Christoph Martin Wieland
Agathodämon
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX.

Im Verfolg meiner Rückreise aus Thessalien kam ich in eine Gegend, deren erster Anblick dem Fleiß und der Wirtschaft ihrer Anbauer ein schlechtes Zeugnis gab. Auf den Feldern stand das Getreide dünn, mager und von Unkraut erstickt. Die Wiesen, dem von benachbarten Bergen abfließenden Gewässer im Frühling und Herbst unbeschützt preis gegeben und an vielen Stellen von vernachlässigten Brunnadern ersäuft, brachten nur saueres Gras hervor, und waren zum Teil in sumpfiges Moor ausgeartet, worin einige magere Kühe einzeln herum irrten, und trotz ihres Hungers das schlechte Futter unter ihren Füßen verschmähten. Auf den kahlen Angern weideten schmutzige, von der Räude angefressene Schafe. Wohnung, Kleidung und Lebensart der Landleute waren, wie es beim Anblick der elenden Beschaffenheit ihrer Grundstücke zu erwarten war. Kurz, alles hatte ein höchst armseliges und trauriges Ansehen, welches desto mehr auffiel, da diese Flur von zweien Seiten an Ländereien grenzte, über welche der Überfluß sein ganzes Füllhorn ausgegossen zu haben schien, und wo das Auge nicht müde wurde, sich am Anblick der fruchtbarsten und lachendsten Auen, der schönsten Viehherden aller Art, und einer Menge wohl genährter, eben so fröhlicher als emsiger Jünglinge und Mädchen, zu ergetzen, welche so eben mit Einsammlung der Reichtümer beschäftigt waren, womit Ceres und Pomona diese reizenden Fluren gesegnet hatten.

Der auffallende Abstich so nah an einander grenzender Ländereien war eine sehr einleuchtende Darstellung des Unterschieds der natürlichen Folgen einer guten und schlechten Kultur. Indessen wünschte ich doch die Ursachen zu erfahren, warum die Eigentümer der einen so weit hinter den andern zurück geblieben wären, und erkundigte mich darüber bei einem jungen Manne, der im Begriff war, die karge Ausbeute eines steinichten Ackers auf einem Karren nach Hause zu führen. Ich erhielt zu meinem Erstaunen den Bescheid: daß ein verruchter Zauberer der einzige Urheber des elenden Zustandes sei, worin die Bewohner dieser Gegend seit mehr als vierzig Jahren schmachteten. ›Er nennt sich Pythokles‹, sagte der junge Bauer; ›das große Haus dort auf der Anhöhe, das dem Palast eines Königs gleicht, ist seine Wohnung, und die herrlichen Fluren, die sich an dem Hügel hinauf ziehen, sind nur ein kleiner Teil seiner Besitzungen. Es ist uns unmöglich vor einem so gefährlichen Nachbar aufzukommen. Nicht zufrieden, seine eignen Ländereien durch seine Zauberkünste zu einem übernatürlichen Ertrag zu bringen, bedient er sich ihrer auch noch, sich des unsrigen zu bemächtigen. Denn er versetzt, mit Hülfe der bösen Dämonen, die ihm zu Gebote stehen, unser Getreide alle Jahre von unsern Feldern auf die seinigen; ja er weiß sogar die Milch unsrer Kühe in die Euter der seinigen zu zaubern; und wenn er seine Markung umgeht, braucht er nur einen Blick auf die unsrige zu werfen, so ists als ob nichts gedeihen könne, was er angesehen hat.‹

Ich ergrimmte in mir selbst, diese armen Menschen durch einen so sinnlosen Aberglauben, der zuletzt doch wohl die Hauptursache ihrer Trägheit war, so übel gemißhandelt zu sehen. Aber es wäre verlorne Mühe gewesen, Leute, die solchen Unsinn glauben konnten, durch Vernunftgründe eines bessern belehren zu wollen. Ihr guter Genius gab mir ein anderes Mittel ein. ›Euer Zustand ist traurig‹, sagte ich, ›aber euch kann geholfen werden. Führe mich zu den Ältesten in deinem Dorfe.‹ – Der Bauer sah mich mit großen Augen an, besann sich eine Weile, und hieß mich endlich mitgehen, indem er ein mit zusammen geschrumpftem Leder überzogenes Gerippe von einem Pferde, das seinen Karren zog, hinter sich nachschleppte.

Als wir ankamen, versammelten sich die Alten um mich her, und ich vernahm die Bestätigung ihrer unglaublichen Dummheit aus ihrem eigenen Munde. ›Meine Freunde‹, sprach ich zu ihnen, ›euer Zustand jammert mich. Ich bin ein Priester der heiligen Kabiren in Samothrake. Die Götter haben uns hohe Geheimnisse anvertraut, und es gibt keine Zauberei, die wir nicht durch ihren Beistand vernichten könnten. Setzt Vertrauen auf mich. Ich will das Orakel des großen Axiochersos fragen, wie euch zu helfen sei, und in weniger als zehen Tagen will ich euch seine Antwort bringen.‹

Da ich, unglücklicher Weise, kein Wunder bei der Hand hatte, um diesen einfältigen Leuten meine Sendung zu beweisen, so war ich darauf gefaßt, daß ein solches Versprechen von einem Unbekannten keinen großen Eindruck auf sie machen würde. Indessen schien ihnen doch mein Äußerliches und mein zuversichtlicher Ton Vertrauen einzuflößen; ich wiederholte meine Zusage, bestieg, während sie leise mit einander sprachen, mein Pferd, und verschwand so schnell aus ihren Augen, daß meine Erscheinung unter ihnen in ihrer Vorstellungsart etwas hinlänglich wunderbares haben mußte, um sie, während meiner Abwesenheit, mit mir und meinem geglaubten oder bezweifelten Wiederkommen bei ihren Zusammenkünften zu beschäftigen.

Inzwischen begab ich mich, durch einen Wald von hohen Nußbäumen, der die angrenzende Flur gegen Norden beschützte, zu dem Eigentümer des schönen Landsitzes, und wurde gastfreundlich von ihm aufgenommen. Ich fand einen Mann von siebzig Jahren, der nicht viel über funfzig zu haben schien, von sechs oder sieben Söhnen seiner Art und etlichen wohl gebildeten Töchtern umgeben, deren braunrötliche Sonnenfarbe mir bewies, daß die Schonung einer zarten Haut sie nicht abhielt, bei allen ländlichen Arbeiten, die ihrem Geschlechte ziemen, Hand anzulegen. Die weitläufigen Gebäude, die beinahe die ganze obere Fläche des Hügels bedeckten, wimmelten, wie Bienenkörbe im Frühling, von beschäftigten Menschen, auf deren Angesichtern Zufriedenheit mit ihrem Zustand glänzte. Der Hausherr führte mich, auf mein Ansuchen, in allen Zubehören seiner Landwirtschaft herum, und ich konnte die Reinlichkeit, Ordnung, Zweckmäßigkeit und Harmonie, die überall in die Augen fielen und alle Teile zu einem vollständigen Ganzen verbanden, nicht genug bewundern. Ich sprach von der Schönheit und dem vortrefflichen Anbau seiner Güter, so viel ich im Vorbeigehen davon gesehen hatte, und er gestand mir, daß ihr Ertrag ihn zu einem der reichsten Landwirte in Thessalien mache, und in den Stand setze, eine sehr große Anzahl meistens in seinem Hause geborner Dienstleute so zu halten, daß sie ihre Lage um keine andere in der Welt vertauschen würden.

Ich erwähnte bei dieser Gelegenheit des armseligen Zustandes des benachbarten Dorfes. ›Die Schuld liegt an ihnen selbst‹, sagte Pythokles; ›sie wollen es nicht besser haben, oder wollen wenigstens die Mittel nicht, wodurch ihrem Elend abgeholfen werden könnte. Ein großer Teil des Gutes, dessen Eigentümer ich bin, war vor funfzig Jahren in keinem bessern Stande als die Grundstücke meiner Nachbarn. Alles was du hier siehest, ist, nächst dem Segen der Götter, die Frucht eines unverdrossenen Fleißes, einer scharfen Aufmerksamkeit auf den Gang und die Winke der Natur, einer durch Versuche und Fehler nicht wohlfeil erkauften langen Erfahrung, einer guten Einteilung der Arbeiten, und genauen Berechnung der Mittel und Zwecke, Vorteile und Nachteile, – kurz, einer in allen ihren Teilen klug und emsig betriebenen Ökonomie. Die Natur hat mir ein neidloses Herz gegeben; ich würde mich gefreuet haben, wenn mein Wohlstand auch meinen Nachbarn nützlich geworden wäre. Aber die Toren halten mich für einen Zauberer; sie lassen sichs nicht ausreden, daß meine Kornböden nur darum so voll sind, weil ich ihr Getreide auf meine Felder zaubere; und so kann ihnen weder mein Beispiel noch mein Unterricht nützlich sein.‹ – ›Einem so edeln Manne wie du‹, versetzte ich, ›würde es gewiß Freude machen, diese Unglücklichen von ihrem Wahn geheilt zu sehen. Ich bin auf einen Einfall gekommen, der mir vielleicht gelingt; wenigstens ist es des Versuches wert, ob sich der Aberglaube dieser Leute, der ihnen bisher so schädlich gewesen ist, nicht zu ihrem Vorteil benutzen lasse.‹ Pythokles lobte mein Vorhaben, ohne einige Neugier zu zeigen, durch was für Mittel ich es zu bewerkstelligen gedächte, und wir kamen bald auf andere Gegenstände.

Es war so viel merkwürdiges in diesem Hause zu sehen, und so viel von seinem Besitzer zu lernen, die ganze Familie war ein so guter Schlag Menschen, und man setzte mir auf eine so freundliche Art zu, einige Tage bei ihnen zu verweilen, daß ich nicht daran denken konnte, ihnen etwas abzuschlagen, wozu ich selbst so geneigt war.

Nach acht Tagen, die mir unter diesen Glücklichen, im schönsten Genuß der Natur, so schnell wie ein einzelner Tag entschlüpften, erinnerte ich mich, daß es Zeit sei, meine Zusage gegen die Talbewohner zu erfüllen. Meine Einweihung in den Samothrakischen Mysterien gab mir die Rechte eines Priesters der Kabiren. Ich erschien also unter ihnen mit der priesterlichen Binde um die Stirne, und sie empfingen mich wie einen Gott. ›Ich habe‹, sprach ich zu ihnen von einer erhöhten Stelle, in einem Tone, der zugleich Vertrauen einflößte und Ehrfurcht gebot, ›ich habe das Orakel für euch gefragt, und bringe euch seine Antwort. Allerdings ist ein geheimer Zauber, der euer Land drückt, die Quelle eures Elends; aber die Ursache desselben ist viel älter als der älteste unter euch. Merket auf meine Rede, und gehorchet von Wort zu Wort dem, was ich euch im Namen der großen Götter sagen werde, und die Bezauberung, die euer Land unfruchtbar gemacht hat, wird aufhören. Auf Befehl des Orakels habe ich einen milchweißen Stein von der Größe eines Schwaneneies in euerer Flur vergraben. Diesem sollt ihr, wenn die Bestellzeit heran kommt, von Osten nach Westen und von Westen nach Osten zugleich, so lange mit dem Spaten nachgraben, bis auf allen euern Feldern kein Fuß breit Landes übrig ist, den ihr nicht wie Gartenland umgegraben habt; und weil dieser weiße Stein keinen andern in seiner Nähe duldet, so sollt ihr alle Steine auf euern Äckern sorgfältig zusammen lesen, und an einem besondern Orte zu dem Gebrauch, den ich euch sagen werde, aufbewahren. So oft ihr an die Arbeit geht, so rufet die großen Götter, auf euern Knieen, um ihren Segen an, und wenn ihr sie vollendet habt, dann bestellet euere Äcker wie gewöhnlich; und so verfahret sieben Jahre nach einander. Mit jedem Jahre wird der milchweiße Stein einen Fuß tiefer in die Erde sinken; mit jedem Fuße, den er tiefer gesunken ist, wird sich die Fruchtbarkeit eures Bodens vermehren; aber nach dem siebenten Jahre wird der Stein ruhen, und seine geheimnisvolle Kraft wird nie wieder von euern Feldern weichen. Merket nun weiter auf, und gehorchet von Wort zu Wort dem, was ich euch im Namen der großen Götter befehle! Euer Wiesengrund wird von Nymphen bewohnt, welchen ihr versäumt habt die gebührende Ehre zu erweisen. Zur Strafe dieser Vernachlässigung haben sie ihn in einen Sumpf verwandelt, worin euer Vieh nur karge und ungesunde Nahrung findet. Um den Zorn der Nymphen zu besänftigen befiehlt euch das Orakel, die sumpfigen Stellen auszutrocknen, das ganze Tal durch tiefe Gräben und erhöhte Dämme vor künftigen Überschwemmungen zu schützen, die Brunnquellen hingegen zu fassen, und in kleinen Kanälen durch eure Fluren hin und her zu leiten. Mit den Steinen, wovon ihre euere Acker gereiniget habt, sollt ihr die tiefsten Stellen euerer Sümpfe ausfüllen, nachdem ihr aus den größten dieser Steine den Nymphen eine kleine Kapelle erbauet, und den ganzen Anger um sie her mit einem Hain von fruchtbaren Bäumen bepflanzt habt, deren Erstlinge ihr alle Jahre, festlich versammelt, den freundlichen Nymphen opfern werdet. Endlich soll ich euch aus dem Munde des Orakels sagen, daß euer Argwohn dem reichen Pythokles Unrecht tut. Die Götter haben sein Herz zu euch geneigt, und er wird euch, wenn ihr ihm einen bessern Willen zeigt, mit Rat und Tat zu Hülfe kommen. Denn nicht böse Zauberkünste, sondern der Segen der Götter und sein von Klugheit geleiteter Fleiß, sind die Quellen seines Reichtums, und wenn ihr seinem Beispiel folget, werdet ihr ihm auch an Wohlstand ähnlich werden.‹


 << zurück weiter >>