Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ulrich bemerkte die Bewegung nur zu gut. Er blieb auf der Schwelle stehen, aber seine Stimme klang in unverkennbarem Hohne.

»Ich habe Sie wohl erschreckt mit meinem Kommen? Es war nicht meine Schuld, daß ich mich nicht anmelden lassen konnte. Sie sind schlecht bedient, gnädige Frau. Weder auf der Treppe noch auf den Gängen fand ich einen von Ihren Lakaien. Ich hätte sie zwar sehr wahrscheinlich zur Seite geworfen, wenn sie mir den Eingang gewehrt hätten; aber der Lärm dabei wäre doch immer eine Art von Anmeldung gewesen.« Eugenie wußte, daß er ungehindert hatte eintreten können; die beiden Diener befanden sich auf Arthurs ausdrücklichen Befehl im Vorzimmer ihrer eigenen Wohnung. Jetzt, wo alle Gemüter in Aufregung, alle Bande der Ordnung gelöst waren, konnte man ja nicht wissen, ob die Zügellosigkeit einzelner sich nicht bis zu den Angriffen oder wenigstens bis zum Eindringen ins Haus verstieg. Unruhe und Sorge hatte die junge Frau hinübergetrieben in die Zimmer ihres Mannes, die auf dem andern Flügel lagen und von dessen Fenstern sie ihn kommen sah; hier freilich war der Eingang unbewacht und sie ganz allein in diesen Räumen.

»Was wollen Sie hier, Hartmann?« fragte sie, ihren Mut zusammenraffend. »Ich glaubte nicht, daß Sie nach allem, was vorgefallen ist, es noch versuchen würden, unser Haus zu betreten und bis in die Zimmer Ihres Chefs zu dringen. Sie wissen doch, daß er Sie nicht mehr empfangen kann.«

»Ebendeshalb suchte ich ihn, um ein paar Worte mit ihm zu sprechen! Ich dachte ihn allein zu finden. Sie suchte ich nicht, gnädige Frau!«

Er war bei den letzten Worten näher getreten. Eugenie wich unwillkürlich in die Tiefe des Zimmers zurück; er lachte bitter auf.

»Was doch ein paar Stunden nicht alles ändern können! Heut morgen forderten Sie meinen Schutz und stützten sich auf meinen Arm, als ich Sie mitten durch den Lärm führte; jetzt flüchten Sie vor mir, als ob Sie in meiner Nähe Ihres Lebens nicht sicher wären. Herr Berkow hat die Zeit wohl gut benutzt, um mich Ihnen als einen Räuber und Mörder hinzustellen, nicht wahr?«

Die feinen Augenbrauen der jungen Frau zogen sich zusammen, als sie, ihre Furcht bemeisternd, kurz und herb entgegnete: »Verlassen Sie mich! Mein Gemahl ist nicht hier. Sie sehen es ja, und auch wenn er jetzt käme, würde ich Sie schwerlich mit ihm allein lassen.«

»Warum nicht?« fragte Ulrich langsam, aber mit einem finsteren Aufblick. »Warum nicht?« wiederholte er heftiger, als sie schwieg.

Eugeniens furchtloser Charakter hatte sie schon oft zu Unvorsichtigkeiten verleitet, und auch jetzt dachte sie nicht an die möglichen Folgen ihrer Worte, als sie, seinen Blick fest erwidernd, sich zu der gefährlichen Antwort hinreißen ließ: »Weil Ihre Nähe schon einmal einem Berkow verderblich geworden ist!«

Hartmann zuckte erbleichend zusammen. Einen Augenblick schien es, als wolle er auffahren in seiner ganzen alten Wildheit, aber es kam nicht dazu. Die starre Ruhe blieb auf seinen Zügen und seine Stimme behielt den dumpfen, verschleierten Ton, den sie während der ganzen Unterredung gehabt hatte.

»Das also war's!« sagte er halblaut. »Freilich, ich hätte denken können, daß das zuletzt auch bis zu Ihnen den Weg gefunden hat!«

Die junge Frau sah mit Befremden diese Ruhe, die sie hier nicht erwartet hatte und die ihr trotzdem unheimlich war; aber gerade das reizte sie zu einem noch größeren Wagnis. Der heutige Morgen hatte ihr gezeigt, wie unbeschränkt ihre Macht war, und sie wollte schon um Arthurs willen Gewißheit darüber, wer ihm im Kampfe gegenüber stand. Sie ahnte, daß die Wahrheit, wenn auch sonst aller Welt, doch ihr nicht verweigert werden würde.

»Sie wissen also, was ich meine?« begann sie von neuem. »Sie verstehen meine Hindeutung? Hartmann, können Sie die Gerüchte Lügen strafen, die sich an jene unglückselige Stunde knüpfen?«

Er schlug die Arme übereinander und sah finster zu Boden. »Und wenn ich's nun thäte, würden Sie mir glauben?«

Eugenie schwieg.

»Würden Sie mir glauben?« fragte er noch einmal, aber mit einem Tone, als hinge an der Antwort für ihn Tod und Leben.

Sie ließ den Blick über sein Antlitz gleiten, das dieselbe qualvolle Spannung verriet wie seine Stimme; es war noch immer leichenblaß, dieses Antlitz, aber es war ihr jetzt wieder voll und ganz zugewandt.

»Ich halte Sie eines Verbrechens fähig, wenn Ihre Leidenschaftlichkeit gereizt wird – einer Lüge nicht!«

Die mächtige Brust Ulrichs hob sich unter einem tiefen Atemzuge und er trat, wie um ihr jede Furcht zu benehmen, noch einen Schritt zurück. »So fragen Sie, gnädige Frau! Ich werde Ihnen antworten.«

Die junge Frau zitterte leise, als sie sich auf die Lehne des Diwans stützte; sie fühlte die Gefahr einer solchen Unterredung mit einem solchen Manne, aber sie that dennoch die verhängnisvolle Frage.

»Man behauptete meinem Gatten gegenüber, es sei mehr als bloßer Zufall gewesen, daß die Seile rissen an jenem Unglückstage. Was war es, Hartman«?«

»Es war Zufall oder noch etwas Besseres, wenn Sie wollen – Gerechtigkeit war's! Unser Chef hatte eine Aenderung an dem Hebewerke anbringen lassen, wie alles, was er that, nur für die Notwendigkeit, nicht für die Sicherheit. Was that es denn auch, wenn ein paar hundert Bergleute, die damit ein und aus fahren mußten, Tag für Tag dabei in Gefahr kamen? Es wurde ja das Doppelte und Dreifache gefördert, die unsinnigsten Lasten wurden damit gehoben und die Lasten thaten denn auch endlich ihre Schuldigkeit, nur traf es diesmal keinen von der Knappschaft, sondern den Herrn selber. Eine Menschenhand war es nicht, gnädige Frau, die die Seile gerade in dem Augenblicke reißen ließ, wo sie ihn tragen mußten, und die meinige war's am wenigsten. Ich sah die Gefahr kommen; wir waren gerade bei der vorletzten Bühne. Ich wagte den Sprung hinauf, und ihn –«

»Ihn stürzten Sie hinab?« fiel Eugenie atemlos ein, als er innehielt.

»Nein! Ich ließ ihn nur stürzen. Ich hätte ihn retten können, wenn ich gewollt hätte. Eine halbe Minute war noch Zeit dazu. Freilich galt es mein eigenes Leben; er konnte mich mit hinunterreißen, wenn ich ihm zu Hilfe kam, aber für jeden der Kameraden, für jeden der Beamten hätte ich das gewagt – für den Mann konnte ich's nicht. Es schoß mir in dem Augenblick heiß durch den Kopf, was er uns alles angethan hatte, und daß ihm nur geschah, was er uns täglich zugemutet, um Geld zu sparen, und daß ich dem Himmel nicht ins Handwerk greifen dürfe, wenn er ausnahmsweise einmal gerecht sein wollte. Ich rührte die Hand nicht trotz seines Geschreies, und in der Minute darauf war es auch zu spät – die Förderschale stürzte und er mit ihr!«

Hartmann schwieg. Eugenie blickte mit einem Gemisch von Grauen und Mitleid auf ihn hin. Sie wußte nur zu gut, daß die Anklagen gerecht waren, die er gegen den Toten schleuderte, und wenn auch sie im Augenblick der Gefahr selbst dem gehaßten Berkow die Hand zur Rettung geboten hätte, der Mann ihr gegenüber hatte kein Verzeihen und kein Vergessen gelernt; er ließ den Feind ruhig vor seinen Augen verderben.

»Sie haben mir die volle Wahrheit gesagt, Hartmann? Auf Ihr Wort und Ihre Ehre?«

»Auf mein Wort und meine Ehre, gnädige Frau!«

Sein Auge begegnete finster aber fest dem ihrigen; die junge Frau hegte keinen Zweifel mehr, als sie vorwurfsvoll entgegnete: »Und warum lösten Sie den Irrtum nicht? Warum sprachen Sie nicht zu den andern, wie jetzt eben zu mir?«

Ein Ausdruck herber Verachtung überflog seine Züge. »Weil es mir keiner geglaubt hätte! Nicht ein einziger, auch mein Vater nicht. Er hat ganz recht: ich bin maßlos wild und unbändig gewesen mein Leben lang, habe alles niedergeworfen, was mir im Wege stand, und mich nie darum gekümmert, was andre von mir sagten; das habe ich jetzt büßen müssen. Sie wußten alle, daß ich den Toten haßte, und nun das Unglück geschah, als ich dabei war, nun mußte ich es auch angerichtet haben. Da war gar kein Zweifel. Der eigene Vater hat es mir ins Gesicht gesagt, und als ich nicht ›ja‹ sagen konnte, als er mich fragte, ob ich ganz unschuldig wäre an jenem Tode – ich brauchte ja bloß den Arm auszustrecken, um ihn zu retten, und ich hatte es doch nicht gethan, – als ich nicht ›ja‹ sagen konnte, da wollte er mich gar nicht weiter anhören. Er hatte mir auch nicht geglaubt und wenn ich es ihm zugeschworen hätte. Dann habe ich es noch hie und da versucht bei den Kameraden, und wenn sie mir auch nicht widersprachen, so sah ich es doch an ihren Gesichtern, daß sie mich nun noch dazu für einen Lügner hielten. Betteln um ihren Glauben mochte ich nicht; so ließ ich es denn gehen, wie es wollte; ich hatte ohnedies genug von ihrer Freundschaft und Kameradschaft. Wäre man mir mit den Gerichten zu Leibe gegangen, dann freilich hätte ich gesprochen; aber es wäre noch die Frage gewesen, ob mir auch da einer geglaubt hätte.«

Eugenie schüttelte leise den Kopf. »Sie mußten sich den Glauben erzwingen, Hartmann, und Sie hätten es auch gekonnt, wenn Sie nur ernstlich gewollt hätten; aber Ihr Stolz und Trotz litten das nicht. Sie begegneten dem Argwohn mit Verachtung, und gerade das hat ihn bestärkt. Jetzt sind Sie verfemt auf den ganzen Werken, bei den Beamten, bei meinem Gatten –«

»Was frage ich nach Herrn Berkow!« fiel er rauh ein, »was nach all den übrigen! Ob sie mich verdammen oder nicht, mir gilt's gleich. Von Ihnen, gnädige Frau, habe ich es nicht ertragen können, daß Sie sich mit Furcht, mit Verachtung von mir wandten, von Ihnen allein nicht, und Sie glauben mir jetzt, ich sehe es an Ihren Augen – das übrige ist mir alles eins!«

»Ich glaube Ihnen!« sagte Eugenie ernst. »Und ich werde Sie meinem Gatten gegenüber wenigstens von dem schlimmsten Verdachte reinigen. Daß Sie nicht retteten, wo Sie retten konnten und mußten, darüber dürfen wir nicht mit Ihnen rechten. Das verantworten Sie vor Ihrem eigenen Gewissen! Aber Arthur soll nicht mehr glauben, daß der Mörder seines Vaters ihm gegenübersteht. Zur Versöhnung ist es freilich zu spät. Sie haben es zu weit getrieben. Ich weiß erst seit wenigen Stunden, was alles geschehen ist und was vielleicht noch geschehen wird, wenn sich morgen der Angriff gegen die Schachte erneuert. Hartmann« – die junge Frau beging die Unvorsichtigkeit, ganz nahe an ihn heranzutreten und bittend die Hand auf seinen Arm zu legen – »Hartmann, wir stehen an einem furchtbaren Wendepunkte. Sie haben meinen Gemahl gezwungen, sich und die Seinigen auf jede Gefahr hin zu schützen, und er ist entschlossen, es zu thun. Wenn morgen Blut fließt, fließen muß, bedenken Sie, auf wen es fällt!«

Ihre Nähe, die Hand, die auf seinem Arme lag, verfehlten ihre Wirkung nicht auf Ulrich; aber die Wirkung war diesmal keine heilbringende. Seine Stimme verlor mehr und mehr die dumpfe Ruhe, indem er antwortete:

»Auf mich, meinen Sie? Nehmen Sie sich in acht, gnädige Frau! Es könnte auch auf Sie fallen, wenn es zum Beispiel jemand träfe, den Sie lieben. Herr Berkow bleibt sicher nicht hier im Hause, wenn draußen gekämpft wird; das weiß ich, und ich weiß auch, wen ich mir zuerst suche, wenn der Kampf einmal los ist!«

Eugeniens Hand war schon längst zurückgezuckt, als sie selbst von ihm zurückwich. Sie hörte diesen Ton und sah zugleich einen Blick, der sie warnte; es war immer nur der gebändigte Tiger, der in der einen Minute noch ihrer Stimme gehorchte, um sich vielleicht in der nächsten schon mit seiner ganzen fürchterlichen Wildheit gegen sie zu erheben, und die Minute schien jetzt gekommen zu sein; der Blick drohte auch ihr.

»Hartmann, Sie sprechen mit der Gattin Ihres Chefs,« rief sie mit einem vergeblichen Versuche, ihn zur Besinnung zu bringen; »wenn Sie ihn hassen –«

»Den Chef?« unterbrach er sie mit wildem Hohne. »Dem gilt's hier nicht; mit dem habe ich nur zu thun an der Spitze meiner Kameraden. Arthur Berkow ist's, den ich hasse, weil Sie seine Frau sind, weil Sie ihn lieben, und ich, ich liebe Sie, Eugenie, mehr als sonst jemand auf der ganzen weiten Welt. Entsetzen Sie sich doch nicht so davor! Sie mußten es ja längst wissen; ich konnte ja nicht Herr darüber bleiben, sobald ich Ihnen nur nahe kam. Ich habe es niedertreten und niederzwingen wollen mit Gewalt – es ging nicht; es geht auch heute nicht, wenn ich auch erst heute wieder die alte Geschichte erlebt habe, daß nur gleich und gleich sich zusammenfindet, und daß für unsereins nur ein vornehmes Achselzucken übrigbleibt, wenn man sein Leben auch in die Schanze geschlagen hat. Aber wenn jetzt wieder ein Leben zu verlieren ist, dann bin ich es nicht, der sich so unsinnig opfert wie damals bei Ihrer Hochzeitsfahrt unter den Hufen Ihrer Pferde; dann gilt es ein andres als das meinige. Ich habe schon einmal einen Berkow gehaßt bis aufs Blut; ich glaubte damals, ich könnte keinen Menschen ärger hassen auf Erden. Jetzt freilich weiß ich das besser. Zum Mörder bin ich doch nicht an ihm geworden; aber einen gibt's, an dem ich das werden könnte, einen einzigen! Der Vater war es nicht; aber wenn ich einmal so an den Sohn gerate, dann heißt es: er oder ich, oder – wir beide!« Er war furchtbar, der Augenblick, wo die fast bis zum Wahnsinn gesteigerte Leidenschaft dieses Mannes ihre Schranken durchbrach, ein losgelassener verheerender Strom, den nichts mehr dämmen oder aufhalten konnte. Eugenie sah, daß hier jedes Wort, jeder Ruf zu spät kam, und begriff, daß ihre Macht zu Ende war. Sie konnte nicht fliehen; er hatte ihr den Weg zur Thür vertreten, aber sie eilte zum Klingelzuge und riß mit aller Gewalt daran. Die Diener befanden sich freilich drüben auf der andern Seite, aber es war doch immerhin möglich, daß die Glocke ihr Ohr erreichte.

Hartmann war ihr gefolgt. Er wollte ihre Hand wegreißen von der Klingelschnur, aber in dem gleichen Moment wurde er selbst zurückgerissen von einem Arme, dem die Empörung jetzt Kraft genug lieh, die riesenhafte Gestalt wie ein Kind zur Seite zu schleudern. Arthur war es, der zwischen ihnen stand, und mit einem Aufschrei der Freude, aber auch zugleich der Todesangst flüchtete Eugenie zu ihrem Gatten; sie wußte, was jetzt kam.

Ulrich hatte sich aufgerafft, ohne einen Laut von sich zu geben, aber mit einem von der Wut bis zur Unkenntlichkeit entstellten Antlitze. Was da in seinen Augen aufflammte, als er den Gegner erkannte, das verhieß unabwendbares Verderben; aber Arthur hatte bereits mit schneller Geistesgegenwart eine der Pistolen herabgerissen, die über seinem Schreibtische hingen, und den linken Arm um seine Frau legend, hielt er mit der Rechten dem Eindringlinge die tödliche Waffe entgegen.

»Zurück, Hartman«! Wagen Sie es nicht, sich noch einmal zu nahen! Noch einen Schritt gegen meine Gattin, einen einzigen, und Sie liegen am Boden!«

Der Bedrohte hielt inne: trotz der Wut, mit der er sich vorwärts stürzen wollte, sah er doch, daß die Mündung der Pistole fest und sicher auf ihn gerichtet war, und daß die Hand nicht bebte, die ihm diese Richtung gab; schon beim zweiten Schritte mußte die Kugel ihn treffen, und der Gegner blieb Sieger; er ballte die Faust, der die gleiche Waffe fehlte.

»Ich habe keine Pistolen,« sagte er knirschend, »hatte ich sie, dann ständen wir gleich auf gleich, Herr Chef, aber freilich, so standen wir ja nie. Sie haben sich besser vorgesehen als ich; ich habe nur meine Fäuste gegen Ihre Kugel zu setzen, und da freilich ist's kein Zweifel, wer den kürzeren zieht.«

Arthur ließ ihn nicht aus den Augen. »Sie haben dafür gesorgt, Hartmann, daß man jetzt die geladenen Waffen immer zur Hand hat. Mein Haus und mein Weib wenigstens werde ich vor Ihnen schützen, und wenn es auch eine Kugel kostet. Zurück, sage ich noch einmal!«

»Noch einen Schritt gegen meine Gattin, einen einzigen, und Sie liegen am Boden!« (S. 308.)

Es war wieder jenes sekundenlange, atemlose Anschauen der beiden, wie damals bei der ersten verhängnisvollen Begegnung, wo sie ihre Kräfte zu messen schienen, und wie damals blieb der junge Chef Sieger, wenn es auch jetzt so weit gekommen war, daß er einer andern Waffe bedurfte, als bloß seines Auges. Er stand noch immer unbeweglich da, den Finger am gespannten Hahne der Pistole und mit dem Blicke jeder Bewegung seines Gegners folgend, bis dieser zurückwich.

»Ich habe mein Leben nie viel geachtet,« entgegnete Ulrich trotzig, »ich dächte, das hättet ihr beide hinreichend erfahren, aber ich mag mich doch nicht auf eurer Schwelle niederschießen lassen; ich habe noch abzurechnen mit euch. Zittern Sie doch nicht so, gnädige Frau! Sie sind ja in seinen Armen, und er ist ja sicher; jetzt ist er's noch, aber wir sind noch nicht am Ende. Und wenn ihr auch beide dasteht, als könnte euch nichts mehr auseinanderreißen, als wäret ihr eins ans andre gekettet für alle Ewigkeit, es wird auch einmal die Stunde für mich kommen, und dann, dann sollt ihr an mich denken!«

Er ging. Der schwere Schritt tönte erst im Nebengemach, dann im Vorzimmer; zuletzt verhallte er draußen. Die junge Frau schmiegte sich fester in die Arme ihres Mannes; sie hatte es jetzt erprobt, wie sie zu schützen wußten.

»Du kamst zu rechter Zeit, Arthur,« sagte sie, noch bebend von den Schrecken jener Szene. »Ich hatte meine Zimmer verlassen, trotz deiner Warnung; es war eine Unvorsichtigkeit, ich weiß es; aber ich wollte dich hier erwarten, und im Hause wenigstens glaubte ich noch sicher zu sein.«

Arthur ließ die Waffe sinken und zog sie näher an sich. »Du warst es aber nicht, das haben wir soeben erfahren! Was wollte Hartmann hier in meinem Arbeitszimmer?«

»Ich weiß es nicht. Er suchte dich, jedenfalls in keiner guten Absicht.«

»Ich bin von dieser Seite her auf alles gefaßt,« entgegnete er ruhig, die Pistole auf den Schreibtisch legend. »Du siehst, ich hatte mich bereits für ähnliche Fälle vorgesehen, aber ich fürchte, das war nur ein Vorspiel zu morgen, wo erst das eigentliche Drama beginnt. Zitterst du davor, Eugenie? Die erbetene Hilfe kann erst gegen Abend hier sein; wir haben noch den ganzen Tag allein mit den Empörern auszuhalten.«

»An deiner Seite zittere ich vor nichts mehr! Nur, Arthur,« – ihre Stimme nahm den Ausdruck flehender Angst an – »nur gehe mir nicht wieder allein hinaus in das Toben wie heut mittag! Er ist dort, und er hat dir den Tod geschworen.«

Arthur richtete sanft das Haupt seiner jungen Gattin empor und sah ihr tief und fest ins Auge. »Leben und Tod steht doch wohl nicht in Hartmanns Hand allein; darüber hat doch noch ein andrer zu entscheiden. Sei ruhig, Eugenie! Ich werde meine Pflicht thun, aber ich thue sie anders, als all die Tage vorher; weiß ich doch jetzt, daß mein Weib sich um mich ängstigt; das vergißt sich nicht so leicht!«

Draußen auf der Terrasse stand Ulrich Hartmann. Die Dämmerung war tiefer hereingebrochen; man konnte nicht mehr unterscheiden, was seine Züge aussprachen, als er zu den Fenstern des Hauses hinaufblickte, das er soeben verlassen; aber die Stimme verriet es, mit der er halblaut, wie zum Schwur, die Drohung wiederholte, die er vorhin gegen Arthur Berkow geschleudert: »Er oder ich, oder, wenn's sein muß – wir beide!«

 

Der nächste Morgen! Das war ein Gedanke, der nicht bloß Arthur und seine Gattin allein, sondern alles, was überhaupt zum Berkowschen Hause stand, mit schwerer Sorge erfüllte. Nun war er gekommen, dieser so gefürchtete Morgen, und schien in der That all die Befürchtungen verwirklicht zu haben, die man ihm entgegentrug. Trotz der frühen Stunde befanden sich die sämtlichen Beamten bereits im Hause ihres Chefs. Ob sie zu einer Beratung versammelt waren, ob sie sich dorthin geflüchtet hatten – es sah fast aus, als sei das letztere der Fall, denn die Gesichter der Herren waren bleich, aufgeregt, verstört, und Reden und Gegenreden, Vorschläge, Sorgen und Befürchtungen schwirrten bunt durcheinander.

»Ich bleibe dabei, es war ein Fehler, die drei Leute in Verhaft zu nehmen!« behauptete Schäffer, zum Direktor gewendet. »Das hätte man allenfalls wagen können, wenn die militärische Hilfe schon da wäre, aber nun und nimmermehr auf eigene Hand. Jetzt stürmen sie uns das Haus, um die Gefangenen zu befreien; wir werden sie herausgeben müssen.«

»Erlauben Sie, das werden wir nicht!« rief der Oberingenieur, der sich wie gewöhnlich in vollster Opposition seinen beiden Kollegen gegenüber befand, »Wir werden den Sturm aushalten und uns nötigenfalls hier im Hause verteidigen; Herr Berkow ist durchaus entschlossen dazu.«

»Nun, Sie müssen freilich seine Beschlüsse am besten kennen. Sie sind ja sein ausschließlicher Berater!« meinte etwas gereizt der Direktor, der sich allerdings einer gleichen Vertraulichkeit mit dem jungen Chef nicht rühmen konnte, obgleich seine Stellung ihn vielleicht eher dazu berechtigte.

»Herr Berkow pflegt seine Beschlüsse gewöhnlich allein zu fassen,« entgegnete der Oberingenieur trocken. »Ich befinde mich nur, wie gewöhnlich, auch diesmal in dem Falle, ihm vollkommen beizustimmen. Es wäre wider Recht und Gewissen, es wäre eine erbärmliche Feigheit gewesen, die drei Uebelthäter laufen zu lassen. Sie hatten die eingestandene Absicht, uns die Maschinen zu zerstören.«

»Auf Hartmanns Befehl!« warf Schäffer ein.

»Gleichviel, sie gaben sich doch zur Ausführung her. Der Herr kam gerade recht, um das Bubenstück noch zu verhindern, und ich möchte den sehen, der da Ruhe genug gehabt hatte, die Anstifter straflos ausgehen zu lassen. Er ließ sie festnehmen, und daran that er recht. Hartmann war freilich nicht dabei; er befand sich noch bei den Schachten, wo der Lärm gerade im vollen Gange war und wo er doch schließlich die Einfahrt nicht hindern konnte, weil der eigene Vater sich ihm entgegenstellte.«

»Ja, es war ein Glück, daß der Schichtmeister uns zu Hilfe kam!« sagte der Direktor. »Er muß wohl eingesehen haben, daß ihm kein andres Mittel mehr übrigblieb, um das Aeußerste zu verhüten, als er sich heute morgen aus freien Stücken erbot, die Leute zur Schicht zu führen, obgleich es gar nicht sein Amt ist. Er wußte am Ende, daß sich der Sohn an ihn nicht wagen würde, und von den übrigen rührte keiner die Hand gegen die Kameraden, als sie den Führer zurückweichen sahen. Dem Alten allein danken wir es, daß die Einfahrt wirklich erzwungen wurde.«

»Ich sage es ja,« beharrte Schäffer, »die Einfahrt wurde erzwungen, mehr als die Hälfte der Knappschaft verhielt sich bereits neutral dabei, und hätte man sie nicht durch die Festnahme ihrer Kameraden gereizt, so wäre die ganze Sache in Ruhe und Frieden verlaufen.«

»In Ruhe und Frieden, solange Hartmann befiehlt?« lachte der Oberingenieur bitter auf; »da täuschen Sie sich ganz und gar. Er suchte einen Vorwand zum Angriffe, gleichviel welchen, und hätte ihn schlimmsten Falles auch ohne Vorwand unternommen. Der heutige Morgen hat ihm doch wohl gezeigt, daß es mit seiner Macht reißend schnell zu Ende geht, daß er vielleicht nur heute noch über seinen Anhang gebietet, und da wagt er das letzte. Der Mensch weiß jetzt, daß er verloren ist, und reißt rücksichtslos mit sich ins Unglück, was ihm noch aus Furcht oder Gewohnheit folgt. Er hat nichts mehr zu schonen, und uns schont er da am wenigsten.«

Sie wurden durch Herrn Wilberg unterbrochen, der mit bleicher Miene vom Fenster zurückkam, wo er während der letzten zehn Minuten Posten gefaßt hatte.

»Der Lärm wird immer ärger,« berichtete er zaghaft. »Es ist kein Zweifel mehr, daß sie einen Angriff gegen das Haus beabsichtigen, wenn Herr Berkow nicht nachgibt. Das Parkgitter ist schon nieder; die ganzen Anlagen sind zerstampft und zertreten. Ach, und der herrliche Rosenflor auf den Terrassen –«

»Bleiben Sie uns mit Ihrer Sentimentalität vom Leibe!« fuhr der Oberingenieur auf, während der Direktor und Schäffer zum Fenster eilten. »Jetzt, wo die Empörer uns das Haus stürmen, denken Sie an zertretene Rosenstücke. Wollen Sie sich nicht lieber gleich hinsetzen und den Rosenjammer in Verse bringen? Ich dächte, es wäre gerade die rechte Stimmung für einen Poeten.«

»Ich habe seit einiger Zeit das Unglück, daß alles, was ich sage und thue, den Unwillen des Herrn Oberingenieurs erregt,« entgegnete Herr Wilberg gekränkt, aber doch mit einer Miene geheimen Selbstbewußtseins, die den Grimm seines Vorgesetzten noch zu steigern schien.

»Weil Sie nichts Vernünftiges sagen und thun!« grollte er, ihm den Rücken wendend und seinen Kollegen folgend, die vom Fenster aus den immer mehr anwachsenden Tumult beobachteten.

»Das wird ernst!« sagte der Direktor unruhig, »sie bedrohen den Eingang. Man wird den Herrn benachrichtigen müssen.«

»Lassen Sie ihn doch wenigstens für den Augenblick in Ruhe!« fiel der Oberingenieur ein. »Ich dächte, er wäre seit Tagesanbruch so ununterbrochen auf dem Posten gewesen, daß wir ihm die fünf Minuten bei seiner Frau gönnen dürfen. Die notwendigen Maßregeln sind ja alle getroffen, und wenn die Gefahr da ist, wird er auch da sein; das wissen Sie doch.«

Der Beamte hatte recht. Arthur, seit den ersten Morgenstunden mit Befehlen, Anordnungen und persönlichem Eingreifen in ununterbrochener Thätigkeit begriffen, war bisher seiner Gattin kaum zu Gesicht gekommen und hatte sich jetzt erst mit ihr auf einige Minuten in eines der Nebengemächer zurückgezogen. Er mußte ihr dort wohl den ganzen Stand der Dinge mitgeteilt haben, denn die Arme der jungen Frau waren in angstvoller Erregung um seinen Hals geschlungen.

»Du darfst nicht hinaus, Arthur; es ist ein tollkühnes, ein verzweifeltes Wagnis! Was willst du, der einzelne, gegen die tobende Menge ausrichten? Gestern war sie unter sich selber im Streite, als du dazwischen tratest; heute wendet sich alles gegen dich allein. Du wirst die Kühnheit büßen müssen; ich lasse dich nicht hinaus!«

Arthur machte sich sanft, aber entschieden los aus ihren Armen. »Ich muß, Eugenie! Es ist die einzige Möglichkeit, den Sturm noch aufzuhalten, und es ist ja nicht das erste Mal, daß ich solchen Szenen standhalten muß. Was thatest du denn gestern bei deiner Ankunft?«

»Ich wollte zu dir!« sagte Eugenie in einem Tone, als sei damit jedes Wagnis gerechtfertigt. »Aber du willst dich von mir losreißen, um dich der blinden Wut dieses Hartmann entgegenzuwerfen. Denke an den Auftritt gestern abend, an seine Drohungen! Wenn du hinaus mußt, wenn es keine Wahl gibt, so laß mich wenigstens mit dir gehen. Ich bin nicht furchtsam; ich bebe vor der Gefahr nur, sobald ich dich allein darin weiß.«

Er beugte sich ernst aber liebevoll zu ihr nieder. »Ich weiß, daß du Mut hast, meine Eugenie, aber ich würde feig sein der Menge gegenüber, wüßte ich, daß ein Stein aus ihrer Mitte auch dich treffen könnte. Ich brauche heute meinen vollen Mut, und den habe ich nicht, wenn ich dich neben mir bedroht sehe, ohne dich schützen zu können. Ich weiß, warum du mich begleiten willst: du glaubst mich sicher vor einem Arme, solange du an meiner Seite stehst. Täusche dich nicht! Das ist vorbei seit gestern abend; seitdem hast du Anteil an dem Hasse, mit dem er mich verfolgt, und auch wenn das nicht wäre,« – hier verlor seine Stimme den zärtlich weichen Klang und die Stirne faltete sich – »ich will meine Sicherheit nicht einem Gefühl verdanken, das eine Beleidigung ist für dich wie für mich und das schon allein die Entfernung jenes Mannes forderte, auch wenn sein sonstiges Benehmen es nicht thäte.«

Die junge Frau mußte wohl die Wahrheit dieser Worte fühlen – sie senkte in stummer Ergebung das Haupt. Arthur fuhr auf:

»Da bricht das Toben von neuem los! Ich muß fort! Unser Wiedersehen wird sich heute nur auf Minuten beschränken, und auch die werden angstvoll genug sein für dich, mein armes Weib. Du hättest zu keiner schlimmeren Zeit zurückkehren können.«

»Möchtest du den Sturm lieber allein aushalten ohne mich?« fragte Eugenie leise.

Ein Ausdruck leidenschaftlicher Zärtlichkeit erhellte die umdüsterten Züge des jungen Mannes. »Ohne dich? Ich habe bisher ausgehalten wie der Soldat auf einem verlorenen Posten. Erst seit gestern weiß ich, daß auch der Kampf etwas wert sein kann, wenn man ein Lebensglück und eine Zukunft dabei zu gewinnen hat. Du hast mir beides zurückgebracht, und wenn es jetzt von allen Seiten noch ärger auf uns einstürmte, ich glaube wieder an den Sieg, seit ich dich wieder habe.« –

Die noch immer in größter Aufregung geführten Debatten der Beamten verstummten, als Berkow mit seiner Gemahlin eintrat, aber die Bewegung, welche sich dabei von allen Seiten kundgab, war mehr, als die bloße Rücksicht auf das Erscheinen des Chefs. All die ernsten, besorgten, ängstlichen Blicke hefteten sich auf sein Gesicht; als wollten sie Hoffnungen oder Befürchtungen daraus lesen. Alle drängten sich um ihn, wie um einen Mittelpunkt, an dem sie Halt und Stütze suchten; alles atmete auf bei seinem Eintritt, als sei damit allein schon ein Teil der Gefahr beseitigt. Diese Bewegung, unwillkürlich wie sie war, zeigte Eugenie doch hinreichend, welche Stellung ihr Gatte sich bei seiner Umgebung errungen hatte, und die Art, wie er in ihre Mitte trat, zeigte noch mehr, daß er sie zu behaupten wußte. Sein Antlitz, das die junge Frau noch vor wenig Augenblicken so schwer umdüstert gesehen hatte, verriet jetzt, wo es all den besorgten Gesichtern begegnete, nur einen ruhigen Ernst, nichts weiter, und seine Haltung war von einer Sicherheit, die auch dem Zaghaftesten Mut einflößen mußte.

»Nun, meine Herren, es sieht ziemlich feindselig und bedrohlich aus da draußen. Wir werden uns auf eine Art von Belagerung, vielleicht sogar auf einen Angriff gefaßt machen müssen. Meinen Sie nicht?«

»Man will die Gefangenen heraus haben,« sagte der Direktor, indem er einen Unterstützung fordernden Blick auf Schäffer warf, der jetzt gleichfalls herantrat.

»Jawohl, Herr Berkow, und ich fürchte, wir werden uns hier nicht behaupten können gegen den Aufruhr. Die Festnahme der drei Bergleute ist im Augenblick freilich der alleinige Grund und Vorwand dazu; wenn man ihnen den nähme –«

»So würden sie einen andern finden,« schnitt ihm Arthur das Wort ab, »und die verratene Schwäche würde sie vollends entfesseln. Wir dürfen jetzt weder Schwanken noch Furcht zeigen, oder wir verlieren das Spiel noch im letzten Augenblick. Ich sah die Folgen voraus, als ich die drei Unheilstifter festnehmen ließ, aber diesem Vorfall gegenüber blieb nur die vollste Strenge übrig. Die Gefangenen bleiben in Haft, bis das Militär eintrifft.« Der Direktor trat zurück, und Schäffer zuckte die Achseln; sie hatten ihren jungen Chef nun nachgerade genug kennen gelernt, um zu wissen, daß es diesem Tone gegenüber keinen Widerspruch gab.

»Ich vermisse Hartmann unter der Menge,« wandte sich Arthur an den Oberingenieur. »Er pflegt doch sonst überall der erste zu sein, wo es Lärm und Tumult gibt; heute scheint er die Schar nur zum Angriff gehetzt und sie dann allein gelassen zu haben. Er ist nirgends sichtbar.«

»Auch ich vermisse ihn schon seit einer Viertelstunde,« entgegnete der Gefragte bedenklich. »Wenn er nur nicht irgend ein neues Unheil anstiftet. Sie befahlen die Posten von den Maschinenhäusern zurückzuziehen, Herr Berkow.«

»Gewiß! Wir brauchen die wenigen Leute, über die wir verfügen können, notwendiger hier im Hause, und seit die Einfahrt erzwungen wurde, sind die Schachte wie die Maschinen vollkommen sicher. Sie können nichts dagegen unternehmen, ohne ihre eigenen Kameraden da unten zu gefährden.«

»Ob das bei einem solchen Führer in Betracht kommt?« meinte der Beamte zweifelnd.

Die Stirn Arthurs umwölkte sich. »Ich dächte doch! Hartmann ist ein Unbändiger, ein Wüterich sogar, wenn er gereizt wird, ein Schurke ist er nicht, und das, was Sie da andeuten, wäre Schurkerei. Er hat die Maschinen zerstören wollen, um die Anfahrt zu hindern, und als er sie nicht mehr hindern konnte, weshalb glauben Sie denn, daß er sich da so unsinnig nach den Häusern stürzte? Es geschah wohl nicht, um den Vater und die Kameraden dem Verderben preiszugeben. Er wollte seine früheren Befehle rückgängig machen, und erst als er sah, daß wir ihm bereits zuvorgekommen waren, brach er in der Wut über den gescheiterten Plan gegen uns los. Die Anfahrt allein hat uns die Maschinen gerettet. Es hebt keiner die Hand dagegen, solange der Schichtmeister und die übrigen in den Schachten sind, aber dafür richtet sich der Sturm jetzt gegen das Haus. Ich werde hinausgehen und einen Versuch machen, ihn zu beschwichtigen.«

Die Beamten waren es seit den letzten Wochen gewohnt, daß ihr Chef mit der vollsten Kühnheit und ohne alle Rücksicht auf seine Person vorging, wenn es sich um ähnliche Szenen handelte, heute aber wurden doch von allen Seiten Bitten und Abmahnungen laut; sogar der Oberingenieur schloß sich diesmal den Vorstellungen an, während Schäffer, der wohl wußte, von welcher Seite ein Widerspruch allein nutzen konnte, sich zu Eugenie wandte, die noch an der Seite ihres Gemahls stand.

»Lassen Sie es nicht zu, gnädige Frau! Heute nicht – heute ist es gefährlicher als all die Tage vorher. Die Leute sind furchtbar gereizt, und Hartmann spielt diesmal va banque gegen uns. Halten Sie den Herrn zurück!«

Die junge Frau wurde totenbleich bei dieser Mahnung, die ihre eigenen Befürchtungen nur zu sehr bestätigte, aber sie behauptete ihre Fassung; ein Teil der Ruhe Arthurs schien auch auf sie übergegangen zu sein.

»Mein Gatte hat mir erklärt, er müsse den Versuch machen,« entgegnete sie fest, »und er soll nicht sagen, daß ich ihn mit Thränen und Klagen von dem zurückgehalten habe, was er für seine Pflicht hält. Lassen Sie ihn hinaus!« Arthur hielt ihre Hand noch immer fest in der seinigen; er dankte ihr nur mit einem Blick.

»Nun, meine Herren, nehmen Sie sich ein Beispiel an dem Mute meiner Frau! Sie hat doch wohl am meisten zu zittern. Ich wiederhole es Ihnen, der Versuch muß gemacht werden! Lassen Sie die Eingangsthür öffnen.«

»Wir gehen alle mit!« rief der Oberingenieur. »Fürchten Sie nichts, gnädige Frau! Ich weiche dem Herrn nicht von der Seite.«

Arthur wies ihn ruhig, aber entschieden zurück. »Ich danke Ihnen, aber Sie bleiben hier und die übrigen Herren gleichfalls – ich gehe allein. In solchem Falle ist höchstens der einzelne der Menge gegenüber sicher. Ihr gesamtes Erscheinen könnte als eine Herausforderung gelten. Halten Sie sich nur bereit, mir, wenn es zum Aeußersten kommen sollte, den Rückzug ins Haus zu decken. Leb wohl, Eugenie!«

Er ging, von dem Oberingenieur und einem Teil der Beamten bis zur Treppe begleitet. Es machte keiner mehr den Versuch, ihn zurückzuhalten; sie wußten alle, daß in seinem Erscheinen draußen die einzige Möglichkeit lag, eine Gefahr abzuwenden, gegen die noch stundenlang sich hier im Hause zu behaupten schwer, wenn nicht unmöglich war.

Eugenie eilte ans Fenster. Sie sah nicht, daß die noch Anwesenden sich in ängstlicher Spannung an die übrigen Fenster drängten, hörte nicht die halblauten Bemerkungen, die der Direktor und Schäffer, die unmittelbar hinter ihr standen, miteinander austauschten; sie sah nur die wild empörte Menge, die, Kopf an Kopf gedrängt, das Haus umwogte und mit wütendem Geschrei die Freilassung der Gefangenen verlangte, diese Menge, der sich ihr Gatte jetzt allein entgegenwerfen wollte und die im nächsten Augenblick sein Leben bedrohte. Das freilich mehr zierliche als feste Eisengitter des Parks war dem Ansturm bereits gewichen; es lag zertrümmert am Boden; die kostbaren, so sorgfältig gepflegten Gartenanlagen bildeten, von Hunderten von Fußtritten zerstampft, nur noch ein wüstes Chaos von Erde, Blumenscherben und zertretenen Gesträuchen. Schon waren die ersten bis an die Terrasse und damit bis in die unmittelbare Nähe des Hauses vorgedrungen; schon zeigten sich die Fäuste einzelner mit Steinen bewehrt, bereit, sie gegen die Fenster zu schleudern. Geschrei, Drohungen, Rufe aller Art tönten wild durcheinander; das Toben stieg von Minute zu Minute und steigerte sich bisweilen zu einem sekundenlang andauernden Geheul, das nichts Menschliches mehr zu haben schien.


 << zurück weiter >>