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Wieder war es Sommer geworden; wieder lag Sonnenschein und Sommerpracht auf den Waldbergen und Thälern und über der Berkowschen Kolonie, wo sich das Leben so rührig und rüstig regte, wie nur je vorher, aber freier, freudiger war es geworden. Es wehte jetzt wie ein Atem von Freiheit und Glück durch diese Werke, die an Großartigkeit nichts eingebüßt hatten, wo sie doch alles gewannen, was ihnen einst fehlte. Freilich war das nicht in Wochen und Monaten geschehen; es hatte Jahre dazu gebraucht, und sie waren nicht leicht gewesen, diese Jahre, die der Katastrophe folgten. Damals, als die Arbeit auf den Werken wieder aufgenommen wurde, lag noch eine schwere Last auf den Schultern des jungen Chefs, der zwar Frieden gemacht hatte mit seinen Leuten, aber auch beinahe am Ruine stand. Jene Zeit der Gefahr, wo es sich darum handelte, mit persönlichem Mute und persönlicher Aufopferung der Empörung einer rebellischen Menge gegenüberzutreten, war vorüber; aber nun kam das andre, Schwerere, die Zeit der Sorge, der steten, mühseligen Arbeit, des oft verzweiflungsvollen Ringens mit der Macht der Verhältnisse, die Arthur fast zu Boden drückten. Doch er hatte in dem ersten Kampfe seine Kräfte kennen und erproben gelernt; er wußte sie in dem zweiten zu gebrauchen. Länger als ein Jahr war es zweifelhaft gewesen, ob die Werke überhaupt ihrer Bestimmung und ihrem Besitzer erhalten blieben, und auch nachdem diese erste, gefährlichste Zeit überstanden war, gab es noch immer genug der Gefahren und Verluste, denen man die Stirn bieten mußte. Schon während der letzten Lebenszeit des alten Berkow hatten gewagte Spekulationen, maßlose Verschwendung und vor allem das gewissenlose, nur auf den augenblicklichen Gewinn berechnete System der Unternehmungen, dessen verhängnisvolle Folgen doch schließlich auf den Unternehmer zurückfielen, die Stellung und das Vermögen desselben schwer erschüttert. Der Stillstand der Werke, die fast einen Monat lang feierten, das Unglück in den Schachten, zu deren Herstellung die bedeutendsten Mittel nötig waren, drohten das schon halb Verlorene vollends zu vernichten. Mehr als einmal schien es unmöglich, die Werke zu behaupten; mehr als einmal schienen die Wunden, welche die Vergangenheit und vor allem der letzte Streit ihnen geschlagen, unheilbar zu sein; aber der so spät erwachte Charakter Arthurs stählte und entwickelte sich vollends in dieser Schule ununterbrochener angestrengter Thätigkeit.

Es wankte alles und drohte zusammenzustürzen, als der junge Chef vor Jahren an die schwere Aufgabe gegangen war, aus einem wahren Chaos von Geschäften, Verpflichtungen und Anforderungen, die er vor allen Dingen zu bewältigen hatte, eine neue Ordnung der Dinge zu gestalten; aber er hatte vertrauen auf sich selbst gelernt; er hatte sein Weib zur Seite, und es galt, für Eugenie und für sich selber die Zukunft und das Lebensglück zu erringen. Das war es, was ihm Mut gab, wo vielleicht jeder andre mutlos und verzweifelt zurückgewichen wäre; das war es, was ihn aufrecht erhielt, wenn die Aufgabe doch bisweilen über seine Kräfte ging; das war es, was ihm endlich den Sieg zuwandte. Jetzt waren die letzten Nachwehen jener Katastrophe überwunden und das alte Glück zurückgezwungen zu all den Unternehmungen, die sich an den Namen Berkow knüpften; aber dieser Name hatte abgestreift, was ihm einst Schlimmes anhaftete; er stand jetzt rein und ehrenvoll da vor aller Welt. Die Werke mit ihrer riesigen Ausdehnung und ihrem großartigen Betriebe waren fester und sicherer gegründet, als je zuvor, und mit ihnen war es auch der Reichtum des Besitzers. Dieser Reichtum, der dem jungen verwöhnten Erben einst so verderblich zu werden drohte und zum Teil schon geworden war, weil das Glück ihn mühelos zu seinen Füßen niedergelegt hatte, auf den er ebendeshalb mit so verächtlicher Gleichgültigkeit herabblickte, jetzt, wo er ihn in jahrelangem Kampfe zurückerobern mußte, wo er in seiner Hand zum Segen für so viele wurde, jetzt war er ihm auch wert geworden.

Es war gegen Mittag, als der Direktor und der Oberingenieur, von den Werken kommend, nach ihren Wohnungen gingen. Die beiden waren wohl älter geworden im Laufe der Jahre, verändert hatten sie sich nicht. Der eine hatte seine Gutmütigkeit und der andre seine Spottlust behalten, die gerade jetzt wieder aus seiner Stimme klang, als er das vorhin angefangene Gespräch fortsetzte:

»Der Herr Baron von Windeg haben sich schon wieder durch den ältesten Sohn anmelden lassen. Es scheint, man prahlt jetzt einigermaßen mit einer Verwandtschaft, zu der man anfangs nur mit Widerwillen herabzusteigen geruhte. Seit unsrem Betriebe und unsern Einrichtungen von seiten der Regierung eine so außerordentlich schmeichelhafte Aufmerksamkeit zu teil wird und man sich sogar höchsten Ortes dafür interessiert, sind die Werke ›hoffähig‹ geworden in den Augen des alten Aristokraten. Sein Schwiegersohn freilich war es schon längst, und ich dächte, der könnte sich auch jetzt mindestens in eine Reihe stellen mit den Windegs. Die ganze Rabenauer Majoratsherrlichkeit reicht nicht zur Hälfte an die Berkowschen Besitzungen und den Einfluß ihres Chefs. Der Baron sieht nachgerade ein, daß er mit seinen Gütern sich in der Menge der andern verliert, während wir eine Macht geworden sind, der niemand die Anerkennung mehr versagt.«

»Es wird bei uns aber auch mehr geleistet als anderswo,« sagte der Direktor. »Sie studieren jetzt überall herum an unsern Einrichtungen und Verbesserungen; nachgemacht hat es uns freilich noch keiner.«

»Jawohl, und wenn das so fortgeht, werden wir wohl bald bei der ›philanthropischen Musteranstalt‹ angelangt sein, gegen die der selige Herr Berkow einst so entrüstet war. Nun, Gott sei Dank!« – der Oberingenieur hob mit großem Selbstgefühl den Kopf – »wir können's ja jetzt! Uns kommt es ja jetzt gar nicht mehr darauf an, Summen, die andre ängstlich in die Tasche stecken müssen, auf unsre Leute zu wenden, und die Summen sind nicht klein. Und doch ist es noch nicht allzulange her, wo wir nicht um Vermögen oder Einfluß, sondern allein um die Existenz der Werke kämpften, und nicht einmal die gerettet hätten, wären uns nicht gerade in der entscheidenden Zeit ein paar Glücksfälle zu Hilfe gekommen.«

»Und hätten sich unsre Leute nicht so ausgezeichnet benommen,« setzte der Direktor ernst hinzu. »Es war keine Kleinigkeit für sie, ruhig zu bleiben, während die Wühlereien und Hetzereien in der ganzen Umgegend nicht aufhören wollten. Das Unglück in den Schachten hat Geldopfer genug gekostet, gerade damals, wo uns noch jedes Tausend schwer wurde, aber ich glaube, der Herr hat es nicht zu teuer bezahlt mit dem, was er dabei an seinen Leuten gewann. Die Stunden der Angst und Gefahr, die er da unten mit ihnen geteilt hat, um ihre Kameraden zu retten, die vergißt ihm noch heute keiner und wird ihm auch keiner vergessen; so etwas kittet zusammen für die ganze Lebenszeit. Seit dem Tage haben sie ihm getraut, als er ihnen sein Wort gab, alles wieder gut zu machen, wenn man ihm nur Zeit ließe, sich erst selbst Luft zu schaffen; sie haben redlich gewartet, und da ist es am Ende kein Wunder, wenn er jetzt mehr thut, als er verheißen hat.«

»Meinetwegen!« sagte der andre trocken. »Er kann sich jetzt immerhin einigen Luxus darin erlauben. Übrigens ist es tröstlich zu sehen, daß man unter Umständen auch mit der Philanthropie glänzende Geschäfte macht, wie unsre Jahresabschlüsse beweisen. Sie sind weitaus bedeutender als unter der früheren Leitung, der man eine besondere Menschenliebe nun gerade nicht zum Vorwurf machen konnte, und doch wurde da herausgepreßt, was nur aus den Werken herauszupressen war.«

»Sie sind ein unverbesserlicher Spötter!« zürnte der Direktor. »Sie wissen doch am besten, daß sich Herr Berkow nicht von solchen Rücksichten leiten läßt.«

»Nein, dazu ist er doch noch zu sehr Idealist!« meinte der Oberingenieur, den Vorwurf sehr gleichmütig hinnehmend. »Glücklicherweise ist er es nicht mehr, als sich mit der Praxis verträgt, und er hat eine zu bittere Schule durchgemacht, um nicht zu wissen, daß die Praxis doch am Ende Grundlage und Hauptbedingung all solcher Bestrebungen bleiben muß. Ich meinesteils bin gar nicht für den Idealismus, das wissen Sie ja.«

Der andre lächelte ein wenig boshaft. »Ja, das wissen wir alle, aber sollte es sich nicht einigermaßen ändern, wenn ein so durchaus idealistisches Element wie unser Herr Wilberg in Ihre Familie eintritt? Das steht ja wohl nächstens bevor, Herr Kollege?«

Der Direktor schien mit dieser Hindeutung dem Herrn Kollegen einen kleinen Hieb versetzt zu haben, denn jener verzog das Gesicht und fuhr ärgerlich auf.

»Reden Sie mir nicht auch noch davon! Ich höre schon zu Hause genug. Das muß mir geschehen, mir, der ich nichts so sehr verabscheue als Sentimentalität und Überspanntheit! Gerade mir hat das Schicksal einen Schwiegersohn aufgehoben, der Gedichte macht und Guitarre spielt! Der Mensch ist nicht wegzubringen mit seiner Bewerbung und seinem Geseufze, und Melanie will keine Vernunft annehmen. Aber ich habe noch nicht ›ja‹ gesagt, und es ist noch sehr die Frage, ob ich es thue.«

»Nun, dafür wollen wir Fräulein Melanie sorgen lassen!« lachte der Direktor. »Sie hat in manchen Dingen den Kopf ihres Vaters und versteht ihren Willen durchzusetzen. Ich kann Ihnen versichern, daß Wilberg bereits mit sehr siegesgewisser Miene umhergeht und alle etwaigen Glückwünsche mit einem vielsagenden ›Noch nicht!‹ ablehnt. Die beiden jungen Leute werden ihrer Sache wohl bereits sicher sein. Adieu, lieber Kollege! Sie melden mir doch zuerst das frohe Familienereignis?«

Diesmal war der Spott auf seiten des Herrn Direktors, und schien zu wirken, denn der Oberingenieur stieg mit sehr verstimmter Miene die Treppe zu seiner Wohnung hinauf, wo seine Tochter ihm bereits entgegenkam. Fräulein Melanie war heute von außerordentlicher Zärtlichkeit gegen den Vater; sie begrüßte ihn, nahm ihm Hut und Handschuhe ab, schmeichelte ein wenig und hielt es nach diesen Vorbereitungen an der Zeit, mit einer Bitte hervorzukommen.

»Papa, es ist jemand da, der dich zu sprechen wünscht, sogleich und dringend zu sprechen. Er ist drinnen bei der Mama. Darf ich ihn herführen?«

»Ich bin nicht zu sprechen!« grollte der Gefragte, der bereits ahnte, was ihm bevorstand, die junge Dame aber nahm nicht die geringste Notiz von der Weigerung. Sie verschwand im Nebenzimmer, um in der nächsten Minute den »Jemand« hereinzuschieben, nachdem sie ihm noch schnell einige ermutigende Worte ins Ohr geflüstert.

Letztere schienen auch notwendig zu sein, denn Herr Wilberg, der sich das blonde Haar sorgfältig gescheitelt, im Frack und überhaupt in der ganzen Erscheinung eines Freiers präsentierte, stand da, als sei er unversehens in eine Löwengrube geworfen. Er hatte sich jedenfalls für diese wichtige Stunde eine zierliche wohlgesetzte Rede ausgearbeitet, aber die grimmige Miene seines Vorgesetzten, der in durchaus nicht ermutigendem Tone fragte, was er denn eigentlich wolle, brachte ihn gänzlich aus dem Konzept.

»Meine Wünsche und Hoffnungen –« stotterte er. »Ermutigt durch die Neigung von Fräulein Melanie – das höchste Glück, sie die Meine nennen zu dürfen –«

»Dachte ich's doch! Nicht einmal einen vernünftigen Antrag kann der Mensch machen,« brummte der Oberingenieur, ohne daran zu denken, daß sein Empfang ganz danach war, jeden Bewerber aus der Fassung zu bringen; als aber der junge Mann in immer größere Verlegenheit geriet und sich in seiner Rede immer mehr verwickelte, schnitt er ihm kurz das Wort ab.

»Nun, schweigen Sie nur! Es ist mir gerade kein Geheimnis mehr, was Sie wünschen und hoffen. Sie wollen mich zum Schwiegervater?«

Wilberg sah aus, als ob diese letztere allerdings unvermeidliche Zugabe zu seiner künftigen Ehe ihm gerade kein besonderes Entzücken einflöße. »Ich bitte um Entschuldigung; ich wünschte zuvörderst Fräulein Melanie zur Frau,« bemerkte er schüchtern.

»So? Und mich nehmen Sie wohl sehr ungern mit in den Kauf?« fragte der gereizte Schwiegervater in spe. »Ich begreife übrigens gar nicht, wie Sie mir mit einem solchen Antrage zu kommen wagen. Haben Sie nicht die gnädige Frau geliebt? Haben Sie nicht Gedichte an sie gemacht, bogenlang? Warum schwärmen Sie da nicht platonisch weiter?« »Mein Gott, das war vor Jahren,« verteidigte sich der junge Beamte. »Melanie weiß das längst, und gerade das war es, was uns zuerst zusammenführte. Es gibt zwei Arten von Liebe, Herr Oberingenieur, eine Jugendschwärmerei, die ihre Ideale in unerreichbarer Höhe sucht, und eine andre, dauerndere Neigung, die auf Erden allein findet, was sie wahrhaft beglückt.«

»So, und für diese zweite Liebe, die irdische, hausbackene, ist Ihnen meine Tochter gut genug! Hol' Sie der Kuckuck!« rief der Oberingenieur wütend.

»Sie wollen mich nicht verstehen,« sagte Wilberg tief gekränkt, aber doch mit einigem Selbstbewußtsein; er wußte, welch einen mächtigen Rückhalt er im Nebenzimmer hatte. »Melanie versteht mich; sie hat mir bereits Hand und Herz gegeben –«

»Das ist ja allerliebst,« grollte der erbitterte Vater. »Wenn die Töchter so ohne weiteres Hand und Herz verschenken, dann möchte ich wissen, wozu die Väter überhaupt noch da sind. Wilberg,« – sein Gesicht und seine Stimme wurden hier etwas milder – »ich lasse Ihnen die Gerechtigkeit widerfahren, daß Sie in den letzten Jahren etwas vernünftiger geworden sind, etwas, aber noch lange nicht genug. Das Dichten können Sie zum Beispiel noch immer nicht lassen. Ich wette, Sie tragen da wieder etwas Lyrisches mit sich herum.«

Er schielte argwöhnisch nach der Fracktasche des jungen Mannes, der ein wenig errötete.

»Als Bräutigam wäre ich ja wohl dazu berechtigt?« bemerkte er, wie mit einer schüchternen Frage.

»Jawohl, und auch zu den Serenaden – das wird ein schöner Sommer werden!« murmelte der Oberingenieur verzweiflungsvoll. »Sehen Sie, Wilberg, wenn ich nicht müßte, daß Melanie meine Natur hat und Ihnen die romantischen Grillen austreiben wird, so würde ich ›nein‹ sagen, absolut nein! Aber ich glaube, Sie brauchen eine vernünftige Frau und vor allen Dingen einen vernünftigen Schwiegervater, der Ihnen von Zeit zu Zeit den Kopf zurechtsetzt, und da es durchaus einmal nicht anders geht, so sollen Sie beides haben.«

Ob der letzte ihm in Aussicht gestellte Gewinn Herrn Wilberg wirklich so beneidenswert dünkte, mochte dahingestellt bleiben, aber im Entzücken über den ersten vergaß er alles andre, und eilte den neuen Schwiegervater zu umarmen, der diese Förmlichkeit ziemlich kurz abmachte. »Nur keine Rührung!« sagte er sehr entschieden. »Ich kann das nicht leiden, und wir brauchen uns damit nicht aufzuhalten. Jetzt kommen Sie mit zu Melanie! Ihr habt die Geschichte ja doch längst hinter meinem Rücken abgekartet, aber das sage ich Ihnen, finde ich Sie einmal beim Versemachen und mein Kind mit rotgeweinten Augen, dann gnade Ihnen Gott!« – –

Während sich der Herr Oberingenieur auf diese Weise in ein unabwendbares Geschick ergab, standen drüben auf der Terrasse des Landhauses Arthur Berkow und Kurt von Windeg. Der letztere, der bereits von seiner Schwester Abschied genommen hatte, wartete auf das Vorführen seines Pferdes.

Die tiefe und mächtige Umwandlung, die Arthurs Inneres erfahren, gab sich zum Teil auch in seinem Aeußeren kund. Er war nicht der zarte, schlanke blasse junge Mann mehr, dessen beste Jugendkraft und Jugendfrische im Residenzleben zu Grunde zu gehen drohte, seine Erscheinung entsprach jetzt völlig dem Bilde, das man sich von dem Chef machte, der ein solches Unternehmen mit einer solchen Energie zu leiten mußte. Die Linien freilich, welche schon einst auf seiner Stirn standen und welche die Jahre der Sorge und Arbeit noch tiefer dort eingegraben hatten, waren nicht verwischt worden durch das jetzt sicher und dauernd gegründete Lebensglück. Solche Spuren weichen nicht wieder, wenn sie erst einmal da sind, aber sie kleideten diese Stirn und diese Züge nicht schlecht, wo alles erstarkt war zu fester ernster Männlichkeit. Kurt war der junge übermütige Offizier geblieben, dessen muntere Augen und frische Lippen von ihrer Heiterkeit und Lebenslust nichts eingebüßt hatten.

»Und ich sage dir, Arthur,« versicherte er eifrig, »du thust dem Papa unrecht, wenn du bei ihm noch irgend ein Vorurteil in Bezug auf dich voraussetzest. Ich wollte, du hättest es mit angehört, wie er neulich dem alten Fürsten Waldstein antwortete, als dieser meinte, die Bergherren hätten bei den jetzigen Arbeiterverhältnissen und Bewegungen gerade keine beneidenswerte Stellung. ›Auf meinen Schwiegersohn findet das keine Anwendung, Durchlaucht!‹ sagte Papa mit vollem Nachdruck. ›Er steht zu fest in seiner Stellung und hat eine zu unbedingte Autorität bei seinen Leuten, die mit förmlicher Begeisterung an ihm hängen – und mein Schwiegersohn ist überhaupt jedem Konflikt gewachsen!‹ Deshalb aber vergibt er es dir noch immer nicht, daß du ihm damals den Adel ausgeschlagen hast, und er kann es durchaus nicht verwinden, daß sein Enkel einfach bürgerlich Berkow heißt!«

Arthur lächelte ein wenig spöttisch. »Nun, ich denke, der Name soll ihm gerade keine Schande machen, wenn er einst damit ins Leben tritt, und hoffentlich erlebt es dein Vater noch, ihm einen Windeg an die Seite gesetzt zu sehen – wie steht es denn mit deiner Verlobung, Kurt?«

Der junge Offizier verzog das Gesicht. »Nun, die wird wohl nächstens erfolgen,« versetzte er etwas gedehnt, »wahrscheinlich, wenn wir wieder in Rabenau sind. Graf Bernings Güter grenzen ja an die unsrigen und Gräfin Alma ist im Frühlinge achtzehn Jahre alt geworden. Papa meint, es wäre für mich in meiner Eigenschaft als Stammhalter und künftiger Majoratsherr jetzt Zeit, ernstlich ans Heiraten zu denken. Er hat mir befohlen, mich noch in diesem Sommer der Gräfin zu erklären.«

»Befohlen!« lachte Arthur. »Du heiratest also auf Befehl!«

»Nun, was thatest du denn bei deiner Vermählung?« fragte Kurt etwas ärgerlich.

»Ja freilich, da hast du recht. Aber bei uns war das auch ein Ausnahmefall.«

»Bei uns gar nicht,« meinte Kurt gleichmütig. »Das ist gewöhnlich so in unsern Kreisen. Papa will mich durchaus bald und standesgemäß verheiratet wissen und er leidet keinen Widerspruch, ausgenommen etwa von dir. Du hast ihm so imponiert, daß er sich von dir schlechterdings alles gefallen läßt. Ich habe übrigens im Grunde gar nichts gegen die Heirat, nur wäre ich gern noch länger frei geblieben.«

Berkow schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Kurt, du thust in diesem Falle ganz gut daran, dich dem Plane des Vaters zu fügen. Alma Berning ist, so viel ich bei unsrem letzten Besuche in Rabenau bemerken konnte, ein liebenswürdiges Mädchen, und für dich ist es wirklich an der Zeit, den künftigen Majoratsherrn etwas mehr herauszukehren und dem jungen wilden Lieutenant den Abschied zu geben. Er hat etwas tolle Streiche gemacht, dieser Herr Lieutenant.«

Kurt warf schmollend den Kopf zurück. »Jawohl! Und sein Herr Schwager wurde ihm bei solchen Gelegenheiten immer von väterlicher Seite zum Muster aufgestellt und zwar mit so überschwenglichen Lobeserhebungen, daß meine ganze Vorliebe für dich dazu gehörte, das gepriesene Muster nicht gründlich zu verabscheuen. Daher stammt überhaupt der ganze Heiratsplan. Ich habe mich einmal bei einer solchen Gerichtsszene verleiten lassen zu sagen: ›Arthur hat es früher weit ärger getrieben; er ist erst als Ehemann so äußerst vortrefflich geworden‹ und da ist Papa schleunigst auf die Idee gekommen, auch einen solchen aus mir zu machen. Meinetwegen! Ich habe eigentlich nichts gegen Alma einzuwenden und im übrigen werde ich mir ein Beispiel an dir und Eugenie nehmen. Ihr seid mit völliger Gleichgültigkeit, ja mit einem förmlichen Haß gegeneinander in die Ehe gegangen und habt sie schließlich zu einem Roman gestaltet, der noch heute nicht zu Ende ist. Vielleicht glückt es auch bei uns so.«

Ein unverkennbarer Ausdruck von Spott zuckte um Arthurs Lippen. »Daran zweifle ich, lieber Kurt; du scheinst mir ganz und gar nicht zu einem Roman nach der Trauung geschaffen, und vor allen Dingen bedenke: es ist nicht jede Frau eine Eugenie.«

Der junge Baron lachte laut auf. »Dachte ich's doch, daß wieder so etwas herauskommen würde. Genau derselbe Ton, mit dem mir Eugenie heute morgen, als wir über ein ähnliches Thema sprachen, sagte: ›Du wirst Arthur doch nicht in eine Reihe mit andern Männern stellen wollen?‹ Ihr dehnt die Flitterwochen wirklich etwas lange aus.«

»Wir haben sie zu Anfang entbehren müssen, und das Versäumte pflegt man stets doppelt nachzuholen. – Du kannst also wirklich nicht bleiben?«

»Mein Urlaub reicht nur bis zum Abend. Ich kam ja auch hauptsächlich, um euch den Papa und die Brüder anzukündigen. Auf Wiedersehen, Arthur!«

Er schwang sich auf das inzwischen herbeigeführte Pferd, warf dem Schwager noch einen Gruß zu und sprengte davon. Arthur war im Begriff, in das Haus zurückzukehren, als ein alter Bergmann auf der Terrasse erschien und vor seinem Chef den Hut zog.

»Ah, Schichtmeister Hartmann!« sagte Berkow freundlich. »Wollten Sie zu mir?«

Der Schichtmeister näherte sich ehrfurchtsvoll, aber doch zutraulich. »Mit Verlaub, ja, Herr Berkow. Ich war gerade drüben beim Bestellen, und sah, wie Sie dem jungen Baron das Geleite gaben. Da möchte ich mich denn gleich bedanken dafür, daß Sie den Lorenz zum Steiger gemacht haben. Das hat große Freude gegeben in unsrem Hause.«

»Der Lorenz hat sich in den letzten Jahren so tüchtig bewiesen, daß er den Posten verdient hat, und er kann ihn brauchen bei seiner immer mehr anwachsenden Familie.«

»Nun, er hatte genug für Frau und Kinder; dafür sorge ich schon,« meinte der Schichtmeister gutmütig. »Es war ein gescheiter Gedanke von der Martha, daß sie ihm die Bedingung stellte, zu mir ins Haus zu ziehen; so bin ich doch nicht so ganz, allein auf meine alten Tage und habe die Freude an ihren Kindern. Sonst habe ich ja auch nichts mehr auf der ganzen Welt.«

Das Gesicht des alten Mannes hatte sich bei den letzten Worten umdüstert, und die Augen wurden ihm feucht. Arthur sah mitleidig auf ihn nieder. »Können Sie denn das immer noch nicht verwinden, Hartmann?«

Der Schichtmeister schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht, Herr Berkow. Er ist mein Einziger gewesen, und wenn er mir auch oft mehr Kummer als Freude gemacht hat, wenn er mir zuletzt mit seinem unbändigen Wesen ganz und gar über den Kopf gewachsen war – vergessen kann ich den Ulrich nicht. Lieber Gott, warum mußte ich alter Mann auch gerettet werden mit all den übrigen, um das zu erleben! Mit dem einen ist mir ja doch alles zu Grabe gegangen.«

»So sollten Sie nicht sprechen, Hartmann,« sagte Arthur sanft verweisend. »Sie haben ja noch eine wackere Stütze an der Martha und ihrem Manne.«

Der Alte seufzte. »Ja, die Martha! Die kann's auch nicht verwinden wie ich, obwohl sie Mann und Kinder hat und einen guten Mann obendrein. Ich sehe noch manchmal, wie ihr ums Herz ist. Es ist ein eigenes Ding mit manchen Menschen, Herr Berkow; sie können einem Kummer und Elend machen, können einem wehe thun bis ins innerste Herz hinein, und man liebt sie doch mehr als die Bravsten und Besten, die uns nie eine trübe Stunde gemacht haben; man kann nicht los von ihnen und ihrem Andenken. So einer ist mein Ulrich gewesen. Was er bei seinen Kameraden war, ehe der unglückliche Streit ausbrach, das ist ihnen vorher und nachher keiner wieder gewesen, und wenn's ihnen auch nicht zum Segen geriet, daß er sie führte, vergessen haben sie ihn heute noch nicht.«

Der alte Mann wischte sich die bitteren Thränen aus den Augen, als er die mit schweigender Teilnahme dargebotene Hand Berkows ergriff, und ging dann still von dannen. Eugenie, die schon während der letzten Minuten in der Thür erschienen war, ohne die Unterredung stören zu wollen, trat jetzt zu ihrem Manne.

»Kann sich Hartmann immer noch nicht zufrieden geben?« fragte sie leise. »Ich glaubte nie, daß er so tief und leidenschaftlich an dem Sohne gehangen hätte.«

Arthur blickte dem sich Entfernenden nach. »Ich begreife das,« sagte er ernst, »wie ich die blinde Anhänglichkeit seiner Kameraden begriffen habe. Es lag etwas mächtig Zwingendes in der Natur, in der ganzen Persönlichkeit dieses Mannes. Habe ich das doch erfahren, der mit ihm kämpfen mußte auf Leben und Tod, wieviel mehr die, für die er kämpfte. Was hätte dieser Ulrich sich und den Seinigen werden können, wenn er seine Aufgabe anders erfaßt und verstanden hätte, als nur in Haß und Zerstörung gegen alles Bestehende!«

Die junge Frau sah wie mit einem halben Vorwurfe zu ihrem Gatten empor. »Uns hat er doch gezeigt, daß er mehr konnte, als bloß hassen. Er ist dein Feind gewesen, und als es sich um die Rettung eines von euch beiden handelte, da riß er dich aus der Gefahr und stürzte sich in den Tod.«

Arthurs Züge überflog ein Schatten; er galt wohl der Erinnerung an jene Zeit. »Ich habe unter allen am wenigsten das Recht, ihn anzuklagen, und habe es nie gethan, seit seine Hand mich dem Verderben entriß. Aber glaube mir, Eugenie, eine volle Versöhnung wäre nie möglich gewesen mit einem solchen Elemente. Es hätte ewig die Zukunft meiner Werke gefährdet, den Frieden mit meinen Leuten gestört, ewig mir die Herrschaft streitig gemacht, und es war zu weit gekommen zwischen uns, um ihn ganz straflos ausgehen zu lassen. Wo ich nicht angeklagt und gerichtet hätte, da hätten es andre gethan – das ist ihm und uns erspart worden!«

Eugenie lehnte den Kopf an die Schulter ihres Gatten. Es war noch immer das schöne blonde Haupt mit den dunklen Augen, aber es erschien rosiger und frischer als früher. Die einstige Blässe und Marmorkälte waren jenem Ausdrucke gewichen, den nur das Glück zu geben vermag.

»Es war eine schlimme Zeit, Arthur, die jener Katastrophe folgte,« sagte sie mit einem leisen Beben der Stimme. »Du hast dich schwer durchkämpfen müssen, so schwer, daß oft auch mein Mut zu sinken drohte, wenn ich deine Stirn immer finsterer umwölkt, dein Auge immer trüber sah, und ich konnte doch nichts thun, als dir zur Seite bleiben.«

Er beugte sich mit vollster Zärtlichkeit zu ihr nieder. »Und thatest du damit nicht genug? In jenem Kampfe habe ich die Wirkung der beiden Worte erprobt, die ja allein Mut und Freudigkeit zum Schaffen geben, und die ich mir so oft wiederholte, wenn die Wogen über mich zusammenzuschlagen drohten – sie haben mir endlich zum Siege verholfen: Mein Weib und mein Kind!« –

Die Sonne stand hoch am klaren Sommerhimmel und warf ihre Strahlen aus das Landhaus mit seinen Gärten und Blumenterrassen, auf die Werke drüben, wo sich all das tausendfältige Leben und Regen so mächtig und vielgestaltig entfaltete, daß es wahrlich nichts Kleines erschien, der Gebieter einer solchen Welt zu heißen, und auf die Berge, die ringsum aufragten, mit ihren Waldkronen auf den Häuptern und mit dem dunklen geheimnisvollen Leben, das sich tief in ihrem Schoße barg. Dieses düstere Reich, das die Felsenarme auf ewig verschließen wollten vor jedem irdischen Blicke, es hatte sich doch dem Menschengeiste öffnen müssen, der sich Bahn gebrochen durch Klüfte und Abgründe, um der Erde die Schätze zu entreißen, die sie da unten gefangen hielt in ewiger Nacht, und die jetzt emporstiegen zum Lichte des Tages, gelöst durch das uralte Zauberwort der Berge:

Glück auf!


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