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Er ging. Martha machte keinen Versuch, ihn zurückzuhalten, und es wäre wohl auch umsonst gewesen. Er schmetterte wütend die Thür hinter sich zu, so daß das ganze kleine Haus davon erbebte; in der nächsten Minute hatte er es bereits verlassen. Drüben im Berkowschen Landhause hatte die Ankunft der Gäste wohl einiges Leben, aber keine größere Zusammengehörigkeit in den so kalt getrennten Haushalt der beiden Gatten gebracht. Obgleich die Dauer dieses Besuches nur auf einige Tage festgesetzt war, fand Arthur doch Gelegenheit und Vorwände genug, sich dem öfteren Zusammensein möglichst zu entziehen, eine Aufmerksamkeit, für die ihm sein Schwiegervater sowohl als sein junger Schwager außerordentlich dankbar waren. Der Baron kehrte erst jetzt, nach einem mehrwöchentlichen Aufenthalte auf den Rabenauschen Gütern, nunmehr den seinigen, nach der Residenz zurück. Er hatte damals bei dem ersten Besuche seine Tochter schon am folgenden Morgen wieder verlassen müssen, trotz der furchtbaren Katastrophe, die sich gerade während seiner Anwesenheit ereignete, denn eine nähere Verwandtenpflicht rief ihn an den Sarg seines Vetters; aber selbst nachdem dieser Pflicht Genüge geleistet worden war, gab es in dem Nachlasse und auf den Gütern noch so vieles zu ordnen, was die Gegenwart des neuen Majoratsherrn forderte. Erst jetzt war dieser in Begleitung seines ältesten Sohnes, den er hatte nachkommen lassen, auf der Rückkehr begriffen; natürlich nahm man auch diesmal den kurzen Umweg über die Berkowschen Besitzungen, und dies um so mehr, als der junge Baron Kurt die Schwester noch nicht wiedergesehen hatte.

Es schien sich indessen um mehr als einen bloßen Besuch und ein bloßes Wiedersehen zu handeln bei der Unterredung, welche am Tage nach der Ankunft in dem Salon Eugeniens stattfand und bei der Arthur wie gewöhnlich fehlte. Die junge Frau saß auf dem Sofa und hörte ihrem Vater zu, der, vor ihr stehend, soeben eine längere Auseinandersetzung beendet hatte. Kurt lehnte seitwärts an einem Sessel und blickte mit dem Ausdruck gespannter Erwartung zu seiner Schwester hinüber. Eugenie hatte die Stirn in die Hand gestützt, so daß letztere ihr Gesicht beschattete; sie veränderte ihre Stellung nicht und sah auch nicht auf, als sie leise erwiderte: »Ich bedarf dieser Winke und Hindeutungen nicht, Papa, um zu erraten, was du meinst – du sprichst von einer Trennung!«

»Ja, mein Kind,« sagte der Baron ernst, »von einer Trennung, gleichviel unter welchem Vorwande und um welchen Preis. Erzwungenes pflegt nur der Zwang zu halten; das hätten die Berkows sich sagen müssen. Jetzt, wo ich wieder Herr meines Handelns bin, wo ich nicht länger ihr Schuldner zu sein brauche, jetzt werde ich alles daran setzen, dich den Fesseln wieder zu entreißen, die du einzig um meinetwillen auf dich nahmst und die dich, magst du es nun leugnen oder nicht, grenzenlos unglücklich machen.« Eugenie antwortete nicht; der Vater nahm ihre Hand und setzte sich an ihre Seite.

»Der Gedanke ist dir neu und überraschend? Mir stieg er schon damals auf, als ich die inhaltsschwere Nachricht empfing, die unsre Vermögensumstände so unerwartet änderte. Freilich damals war er kaum zu verwirklichen. Was hat dieser Berkow nicht alles aufgewendet, um die Verbindung mit uns zu erreichen! Die Möglichkeit war gar nicht denkbar, daß er eine Aufhebung zulassen würde, die ihm vollends die Kreise verschließen mußte, in die er sich durch uns Eingang erzwingen wollte, und mit einem Manne, der in seiner Gewissenlosigkeit zu allem fähig war, ließ sich der Kampf nicht aufnehmen. Sein Tod hat das alles mit einem Schlage geändert, und der Widerstand seines Sohnes wird zu brechen sein. Er hat ja von jeher bei der ganzen Angelegenheit nur eine passive Rolle gespielt, sich nur zum Werkzeuge seines Vaters hergegeben; ich hoffe, er weicht einem energischen Auftreten unsrerseits.«

»Er wird weichen!« bestätigte die junge Frau tonlos. »Sei ohne Sorge deshalb!«

»Desto besser!« erklärte Windeg. »Um so schneller gelangen wir ans Ziel!«

Er schien rasch genug auf das Ziel losgehen zu wollen, und so war es auch in der That. Dem armen tiefverschuldeten Baron, der seinen Ruin vor sich sah, war keine andre Wahl geblieben, als das Opfer Eugeniens anzunehmen und damit sich und seinen Söhnen Namen und Stellung zu retten; wie schwer es ihm auch geworden war, er beugte sich der Notwendigkeit, und die Notwendigkeit lehrte es ihn ertragen. Der Majoratsherr von Rabenau, der seine volle Selbständigkeit und sein volles Selbstbewußtsein wiedergewonnen hatte, der mit Leichtigkeit die empfangene Summe zurückerstatten konnte, empfand jenen Zwang als einen brennenden Schimpf und die Ehe seiner Tochter als ein schweres Unrecht, das er ihr angethan, und das er wieder gut machen mußte um jeden Preis. Während des ganzen Aufenthalts auf seinen neuen Gütern hatte er einzig diesem Gedanken nachgehangen, und der Plan lag jetzt fertig und zur Ausführung bereit.

»Es muß in deinen wie in unsern Wünschen liegen,« fuhr er fort, »daß diese peinliche Angelegenheit möglichst schnell eingeleitet und beendigt wird. Ich wollte dir vorschlagen, uns für jetzt unter irgend einem Vorwande nach der Residenz zu begleiten und von dort aus die nötigen Schritte zu thun. Du weigerst dich dann einfach, zu deinem Gatten zurückzukehren, und bestehst auf der Trennung. Wir werden dafür sorgen, daß er seine Ansprüche nicht gewaltsam geltend macht.«

»Ja, bei Gott, das werden wir, Eugenie!« fiel Kurt leidenschaftlich ein. »Wenn er sich jetzt noch weigern sollte, den schmachvollen Handel rückgängig zu machen, so werden ihn die Degen deiner Brüder dazu zwingen. Jetzt kann er uns ja nicht mehr mit der Schande, mit der öffentlichen Herabsetzung drohen, wie sein Vater es that. Es war das einzige, wovor die Windegs je gebebt haben, das einzige, womit man ihnen eine Tochter ihres Hauses abzwingen konnte.«

Die junge Frau machte eine abwehrende Bewegung gegen den Bruder hin. »Laß deine Drohungen, Kurt, und du, Papa, laß deine Sorgen fahren! Beides ist hier unnötig, das, was ihr erst erkämpfen und erzwingen zu müssen glaubt, ist zwischen Arthur und mir langst beschlossene Sache.«

Windeg fuhr auf und Kurt trat in stürmischer Ueberraschung einen Schritt näher. Eugenie rang sichtbar danach, ihrer Stimme Festigkeit zu geben, aber es wollte ihr nicht gelingen, die Stimme bebte hörbar, als sie fortfuhr:

»Schon vor dem Tode Berkows waren wir einig darin, aber wir wollten das Aufsehen eines zu frühen und zu plötzlichen Bruches vermeiden und legten uns deshalb noch den äußeren Zwang des Zusammenlebens auf –«

»Schon vor dem Tode Berkows?« unterbrach sie der Bruder; »das war ja kurz nach deiner Vermählung!«

»Also du selber hast die Sache zur Sprache gebracht?« fragte Windeg mit gleicher Lebhaftigkeit. »Du bestandest darauf?«

Keiner von beiden schien die Pein zu verstehen, die sich doch so deutlich auf dem Gesichte der jungen Frau malte; sie raffte augenscheinlich ihre ganze Selbstbeherrschung zusammen bei der Antwort, aber aus dieser klang auch volle Festigkeit.

»Ich habe diesen Punkt nie berührt! Arthur war es, der mir freiwillig die Trennung anbot.«

Der Baron und sein Sohn sahen einander an, als ginge diese Erklärung über ihre Fassungskraft.

»Darauf war ich in der That nicht gefaßt!« sagte der Baron endlich langsam. »Er selbst? das hatte ich nicht erwartet!«

»Gleichviel!« rief Kurt in aufflammender Zärtlichkeit, »wenn er dich uns nur zurückgibt, Eugenie! Noch hat keiner von uns sich des Erbteils, des Besitzes freuen können, weil wir dich unglücklich wußten um unsertwillen. Erst wenn du zu uns zurückkehrst, wird der Vater, werden wir alle aufatmen können in dem neuen Leben; du hast uns überall darin gefehlt.«

Er legte den Arm um die Schwester und diese verbarg einige Sekunden lang das Gesicht an seiner Schulter, aber das schöne Antlitz war so totenbleich und totenkalt, wie er es einst am Altar gesehen hatte, und doch sollte sie jetzt in das Vaterhaus zurückkehren, dem sie damals entrissen wurde.

Der Baron blickte mit einiger Befremdung auf seine Tochter, die sich jetzt emporrichtete und mit dem Taschentuche über die Stirn fuhr.

»Verzeihe, Papa, wenn ich dir heute seltsam erscheine. Ich bin nicht ganz wohl, wenigstens nicht wohl genug zu einem Gespräche über diesen Gegenstand. Du mußt mir erlauben, mich zurückzuziehen, ich –«

»Du hast zu viel gelitten in der letzten Zeit,« ergänzte der Vater weich; »ich sehe es, mein Kind, auch wenn du es mir nicht eingestehst. Geh und überlaß alles meiner Sorge! Ich werde dich schonen, soviel es nur möglich ist.«

»Das ist doch eigentümlich, Papa!« meinte der junge Baron, als die Thür sich hinter seiner Schwester geschlossen hatte. »Begreifst du diesen Berkow? Ich nicht!«

Windeg machte mit gerunzelter Stirn einen Gang durch das Zimmer. Für ihn mischte sich in das Befremdende dieser Eröffnung noch etwas Beleidigendes. Der stolze Aristokrat hatte es im Grunde ganz erklärlich gefunden, daß ein Emporkömmling, der über Millionen gebot, weder Intriguen noch Opfer scheute und alles daran setzte, um eine Verwandtschaft mit ihm zu erzwingen, wenn er diesen Zwang auch nur mit Haß und Verachtung lohnte, aber er hatte es seinem bürgerlichen Schwiegersohne nie verziehen, daß dieser die Hand einer Baroneß Windeg mit einer Gleichgültigkeit empfing, als handle es sich um eine ganz gewöhnliche Heirat, daß er sich auch späterhin ebenso unempfindlich gegen diese Ehre zeigte, als sein Vater empfänglich dafür. Und jetzt trat er, trat Arthur Berkow von dieser Verbindung zurück, noch ehe man ihn dazu veranlaßt hatte! Das war zu viel für den Hochmut eines Windeg, der bereit gewesen war, sich seine Tochter zurückzuerkämpfen, der es aber nicht ertragen konnte, sie von der Großmut oder der Gleichgültigkeit ihres Gatten zurückzuempfangen.

»Ich werde mit Berkow sprechen,« sagte er endlich, »und wenn er wirklich einverstanden ist, woran ich trotz Eugeniens Erklärung noch immer zweifle, so muß die Sache unverzüglich ins Werk gesetzt werden!«

»Unverzüglich?« fragte Kurt. »Sie sind seit kaum drei Monaten vermählt und ich glaube, sie haben recht, einen allzu frühen und allzu plötzlichen Bruch zu vermeiden.«

»Gewiß haben sie das, und ich würde ihnen unbedingt beistimmen, hätte ich nicht meinerseits dringende Gründe, die Angelegenheit zu beeilen. Es steht hier auf den Werken nicht alles, wie es sollte, ich habe von befreundeter Hand einen Wink erhalten, daß die jetzt ausgebrochene Bewegung unter den Arbeitern dem so unermeßlich geglaubten Berkowschen Vermögen eine tödliche Wunde versetzen könnte. Bricht es wirklich zusammen, so kann seine Gattin ihn gerade in dem Momente nicht verlassen, der Welt gegenüber kann sie es nicht. Wenn wir auch wahrhaftig ernstere und tiefere Gründe zur Trennung haben, man würde jenen Grund annehmen, und das darf nicht sein. Besser, wir nehmen das Auffallende eines so frühen Bruches auf uns, als daß wir uns die Hände binden, wenn die gefürchtete Katastrophe wirklich eintritt. Ein solches Unternehmen, wie dies hier, fällt nicht in wenig Wochen, dazu gehört ein Jahr mindestens, und in der Hälfte dieser Zeit kann die Scheidung durchgesetzt werden, wenn er uns keine Schwierigkeiten macht. Eugenie muß in unser Haus zurückgekehrt, muß frei sein, ehe man in der Residenz ahnt, wie hier die Verhältnisse liegen.«

»Ich dachte, die Schwester würde unsern Plan weit lebhafter und freudiger auffassen,« meinte Kurt gedankenvoll. »Freilich, wenn sie schon vorher das Gleiche beschlossen hatte, so war ihr die Idee nicht neu, aber trotzdem ist sie so kalt und stumm, als läge ihr das, alles unendlich fern, als handle es sich dabei gar nicht um ihre eigene Freiheit.«

Der Baron zuckte die Achseln. »Sie leidet bei dem Gedanken an das unvermeidliche Aufsehen, an die Weitläufigkeiten und Unannehmlichkeiten des Prozesses, die ihr nicht erspart werden können! Es ist immer ein bitterer Schritt für eine Frau, solch eine Scheidung, und dennoch muß er gethan werden. Wenigstens haben wir in diesem Falle die ganze Residenz auf unsrer Seite! Es war leider kein Geheimnis, weshalb diese Heirat geschlossen wurde; man wird es begreiflich finden, daß wir uns jetzt beeilen, sie zu lösen.«

»Da kommt Berkow!« sagte Kurt halblaut, als die Thür des Nebenzimmers geöffnet wurde. »Du willst mit ihm sprechen, Papa. Soll ich euch allein lassen?«

Windeg machte eine abwehrende Bewegung. »Du bist der älteste Sohn unsres Hauses, und bei solchen Unterredungen pflegt die Gegenwart eines Dritten heilsamen Zwang aufzuerlegen. Du bleibst, Kurt!«

Wahrend diese Worte rasch und leise gewechselt wurden, hatte Arthur das Nebenzimmer durchschritten und trat jetzt ein. Die Begrüßung war artig und eisig wie gewöhnlich und die Unterhaltung begann mit den üblichen Floskeln. Die Gäste bedauerten, so selten der Gesellschaft ihres Wirtes teilhaftig zu werden, und dieser schützte eine Anhäufung von Geschäften vor, die ihn des Vergnügens beraubten – beiderseitig Höflichkeiten, die natürlich beiderseitig nicht geglaubt wurden, und hinter die man sich verschanzte, um doch wenigstens etwas zu sagen.

»Ich hoffe, Eugeniens stete Gegenwart entschädigt Sie hinreichend für meine gezwungene Abwesenheit!« fuhr Arthur fort, indem er durch den Salon einen Blick gleiten ließ, der die junge Frau zu suchen schien.

»Eugenie hat sich eines leichten Unwohlseins wegen zurückgezogen,« erklärte der Baron, »und ich möchte das benutzen, um Ihnen, Herr Berkow, einen Wunsch vorzutragen, dessen Erfüllung hauptsächlich von Ihnen abhängt.«

»Wenn die Erfüllung von mir abhängt, so befehlen Sie, Herr Baron!« Der junge Mann nahm seinem Schwiegervater gegenüber Platz, während Kurt, der da wußte, was jetzt eingeleitet werden sollte, sich wie zufällig in eine Fensternische zurückzog und scheinbar aufmerksam auf die Terrasse hinausblickte. Windegs Haltung zeigte die vollste Gemessenheit und die vollste aristokratische Würde, die ihm zu Gebote stand; er fand es wohl nötig, dem bürgerlichen Gemahl seiner Tochter damit zu imponieren und jeden etwaigen Widerstand von vornherein zu brechen, denn er hielt die angebotene Trennung von seiten Arthurs höchstens für eine Aufwallung nach irgend einer heftigen Scene, ernstlich glaubte er nicht daran.

»Man scheint der Bewegung hier auf Ihren Besitzungen eine größere Tragweite beizulegen, als sie vielleicht in Wirklichkeit hat,« begann er. »Als ich gestern die Stadt berührte und dabei dem Kommandanten der dortigen Garnison, einem Jugendfreunde, einen Besuch abstattete, wurde mir die Stimmung unter Ihren Arbeitern als eine äußerst bedrohliche und der Ausbruch von Unruhen als sehr wahrscheinlich geschildert.«

»Man scheint sich in der Stadt mehr mit meinen Werken und mit meinen Leuten zu beschäftigen, als ich voraussetzte,« sagte Arthur kalt. »Jedenfalls habe ich den Herrn Oberst nicht um eventuelle Hilfe ersucht.« Der Baron verstand die Abweisung. »Ich meinerseits habe natürlich kein Urteil darüber!« entgegnete er rasch. »Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß es nicht passend wäre, Eugenie etwaigen Scenen und Auftritten hier auszusetzen. Ich wünschte sehr, meine Tochter mit mir nach der Residenz zu nehmen, nur auf einige Zeit, bis die Verhältnisse hier sich geklärt haben.«

Eine leichte Bewegung zeigte sich in dem Gesichte des jungen Mannes; er warf einen schnellen Blick hinüber nach der Thür, die zu den Zimmern seiner Gattin führte, als wollte er erraten, ob der Wunsch von dort ausgegangen sei; aber seine Erwiderung klang völlig unbewegt:

»Eugenie ist durchaus Herrin ihres Willens. Wenn sie die Entfernung für nötig hält – ich lasse ihr vollkommene Freiheit!«

Windeg neigte sehr befriedigt das Haupt. »So begleitet sie uns also morgen! Was die Dauer ihrer Abwesenheit betrifft – wir kommen da auf einen Punkt, den zu berühren uns beiden wohl gleich peinlich ist; aber ich ziehe es dennoch vor, ihn mündlich zur Sprache zu bringen, um so mehr, als ich weiß, daß in der Hauptsache sich unsre Wünsche begegnen.«

Arthur schien von dem Sessel auffahren zu wollen; aber er bezwang sich und behielt seinen Platz.

»Ah so! Eugenie hat Ihnen bereits Mitteilungen gemacht!«

»Ja! Befremdet Sie das? Dem Vater konnte und mußte sie sich zunächst anvertrauen.«

Die Lippen des jungen Mannes zuckten. »Ich setzte voraus, daß die Sache ein Geheimnis zwischen uns beiden bliebe, bis die Zeit zum Handeln da wäre. Ich habe mich geirrt, wie ich sehe!«

»Weshalb einen einmal gefaßten Beschluß aufschieben?« fragte der Baron ruhig. »Die Zeit zur Ausführung ist gerade jetzt günstig. Die augenblicklichen Verhältnisse auf Ihren Gütern geben den besten und unverfänglichsten Vorwand zur Entfernung meiner Tochter. Daß diese Entfernung eine dauernde ist, braucht die Welt ja fürs erste noch nicht zu erfahren. Jetzt im Sommer, wo alles die Residenz verläßt, können die vorbereitenden Schritte am unbemerktesten geschehen. Wo sich das Aufsehen nun einmal nicht vermeiden läßt, ist es immer vorzuziehen, der Gesellschaft eine Thatsache gegenüberzustellen; daran pflegt die Klatschsucht sich noch am ehesten zu brechen.«

Es entstand eine kurze Pause; Arthur heftete den Blick wieder, diesmal mit einem rätselhaften Ausdrucke, auf die Thür zu den Zimmern seiner Frau; dann wandte er ihn langsam auf deren Vater.

»Ging der Wunsch nach einer Beschleunigung dieser Angelegenheit von Eugenie selbst aus?«

Der Baron hielt es für passend, diesmal die Wahrheit zu verschweigen; das führte jedenfalls schneller zum Ziele, und jedenfalls war ihm Eugenie dankbar dafür.

»Ich spreche im Namen meiner Tochter!« erklärte er gemessen.

Arthur erhob sich plötzlich und so heftig, daß der Sessel zurückflog. »Ich willige in alles, Herr Baron! in alles! Ich glaubte Ihrer Frau Tochter meine Gründe für einen Aufschub mitgeteilt zu haben; sie wurden zumeist von der Rücksicht auf sie diktiert; ich kam dabei nicht in Betracht. Wenn sie dessenungeachtet doch eine Beschleunigung wünscht – es sei!«

Der Ton dieser Worte war so eigentümlich, daß Kurt, der, obwohl er keine Silbe des Gespräches verlor und immer noch die Terrasse zu beobachten schien, sich auf einmal umwandte und seinen Schwager verwundert ansah. Auch Windeg schien etwas betroffen zu sein; es war doch hier wahrlich kein Grund zur Gereiztheit vorhanden, wo man einen beiden Teilen lästigen Zwang etwas früher aufheben wollte.

»Sie sind also mit der Trennung unbedingt einverstanden?« fragte er ein wenig unsicher.

»Durchaus!«

Der Baron atmete auf. Also hatte Eugenie doch recht, als sie die sofortige Einwilligung ihres Gatten voraussetzte. Was nun noch zu erledigen war, bot nach seiner Meinung kaum noch eine Schwierigkeit.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihr Entgegenkommen,« sagte er artig; »es wird beiden Teilen den peinlichen Schritt erleichtern. Jetzt bleibt nur noch eins, das freilich hierauf keinen Bezug hat, aber doch geordnet werden muß. Ihr Herr Vater,« die Stirn des nunmehrigen Majoratsherrn überflog eine dunkle Röte bei der Erinnerung, »Ihr Herr Vater hatte die Güte, für mich einzutreten, Verpflichtungen gegenüber, denen ich damals nicht gerecht werden konnte. Jetzt bin ich in der Lage, dies zu thun, und ich möchte mich beeilen –«

Er hielt inne, Arthur schlug das Auge voll und finster auf, und der Blick verbot die Fortsetzung.

»Sollten wir diesen Punkt nicht besser ruhen lassen? Ich meinerseits bitte darum.«

»Er konnte ruhen, solangs unsre gegenseitigen Beziehungen bestanden,« erklärte Windeg ernst, »nicht wenn sie sich lösen. Sie werden mich nicht zwingen wollen, Ihr Schuldner zu bleiben!«

»Von einer Schuld im gewöhnlichen Sinne war wohl hier nicht die Rede. Mein Vater vertrat schließlich nur seine eigenen Forderungen und die betreffenden Dokumente wurden, soviel ich weiß, vernichtet, als –« hier brach die furchtbare Gereiztheit des jungen Mannes für einen Augenblick doch durch die erzwungene Ruhe, »als Sie den Preis dafür zahlten!«

Der Baron erhob sich verletzt. »Damals wurde die Verbindung geschlossen,« erwiderte er kalt, »allerdings auf Wunsch des Herrn Berkow; jetzt soll sie gelöst werden, zumeist auf unsern Wunsch. Die Verhältnisse liegen nunmehr umgekehrt –«

»Ist es durchaus notwendig, daß wir auch bei der Scheidung den Geschäftsstandpunkt eines Kaufvertrages festhalten?« unterbrach ihn Arthur mit schneidender Bitterkeit. »Ich hoffe, man wird mich und meine Frau nicht zum zweitenmal zum Gegenstand eines Handels machen wollen. Es war genug an dem ersten!«

Der Baron mißverstand die Worte völlig, wie er die Regung mißverstand, welche sie diktierte; er nahm seine vornehmste Miene an. »Erinnern Sie sich gefälligst, Herr Berkow, daß der Ausdruck ›Handel‹, den Sie zu brauchen belieben, nur auf eine der beiden Parteien Bezug hat – uns trifft er nicht.«

Arthur trat einen Schritt zurück, aber seine Haltung war so stolz und unnahbar, wie sie der Majoratsherr ihm gegenüber kaum jemals zu zeigen wußte.

»Ich weiß jetzt, wie diese Heirat zu stande kam, und ich weiß auch, wie diese Verpflichtungen entstanden, die Sie zur Einwilligung zwangen. Sie werden es danach wohl begreifen, wenn ich verlange, daß jene Schuld mit keiner Silbe mehr berührt wird. Ich fordere von Ihnen, Herr Baron, daß Sie einen Sohn nicht zwingen, über das Andenken seines Vaters zu erröten!«

Windeg war schon einmal seinem Schwiegersohn gegenüber aus der Fassung gekommen, als dieser sich beikommen ließ, das Adelsdiplom auszuschlagen, aber das war doch immer noch in der ruhigen, halb nachlässigen Weise, noch immer in der Art des früheren Arthur Berkow geschehen – dieses Auftreten und diese Haltung versteinerten den Baron förmlich; er sah unwillkürlich zu seinem Sohne hinüber, der aus der Fensternische hervorgetreten war, und dessen jugendliches Gesicht ein grenzenloses Erstaunen ausdrückte, das er sich gar keine Mühe gab, zu verbergen.

»Ich wußte nicht, daß Sie die Sache so auffassen,« sagte Windeg endlich. »Es war keineswegs meine Absicht, Sie zu beleidigen, aber –«

»Ich setze das voraus. Also übergeben wir diesen Punkt der Vergessenheit! Was die Scheidungsangelegenheit betrifft, so werde ich meinen Rechtsanwalt dahin instruieren, jedem Schritte des Ihrigen entgegenzukommen. Wenn irgend eine Anforderung an mich persönlich gestellt werden sollte, so bitte ich, über mich zu verfügen. Ich werde alles thun, damit die Sache schnell und schonend beendigt wird.«

Er machte den beiden Herren eine Verbeugung und verließ das Zimmer. In der nächsten Minute war Kurt bereits an der Seite seines Vaters.

»Was heißt das alles, Papa? Was, ums Himmels willen, ist in den drei Monaten aus diesem Arthur geworden? Ich fand ihn zwar schon gestern abend weit ernster, bestimmter als sonst, aber dieses Auftreten hätte ich ihm doch nun und nimmer zugetraut!«

Der Baron hatte sich noch nicht von seinem Erstaunen erholt. Erst der Ausruf seines Sohnes brachte das zuwege. »Er scheint also wirklich die Rolle nicht gekannt zu haben, die sein Vater bei uns spielte! Das ändert allerdings die Sache,« meinte er betreten. »Wenn er nur nicht die Zumutung stellte, daß ich sein Schuldner bleiben soll!«

»Er handelt vollkommen richtig,« rief Kurt auflodernd, »wenn er jetzt den Wucher kennt, mit dem Berkow uns ins Unglück hetzte! Nicht ein Vierteil jener Summe, die uns nachher so riesengroß gegenüberstand, hat er wirklich dargeliehen und für die aufgekauften Forderungen bezahlt, und nicht einen Pfennig davon darf der Sohn wieder annehmen, wenn er sich nicht auch entehren will. Man sah es ja, wie die Scham über die ganze schmachvolle Geschichte in ihm wühlte, aber es ging eigentlich seltsam mit dieser Unterredung. Er spielte doch ohne Frage darin die schlimmste, die beschämendste Rolle, und schließlich brachte er es dahin, daß wir uns beinahe zu schämen hatten mit unserem Anerbieten.«

Windeg schien die letzte Bemerkung ziemlich ungnädig aufzunehmen, vielleicht weil er sie nicht widerlegen konnte.

»Wenn wir ihm unrecht thaten, so bin ich bereit, ihm jetzt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen,« sagte er, »ich bin es um so mehr, als wir ihm in der Scheidungsangelegenheit wirklich zum Danke verpflichtet sind. Ich hatte nicht geglaubt, daß sich das so leicht machen werde, trotz der Gleichgültigkeit, die er von jeher gegen diese Heirat zeigte.«

Kurt nahm wieder die nachdenkliche Miene an, die ihm sonst gar nicht eigen war. »Ich weiß nicht, Papa, mir kommt die Sache noch nicht so ausgemacht vor. Berkow war keineswegs so ruhig, wie er sich den Anschein geben wollte, und Eugenie auch nicht. Die Heftigkeit, mit der er aufzuckte, als du behauptetest, sie bestehe auf der sofortigen Trennung, hatte nichts von Gleichgültigkeit, und das Gesicht, mit dem Eugenie uns verließ, noch weniger. Mir ist dabei eine ganz eigentümliche Idee aufgestiegen.«

Der Baron lächelte mit großer Ueberlegenheit. »Du bist doch bisweilen ein rechtes Kind, Kurt, trotz deiner zwanzig Jahre und deiner Epauletten. Meinst du denn wirklich, der Entschluß, den die beiden, wie sich jetzt ergibt, längst gefaßt haben, sei ohne vorhergegangene Scenen und Auftritte entstanden? Eugenie hat jedenfalls schwer darunter gelitten, vielleicht auch Berkow. Was du so weise bemerkt hast, ist der Nachhall früherer Stürme, weiter nichts. Gott sei Dank, wir sind jetzt beiderseitig im klaren, und die Stürme haben ein Ende.«

»Oder sie fangen erst an!« murmelte Kurt halblaut, indem er mit dem Vater den Salon verließ. Es war Abend geworden, und im Hause herrschte eine unruhige Geschäftigkeit. Noch am Nachmittag hatte Baron Windeg eine längere Unterredung mit seiner Tochter gehabt, und unmittelbar darauf erhielt das Kammermädchen die Weisung, die Toilettensachen ihrer Herrin einzupacken. Schon vorher hatte Herr Berkow selbst der Dienerschaft angekündigt, daß seine Gemahlin morgen früh ihren Vater nach der Residenz begleiten und einige Wochen dort verweilen werde, daß also die nötigen Vorbereitungen zu treffen seien, eine Nachricht, die vom Hause aus natürlich sofort die Runde durch sämtliche Beamtenwohnungen machte, und dort wie hier weit mehr Besorgnis als Aufsehen erregte. Es war ja sonnenklar, daß der Herr die gnädige Frau nur fortsandte, weil er gleichfalls überzeugt war, daß es nächstens auf den Werken »losgehen« werde. Er wollte sie in der Residenz in Sicherheit wissen und hatte wahrscheinlich selbst ihren Vater veranlaßt, zu kommen und sie abzuholen.

Windeg hatte recht, der Vorwand war so wahrscheinlich, daß es keinem einfiel, daran zu zweifeln. Das eigentümlich kalte Verhältnis zwischen dem jungen Ehepaar war freilich anfangs in der Kolonie viel besprochen und gedeutet worden; jetzt hatte das allmählich aufgehört. Man wußte ja, daß die Heirat nicht aus Neigung geschlossen war, aber da man nie etwas von heftigen Scenen oder bitteren Auftritten hörte, die der Dienerschaft doch wohl nicht entgangen wären, da Berkow immer die Höflichkeit selbst gegen seine Gemahlin und diese die Ruhe selbst ihm gegenüber blieb, so mußten sie sich doch wohl aneinander gewöhnt haben und ganz zufrieden miteinander sein – der gewöhnliche Ausgang solcher aus Berechnung geschlossenen Ehen. Ihre etwas seltsame Art zu leben, schien wirklich nur eine Sitte der großen Welt zu sein; man lebte in den vornehmen Kreisen der Residenz wohl meist auf diesem getrennten, höflich kühlen Fuße, und daß Baroneß Windeg und der Sohn des Millionärs Berkow dies auch hier thaten, konnte am Ende nicht weiter befremden.

Daß diese Abreise, der ja keine Streitigkeit irgend einer Art vorangegangen war, eine Trennung in sich schloß, das ahnte niemand, und es fiel auch nicht weiter auf, als die Herrschaften den Abend ganz getrennt zubrachten. Die beiden fremden Herren speisten allein im Eßzimmer, die gnädige Frau hatte sich, da sie nicht wohl war, den Thee in ihr Boudoir bringen lassen, rührte jedoch zur Verwunderung ihres Kammermädchens nichts davon an, und Herr Berkow endlich speiste gar nicht, sondern zog sich »Geschäfte halber« in sein Arbeitskabinett zurück, nachdem er den Befehl gegeben, ihn unter keiner Bedingung zu stören.

Draußen herrschte bereits völlige Dunkelheit, und hier drinnen warf die auf dem Schreibtisch brennende Lampe ihr Licht auf den Mann, der seit länger als einer Stunde ruhelos auf und ab wanderte, der jetzt endlich hinter geschlossenen Thüren den so lange getragenen Zwang der Gleichgültigkeit abwarf und den Sturm austoben ließ, der in ihm wühlte. Das war freilich nicht der blasierte junge Erbe mehr mit seiner apathischen Schwäche, aber auch nicht der junge Chef mehr, der mit so plötzlich erwachter Energie und Besonnenheit seinen Untergebenen zu imponieren und seinen Beamten Mut einzuflößen wußte. In diesem Antlitze stürmte die ganze Gewalt einer Leidenschaft, deren Größe er wohl selbst nicht gekannt hatte, bis zu dem Momente, wo es sich um das Verlieren handelte. Der Moment war jetzt gekommen, und jetzt forderte sie ihr Recht. Auf dieser bleichen Stirn, in diesen zuckenden Lippen und brennenden Augen stand es deutlich geschrieben, was ihm die heutige Unterredung gekostet, von der Baron Windeg meinte, er habe nicht geglaubt, daß die Sache sich so leicht machen werde.

Also jetzt war sie da, die so lang gefürchtete Stunde der Trennung, und es war gut, daß es so kam, daß ein fremder Wille hier eingriff, wo der eigene sich machtlos erwies. Wie oft während der letzten vierzehn Tage hatte Arthur daran gedacht, selbst den Vorwand zu gebrauchen, den der Baron ihm jetzt an die Hand gab, und damit die Folter dieses Zusammenlebens abzukürzen, denn diese anscheinende Kälte nach außen, welche die Glut im Innern jeden Augenblick Lügen strafte, ließ sich nicht mehr ertragen; das ging über Menschenkräfte – und dennoch war nichts geschehen. Freilich ist es eine unbestrittene Wahrheit, daß das Unvermeidliche am besten schnell geschieht, aber nicht jeder, der den Mut besitzt, mit fester Hand das Messer an eine vergiftete Wunde des Körpers zu setzen, hat ihn auch da, wo es sich darum handelt, eine verzehrende Leidenschaft aus dem Herzen zu reißen; mit ihr kommt unabweisbar die Furcht vor dem Verluste. Sie waren ja längst getrennt, diese beiden, aber er sah doch wenigstens immer noch das schöne, blonde Haupt mit den stolzen, jetzt so ernsten Zügen und den sprechenden, dunklen Augen, hörte doch wenigstens noch diese Stimme, und dann kamen auch Momente eines blitzähnlich aufflammenden Glückes, die ganze Tage und Wochen voll Bitterkeit aufwogen, wie vorgestern im Walde, wo sie mit so sichtbarer Angst ihr Pferd an das seinige drängte, wo sie in seinen Armen bebte, als er sie herabhob – mochte es Feigheit sein, aber er hatte nicht freiwillig, nicht eher verzichten können, bis man es forderte, wie es jetzt geschah.

Die Thür wurde leise geöffnet und ein Diener erschien zögernd auf der Schwelle.

»Was gibt's?« fuhr Arthur auf. »Habe ich nicht befohlen –«

»Um Vergebung, Herr Berkow!« sagte der Mann schüchtern. »Ich weiß wohl, daß Sie nicht gestört sein wollen – aber da – da die gnädige Frau selbst –«

»Wer?«

»Die gnädige Frau sind selbst hier und wünschen –«

Der Diener hatte keine Zeit zu vollenden und er war auch etwas überrascht von dem Ungestüm, mit dem sein Herr die Thür aufriß und ins Vorzimmer eilte, wo er wirklich seine Gattin erblickte, die dort zu warten schien. In der nächsten Minute war er an ihrer Seite.

»Du läßt dich melden? Welche überflüssige Etikette!« »Du wolltest niemand sehen, wie ich höre, und Franz sagte mir, der Befehl gelte für alle ohne Ausnahme.«

Arthur wandte sich mit finsterer Miene zu dem Bedienten, der entschuldigend sagte: »Ich wußte wirklich nicht, was ich da thun sollte. Es ist ja das erste Mal, daß die gnädige Frau hierher kommt.«

Die Worte enthielten wirklich nur eine verlegene Entschuldigung, weiter nichts, aber Eugenie wendete sich doch rasch ab und die Zurechtweisung, die ihr Gemahl bereits auf den Lippen hatte, unterblieb. Der Mann hatte im Grunde recht; für einen so ungewöhnlichen Fall, wie das Erscheinen der gnädigen Frau in der Wohnung des Herrn war, reichten seine Instruktionen nicht aus; es war in der That das erste Mal, daß sie diese Wohnung betrat. Man hatte sie bisher immer nur im Salon, im Eßzimmer oder in den Gesellschaftsräumen getroffen; so konnte und mußte denn der heutige Besuch die Dienerschaft wohl befremden.

Arthur gab dem Bedienten einen Wink, sich zu entfernen, und trat mit seiner Frau in das Arbeitszimmer. Sie schien auf der Schwelle zu zögern.

»Ich wünschte dich zu sprechen!« sagte sie mit unterdrückter Stimme.

»Ich stehe dir ganz zu Befehl.«

Er schloß die Thür wieder und schob einen Fauteuil heran, indem er sie mit einer Handbewegung einlud, darauf Platz zu nehmen. Die wenigen Minuten hatten genügt, dem jungen Manne wieder die ganze Fassung zurückzugeben, in der er sich in den letzten Wochen hinreichend geübt; Antwort und Bewegung waren so kühl und abgemessen, als ob er der fremdesten Dame in dem fremdesten Salon eine Höflichkeit erweise.

»Willst du dich nicht setzen?«

»Ich danke! Ich werde dich nicht lange in Anspruch nehmen.«

Es war etwas Scheues, Unsicheres in dem Wesen der jungen Frau, das eigentümlich mit ihrer sonst so sicheren Haltung kontrastierte. Vielleicht fühlte sie sich fremd in diesen Räumen, und vielleicht wurde es ihr auch schwer, den Anfang des Gespräches zu finden. Arthur erleichterte ihr beides nicht; er sah, wie sie vergebens nach Worten suchte, ohne sie finden zu können, aber er stand stumm und finster ihr gegenüber am Schreibtische und wartete.

»Mein Vater hat mir sein heutiges Gespräch mit dir mitgeteilt,« begann Eugenie endlich, »und auch das Resultat desselben.«

»Das habe ich erwartet, und eben deshalb – verzeih, Eugenie! – war ich anfangs so überrascht, dich hier zu sehen. Ich glaubte dich mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt.«

Die Worte sollten wohl den Eindruck seiner Bewegung bei ihrem Erscheinen verwischen, und sie schienen es auch zu thun. Es vergingen einige Sekunden, ehe die junge Frau antwortete.

»Du hast diese Abreise bereits heute nachmittag der Dienerschaft angekündigt?«

»Ja! Ich glaubte deinen Wünschen zuvorzukommen und überdies hielt ich es für besser, wenn der Befehl zu den Vorbereitungen von mir ausging; du kennst ja den Vorwand, den wir brauchen. Beabsichtigtest du die Sache anders einzuleiten? Dann bedaure ich, deine Absichten nicht gekannt zu haben.«

Der Ton war eisig, und es schien auch daraus wie ein Eishauch zu Eugenie hinüberzuwehen; sie trat unwillkürlich einen Schritt weiter zurück.


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