Christoph Martin Wieland
Agathodämon
Christoph Martin Wieland

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VIII.

Ich geriet zu Larissa in die Bekanntschaft einer Frau, die (nach der Versicherung meiner alten Wirtin) für eine der gefährlichsten Zaubrerinnen in ganz Thessalien gehalten wurde. Sie war die Gattin eines reichen Kaufmanns, den seine Geschäfte häufig von Larissa entfernten; und wenn Jugend und Schönheit, mit allen Arten von Reiz verbunden, für Zaubermittel gelten können, so mußte man gestehen, daß Chrysanthis (so nannte man sie) nicht mit Unrecht zu dem Ruf einer zweiten Circe gekommen war. In der Tat schien sie mir, beim ersten Anblick, keiner andern Magie, als ihrer eignen Reizungen, zu bedürfen; und wenn sie (wie die Sage ging) einer nicht geringen Anzahl edler Thessalischer Jünglinge, gleich ihrer Homerischen Vorgängerin, mitgespielt hatte, so war es ohne Zweifel ganz natürlich dabei zugegangen. Daß es ihr an Neigung und Fertigkeit, einen solchen Gebrauch von dem Zauber ihrer Augen zu machen, nicht fehlte, erfuhr ich ziemlich bald durch mich selbst: denn sie ergriff jede Gelegenheit, oder machte vielmehr deren so viele als ihr nur immer möglich war, um mir auf die unzweideutigste Art zu entdecken, daß ich mich nicht über eine Grausame zu beklagen haben sollte, wenn ich ihren Einladungen Gehör geben würde.

Lebensart und Sitten sind bekannter Maßen in der ganzen Hellas nirgends freier als in Thessalien. Das überhaupt zu sehr vernachlässigte weibliche Geschlecht wird vielleicht nirgends schlechter erzogen; und es ist daher kein Wunder, wenn die Bewohnerinnen dieses schönen Landes kein höheres Glück, als die Befriedigung ihrer sinnlichen Triebe, kennen, und sich ihnen mit der ganzen Lebhaftigkeit des feurigen Temperaments, womit die Natur sie begabt hat, ohne Bedenken überlassen.

Chrysanthis mochte wohl bisher zu wenig Schwierigkeiten angetroffen haben, um die Kälte, womit ich ihre Blicke abglitschen ließ, nicht unbegreiflich zu finden. Indessen ließ sie sich dadurch nicht abschrecken, und nachdem ihr verschiedene andre Versuche mißlungen waren, nahm sie endlich (was ihr vermutlich noch nie begegnet war) ihre Zuflucht zu einer berüchtigten alten Zaubrerin, die sich außerhalb der Stadt in einem kleinen Gartenhause aufhielt, welches sie zum Behuf ihres doppelten Handwerks (denn sie machte nebenher auch die Kupplerin) ziemlich zweckmäßig eingerichtet hatte.

Die Alte besaß, ihrem Vorgeben nach, unfehlbare Geheimnisse, hartnäckige Verächter der Liebesgöttin kirre zu machen. Chrysanthis überließ sich ihr mit blinder Zuversicht, und die Nacht auf den nächsten Vollmond wurde zum Anfang ihrer magischen Arbeiten angesetzt.

Die Zaubrerin wandte (wie es scheint) die Zwischenzeit teils zu den nötigen Zurüstungen, teils zu genauern Erkundigungen nach dem Aufenthalt und der Lebensart des jungen Mannes an, den sie ihrer Klientin in die Arme zu liefern versprochen hatte. Glücklicher Weise für ihre Absichten hielt ich mich ebenfalls vor der Stadt auf, und meine Wohnung in der Nähe eines anmutigen Wäldchens, wo ich gewöhnlich in mondhellen Nächten zu lustwandeln pflegte, war nur durch einen schmalen Fußweg von dem Gärtchen der Alten abgesondert; ein Umstand, der ihr zur Anlegung ihres Plans sehr zustatten kam.

Sobald die bestimmte Nacht erschienen war, schlich die Thessalierin sich heimlich aus ihrem Hause in die Hütte der Zaubrerin, worin sie, ungeachtet des äußerlichen armseligen Ansehens, ein ziemlich nettes Zimmer zu ihrem Empfang bereit fand. Es war mit einem wohl gepolsterten Ruhebette versehen, und von einer dicken Lampe mit wohlriechendem Öl beleuchtet, dessen Dufte die Zaubrerin große Kräfte zuschrieb. Neben dem Ruhebette stand ein Tisch von Elfenbein, mit Erfrischungen und goldnen Trinkgefäßen besetzt, und einer von den Bechern war mit einem Liebestrank angefüllt, der, nach ihrer Versicherung, den Nektar an Süßigkeit übertreffe, und wovon ein einziger Zug genug sei, um den greisen Tithon selbst in einen Jüngling zu verwandeln.

Jetzt blieb nur noch die Schwierigkeit übrig, denjenigen herbei zu schaffen, um dessentwillen alle diese Anstalten gemacht waren. Die Alte hatte zu diesem Ende ein kleines wächsernes Bild in Bereitschaft, welches meine Person vorstellte, und aus verschiedenen magischen Mischungen kunstgemäß verfertigt war. Ihrem Vorgeben nach hatte sie auch sieben meiner längsten Haare in ihre Gewalt bekommen, die zu ihrem Vorhaben unentbehrlich waren. Sie knüpfte sie zu einer Schnur zusammen, wovon sie das eine Ende um den linken Daumen der Chrysanthis, das andre um die Hüften der kleinen Wachspuppe befestigte. Hierauf holte sie eine Pfanne mit glühenden Kohlen, warf einige Weihrauchkörner darauf, steckte das Bild auf eine mitten aus der Pfanne hervorragende Spitze, und versicherte nun die Schöne, die ihren Vorrichtungen mit klopfendem Herzen zusah, ehe das Bild völlig geschmolzen sein würde, sollte sie ihren Geliebten herbei eilen sehen. ›Was du alsdann zu tun hast‹, setzte sie hinzu, ›weißt du besser als ich. Er müßte kein Mensch wie andre sein, wenn er deinem eignen Liebreiz und dem Zaubertrank, den du ihm reichen wirst, widerstehen könnte. Auf den Fall aber, daß er, wider alles Hoffen, seinen Starrsinn so weit treiben sollte, übergebe ich dir meinen Zauberstab. Tritt alsdann auf diese mit Sand bestreute Stelle, ziehe mit dem Stab einen Kreis um dich her, schlage dreimal auf den Boden, und rufe dreimal immer lauter, Hekate, Hekate, Hekate! – und eine Göttin wird dir zu Hülfe kommen, deren bloßer Anblick den Widerspenstigen auf immer in deine Arme hinein schrecken wird.‹

Chrysanthis (aus deren Munde ich alle diese Umstände erzähle) hatte, zu aller ihrer natürlichen Herzhaftigkeit, noch die ganze Stärke einer durch Widerstand aufs äußerste gebrachten Leidenschaft vonnöten, um sich zu einem Mittel zu entschließen, vor dessen bloßer Vorstellung ihr das Blut in den Adern gerann: aber die Alte beteuerte bei allen Göttern des Himmels und des Erebus, daß sie nicht die geringste Gefahr dabei laufe, steckte ihr zum Überfluß noch einen talismanischen Ring an den Finger, und brachte es durch ihren Zuspruch so weit, daß die Thessalierin Heldenmut genug in sich zu fühlen glaubte, um den Anblick der gräßlichsten Ungeheuer des Tartarus auszuhalten. Indessen hatte die Alte, wie gewiß sie auch der Macht ihrer Zauberkünste zu sein vorgab, sich dennoch auf die Wirkung des magischen Wachsbildchens und der sieben Haare nicht so gänzlich verlassen, um ein natürlicheres Mittel für überflüssig zu halten, wodurch sie mich unfehlbar herbei zu schaffen hoffte. Die Schönheit der Nacht, in welcher alles dies vorging, hatte mich seit mehr als einer Stunde auf meinen gewöhnlichen Spaziergang gelockt, und ich irrte, meinen Betrachtungen nachhängend, zwischen den Bäumen hin und her, als plötzlich ein Mädchen von eilf oder zwölf Jahren mit ängstlichem Geschrei und ausgebreiteten Armen auf mich zulief, und mich flehentlich beschwor, ihrem alten Vater zu Hülfe zu eilen, der in einer nahen Hütte von zwei bösen Menschen überfallen worden sei, die ihn unfehlbar ermorden würden, wenn er nicht schleunigen Beistand erhielte. Das Kind spielte seine Rolle so natürlich, daß ich, vom Gefühl des Augenblicks fortgerissen, mich von ihm führen ließ, ohne eine Hinterlist zu argwöhnen, oder zu bedenken daß ich unbewaffnet war. Bilde dir ein, wie ich stutzte, da ich, anstatt eines unter Räuberhänden sich sträubenden Alten, die schöne Chrysanthis fand, die, in einem leichten Anzug auf ein wollüstiges Kanapee hingegossen, mit Blicken, Gebärden und Reden mich zu einem viel gefährlichern Kampf, als ich erwartet hatte, heraus forderte.

Du verlangst von einem Greise in meinen Jahren keine umständliche Beschreibung der Waffen, womit die schöne Versucherin die Hartnäckigkeit meines Widerstandes bestürmte: aber noch jetzt ist mir unbegreiflich, wie sie von irgend einer andern Magie erwarten konnte, was ihren eigenen Reizen unmöglich gewesen war. Und doch ergriff sie endlich in der Verzweiflung das einzige Mittel, das ihr, wie sie glaubte, übrig blieb; denn den Liebestrank hatte ich durch die Beteurung, daß ich nichts als Wasser trinke, unbrauchbar gemacht. Sie sprang mit der Wut einer Bacchantin auf, um nach dem schwarzen Stabe zu greifen, den ihr die Alte zurück gelassen; und noch in diesem Augenblick sehe ich sie fast eben so lebendig vor mir schweben, als damals, da sie mit halb fliegendem, halb in großen Locken bis unter die Hüfte herab wollendem Haar, rollenden Augen und entblößtem Armen und Füßen, nur von einer Koischen Tunika umflattert, furchtbar und wollustatmend zugleich, den mächtig geglaubten Zauberstab gegen mich schwang; eine wahre Medea, die ich, als ob sie mir diese Rolle auf dem Schauplatz darstellte, nicht ohne eine Beimischung von Vergnügen betrachtete, mit ziemlich ruhiger Neugier erwartend, was aus diesem Anfang einer andern Art von Zauberei werden sollte. Die nur mühsam unterdrückte Angst war auf ihrem erbleichenden Gesicht und langsam sich hebenden Busen sichtbar, da sie, nachdem sie den Kreis gezogen und dreimal auf den Boden geschlagen, den furchtbaren Namen Hekate! so laut als ihr möglich war, ausrief.

Sie hatte ihn kaum zum dritten Mal ausgerufen, so erschütterte ein hohles dumpfes Getöse den Boden unter uns, das Zimmer verfinsterte sich, ein schwarzer mit zuckenden Flammen vermischter Rauch wirbelte aus dem krachend sich spaltenden Boden empor, man hörte Donner rollen, Schlangen zischen und Hunde heulen; das fürchterliche Unwesen kam immer näher, und unter Blitzen und Donnern stieg die dreiköpfige Hekate herauf, in der ganzen gräßlichen Ungestalt, wie sie von den Dichtern geschildert wird, mit Schlangenhaaren und Drachenfüßen, in schwarzem Gewand, und eine ungeheure Schlange in der Rechten schwingend. ›Zittre, verwegner Sterblicher‹, schrie sie mich mit hohler krächzender Stimme an, ›zittre vor der Rache der Götter! Fliehe vor Aphroditens Zorn in die Arme der Liebe, oder stürze in den flammenden Tartarus!‹ – ›Elende‹, rief ich, indem ich die unter der gräßlichen Maske versteckte Zaubrerin, trotz ihren unschädlichen Schlangen, kräftig beim Arm ergriff und zu mir herüber zog, – ›bekenne daß du eine schändliche Betrügerin bist, oder du bist verloren!‹ Die Zaubrerin, die auf einen solchen Ausgang nicht vorbereitet war, verlor auf einmal die Besonnenheit, kroch aus ihrer Verkleidung hervor, und bat fußfällig um Gnade.


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