkeit noch Strenge vermochten etwas gegen den Geist des Glaubens, der diese Boten des Reichs Gottes beseelte. Es war ihnen versprochen worden, daß sie durch diesen Glauben die Welt überwinden, daß sie das unmöglich scheinende durch ihn möglich machen sollten; und der Erfolg rechtfertigte diese Zusage. In weniger als zwanzig Jahren hatte sich, durch den unermüdlichen Eifer der Apostel und ihrer Gehülfen, die neue Sekte der Nazaräer, die diese Benennung in der Folge mit dem edlern Namen Christianer vertauschten, durch ganz Palästina, Syrien, Asien, Macedonien und Achaja ausgebreitet. Sie bestand anfangs allein aus Juden, wurde aber in ziemlich kurzer Zeit durch die Bemühungen eines ehemaligen Pharisäers von Tarsus, der seinen Jüdischen Namen Saul klüglich in den Römischen Paulus verwandelt hatte, mit einer Menge Neubekehrter aus Griechen, Römern, und andern der alten Vielgötterei zugetanen Völkern vermehrt. Dieser Paulus war in verschiedenen Rücksichten ein merkwürdiger Mann. Er hatte sich aus einem grimmigen Verfolger der Christianer, kraft einer himmlischen Erscheinung, die er auf einer Reise nach Damask erhalten zu haben versicherte, zum Apostel aufgeworfen, aber auch (wie er sich selbst in einem Briefe an die Christianer zu Korinth rühmt) so viel und mehr zur Ausbreitung des Christentums beigetragen, als die andern alle. – Doch, ich darf mich nicht zu weit von meinem Zweck entfernen, und es würde dich und mich ermüden, wenn ich in die Geschichte der Pflanzung dieses Wunderbaums, der wahrscheinlich in einigen Jahrhunderten den ganzen Erdkreis überschatten wird, tiefer eingehen wollte. Es mag also an einigen wesentlichen und allgemeinem Betrachtungen genug sein, auf deren hinlänglichen Grund in der Geschichte der Christianer du dich verlassen kannst.

Diejenigen, die sich wunderten, warum Christus ungebildete und ungelehrte Leute aus dem Volke zu Verkündigern seiner Lehre, und Zeugen der wunderbaren Tatsachen, die seine Sendung bestätigten, ausgewählt habe, sahen die ganze Sache des Christianism in einem sehr falschen Lichte. Der weise und mit einem seltnen Vermögen die Menschen richtig zu beurteilen und gleichsam zu divinieren begabte Stifter desselben wußte sehr wohl was er tat, da er zu einem Werke, das nur durch Glauben und Enthusiasm in den Gang gebracht werden konnte, und wobei vornehmlich auf das Volk, d. i. auf einfältige, kunstlose, durch sinnliche Vorstellungen und dunkle Gefühle regierte Menschen, gewirkt werden mußte, Leute ihres Standes und ihrer Art, aber gleichwohl in dieser Art nicht gemeine Menschen, zu Werkzeugen erwählte. Es kam hier nicht auf große Kenntnisse und Einsichten, Subtilität des Verstandes, oder künstliche Beredsamkeit, sondern auf Stärke der eigenen Überzeugung, auf unbewegliche Festigkeit und Beharrlichkeit bei der einmal gefaßten Entschließung, auf einen Mut, der keine Schwierigkeiten berechnet, in der Ausführung, und am allermeisten auf die leidenschaftliche Anhänglichkeit an seine Person, an; und in diesen Rücksichten hätte er seine Leute nicht besser wählen können. Die Sache kam ohnehin bald genug, und nur zu bald für die Erhaltung ihrer ersten Lauterkeit, in die Hände gelehrter, feinerer und planmäßig verfahrender Köpfe.

Es bedarf, um die größten Veränderungen im Zustande der Welt hervorzubringen, nur weniger Ideen, die in beschränkten aber kraftvollen Menschen lebendig und herrschend werden. Diese wenigen Ideen brauchen nicht einmal deutlich und bestimmt zu sein; im Gegenteil, sie wirken nur desto gewaltiger, je verworrener sie sind; ja, in kurzem wirken die bloßen Zeichen derselben, Worte oder symbolische Bilder, in welche jeder so viel selbstbeliebige Bedeutung legen kann als er will, stärker als die Ideen selbst. Was kann einfacher sein als die Lehre der ersten Christianer, wie ich sie gestern in wenige Sätze zusammen faßte? Aber daß es keine kalten leeren Begriffe waren, daß der Glaube, der sie umfaßte, ihnen Geist, Kraft und Leben gab, das wars, wodurch er so große Dinge tat.


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