Christoph Martin Wieland
Agathodämon
Christoph Martin Wieland

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II.

»Sehr gern«, erwiderte er; »nur mußt du dir gefallen lassen, bis zum Ursprung von beiden mit mir zurück zu gehen. Ihre Quellen sind zwar verschieden, aber sie entspringen so nahe an einander, daß sie gar bald in einem gemeinschaftlichen Bette zusammen fließen.

Die erste Quelle des Dämonism ist ohne Zweifel der allgemeine, dem Menschen wesentliche Trieb, alles was außer ihm ist oder zu sein scheint (was hier gleich viel ist), so viel nur immer möglich, sich selbst zu assimilieren, und sich unter Formen, die seiner eigenen ähnlich sind, vorzustellen.

In unsrer ersten Kindheit zerfließen die äußern Dinge, so zu sagen, im Gefühl unser selbst, und nur allmählich lernen wir die Gegenstände von den Empfindungen, welche durch sie erregt werden, und diese vom Gefühl unser selbst unterscheiden.

Auch nachdem wir diese erste Stufe der Entwicklung erstiegen haben, währt es noch eine ziemliche Zeit, bis wir uns die Dinge, die uns umgeben, als zusammenhangende und in einander greifende Teile Eines Ganzen vorstellen. Wir sehen alles nur vereinzelt, für sich bestehend, und der Raum, worin wir die Dinge sehen, ist das einzige, was sie zu verbinden scheint; so wie ihre unmittelbare Beziehung auf unsre Sinne und körperlichen Bedürfnisse das einzige ist, wodurch sie uns etwas sind.

Unvermerkt, wie wir mit uns selbst bekannter und sowohl unsrer innern Regungen, als des Vermögens unsern Körper willkürlich zu bewegen, uns immer klarer bewußt werden, tragen wir diese Eigenschaften auch auf andre Wesen über, und teilen allem Leblosen etwas von unserm Leben, allem Lebenden etwas von unsrer Seele mit.

Auf einer noch höhern Stufe der Entwicklung bilden sich in uns die Begriffe von Ursache und Wirkung, von Mittel und Zweck ; und indem wir auch hierin das, was in uns ist und vorgeht, zum Vorbilde dessen, was außer uns ist oder vorgeht, zu machen genötigt sind, stellen wir uns die von unsrer Willkür unabhängigen Veränderungen aller Art, die wir in der Natur gewahr werden, als Wirkungen einer Art von Wesen vor, welche, gleich uns, mit Bewußtsein, Willkür und Absicht handelten.

Auf diese Weise geschah es, daß bei allen Völkern, die ihrem ersten Naturstande noch nahe waren, die Unwissenheit der wirklichen Ursachen, oder der Gesetze, nach welchen die unbekannten Naturkräfte wirken, auf der einen Seite, und der angeborne Trieb, uns selbst gleichsam in den Dingen außer uns zu spiegeln, auf der andern, einer unendlichen Menge von Menschen-ähnlichen Dämonen im Himmel und auf Erden ein eingebildetes Dasein gab, dessen Wirkungen man zu sehen glaubte, wiewohl sie selbst unsichtbar waren. So erhielten Sonne, Mond und Sterne, Luft und Erde, Meer, Flüsse und Quellen, Berge, Wälder und Fluren überall ihre besondern Dämonen: und da man sie als die Ursachen von Licht und Finsternis, von Wärme und Kälte, von Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit, von dem ewigen Wechsel der Tages- und Jahreszeiten und allem was sich in unserm Luft- und Dunstkreise zuträgt, ingleichen von allen zerstörenden Wirkungen der Gewitter, Stürme, Wasserfluten, Vulkane und Erderschütterungen betrachtete; so verband man mit dem Glauben ihres Daseins die Vorstellung einer übermenschlichen Macht. Man dachte sie sich als willkürliche Beherrscher der Natur, die sich in die verschiedenen Reiche, Kreise und Bezirke derselben geteilt hätten; und weil man sie nur aus ihren wohltätigen oder verderblichen Wirkungen kannte, so war die verworrene Vorstellung von ihrer Macht natürlicher Weise von jener Furcht begleitet, die wir vor unsichtbaren Wesen haben, in deren Gewalt wir zu sein glauben, und deren Handlungsweise uns eben so unbekannt, als ihre Macht unbestimmbar und ihre Gesinnung gegen uns zweifelhaft ist. Man war also um so geneigter, ihnen alles Böse, dessen nächste Ursachen man nicht kannte, zuzuschreiben, da man sie, vermöge des mehr besagten Mechanism der menschlichen Vorstellungskraft, sich nicht ohne Bedürfnisse, Leidenschaften und Launen, die den unsrigen ähnlich wären, einbilden konnte. Der Gedanke, daß sie beleidigt werden könnten, machte daß man auf Mittel bedacht war, sich ihres Wohlwollens zu versichern, und falls sie sich, durch irgend ein bekanntes oder unbekanntes Vergehen, wirklich beleidigt fänden, ihren Zorn zu besänftigen.

Hier, Hegesias, hast du, mit wenigem, den wahren Ursprung aller dämonistischen Religionen! – Wie Priester und Mystagogen, Dichter und Bildner, nach und nach einen so reichhaltigen und bildsamen Stoff verarbeitet haben, ist bekannt. Unleugbar haben die Letztern sich am wenigsten an den Göttern versündiget. Denn was ihre Kunst vermag, haben sie getan, uns an anständige und sogar erhabene Vorstellungen von denselben zu gewöhnen: da hingegen Homer und seine Familie gegen den Vorwurf, daß sie sogar die großen Götter, an welche die öffentliche Verehrung der Hellenen vorzüglich gerichtet ist, als Muster der unsittlichsten Handlungen aufgestellt, vielleicht mit den rohen Sitten seiner Zeit zu entschuldigen, aber nie zu rechtfertigen ist.

Indessen trifft doch der Vorwurf, den Volksglauben zum Vorteil ihrer eigenen Zwecke gemißbraucht zu haben, die Priester und Mystagogen am stärksten. Nicht zufrieden, die Bewahrer der alten religiösen Gebräuche, die Vorsteher der öffentlichen Feierlichkeiten, die Hüter der Tempel, und die Mittelspersonen, durch welche die Gebete und Opfer einzelner Familien oder eines ganzen Volkes den Göttern dargebracht wurden, zu sein, wußten sie durch mancherlei Kunstgriffe die Meinung von sich zu erregen, als ob sie selbst mit den Göttern in noch näherer Verbindung ständen, und es in ihrer Macht hätten, den Sterblichen die Gunst oder den Unwillen derselben nach ihrem Belieben zuzuziehen.

Wie sie auf diesem Wege dahin gekommen, schon in den ältesten Zeiten der Welt die geheimen Künste, die man unter dem Worte Magie zu begreifen pflegt, mit dem religiösen Volksglauben zu verbinden, wird uns klar werden, wenn wir zuvor die erste Quelle dieser Magie in der Natur selbst aufgesucht haben werden. Denn nie würde es den Priestern und andern Meistern jener täuschenden Künste gelungen sein, diesen neuen Sprößling des Aberglaubens zu einem so üppigen und fruchtreichen Baume zu ziehen, wenn nicht sein Keim sich aus der menschlichen Natur selbst entwickelt hätte.

Es wird dir vielleicht seltsam vorkommen, Hegesias, daß ich diesen Keim in dem Glauben aller noch ungebildeten Völker an die Realität ihrer Träume gefunden habe: aber höre mich erst, und denke dann davon was du kannst.


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