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»Um Gottes willen!« stotterte der alte Mann in tödlicher Verlegenheit, »ich meinte das nicht so, ich hatte ganz vergessen –«

»Wer die Hunderttausende gebraucht hat! Sie sollen sich jetzt nicht entschuldigen, Hartmann, sondern ungescheut aussprechen, was Sie mir sagen wollten. Oder glauben Sie, daß ich bei meinem Vater den Angeber machen werde?«

»Nein!« sagte der Schichtmeister ehrlich. »Das thun Sie ganz gewiß nicht. Sie sind nicht wie Ihr Herr Vater, bei dem hätte mich das vorwitzige Wort den Dienst gekostet. Nun, ich meinte nur, das alles setzt böses Blut bei den Leuten. Herr Arthur,« – er trat ihm mit halb schüchterner, halb zutraulicher Bitte einen Schritt näher – »wenn Sie sich doch einmal um die Sachen kümmern wollten! Sie sind ja der Sohn des Herrn Berkow und werden später das alles hier erben; es geht doch keinen näher an als Sie!«

»Ich?« sagte Arthur mit einer Bitterkeit, die zum Glück seinem ungeübten Zuhörer völlig entging; »ich verstehe nichts von dem, was hier auf den Werken Brauch und Notwendigkeit ist; das ist mir von jeher völlig fremd geblieben.«

Der alte Mann schüttelte traurig den Kopf. »Du lieber Gott, was ist da viel zu verstehen! Dazu brauchen Sie nicht erst die Maschinen und die Schachte studiert zu haben. Sie brauchen die Leute nur anzusehen und anzuhören, wie Sie mich jetzt anhören, aber freilich, das thut ja keiner. Wer klagt, wird fortgeschickt, und dann heißt es gleich ›wegen Widersetzlichkeit‹, und ein armer Bergmann, der deswegen entlassen ist, findet schwer ein andres Unterkommen. Herr Arthur, ich sage Ihnen, es ist ein Elend; und das ist's, was der Ulrich nicht mit ansehen kann, was ihm das Herz abfrißt, und wenn ich zehnmal gegen seine Ideen rede und predige, im Grunde hat er ja doch recht; so kann es nicht bleiben. Nur wie er das durchsetzen will, das ist gottlos und sündlich; das wird ihn noch ins Unglück bringen und die andern dazu. Herr Arthur,« – dem Schichtmeister standen die bitteren Thränen in den Augen, als er diesmal ohne alles Zögern die Hand des jungen Mannes ergriff, die noch auf dem Gitter lag – »ich bitte Sie um Gottes willen, lassen Sie das nicht so fortgehen! es ist nicht gut, auch für Herrn Berkow nicht. Auf den andern Werken gibt es ja jetzt auch überall Streit, aber wenn es bei uns einmal losbricht, dann gnade uns Gott, dann wird's fürchterlich!«

Arthur hatte während der ganzen Rede stumm vor sich hin gesehen; jetzt hob er das Auge und richtete einen langen finsteren Blick auf den Sprechenden.

»Ich werde mit meinem Vater sprechen,« sagte er langsam. »Verlassen Sie sich darauf, Hartmann!«

Der Schichtmeister ließ die ergriffene Hand wieder fallen und trat zurück. Er hatte hier, wo er sein ganzes Herz ausgeschüttet, doch wohl eine andre Wirkung erwartet, als diese karge Verheißung. Arthur richtete sich empor und wandte sich zum Gehen.

»Noch eines, Hartmann! Ihr Sohn hat mir neulich das Leben gerettet, und es hat ihn wohl gekränkt, daß er kein Wort des Dankes darüber hörte. Ich lege wenig Wert auf das Leben überhaupt, möglich, daß ich deshalb den geleisteten Dienst zu gering anschlug, aber ich hätte das Versäumte nachgeholt, wenn« – der junge Erbe zog die Augenbrauen zusammen, und seine Stimme gewann einen scharfen Klang – »wenn Ihr Ulrich nicht eben der wäre, der er ist. Ich habe keine Lust, meine Anerkennung vielleicht in derselben Weise zurückgewiesen zu sehen, wie dies neulich meinem Beauftragten gegenüber geschah. Für undankbar möchte ich trotzdem nicht gehalten werden; sagen Sie ihm, ich lasse ihm danken, und wegen des übrigen werde ich mit meinem Vater Rücksprache nehmen. Leben Sie wohl!«

Er schlug den Weg nach dem Parke ein. Der Schichtmeister sah ihm trübe nach, und ein schwerer Seufzer kam über seine Lippen, als er leise vor sich hin sagte: »Gebe Gott, daß es etwas hilft – ich glaube es nicht!« –

Drüben am Landhause wurde der herrschaftliche Wagen aus der Remise hervorgezogen und der Kutscher machte sich daran, die Pferde anzuschirren.

»Das ist ja etwas ganz Neues!« sagte er zu dem neben ihm stehenden Bedienten, der soeben den Befehl zum Anspannen überbracht hatte. »Der Herr und die gnädige Frau fahren zusammen aus? Den Tag müßte man rot im Kalender anstreichen!«

Der Diener lachte. »Ja, viel Vergnügen werden sie wohl nicht dabei haben, aber es geht nicht anders. Es sollen Gegenbesuche in der Stadt gemacht werden, bei den vornehmen Herrschaften, die neulich zum Diner hier waren, und da schickt es sich ja wohl nicht, daß jedes allein vorfährt, sonst hätten sie es sicher gethan.«

»Eine kuriose Wirtschaft!« meinte der Kutscher kopfschüttelnd. »Und das nennen sie nun verheiratet sein! Gott bewahre jeden vor solch einer Ehe!«

Eine Viertelstunde später rollte der Wagen, in dem sich Arthur Berkow mit seiner Gemahlin befand, auf dem Wege hin, der nach der Stadt führte. Das Wetter, das heute vormittag noch erträglich gewesen war, hatte sich bedeutend verschlechtert. Der ganze Himmel war dicht umzogen; der Wind, fast zum Sturme geworden, jagte die grauen Wolken vor sich her, die von Zeit zu Zeit einen Regenschauer auf die mit Nässe schon überreichlich getränkte Erde herabsandten. Es war überhaupt ein rauhes, stürmisches Frühjahr, so recht geeignet, Städtern den Aufenthalt auf dem Lande gründlich zu verleiden. Obgleich man bereits im Mai stand, zeigten die kahlen blätterlosen Bäume des Parkes doch kaum die ersten Knospen; der scharfe Wind und die kalten Regengüsse zerstörten zur Verzweiflung des Berkowschen Gärtners den ganzen Blumenflor, den er so mühsam auf Terrassen und Gartenbeeten schuf, und zerrissen und ertöteten erbarmungslos jede Blüte, die sich etwa noch im Freien öffnete; die grundlosen Wege, die nassen verregneten Wälder machten jeden Ausflug, der überhaupt nur im geschlossenen Wagen möglich war, zu einem ebenso unangenehmen als zwecklosen Unternehmen.

Tag für Tag fast Sturm und Regen, grau umzogener Himmel, nebelumflorte Berge, kaum hin und wieder ein matter Sonnenblick, und dazu eine öde, trostlose Häuslichkeit, wo kein Sonnenstrahl je die Nebel durchdrang, die sich dichter und dichter herabsenkten, wo jede Blüte, die sich vielleicht aufthun wollte, erstarrte in der eisigen Luft des Hasses und der Bitterkeit, wo zwei Gatten das, was sonst Neuvermählte als das Glück ersehnen, das ungestörte Zusammenleben, als eine höchste Art von Folter empfanden, der ein jedes so viel als möglich zu entfliehen strebte – es war wahrlich genug, um die tiefe Blässe auf dem Antlitz der jungen Frau zu erklären, den Schmerzenszug um den Mund, den keine Selbstbeherrschung mehr verwischen konnte, den düsteren, schwermütigen Blick, mit dem sie in die Regenlandschaft hinausschaute. Sie hatte ihrer Kraft doch wohl mehr zugetraut, als sie zu tragen imstande war. Das Opfer war schnell gebracht im Aufflammen des Mutes und der Kindesliebe, aber die Stunden und Tage nach dem Opfer, dies thatenlose Erliegen unter dem selbsterwählten Geschick, das erst fordert den wahren Mut, die vollste Willenskraft in die Schranken, und wieviel Eugenie auch von beiden besitzen mochte, man sah es ihr doch an, wie schwer sie an diesem »Nachher« trug.

Ihr Gatte, der in der andern Ecke des Wagens lehnte, möglichst weit entfernt, so daß die Falten ihrer Seidenrobe kaum seinen Mantel berührten, schien nicht viel leichter an seinem Glücke zu tragen. Freilich, sein Gesicht war von jeher so bleich gewesen, das Auge immer so müde, die Haltung stets so teilnahmlos, wie eben jetzt, aber es stand doch ein Zug in seinem Antlitz, der früher nicht dagewesen war, den erst die letzten vier Wochen dort eingegraben hatten, ein bitterer, finsterer Zug, der selbst der gleichgültigsten Blasiertheit nicht mehr weichen wollte.

Er schaute gleichfalls stumm durch das Wagenfenster und machte so wenig wie Eugenie den Versuch, eine Unterhaltung zu beginnen. Sie hatten heute überhaupt erst beim Einsteigen einander zu Gesicht bekommen und dabei einige förmliche Redensarten über das Wetter, die Fahrt und den Zweck derselben ausgetauscht; dann war ein eisiges Schweigen eingetreten, das dem Anschein nach bis zur Ankunft in der Stadt fortdauern sollte. Die Fahrt war auf diese Weise nicht die angenehmste; zwar fühlte man in dem geschlossenen bequemen Wagen nichts von der Witterung draußen, aber selbst die weichsten Polster vermochten nicht ganz vor der schlechten Beschaffenheit des Weges zu schützen, auf dem die schwere Kutsche, trotz der schönen und kraftvollen Pferde, die sie zogen, nur langsam vorwärts rollte. Man hatte ungefähr die Hälfte der Fahrt zurückgelegt und befand sich mitten im Walde, als ein besonders heftiger Stoß den Wagen fast auf die Seite warf. Der Kutscher stieß einen halblauten Fluch aus und hielt die Pferde an; er und der Diener stiegen eiligst vom Bock herunter und es wurde draußen ein lebhaftes Hin- und Herreden laut.

»Was ist es denn?« frug Eugenie, sich unruhig emporrichtend.

Arthur seinerseits zeigte sehr wenig Interesse zu erfahren, was es gebe; er hätte wahrscheinlich ruhig gewartet, bis man ihm die betreffende Meldung machte; jetzt aber fühlte er sich doch bewogen, das Fenster herabzulassen und die Frage seiner Frau zu wiederholen.

»Aengstigen Sie sich nicht, Herr Berkow!« sagte der Kutscher, der, die Zügel fest in der Hand haltend, vor den Schlag trat. »Wir sind noch glücklich genug davon gekommen, aber um ein Haar hätten wir umgeworfen. An dem Hinterrade muß irgend etwas zerbrochen sein. Franz ist eben dabei, nachzusehen.«

Die Meldung, die Franz nach geschehener Untersuchung zurückbrachte, lautete nicht eben tröstlich. Das Rad war so stark beschädigt, daß es sich als eine Unmöglichkeit erwies, mit dem Wagen in diesem Zustande auch nur hundert Schritt weiter zu fahren. Die beiden Diener sahen ihre Herrschaft ratlos an.

»Ich fürchte, wir müssen unter diesen Umständen auf die beabsichtigten Besuche verzichten,« sagte Arthur gleichgültig, indem er sich zu seiner Frau wandte. »Bis Franz nach Hause zurückkehrt und mit einem neuen Wagen wiederkommt, dürfte es für die Fahrt nach der Stadt doch wohl zu spät geworden sein.«

»Das fürchte ich auch. Es bleibt uns also nichts übrig, als auszusteigen und umzukehren.« »Auszusteigen?« fragte Arthur mit offener Verwunderung. »Beabsichtigst du etwa den Rückweg zu Fuße anzutreten?«

»Beabsichtigst du etwa so lange im Wagen zu bleiben, bis Franz mit einem andern zur Stelle ist?«

Arthur schien dies in der That sich vorgenommen zu haben, und er hätte es wahrscheinlich auch ausgehalten, zwei volle Stunden lang in der Ecke des Wagens zu liegen, wo er ja vor Wind und Wetter geschützt war, ehe er sich zu einer Fußtour durch den kalten nassen Wald entschloß. Eugenie mochte ihm das wohl ansehen, denn das verächtliche Lächeln trat wieder auf ihre Lippen. »Ich meinesteils ziehe den Rückweg zu Fuße diesem zwecklosen und ermüdenden Warten vor! Franz wird mich begleiten, da er ohnedies zurück muß. Du bleibst wohl jedenfalls im Wagen? Ich möchte um keinen Preis die Verantwortung auf mich nehmen, dir eine Erkältung zuzuziehen.«

Was der ganze Unfall nicht vermocht hatte, das bewirkte die unverhüllte Ironie dieser Worte; sie scheuchten den jungen Mann aus seiner Ecke auf. Er richtete sich empor, stieß die Thür auf und stand in der nächsten Minute bereits draußen auf dem Wagentritt, ihr die Hand zum Aussteigen bietend. Eugenie zögerte.

»Ich bitte dich, Arthur –«

»Ich bitte dich, den Leuten wenigstens kein Schauspiel zu geben, indem du die Begleitung des Bedienten der meinigen vorziehst. Willst du die Güte haben?«

Die junge Frau zuckte fast unmerklich die Achseln, aber es blieb ihr nichts andres übrig, als die dargebotene Hand anzunehmen, denn Kutscher und Diener standen in der That in unmittelbarer Nähe; sie stieg also aus und Arthur wandte sich zu den Leuten.

»Ich werde die gnädige Frau zurückbegleiten. Seht zu, daß ihr den leeren Wagen nach irgend einem Gehöfte bringt, wo er vorläufig bleiben kann, und ihr folgt uns so bald als möglich mit den Pferden.«

Die Diener zogen die Hüte und machten sich daran, den erhaltenen Befehl auszuführen; es war allerdings das einzige, was unter diesen Umständen zu thun übrigblieb. Mit einer leichten Bewegung lehnte Eugenie den dargebotenen Arm ihres Gatten ab.

»Ich fürchte, wir müssen hier auf den Promenadenschritt verzichten!« sagte sie ausweichend. »Es muß wohl ein jeder zusehen, wie er allein vorwärts kommt.«

Sie versuchte es in der That, aber nur, um schon beim ersten Schritt bis an die Knöchel in dem zähen, aufgeweichten Schlamm des Bodens zu versinken, und als sie erschreckt darüber nach der andern Seite hinüberflüchtete, geriet sie in zolltiefes Wasser, das unter ihren Füßen aufspritzte; die junge Frau stand ratlos da. So schlimm war ihr der Weg vom Wagen aus denn doch nicht erschienen.

»Hier kommen wir überhaupt nicht vorwärts!« erklärte Arthur, der inzwischen das gleiche Experiment mit einem ähnlichen Erfolge versucht hatte. »Wir müssen durch den Wald zurück.«

»Ohne Weg und Steg zu kennen? Wir werden uns verirren.«

»Schwerlich! Ich erinnere mich noch aus meinen Knabenjahren ganz deutlich eines Fußpfades, der mitten durch den Wald über die Höhen ins Thal führt und dabei noch den Vorteil hat, den Weg bedeutend abzukürzen. Wir müssen ihn aufsuchen.«

Eugenie zögerte noch immer, aber die thatsächliche Unmöglichkeit, den zur Hälfte überschwemmten und von den Wagengeleisen noch mehr zerwühlten Fahrweg zu passieren, ließ ihr keine Wahl. Sie folgte ihrem Gatten, der bereits nach links abbog, und wenige Minuten später umfing sie beide das dichte, dunkle Grün der Tannen.

Auf dem Moos und den Wurzeln des Waldbodens war nun wenigstens die Möglichkeit gegeben, vorwärts zu kommen, das heißt für unverwöhnte Füße. Für einen Herrn und eine Dame, die nur das Parkett der Salons gewohnt waren, denen bei jedem Ausflug Wagen und Reitpferde zur Verfügung standen, und deren ganze Fußtouren sich auf einen Spaziergang im Park bei vollendet schönem Wetter beschränkten, bot dieser Weg noch immer Schwierigkeiten genug – und dazu dieser stürmische Nebeltag! Es regnete zwar jetzt nicht mehr, aber die ganze Umgebung triefte von Nässe, und die Wolken drohten jeden Augenblick einen neuen Schauer herabzusenden. Ueber eine Stunde vom Hause entfernt, mitten im Walde, in den sie aufs Geratewohl wie ein paar Abenteurer eindrangen, ohne Wagen und Diener, ohne den geringsten Schutz gegen Wind und Regen – es war in der That eine ebenso ungewohnte als verzweifelte Lage für Herrn Arthur Berkow und dessen hochgeborene Gemahlin. Die junge Frau fand sich indessen bald mit ihrer gewöhnlichen Entschlossenheit in das Unvermeidliche. Sie hatte schon nach den ersten zehn Schritten die Unmöglichkeit eingesehen, ihr helles Seidenkleid und ihren weißen Burnus zu retten, sie gab daher beides ruhig dem nassen Moose und den tropfenden Bäumen preis und schritt mutig vorwärts. Aber so wenig ihre Toilette für eine solche Wanderung geeignet war, so wenig vermochte dieselbe sie vor der Witterung zu schützen; sie hüllte sich fröstelnd fester in den leichten Kaschmir und schauerte unwillkürlich zusammen, als der kalte Wind sie berührte.

Ihr Gatte bemerkte das und blieb stehen. Er hatte, verweichlicht wie er war, trotz des geschlossenen Wagens einen Mantel umgeworfen, der ihn vollkommen schützte. Jetzt nahm er ihn schweigend ab, um ihn um die Schultern der jungen Frau zu legen, diese aber wich mit vollster Entschiedenheit zurück.

»Ich danke! Ich bedarf dessen nicht.«

»Du frierst ja.«

»Durchaus nicht! Ich bin nicht so empfindlich gegen die Witterung wie du.«

Ohne ein Wort zu sagen, nahm Arthur den Mantel zurück, aber anstatt sich aufs neue darin einzuhüllen, warf er ihn nachlässig über den Arm und schritt nun in dem leichten Gesellschaftsanzuge an ihrer Seite hin. Eugenie kämpfte einen aufsteigenden Aerger nieder; sie wußte selbst nicht recht, warum dies Benehmen sie so verletzte, aber sie hätte es weit lieber gesehen, wenn er sich jetzt ängstlich in den verschmähten Mantel gehüllt hätte, um seine kostbare Gesundheit zu schonen, anstatt sich so rücksichtslos Wind und Wetter preiszugeben. Ein ruhiges, überlegenes Sichfügen in das Unvermeidliche war ihre Sache; sie konnte nicht begreifen, wie ihr Gatte dazu kam, dies Recht auch einmal für sich in Anspruch zu nehmen, konnte überhaupt nicht begreifen, wie er, der sich schon bei dem bloßen Gedanken an diese Waldpromenade entsetzt hatte, jetzt deren Unbequemlichkeiten gar nicht mehr zu empfinden schien, während sie schon halb und halb ihren Entschluß bereute. Ein Windstoß riß ihm den Hut vom Kopfe und wehte ihn einen Abhang hinunter, in dessen Tiefe er nicht mehr zu erreichen war. Gelassen sah Arthur dem Flüchtlinge nach und warf mit einer beinahe trotzigen Bewegung das lange braune Haar zurück. Sein Fuß sank bei jedem Schritt tief ein in das nasse Moos, und doch war Eugenie dieser Schritt nie so fest, so elastisch vorgekommen, wie heute. Die schlaffe Haltung ihres Gatten verlor sich mit jeder Minute mehr und mehr, je tiefer sie in die grüne Wildnis eindrangen. Seine sonst so matten Augen spähten scharf nach dem gesuchten Wege umher. Der nasse, finstere Wald schien einen förmlich belebenden Einfluß auf ihn auszuüben, in so tiefen Zügen atmete er die herbe, harzige Tannenluft ein, so schnell führte er seine junge Frau unter den sausenden Wipfeln dahin. Plötzlich blieb er stehen und rief fast triumphierend aus: »Da ist der Weg!«

Sie hüllte sich fröstelnd fester in den leichten Kaschmir und schauerte unwillkürlich zusammen, als der kalte Wind sie berührte. (S. 108.)

Sie sahen in der That einen schmalen Fußpfad vor sich, der quer durch den Wald lief und sich in einiger Entfernung zu senken schien. Eugenie schaute etwas verwundert darauf hin; sie hatte es ihrem Manne wirklich nicht zugetraut, daß er imstande wäre, einen sicheren Führer abzugeben, und sich bereits vollständig aufs Verirren gefaßt gemacht.

»Du scheinst sehr vertraut mit der Gegend!« sagte sie, während sie an seiner Seite den Weg betrat.

Arthur lächelte, aber freilich galt dies Lächeln nicht ihr, sondern der Umgebung, die er jetzt forschend musterte.

»Ich werde doch meinen Wald noch kennen! Wir sind alte Freunde, wenn wir uns auch lange, sehr lange nicht gesehen haben.«

Eugenie hob verwundert das Haupt. Den Ton hatte sie noch nie aus seinem Munde gehört; es lag darin eine tief zurückgedrängte Empfindung, die sich gleichwohl in der Stimme verriet.

»Liebst du den Wald so sehr?« fragte sie, unwillkürlich ein Gespräch fortsetzend, das sonst wahrscheinlich wieder in dem gewöhnlichen Stillschweigen sein Ende gefunden hätte. »Weshalb hast du ihn denn während der ganzen vier Wochen nicht ein einziges Mal betreten?«

Arthur antwortete nicht. Sein Blick verlor sich wie träumend in den grünen nebelumschleierten Tiefen. »Weshalb?« fragte er endlich düster, »ich weiß es nicht! Vielleicht war ich zu träge. Man verlernt ja zuletzt alles in eurer Residenz, sogar die Sehnsucht nach der Waldeinsamkeit.«

»In eurer Residenz? Ich dächte, du wärest so gut wie ich dort erzogen.«

»Gewiß! Nur mit dem Unterschiede, daß mein Leben aufhörte, als meine sogenannte Erziehung anfing. Was überhaupt des Erlebens wert war, das ließ ich hinter mir, als ich in jene Mauern einfuhr; denn lebenswert waren nur meine frohen, sonnigen Knabenjahre.«

Es war ein halb bitterer, halb grollender Ton, mit dem er diese Worte hinwarf. Aber auch in Eugeniens Innern quoll jetzt wieder die alte Bitterkeit heiß empor. Wie durfte er es wagen, von Aufgeben, von Entsagung zu sprechen? was wußte er überhaupt davon? Für sie freilich war mit der Kindheit auch das Glück zu Ende gewesen; für sie begann mit dem Eintritte ins Leben die ganze Stufenleiter von Sorge, Demütigung und Verzweiflung, die sie als Vertraute ihres Vaters, als Eingeweihte in die Verhältnisse ihrer Familie durchzumachen hatte, die bittere Schule, die wohl ihren Charakter gestählt, aber ihr auch alle Freuden der Jugend geraubt hatte. Wie war dagegen die Stellung ihres Gatten, wie seine Vergangenheit gewesen! Und er sprach davon wie von einem Unglück!

Arthur schien diese Gedanken auf ihrem Gesichte zu lesen, als er sich umwandte, um einen tief niederhängenden Zweig beiseite zu schieben, der sie sonst gestreift hätte.

»Du meinst, ich hätte am wenigsten Grund, mich zu beklagen? Möglich! Wenigstens ist mir von jeher gesagt worden, daß mein Dasein beneidenswert sei. Aber ich versichere dir, es ist bisweilen verzweifelt öde und trostlos, solch ein Leben, wo das Glück einem all seine Gaben vor die Füße schüttet, die man ebendeshalb mit Füßen tritt, weil man nichts weiter mit ihnen anzufangen weiß, so öde und trostlos, daß man zuletzt um jeden Preis hinaus möchte aus dieser vielgepriesenen vergoldeten Glückseligkeit, hinaus – und wäre es auch in Sturm und Unwetter!«

Die dunklen Augen Eugeniens hingen in sprachlosem Erstaunen an seinen Zügen und urplötzlich ergoß sich eine helle Röte über sein Gesicht. Er schien sich auf einmal zu besinnen, daß er sich des unverzeihlichen Fehlers schuldig gemacht, vor seiner Gattin irgend ein Gefühl zu verraten. Der junge Mann runzelte die Stirn und warf einen grollenden Blick auf den Wald, der ihn zu diesem Ausbruch verleitet, aber schon in der nächsten Sekunde fiel er völlig wieder in den alten blasierten Ton zurück.

»Sturm und Unwetter haben wir freilich mehr, als uns lieb ist!« sprach er nachlässig und im Vorwärtsschreiten ihr völlig den Rücken zuwendend, »das tobt ja entsetzlich auf der freien Höhe da oben! Wir werden warten müssen, bis das ärgste Wehen vorüber ist; so können wir nicht hinunter.«

In der That überfiel sie beim Heraustreten aus dem Walde der Sturm mit einer solchen Gewalt, daß sie Mühe hatten, sich auf den Füßen zu halten. Es war augenblicklich unmöglich, auf dem Wege, der sich jetzt steil und offen ins Thal hinabsenkte, weiter vorwärts zu kommen; man geriet in Gefahr, von dem Winde erfaßt und in die Tiefe geschleudert zu werden. So blieb vorläufig nichts übrig, als hier im Schutze der Bäume zu warten, bis eine Pause in dem Toben der Lüfte eintrat.

Sie standen unter einer mächtigen Tanne, die am Saume des Waldes aufragte. Der Sturm wühlte in ihren grünen Armen, die sie schützend über ihre jüngeren Gefährten ausbreitete, und auch sie schwankte ächzend auf und nieder; aber der riesige weißgraue Stamm bot doch immerhin einen Halt und einen Schutz für Eugenie, die sich daran lehnte. Es wäre zur Not dort Platz für zwei Personen gewesen, aber dann hätten sie sich eng aneinander drücken müssen, und diese Erwägung war es vermutlich, die Arthur bestimmte, einige Schritt von ihr entfernt stehen zu bleiben, obgleich er dort nur sehr unvollkommen geschützt war, und die auf- und niederwehenden Zweige ihre beim letzten Regenschauer vollauf empfangene Nässe reichlich auf ihn niederschütteten. Sein Haar flatterte im Winde, und die Tropfen rannen ihm von der unbedeckten Stirn nieder. Dennoch machte er nicht den geringsten Versuch, seinen Platz zu ändern.

»Willst du – willst du nicht lieber hierher kommen?« fragte Eugenie zögernd, während sie sich seitwärts drückte, um ihm auf der einzigen trockenen Stelle etwas Raum zu geben.

»Ich danke! Ich möchte dir mit meiner Nähe nicht beschwerlich fallen!«

»So nimm wenigstens den Mantel um!« Es klang diesmal fast wie eine Bitte. »Du wirst ja völlig durchnäßt!«

»Durchaus nicht! Ich bin nicht so empfindlich gegen die Witterung, wie du glaubst.«

Die junge Frau biß sich auf die Lippen. Es ist nicht angenehm, mit seiner eigenen Waffe geschlagen zu werden, aber noch weit mehr als dies reizte sie der Trotz, mit dem er Wind und Wetter über sich ergehen ließ, einzig, um ihr eine Lehre zu geben. Sie fand freilich diesen Trotz unbeschreiblich lächerlich; sie litt doch wahrlich nicht darunter und ihr war es beinahe gleichgültig, ob er sich dadurch eine Erkältung, eine Krankheit zuzog oder nicht, aber es reizte sie nun einmal, daß er so gelassen dastand und mitten im Sturm seinen Platz behauptete, vielleicht mit Anstrengung; aber doch behauptete, er, der eine halbe Stunde vorher noch schläfrig und fröstelnd in den Polstern des bequemen Wagens gelegen hatte, und jeden Luftzug, der etwa durch die Glasfenster eindrang, peinlich zu empfinden schien. Brauchte er wirklich erst Sturm und Unwetter, um ihr zu zeigen, daß er doch nicht so ganz der Weichling war, für den sie ihn gehalten?

Arthur sah indessen nicht aus, als ob er ihr überhaupt irgend etwas zu zeigen beabsichtigte; er schien im Augenblick ihre Nähe ganz vergessen zu haben. Mit verschränkten Armen stand er da und schaute auf das Waldgebirge, dessen größten Teil man von der Höhe hier übersah. Langsam schweifte sein Auge von einer Bergspitze zur andern, und Eugenie machte dabei auf einmal die überraschende Entdeckung, daß ihr Gatte doch eigentlich sehr schöne Augen habe. Das überraschte sie in der That, sie hatte bisher nur gewußt, daß dort unter den halbverschleiernden Lidern etwas Müdes, Schläfriges ruhe, und sich nie die Mühe genommen, es weiter zu beachten. Wenn er einmal aufschaute, so geschah es ja stets so langsam, so träge, als koste ihm der Blick eine unendliche Mühe und sei doch nicht der Mühe wert; und doch war dieser Blick wohl wert, gesehen zu werden. Man hätte, nach dem Ausdruck des Gesichtes zu urteilen, unter den meist gesenkten Wimpern ein mattes, kaltes Blau vermuten sollen, statt dessen leuchtete dort ein klares, tiefes Braun, zwar auch noch matt, auch noch leblos, aber es schien doch, als könnten diese Augen einmal aufleuchten in Energie und Leidenschaft, als sei eine längst versunkene und vergessene Welt tief hinter diesem dunklen Blick gebannt und warte nur auf das erlösende Wort, um wieder heraufzusteigen aus der Tiefe. – In der jungen Frau zuckte wieder die Ahnung empor, die sie schon vorhin im Walde überkam, als er sich so plötzlich von ihr wandte, der Argwohn, als habe der Vater mit seiner Erziehung hier viel, unendlich viel verschuldet und zerstört, mehr als er je verantworten, mehr als er je wieder gut machen konnte.

Sie standen beide einsam da oben auf der Höhe. Im Nebelschleier lag der Wald da, dicht umflort von den grauen Schatten, die sich bald fest an die dunklen Tannen klammerten, bald in flatternden Streifen an ihren Wipfeln hingen, bald gespenstisch über den Boden hinschwebten. Und die gleichen Nebelschleier schwebten und flatterten auch über dem Gebirge drüben, bald zerreißend, bald sich zusammenballend, um die dunklen Gipfel und in den dampfenden Thälern. Es war ein Wallen und Wogen ohne Ende, ein Sinken und Steigen, jetzt als wollten Berge und Wälder sich aufthun in ihren fernsten Tiefen, jetzt als wollten sie sich verschließen vor jedem Menschenauge. Ringsum brauste der Sturm und wühlte in den hundertjährigen Tannen wie in einem Kornfeld; ächzend schwankten die mächtigen Stämme auf und nieder; sausend bogen sich die Wipfel, und über ihnen dahin jagten die grauen Wolken, gärende, gestaltlose Massen, in wilder regelloser Flucht. Es war ein Unwetter, wie nur je eins im Schöße des Gebirges emporstieg, und doch waren es Frühlingsstürme, die da oben brausten! Auf diesen sausenden Schwingen kam der Frühling gezogen, nicht sonnig lächelnd wie drunten in der Ebene; hier kam er rauh, wild und gewaltsam, aber es war doch sein Atem, der in diesem Sturme wehte, sein Ruf, der aus diesem Brausen klang. Es liegt etwas in dem Wesen der Frühlingsstürme, wie eine Verheißung all des Sonnenglanzes und Blütenduftes, der sich nun bald über die Erde ausgießen wird, wie eine Ahnung all des mächtig schaffenden Lebens, das schon seine tausend Keime empor zum Lichte ringt. Und sie hörten den Ruf und antworteten ihm, die brausenden Wälder, die stürzenden Bäche und dampfenden Thäler. In diesem Brausen und Schäumen und Toben, da klang doch nur das Aufjauchzen der Natur, die nun endlich die letzten Fesseln des Winters abwarf, klang ihr Jubelruf, mit dem sie den nahenden Retter begrüßte! Der Frühling kommt!

Es ist etwas Geheimnisvolles, solch eine Frühlingsstunde, und die Sagen des Gebirges leihen ihr einen eigenen, romantischen Zauber. Sie erzählen von dem Berggeiste, der dann durch sein Reich hinschreitet und dessen Macht in einer solchen Stunde auch segnend oder verheerend in das Leben der Menschen tritt, die in diesem Reiche weilen. Was sich da findet, das gehört zusammen für immer, und was sich da trennt, das trennt sich für alle Ewigkeit. Sie brauchten sich freilich nicht erst zu finden, die beiden auf der Höhe da oben; sie waren verbunden durch das festeste Band, das zwei Menschen nur einigen kann, und doch standen sie sich so fern, und doch waren sie einander so fremd, als lägen Welten zwischen ihnen. Das Stillschweigen hatte bereits eine geraume Zeit gedauert. Eugenie brach es zuerst.

»Arthur!«

Er schreckte wie erwachend auf und wandte sich zu ihr

»Du wünschest?«

»Es ist so kalt hier oben – willst du mir jetzt nicht – deinen Mantel leihen?«

Wie vorhin stieg wieder eine helle Röte auf in dem Antlitz des jungen Mannes, als er sie in sprachloser Verwunderung anblickte. Er wußte, daß die stolze Frau lieber erstarrt wäre in dem eisigen Winde, als daß sie sich herabgelassen hätte, um die einmal verschmähte Hülle zu bitten, und dennoch that sie es jetzt in diesem stockenden Tone, mit diesen niedergeschlagenen Augen, mit denen man ein begangenes Unrecht eingesteht. In der nächsten Minute schon stand er neben ihr und bot ihr den Mantel hin. Sie ließ es schweigend geschehen, daß er ihn um ihre Schultern legte; aber als er nun wieder an seinen Platz zurückkehren wollte, traf ihn ein Blick stummen, ernsten Vorwurfs. Arthur schien noch eine Sekunde lang zu zögern; aber hatte sie nicht etwas gethan, das beinahe einer Abbitte glich? Er ließ gleichfalls seinen Trotz fahren und blieb an ihrer Seite.

Aus dem Thale war eine Nebelwand aufgestiegen und lagerte jetzt so dicht um die beiden, als wollte sie sie festhalten an diesem Orte. Berge und Wälder verschwanden in dem grauen Dunst; nur die Tanne ragte mächtig daraus empor und blickte ernst nieder auf die zwei Menschen, die sich in ihren Schutz geflüchtet. Ueber ihnen rauschten und wehten die dunklen Zweige, wie mit tausend seltsamen geheimnisvollen Stimmen, und dazwischen brausten die volleren Accorde des Waldes – es war so angstvoll beklemmend in diesem Nebel, unter diesem Wehen und Rauschen. Eugenie fuhr plötzlich auf, als müsse sie sich einer Gefahr entreißen, die sie umstrickt hielt.

»Der Nebel wird immer dichter,« sagte sie gepreßt, »und das Wetter immer unheimlicher! Glaubst du, daß irgend eine Gefahr für uns auf diesem Wege vorhanden ist?«

Arthur blickte in die wogende Dunstmasse und strich sich mit der Hand die Tropfen aus dem feuchten Haar.

»Ich kenne unsre Berge nicht genug, um zu wissen, inwieweit ihre Stürme gefährlich werden können. Und wenn es nun der Fall wäre, würdest du dich fürchten?«

»Ich bin nicht furchtsam, und doch zagt man immer, wo es sich um das Leben handelt.«

»Immer? Ich dächte, das Leben, das wir in diesen vier Wochen geführt haben, wäre nicht derart gewesen, daß man zittern müßte, es aufs Spiel zu setzen, zumal für dich nicht!«

Die junge Frau senkte das Auge. »Ich bin dir, so viel ich weiß, noch mit keiner Klage lästig gefallen,« erwiderte sie leise.

»O nein! Ueber deine Lippen kommt gewiß keine Klage. Wenn du nur so gut wie die Klagen der Lippen auch die Blässe der Wangen zurückzwingen könntest! Du thätest es sicher, aber daran scheitert selbst deine Willenskraft. Glaubst du, daß es mir so große Freude macht, zu sehen, wie mein Weib sich an meiner Seite schweigend verblutet, weil das Schicksal sie nun einmal an diese Seite gezwungen hat?«

Jetzt war es Eugenie, die tief und glühend errötete; aber es war nicht der Vorwurf in seinen Worten, der diese Glut auf ihre Wangen rief, nur der seltsame Ausdruck, den er zum erstenmal ihr gegenüber gebrauchte. »Mein Weib!« hatte er gesagt. Ja, freilich, sie war ihm angetraut, aber es war ihr noch niemals eingefallen, daß er ein Recht haben konnte, sie »sein Weib« zu nennen.

»Weshalb berührst du denn jetzt diesen Punkt wieder?« fragte sie, sich abwendend. – »Ich hoffte, es sei mit jener ersten notwendigen Erklärung zwischen uns für immer abgethan.«

»Weil du dich in dem Irrtume zu befinden scheinst, ich wolle dich zeitlebens in den Fesseln halten, die mir wahrlich so drückend sind, wie sie dir nur je waren.«

Der Ton klang eisig kalt, und doch blickte Eugenie rasch zu ihm auf, aber sie vermochte nicht das geringste in seinem Gesichte zu lesen. Warum verschleierten sich denn diese Augen immer wieder, sobald sie es versuchte, darin zu forschen? Wollten sie ihr nicht Rede stehen oder fürchteten sie sich davor?

»Du sprichst von einer – Trennung?«

»Meinst du, ich hätte eine dauernde Ehe zwischen uns für möglich gehalten nach jenen Ausdrücken von – Hochachtung, die ich am ersten Abend aus deinem Munde hören mußte?«

Eugenie schwieg. Ueber ihrem Haupte rauschten und wehten wieder die grünen Tannenarme; die Waldesstimme drang mahnend und warnend herab zu den Gatten, die eben im Begriff standen, das Trennungswort auszusprechen, aber keines von beiden wollte die Warnung verstehen.

»Wir sind beide nicht frei genug, um alle Rücksichten beiseite zu setzen,« fuhr Arthur in dem gleichen Tone fort, »dein Vater wie der meinige sind zu bekannt in ihren Kreisen, unsre Verbindung machte zu großes Aufsehen, als daß wir sie sofort wieder hätten lösen können, ohne der Residenz einen unerschöpflichen Stoff zu Skandalgeschichten zu liefern, deren lächerliche Helden wir geworden wären. Man trennt sich nicht nach vierundzwanzig Stunden ohne jede äußere Veranlassung, auch nicht nach acht Tagen, man hält ›anstandshalber‹ ein Jahr miteinander aus, um dann mit einiger Wahrscheinlichkeit erklären zu können, daß die Charaktere nicht zusammenpassen. Ich hoffte, so lange würden auch wir das Nebeneinanderleben ertragen; es scheint aber doch, als ob unsre Kräfte der Aufgabe nicht gewachsen sind. Wenn das so fortgeht, erliegen wir ihr beide.«

Der Arm, den die junge Frau um den Stamm des Baumes geschlungen hatte, zitterte leise, aber ihre Stimme klang vollkommen fest, als sie entgegnete:

»Ich erliege nicht so leicht einer einmal übernommenen Aufgabe, und was dich betrifft, so glaubte ich in der That nicht, daß du überhaupt eine Empfindung für das Peinliche dieses Zusammenlebens hättest.«

Sein Blick sprühte auf; es war wieder jenes schnelle, blitzähnliche Aufleuchten, das in den braunen Augen kam und ging, ohne eine Spur zu hinterlassen; sie waren matt und ausdruckslos wie gewöhnlich, als er nach einer kurzen Pause antwortete:

»Du glaubtest das in der That nicht? So? Nun, auf meine Empfindungen kommt es ja auch nicht an. Ich hätte diesen Punkt überhaupt nicht berührt, hätte ich nicht die Notwendigkeit eingesehen, dir die Beruhigung zu geben, daß unsre Verbindung gelöst werden soll, sobald es der Welt gegenüber nur irgend möglich ist. Vielleicht sehe ich dich dann nicht mehr so bleich wie in diesen letzten Tagen, und vielleicht glaubst du mir nun auch, was dir bisher immer noch als eine Lüge galt, daß ich keine Ahnung von jenen Machinationen hatte, die mir eine Hand erzwangen, welche ich freiwillig zu empfangen wähnte.«

»Ich glaube dir, Arthur!« sagte sie leise, »jetzt glaube ich dir.« Arthur lächelte, aber es war ein Lächeln grenzenloser Bitterkeit, mit dem er diesen ersten Beweis des Vertrauens seiner Gattin empfing, in dem Momente, wo er sie aufgab.

»Der Nebel fängt an zu fallen,« sagte er abbrechend, »und auch der Sturm scheint sich für einige Minuten zu legen. Wir müssen das benutzen, um hinabzukommen; unten im Thale sind wir geschützt und erreichen in wenigen Minuten den Pachthof, wo man uns hoffentlich einen Wagen leihen kann. Willst du mir folgen?«

Der Weg war steil und schlüpfrig; aber Arthur schien heute nun einmal seine ganze Natur verleugnen zu wollen; er schritt fest und sicher bergabwärts, während Eugenie in ihren dünnen Schuhen und langen Kleidern, durch den Mantel noch mehr in ihren Bewegungen gehindert, kaum vorwärts schreiten konnte. Er sah, daß er ihr zu Hilfe kommen mußte, aber mit einem bloßen Armanbieten war es auf diesem Wege nicht gethan; er mußte sie notgedrungen umfassen, wenn die Hilfe überhaupt etwas nutzen sollte, und das – ging doch nicht. Der Gatte scheute sich hier, seiner Gattin einen Dienst zu leisten, den er jeder Fremden geleistet hätte, und was jede Fremde unter diesen Umständen unbedenklich angenommen hätte, das zauderte die Frau hier von ihrem Manne anzunehmen; sie bebte leise zusammen, als er nach kurzem Zögern schließlich doch den Arm um sie legte. Keines von beiden sprach ein Wort während des ganzen nur etwa zehn Minuten dauernden Weges, aber Eugeniens Antlitz wurde immer bleicher bei jedem Schritt, den sie niederwärts thaten. Sie schien es nun einmal nicht ertragen zu können, daß dieser Arm sie umfaßte, daß sie sich auf diese Schulter stützen mußte, so nahe, daß sein Atem sie berührte; und doch erleichterte er ihr das Peinliche der Lage so viel als möglich. Nicht ein einziger Blick fiel auf sie; seine ganze Aufmerksamkeit schien auf den Weg gerichtet, der allerdings Sorgfalt und Umsicht genug erforderte, sollten sie nicht beide hinabgleiten. Aber die Lippen des jungen Mannes zeigten trotz aller Ruhe doch wieder das verräterische Zucken, und als er, unten angelangt, mit einem tiefen Aufatmen seine Frau aus den Armen ließ, da sah man deutlich, daß er bei dieser seltsamen Promenade nichts weniger als ruhig gewesen war.

Zwischen den Bäumen hervor schimmerten bereits die Gebäude des Pachthofes, und hastig, als müßten sie um jeden Preis das fernere Alleinsein abkürzen, schlugen beide den Weg dorthin ein. Ueber sie hin brausten die Frühlingsstürme, und oben auf der Höhe legte sich der Nebel wieder dicht um die Tanne am Saume des Waldes, die ihre Zweige schirmend über zwei Menschen ausgebreitet hatte in der Stunde, von der die Bergsagen erzählen: »Was sich da findet, das gehört zusammen für immer, und was sich da trennt, das trennt sich für alle Ewigkeit!« Herr Berkow war bereits am Nachmittage desselben Tages eingetroffen, an dem Arthur und dessen Gattin sich im Walde befanden, und hatte sie schon bei ihrer Rückkehr empfangen; aber er schien diesmal nicht die ausgezeichnete Laune aus der Residenz mitgebracht zu haben, welche ihn bei seinem früheren Besuche beherrschte, als er in dem ersten Triumphe schwelgte, den die neue vornehme Verwandtschaft ihm in seinem eigenen Hause bereitete. Zwar war er auch jetzt wie gewöhnlich voll Artigkeit gegen seine Schwiegertochter, von unbegrenzter Nachsicht seinem Sohne gegenüber; aber sein ganzes Wesen zeigte doch etwas Hastiges, Unruhiges und Zerstreutes, das sich schon im Laufe des ersten Abends verriet und sich noch deutlicher kundgab am nächsten Morgen, als Arthur zu ihm ins Zimmer trat und eine Unterredung mit dem Vater verlangte.


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