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»Freundchen«

Das auffallendste Recht, das die Zugehörigkeit zur Oberstufe verlieh, war, daß wir sitzen bleiben durften, wenn ein Lehrer eine Frage an uns richtete. Es war ein Recht, das unser Selbstbewußtsein erhöhte, aber nicht dadurch sind diese letzten drei Schuljahre mir besonders im Gedächtnis geblieben.

Es muß damals wohl so gewesen sein, daß zum Unterricht auf der Oberstufe nur diejenigen Lehrer gewählt wurden, die man für die besten hielt und die es meistens auch waren. Und es mag dazu gekommen sein, daß der Wille zur Reifeprüfung die davon Beseelten damals auf eine besondere Weise auszeichnete und sie mit einer innerlichen Verpflichtung erfüllte, die den Forderungen der Erzieher bereitwilliger entgegenkam, als es heute vielleicht der Fall ist.

Gewiß, auch dabei gab es Ausnahmen auf beiden Seiten, und der musikalische Professor mit dem Zylinder, der uns in die alt- und mittel-hoch-deutsche Dichtung einführen sollte, war auch hier nicht mehr als ein Clown, der immer über den Teppich fällt, den er in der Manege ausbreiten soll. Aber im ganzen waren diese drei Jahre doch mit dem schönen Hunger nach geistiger Speise erfüllt und mit dem tröstenden Gefühl, nicht Steine, sondern Brot zu empfangen. Ich habe schon erwähnt, daß nach dem Tode des »Löwen« ein neuer König in Ägyptenland eingezogen war, und dieses Mannes gedenke ich mit einer besonderen Dankbarkeit. Vermutlich war der englische Unterricht, den er uns auf den beiden Primen erteilte, nicht ein Muster an Wissenschaft oder Pädagogik. Aber musterhaft war die Liebe, mit der er seine Schüler umfing, die reine Würde, die seine Erscheinung, seine Haltung, seine Reden erfüllte, und vor allem die Tapferkeit, mit der er als ein aufrechter Mann in seinem Zeitalter stand.

Viel mehr, als ich mir zugeben mochte, bedurfte ich damals eines Vorbildes wahrer und männlicher Haltung. An »Idealen« war bei unsrer Erziehung kein Mangel, gleichviel, ob sie aus dem griechischen Altertum oder aus der preußischen Geschichte stammten. Aber an einer anschaulichen Bestätigung dieser Ideale, an einer greifbaren Verkörperung blasser Theorien hatten wir keinen Überfluß. Wir hatten keinen Religionslehrer, der, von seinem Katheder fort, Christi Jünger hätte werden können; keinen Historiker, der die Soldaten- und Staatsmannstugenden hätte verwirklichen können, die er mit soviel Begeisterung pries; niemanden, hinter dem »in wesenlosem Scheine« alles Gemeine zurückblieb, gegen das Schiller sich empört hatte: sie alle waren als Theoretiker des Edlen vorhanden. Aber in der Wirklichkeit hatten wir Religionslehrer, die unlustig zur Stunde kamen, Historiker, die vor dem Schulrat zitterten, Germanisten, bei denen das Allzumenschliche nicht nur ein wesenloser Schein war. Unverkennbar war die Kluft zwischen Lehre und Leben, und die Augen einer Klasse – die schärfsten Augen, die es auf dieser Erde gibt – erkannten sehr bald, was sie doch niemals hatten erkennen dürfen, und verdunkelten sich immer mehr, wo sie doch immer heller hätten leuchten müssen, je weiter man sie in das Reich des Geistes führte.

Aber meiner drei letzten Schuljahre habe ich doch mit Dankbarkeit zu gedenken, und mein Direktor lehrte mich das Kostbarste, was er lehren konnte: die Furchtlosigkeit vor Menschen und Menschenmeinung. Alles hätte geheilt werden können und ist ja auch geheilt worden, was durch Unverstand und Ungeschick bei uns erzeugt wurde: Unkenntnis und frühe Prahlerei, Skepsis und Verranntheit. Aber nicht zu heilen würde gewesen sein, wenn ich in dumpfer und blinder Angst vor Menschen und Menschenmeinung hätte aufwachsen müssen. Das wahrhaft Heldische, das über der Stirn auch unsrer Jugend gestrahlt hat, die Fähigkeit zur Hingabe an das Unbedingte, der schöne Anfang einer immer neuen Welt: alles wäre erstickt worden unter der Last von Dogmen, wenn diese drei letzten Jahre mich anders geführt hätten, als es geschehen ist, und wenn ich in jener entscheidenden Zeit nicht Männer gefunden hätte, die ich nicht nur achten, nicht nur verehren, sondern auch lieben durfte.

Auch ist mir in der Erinnerung so, als wären mit dem »einjährigen Zeugnis« alle diejenigen aus unsrer Gemeinschaft verschwunden, die sie mit ihrem Charakterbild verdunkelten, Frühwissende und ihr Wissen nicht Verschweigende, und eine reinere Luft scheint mir um die Bänke zu wehen, auf denen wir während der letzten drei Jahre gesessen haben. Ich neide dem Primus seinen Platz nicht mehr, ich höre auf, mit zweifelhaften Gefährten die zweifelhaften Kneipen unserer Straße zu besuchen. Das Lockende und Verderbende einer großen Stadt weicht vor dem Glanz zurück, der aus Büchern, Schicksalen und Völkern vor uns aufgerichtet wird. Zum erstenmal seit frühen Kindertagen beginnen große Beispiele wieder mein Leben zu lenken, ein reinerer Ehrgeiz entzündet sich wieder in der Seele, Freundschaften werden geschlossen, so glühend wie zu Schillers Zeiten, und zu den Füßen der Lehrer sitze ich wieder so gläubig und hingegeben wie ehemals zu den Füßen meiner Mutter oder Tante Veronikas.

Auch in diesen Jahren hat es an Schmerzen nicht gefehlt. Die Mathematik gräbt mir eine Wolfsgrube nach der andern. Vertane Jahre rächen sich, nicht immer reicht der Nebenmann im Leben aus, und es gibt trigonometrische Katastrophen an der Tafel, von denen ich noch heute träume. Die erste mangelhafte Zensur, die infolgedessen mein Zeugnis entstellt, verstärkt durch einen Tadel wegen »versuchter Täuschung«, bewegt mich zu einem der langen »Bekenntnisbriefe«, die an entscheidenden Stellen meines Lebens stehen und aussprechen, was ich niemals mit den Lippen sagen würde. Und dieser nun teilt meinen Eltern meinen Entschluß mit, die Schule zu verlassen und Förster zu werden.

Ein trauriger Tag in meinem Elternhaus! Jahre der Sorge, der Armut, der bitteren Not umsonst gelebt, da nun der Älteste Soldat ist und der Jüngste nicht mehr werden will, als was sein Vater ist. Trost und Zuspruch von meiner Mutter, von meinem Vater aber in ganz einfacher Pädagogik das Angebot, mir eher einen Strick zum Aufhängen zu schenken als die erbetene Erlaubnis zu erteilen. Und da die Mathematik immer noch leichter zu tragen scheint als der Strick, endet auch dieser letzte Versuch, mein Leben noch einmal zu seiner Herkunft zurückzuführen.

Auch ist das Dasein nicht hoffnungslos. Noch gibt es für jeden Schmerz einen Trost, und gerade in diesen Abschnitt meiner Mutlosigkeit hat die freundliche Natur meine »elegante Periode« eingeschoben, als einen Versuch, mir Entgangenes durch die Öffnung eines neuen Tores zu ersetzen, so wie sie mein erstes brennendes Heimweh durch die Lebemannsperiode zu stillen versuchte. Und wenn ich auch bald erkannte, daß das Schicksal mich nur freundlich getäuscht hatte, wie man ein weinendes Kind mit dem Ticken einer Taschenuhr täuscht, so hatte die Täuschung mir doch über den größten Schmerz hinweggeholfen.

Damals, in den ersten Jahren unsres Jahrhunderts, war zu den äußersten Grenzen Ostelbiens noch keine Kunde von dem gedrungen, was an den Grenzen Berlins als eine Revolution der Jugend sich zu gestalten begann. Wir besaßen weder eine Laute, noch einen Kochkessel, noch eine Wanderkluft, und wenn wir auf der Oberstufe unsren zwei- oder dreitägigen Sommerausflug machten, so fand an jedem Abend unter dem sachverständigen Vorsitz des Ordinarius ein Kommers statt, Studentenlieder wurden gesungen, und wir glaubten, in der Welt bereits zu Hause zu sein, die wir leidenschaftlich ersehnten und die uns endlich bringen sollte, was wir wie im Fieber erwarteten: die Freiheit.

Ich bin überzeugt, daß, wenn einer von uns gewagt hätte, ohne Kopfbedeckung und in kurzen Hosen seine Prima zu betreten, die Klasse ihn gezwungen haben würde, als ein Aussätziger sofort die Stunde zu verlassen, und daß alle Lehrer dieser Verurteilung zuchtloser Haltung zugestimmt haben würden. Und da das Natürliche auf diese Weise uns gänzlich fremd blieb, so war es vielleicht nur eine Reaktion unsrer nach Unbedingtem strebenden Jugend, daß wir, wenn schon keine Muster der Natur, so doch Muster der Eleganz sein wollten.

Wir kamen also jeder mit einer Melone auf dem Kopf in die Schule, von der die bessere Ausführung, wenn ich mich richtig erinnere, fünf Mark, die geringere drei Mark und achtzig Pfennige kostete. Sie sahen sehr schön aus, und sie hielten auch lange, wenn nicht Böswillige einen gewaltsamen Einbruch in ihre künstliche Rundung unternahmen. Es war wohl kein Zufall, daß diese starre und unveränderliche Form einer Kopfbedeckung uns als die natürliche erschien und daß weiche Hüte uns bereits etwas »Laszives« in Charakter oder Lebensführung anzudeuten schienen. Auch paßte es durchaus dazu, daß wir Kragen von sechs bis acht Zentimeter Höhe zu tragen pflegten, steif geplättet, und daß ein Primaner mit der größten Kragenhöhe sich eines ähnlichen Ansehens erfreute, wie andre Zeiten es der Riesenwelle oder der Kenntnis Platons zuerteilen.

Unser gesellschaftliches Ideal aber – und allerdings auch nur dieses – war eben der Referendar und der Reserveleutnant, und die weisen Verse »Dein höchstes Ziel, mein Sohn, auf Erden, sei dies: Geheimer Rat zu werden!« drückten aus, was nicht nur die zu Erziehenden, sondern auch die Erzieher und die Erziehung erfüllten. Es war also nur selbstverständlich, daß wir diesen starren »Oberbau« unsrer körperlichen Existenz in ein Paar sehr enge und sehr glänzende Lackschuhe stellten, daß wir ein silbernes Armband um das Handgelenk trugen und in der linken Manschette ein seidenes und sehr buntes Taschentuch. Niemals in meinem Leben habe ich so viel Sorgfalt auf meine Krawatten verwendet wie damals, und wenn ich mein Bild im Spiegel betrachtete, was nicht gerade selten geschah, so versicherte es mich, daß ich eben unwiderstehlich war.

So ausgerüstet begann also die zweite Eroberung dieser stumpfen Welt, und daß sie nicht viel erfolgreicher endete als die erste, lag eben daran, daß in dieser Welt das Unwiderstehliche leider ein relativer Begriff zu sein scheint und daß der weibliche Teil der Menschheit nicht immer so von dem Strahlenden unsrer Existenz überzeugt war, wie die Gerechtigkeit es hätte gebieten müssen. Auch fehlte es uns zum Glück nicht an gütigen Erziehern, die die Fähigkeit hatten, mit einem fröhlichen Blick aus halbgeschlossenen Augen vieles von dem Glanz zu entweihen, den wir so schön und so feierlich zur Schau trugen, und die mit bewußter Bosheit lange bei dem Bilde des jungen Hebbel etwa verweilten, wie er von München nach Hamburg wandert, einen Stock in der Faust und den kleinen geliebten Hund an der Seite. Unsicherheit aber ist der Todeskeim aller Extreme, und es blieb uns nichts andres übrig, als entweder in finstrem Stolze zu verharren oder unsren Purpurmantel langsam von den Schultern gleiten zu lassen und gleichsam im Bettlerkleid wie der verlorene Sohn zu den stillen Quellen des Geistes zurückzukehren.

Ihres reinsten und geliebtesten Wächters aber, des Lehrers, der uns die beiden letzten Jahre im Deutschen unterrichtete und den wir »Freundchen« nannten, weil er uns so zu nennen liebte, muß ich hier mit der Dankbarkeit gedenken, die ich den ganz wenigen entscheidenden Führern meiner so unruhigen und so wirren Jugend bewahre. Ich habe keinen Zweifel daran, daß mein ganzes Leben anders verlaufen sein würde; daß das Verhältnis zwischen »Körper« und »Geist« sich bei mir anders entwickelt haben würde; daß das Streben nach Echtheit und schmucklosem Sein niemals in dieser Stärke mein Leben regiert haben würde: wenn nicht während dieser beiden Jahre die fast ausschließliche Leitung meines inneren Lebens in seinen klugen, starken und gütigen Händen gelegen hätte.

Er war ein gleichsam unwiderstehlicher Mensch. Nicht etwa, daß er schwärmte oder glänzte oder fortriß. Viel eher war etwas Nüchternes in seiner Erscheinung und Führung, etwas gänzlich Phrasenloses. Und es ist kein Zufall, daß von allen greifbaren Beeinflussungen meines Wesens durch ihn mir zwei am deutlichsten in der Erinnerung geblieben sind.

Die erste fand statt, als ich noch kaum seinen Namen kannte, etwa zu meiner Untertertianerzeit. Damals hatten wir eine Art von »Sport« ausgebildet, der uns die Pausen zwischen den Stunden erheiterte und der darin bestand, daß wir uns auf der Treppe aufstellten und jeden der herabgehenden Septimaner oder Sextaner mit einem Stoß auf eine etwas schnellere als die natürliche Weise die Treppe hinunterbeförderten. In dieser Tätigkeit begriffen, wurde ich meines Tyrannenmantels plötzlich auf eine jähe Weise entkleidet, indem ich von hinten eine unvermutete und sehr präzise gezielte Backpfeife erhielt, hinter der Freundchen lächelnd die Treppe hinunterstieg, wobei er mich von einer der unteren Stufen noch einmal aufmerksam betrachtete. Und man wird, gleichviel von welchem Standpunkt, verstehen, wenn in dieser wortlosen Handlung für mich eine erziehende Kraft gelegen hat, die mich für viele Jahre, ja vielleicht für immer von dem Ehrgeiz geheilt hat, in den Lauf der Natur gewalttätig eingreifen zu wollen und das bekannte Wort Nietzsches: »Was fällt, das soll man auch noch stoßen« nun dahin zu erweitern, daß man auch das stoßen solle, was noch gar nicht fallen will.

Die zweite unvergeßliche Einwirkung fand nach Jahren statt, als ich schon Oberprimaner war. Ich war damals, in meiner weltschmerzlichen Periode, von der noch die Rede sein wird, bei den Skeptikern der Philosophie und des Lebens zu Hause, bemühte mich – mit wenig Erfolg – Ideale, Pathos und dergleichen zu verachten, hielt Schiller für einen bengalisch leuchtenden Komödianten und befand mich somit auf der harmlosen Stufe jenes jugendlichen Nihilismus, die wir alle bestiegen und überschritten haben, aus denen etwas Ordentliches geworden ist.

Nun hatten wir damals einen Aufsatz mit einem Thema nach freier Wahl zu schreiben, etwas Unerhörtes in damaliger Zeit, und ich hatte mich in geradezu vernichtender Weise über die »Braut von Messina« ausgelassen, die wir eben gelesen hatten, und wobei mir Hebbels hartes Urteil über dieses Werk gerade zur rechten Zeit unter die Hände gekommen war. Und wenn schon die Rückgabe eines Aufsatzes im allgemeinen bei diesem Lehrer für uns alle etwas Besonderes war, durch die Art und Weise, wie er sie vornahm, so saß ich in diesem Falle mit besonders gemischten Gefühlen auf meinem Platz, halb wie ein Held, der seinen ersten Lorbeerkranz erwartet, und halb wie ein Fanatiker, der einen Dianatempel in Brand gesteckt hatte.

Freundchen kam herein wie sonst, nur etwas ernster als üblich, die Hefte unter dem linken Arm, und wie sonst setzte er sich auf die vorderste leere Bank, bequem und nachlässig, als einer, der auf keine besondere Haltung zu achten nötig hat. Und dann gingen hinter seinem goldgeränderten Kneifer seine Augen langsam einmal von Gesicht zu Gesicht, mit dem durchdringenden Blick, den wir so liebten und fürchteten. Und in der atemlosen Stille, die dieser Blick erzeugte, begann er, wie abwesend vor sich hinsprechend, das zu sagen, was mir noch heute fast wörtlich in der Erinnerung ist:

»In dem schmalen, engen Schlafzimmer seines Hauses zu Weimar liegt Friedrich Schiller auf seinem dürftigen Lager. Eben ist ein Anfall seiner furchtbaren Atemnot vorübergegangen, noch steht der Schweiß auf seiner blassen Stirn, und seine Hände tasten unruhig über die zerwühlte Bettdecke. Da wird ihm ein Heft im blauen Umschlag gebracht. Er schlägt es auf, und seine Augen lesen den folgenden Satz: ›So bleibt von der ganzen Braut von Messina nichts übrig als eine blutige, schauerliche Historie, mit Gewaltsamkeit und Roheit gestaltet, auf den Effekt hin gearbeitet, von einer Wirkung, der die Rohen verfallen, von der aber die Edlen sich schaudernd abwenden.‹ Er läßt das Heft sinken und schließt die Augen, und um seine Lippen werden zwei dünne scharfe Linien des Grames sichtbar, als hätte dieses Urteil sie in das edle Gesicht eingegraben …«

Nichts weiter. Der Lehrer schweigt. Wir schweigen. Nur mein Herz schlägt, und ganz heimlich wenden ein paar Augen aus der Klasse sich mir zu. Nicht lange dauert das, dann zieht Freundchen seinen schmalen Zettel heraus und beginnt, das Allgemeine über die Arbeiten zu sagen. Aber in diesen wenigen Sekunden ist mehr in mir vorgegangen als sonst in Monaten und Jahren: die tiefe und segensvolle Beschämung eines Menschen, der vergessen hatte, was noch den Geringsten unter uns adeln und bewahren kann: die Pietät.

Der Aufsatz war mit »gut« zensiert, und als Freundchen ihn mir zurückgab, nickte er mir zu. Es ist weiter nicht darüber gesprochen worden. Alles Nötige war gesagt worden, und er wußte, daß jedes Wort zuviel alles zerstört haben würde.

Dieser Lehrer war auch der einzige, den wir mitunter in seinem Hause besuchten und zu dem wir Nöte und Schmerzen tragen durften, über die man zu unsrer Zeit nicht zu sprechen pflegte, am wenigsten aber zu einem unsrer Erzieher.

Seine Petroleumlampe aus blankem Messing mit dem grünen Schirm beschien ein Heim der Ordnung, der Arbeit, der Kunst und des Friedens, und bei ihrem sanften Licht haben viele von uns die beste Hilfe erfahren, die das Leben ihnen jemals beschert hat. Ihr Licht ist auf meine ersten Bekenntnisse und auf meine ersten Manuskriptblätter gefallen, und immer in meinem Leben, wenn Trostsuchende und Verzweifelte bei mir gesessen haben und es sind nicht wenige gewesen –, hat dieses Licht vor meinen Augen gestanden, eine sanfte und eindringliche Mahnung, und kann es wohl eine schönere Unsterblichkeit für einen Erzieher geben als eine solche?

Er ist bald nach meiner Reifeprüfung gestorben, zu Pferde, an einem Herzschlag, ein schöner und stolzer Tod für ein so adliges und reiches Leben. Ein paar Jahre später haben wir ein Denkmal über seinem Grabe errichtet. Darauf steht: »Professor Ernst Grohnert von seinen dankbaren Schülern«. Der Sandstein wird verwittern unter dem strengen Himmel meiner Heimat. Aber sein Name wird nicht untergehen im Gedächtnis derer, die zu seinen Füßen gesessen haben, weil er im Stillen und Bescheidenen erreicht hat, was so viele unter uns im Lauten und Anspruchsvollen niemals erreichen werden: ein Stück Ewigkeit.


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