Christoph Martin Wieland
Agathodämon
Christoph Martin Wieland

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Apollonius. »So hast du doch wenigstens von den Christianern gehört?«

Ich (mit einer Verwunderung, die ich nicht zurück zu halten vermochte). »Von den Christianern? – Allerdings! als von einer jüdischen Sekte, die, von ihren Religionsverwandten als irrgläubig und rebellisch aus ihrem Mittel ausgestoßen, sich nun unter den übrigen Völkern des Römischen Reichs Anhänger zu machen sucht, und deren auch in einer Zeit, wie die unsrige, zumal unter den niedrigsten Volksklassen, überall findet. Sie sollen sich allenthalben, wo es Juden gibt, in Syrien, Ägypten, Klein-Asien, Macedonien, Achaja, sogar in Italien und in Rom selbst, schon beträchtlich vermehrt haben, und man findet ihrer, wie ich höre, auch in Kreta. Ich kenne aber keinen von ihnen persönlich, und habe auch, da sie mir als eine lichtscheue und menschenfeindliche Art von Schwärmern beschrieben worden, die Wahrheit zu sagen, nie Lust gehabt, ihre Bekanntschaft zu suchen.«

Apollonius. »In diesen bösen Ruf mögen sie wohl hauptsächlich gekommen sein, weil es ihnen, als abgesagten Feinden der Vielgötterei, Religion ist, sich nicht nur aller Teilnehmung an unsern gottesdienstlichen Gebräuchen, Opfern, Festen und Volksbelustigungen aller Art zu enthalten, sondern bei jeder, im täglichen Leben alle Augenblicke vorkommenden Gelegenheit, sich sogar laut und ohne Scheu dagegen zu erklären:, vielleicht auch, weil sie von dem Untergange der Welt, und einer Menge fürchterlicher Kalamitäten, die diesem Tage (den sie den Tag ihres Herrn nennen) vorhergehen sollen, als sehr nahe bevorstehenden Ereignissen, mit der freudigsten Erwartung und Ungeduld reden.«

Ich. »Was kann aber diese seltsame Gattung fanatisierter Idioten mit dem großen Manne zu tun haben, von dem du eine so viel versprechende Idee in mir erwecktest?«

Apollonius. »Du bist noch zu wenig mit den Christianern bekannt, wie ich sehe, um dir einen richtigen Begriff von ihnen zu machen. Aber, wie dem auch sei, sie erkennen den außerordentlichen Mann, von dem ich dir sagte, für ihren Meister und Herrn, und hangen mit einer Liebe und einem Glauben an ihm, die ohne Beispiel sind, und durch nichts begreiflich werden, als durch eine beinahe magische Gewalt, die er sich über die Gemüter der Menschen, die um ihn waren, verschafft haben muß. Sie betrachten ihn als einen Mensch gewordenen Gott, oder zum Gott gewordenen Menschen – welches von beiden, scheint unter ihnen selbst noch nicht ausgemacht – aber darin stimmen sie überein: daß er, nachdem seine Erscheinung Jahrtausende vorher von den Propheten des jüdischen Volkes angekündigt worden, als ein bevollmächtigter Abgesandter der Gottheit, auf eine übernatürliche Art in die Welt gekommen sei, das Reich der Dämonen, der Urheber alles physischen und sittlichen Übels, zu zerstören, und dagegen das Reich des Lichts, der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Unschuld und der Liebe, mit Einem Worte, das Reich Gottes, dessen Sohn er sei, unter den Menschen aufzurichten. Sie glauben, daß er, nachdem er sich selbst durch einen freiwillig erlittenen Tod für das Heil der Welt aufgeopfert, am dritten Morgen wieder lebendig aus seinem Grabe hervorgegangen sei, noch vierzig Tage mit seinen Vertrautesten Umgang gepflogen habe, und sodann vor ihren Augen lebendig gen Himmel gefahren sei; daß er, seinem untrüglichen Versprechen zu Folge, in kurzer Zeit auf eine gloriöse Art zur Erde zurückkehren werde, um alle seine Feinde zu vernichten, mit den verdienstvollsten seiner Anhänger tausend Jahre lang über die ganze Erde zu herrschen, und in ununterbrochner Ruhe den Vollgenuß aller geistigen und irdischen Seligkeit, deren die menschliche Natur fähig ist, über die Genossen seines Reichs zu verbreiten; und daß er, um die Seinigen während dieser kurzen Zwischenzeit über seine Abwesenheit zu trösten, ihnen seinen Geist hinterlassen habe, durch welchen er, wiewohl unsichtbar, noch immer mitten unter ihnen sei, sie regiere, unterrichte, stärke, und mit den göttlichen Wunderkräften ausrüste, deren sie zum glücklichen Erfolg ihres unversöhnlichen Kampfs mit dem Geist der Zeit und allen seinen Gehülfen und Werkzeugen, und zum Gedeihen ihrer rastlosen Bemühungen für die Ausbreitung des Reichs Gottes nötig haben. – Was für eine Bewandtnis es auch mit dem Grunde dieses Glaubens haben mag, – davon bin ich gewiß, daß diese von den Juden ausgestoßene, von den Griechen verlachte, und von den Römern verabscheute Sekte, mit diesem ihrem Glauben, in zwei bis drei Jahrhunderten längstens, eine allgemeine Revolution bewirkt haben wird, wie die Welt noch keine gesehen hat, und daß ihrem Stifter auf ewig das hohe Verdienst bleiben wird, tiefer als alle bisherigen Gesetzgeber in die menschliche Natur geblickt, und das große Werk der sittlichen Verbesserung und Veredlung des Menschengeschlechts auf einen so festen Grund gesetzt zu haben, daß die Zeit, die alle andern Menschenwerke abwürdiget und zuletzt völlig aufreibt, dem seinigen nichts anhaben, sondern es vielmehr, trotz aller zufälligen Verdunklungen und Verunstaltungen, in immer reinerm Glanze darstellen, und der Vollkommenheit, zu welcher es die unzerstörbare Anlage in sich hat, immer näher bringen wird.«

Mein Erstaunen, ein so günstiges Urteil über das Institut der so allgemein verhaßten und verachteten Christianer aus dem Munde dieses Mannes zu hören, drückte sich wider meinen Willen zu sichtbar aus, als daß es seiner Wahrnehmung hätte entgehen können.

»Ich finde es ganz natürlich«, fuhr er nach einer kurzen Stille fort, »daß dir diese Weissagung, bei deiner wenigen Bekanntschaft mit den Christianern und ihrer innern Verfassung, unbegreiflich, oder vielmehr ganz unverständlich ist. Noch seltsamer wird es dir vermutlich vorkommen, wenn ich hinzu setze: daß unter diesen guten Leuten selbst vielleicht nicht Einer sein mag, der mich besser als du verstanden hätte. So weit ich sie kenne, haben sie selbst noch sehr unvollständige und wenig entwickelte Begriffe von dem wahren Geist und Zweck ihres Instituts. Alles ist bei den meisten bloß Gefühl, Glaube und Ahnung. Sogar die kleine Anzahl, die des Vorzugs genoß mit dem Stifter unmittelbar umzugehen, scheint zu dumpf und beschränkt gewesen zu sein, um ihn immer recht begriffen, oder den Umfang seines Plans deutlich eingesehen zu haben. Nach der Kenntnis, die ich mir in den letzten zwanzig Jahren von diesem der Welt noch ganz unbekannten Institut zu verschaffen gewußt habe, ist es nicht als ein aus mancherlei Hebeln, Rädern, Federn und Winden künstlich zusammen gesetztes Maschinenwerk zu betrachten, sondern als ein lebendiger, wohl organisierter Körper, der die Anlage alles dessen, was er werden soll, in sich selbst hat, aber es nur durch stufenweise Entwicklung und Ausbildung, mit Hülfe des in ihm wohnenden Geistes, werden kann. Es ist der befruchtete Keim, aus welchem sich nach und nach ein mächtiger Baum entfalten wird, der zwar zu seinem Wachstum und Gedeihen des Einflusses aller Elemente bedarf, und einer Menge widriger Zufälle und Beschädigungen ausgesetzt ist, die seine freie Ausbildung hemmen, seine Schönheit vermindern, und seiner Gesundheit nachteilig sind; der aber auch Lebenskraft genug in sich hat, sich selbst fortzuhelfen, äußern Anfällen zu widerstehen, und, wenn er zu Schaden gekommen, sich selbst zu heilen, zu ergänzen und wieder herzustellen. Setze noch hinzu, daß er unter dem Schutz eines mächtigen Genius steht, der seine Erhaltung beschlossen hat, weil die Vögel des Himmels und die Tiere des Feldes in seinen Zweigen und unter seinem Schatten wohnen sollen.«

Ich. »Wenn deine Absicht ist, meine Neugier nach dem Worte dieses wunderbaren Rätsels bis zur Ungeduld zu spannen, Apollonius, so hast du sie vollkommen erreicht: aber gewiß würdest du mir nicht so viel gesagt haben, wenn du nicht gesonnen wärest, Alles zu sagen, was ich wissen muß um dich zu verstehen.«

Apollonius. »Ich trage kein Bedenken, dein Verlangen, so viel in meinem Vermögen ist, zu befriedigen: nur wirst du dir gefallen lassen, daß ich eine Bedingung hinzu füge, ohne welche ich mir diese Gefälligkeit gegen dich nicht erlauben dürfte.«

Ich. »Ich unterwerfe mich jeder Bedingung, die du von mir verlangen kannst.«

Apollonius. »So versprich mir bei dem Wort eines rechtschaffnen Mannes, alles, was ich dir von den Christianern und über ihr Institut sagen werde, als ein Geheimnis anzusehen, das keinem profanen Ohr anvertraut werden darf.«

Ich versprach es ihm mit Mund und Hand.

Apollonius. »Hast du Freunde in der engern Bedeutung des Wortes?«

Ich. »Einen einzigen.«

Apollonius. »Diesem, aber diesem allein, magst du, unter gleicher Bedingung, mitteilen, was du jetzt hören wirst. Überhaupt wünsche ich, daß du sonst keinen Gebrauch davon machest; es wäre denn, wenn du Gelegenheit fändest, verfolgten Christianern durch Äußerung deiner guten Meinung von ihnen nützlich zu werden. Noch ein möglicher Fall, worin ich dich von der auferlegten Bedingung los zähle, wäre der, wenn du etwa selbst ein Christianer würdest.«

Ich. »So weit, denke ich, soll es nicht kommen.«

Apollonius. »Verrede nichts, Hegesias! Du könntest in der Folge finden, daß es schwerer ist als du jetzt glaubst, wie Sokrates oder Epiktet zu denken und zu leben, und kein Christianer zu werden.«

Ich. »Ich schwöre nicht gerne zu jemands Fahne, wenn ich es vermeiden kann. Schon lange denke und lebe ich als ein guter Weltbürger, wiewohl ich nicht in deinem Kosmopoliten-Orden erzogen wurde. Sollt es sich finden, daß ich ein Christianer bin ohne es zu wissen, auch gut! Der Charakter eines Weltbürgers überhebt mich doch immer der Anhänglichkeit an irgend eine besondere Partei oder Sekte, und erlaubt mir gerecht und wohlwollend gegen alle zu sein.«

Apollonius. »Für dich und mich ists daran genug; bei den Christianern, falls sie (wie ich glaube) über lang oder kurz die herrschende Partei werden sollten, möchtest du damit nicht auslangen. Jetzt nur noch Eins bevor wir zum Werke schreiten, lieber Hegesias. Ich zweifle nicht, daß du nach deiner Zurückkunft alles, was du hier gesehen und gehört hast, zu Papier bringen wirst. Ich bin es wohl zufrieden; nur bitte ich dich, auch hierüber eine Bedingung gegen mich einzugehen, zu welcher ich meine Ursachen habe. Wenn du den Gebrauch davon gemacht hast, den ich deiner Willkür überlasse, so verschließe dein Buch unter drei Siegeln, und belege den Verwegenen mit einem furchtbaren Fluch, der sich unterfangen wollte, diese Siegel vor dem Jahre 1200, nach Römischer347, nach der Christlichen. Zeitrechnung, zu erbrechen.«

Ich gelobte es ihm an, ohne daß ich mir herausnahm, nach der Ursache dieser sonderbaren Bedingung zu fragen: und da nun alle Präliminarien in Richtigkeit gebracht waren, entledigte sich Apollonius seiner Zusage folgendermaßen.


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