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»Ich habe nichts zu erinnern. Es überraschte mich nur, daß der einmal festgesetzte Termin meiner Abreise beschleunigt werden soll. Du hattest doch deine Gründe, ihn festzuhalten.«

»Ich? Es war dein Wunsch, deine Forderung, der ich in diesem Punkte nachkam. Baron Windeg sagte mir wenigstens, daß es so wäre.«

Eugenie fuhr auf. Es schien, als ob mit dem tiefen erleichternden Atemzuge, der jetzt ihre Brust hob, auf einmal alle Scheu und Unsicherheit verschwinde, als ob ihr mit der einen Antwort der ganze Mut zurückgekommen sei.

»Ich ahnte es! Mein Vater ist zu weit gegangen, Arthur; er hat in meinem Namen gesprochen, wo er nur seinen eigenen Wunsch vertrat. Ich bin gekommen, das Mißverständnis zu lösen und dir zu sagen, daß ich nicht abreisen werde – wenigstens nicht eher, bis ich aus deinem Munde höre, daß du es verlangst.«

Sie hatte den Blick fest, aber wie in banger, atemloser Erwartung auf Arthurs Antlitz gerichtet, als wolle und müsse sie jetzt in seinem Auge lesen, aber dieses Auge blieb verschleiert und die Worte brachten überhaupt gar keine Wirkung hervor. Wohl fuhr ein Zucken durch seine Mienen, als sie das »Mißverständnis« löste, vielleicht war es ihr auch nur so vorgekommen, denn die Bewegung ging so schnell, wie sie kam, aber das Gesicht blieb unverändert und die Stimme hatte den alten eisigen Klang, als er nach einer sekundenlangen Pause antwortete:

»Du willst nicht abreisen? Und warum nicht?«

Die junge Frau trat mit voller Entschiedenheit vor ihren Gatten hin. »Du hast mir gestern selbst gesagt, daß es sich in dem bevorstehenden Kampfe um deine Existenz handelt; daß er bis aufs äußerste ausgefochten wird, weiß ich seit der letzten Begegnung mit Hartmann, und deine Lage ist jedenfalls noch bedrohlicher, als du mir zugibst. Ich kann und werde dich gerade in solchem Moment nicht verlassen, das wäre eine Feigheit und –«

»Du bist sehr großmütig,« unterbrach sie Arthur; aber jetzt barg sich hinter der Kälte seines Tones bereits eine schlecht verhehlte Bitterkeit. »Aber, um Großmut ausüben zu können, dazu gehört auch, daß sich jemand findet, der sie annimmt, und ich nehme die deinige nicht an.«

Eugeniens Hand drückte sich wie im verhaltenen Zorne fest in die sammetüberzogene Lehne des Sessels. »Nicht?«

»Nein! Der Plan ging von deinem Vater aus – sei es! Er hat ohne Zweifel das Recht, für seine Tochter, die ihm in kurzem wieder ganz gehören wird, Schutz und Sicherheit vor den Roheiten und Excessen zu fordern, die aller Wahrscheinlichkeit nach hier vorkommen werden. Ich gebe ihm darin vollkommen recht und füge mich unbedingt der morgenden Trennung.«

Die junge Frau hob energisch das blonde Haupt. »Und ich fügte mich ihr nur so lange, als ich sie für deinen Wunsch hielt; dem bloßen Willen meines Vaters weiche ich darin nicht. Ich habe die Pflichten deiner Gattin nun einmal übernommen, vor der Welt wenigstens; vor ihr werde ich sie auch durchführen, und sie gebieten mir, dich im Angesichte dessen, was bevorsteht, nicht feig zu verlassen, sondern an deiner Seite zu bleiben, bis die Katastrophe vorüber und der ursprünglich beschlossene Termin unsrer Trennung da ist. Dann werde ich gehen, eher nicht.«

»Auch nicht, wenn ich es ausdrücklich von dir verlange?«

»Arthur!«

Der junge Mann stand zur Hälfte abgewendet, seine Rechte zerknitterte nervös eins der Papiere seines Schreibtisches, das er mechanisch ergriffen hatte; die so gewaltsam zusammengeraffte Selbstbeherrschung wollte diesem Blicke und Tone gegenüber nicht mehr standhalten.

»Ich habe dich schon einmal gebeten, keine Großmutsscenen mit mir zu spielen,« sagte er bitter. »Ich bin nicht empfänglich dafür. Pflichten! Eine Frau, die ihrem Manne freiwillig Hand und Herz gibt, die hat die Pflicht, in der Gefahr bei ihm auszuhalten und sein Unglück, vielleicht seinen Untergang zu teilen, wie sie sein Glück geteilt hat – das war unser Fall ja wohl nicht. Wir haben keine Pflichten gegeneinander, weil wir nie Rechte aufeinander gehabt haben. Das einzige, was ich dir in dieser erzwungenen Ehe bieten konnte, war die Möglichkeit, sie zu lösen; sie ist gelöst seit dem Augenblicke, wo wir die Trennung beschlossen. Das ist meine Antwort auf dein Anerbieten.«

Die dunklen Augen Eugeniens hingen noch immer unverwandt an seinen Zügen. Dieses heiße, verräterische Aufleuchten, das jedesmal blitzähnlich eine unbekannte Tiefe zu enthüllen schien, heute kam es nicht, und heute gerade hatte sie es hervorzwingen wollen um jeden Preis. Was sie darin auch gesehen und geahnt haben mochte – und die stolze Frau mußte etwas geahnt haben, ehe sie sich zu diesem Kommen und Anerbieten entschloß – er gönnte ihr nicht den Triumph, es noch einmal zu sehen oder zur Klarheit darüber zu gelangen; er blieb vollkommen Herr über sich und ließ ihr den quälenden Zweifel. Der Instinkt des Weibes hatte so laut und untrüglich gesprochen, als ihr gestern auf der Waldeshöhe die Blicke Ulrich Hartmanns entgegenflammten, und mit der Erkenntnis dessen, was dahinter lag, war auch das Grauen davor gekommen. Freilich, dort war sie kalt geblieben, mitten in der Gefahr, mit der eine unsinnige Leidenschaft sie bedrohte; hier, wo nichts zu fürchten war, hier bebte ihr ganzes Wesen in fieberhafter Erregung, und eben deshalb verschleierte sich alles, wie sich die braunen Augen drüben vor ihr verschleierten; da schwieg die innere Stimme, und doch hätte sie ihr Leben darum gegeben, gerade hier Gewißheit zu haben.

»Du solltest mir das Bleiben nicht so schwer machen.« Die Stimme Eugeniens hatte etwas von dem quälenden Zweifel ihres Innern; sie schwankte zwischen herbem Stolze und weicher Nachgiebigkeit. »Ich habe manches überwinden und niederkämpfen müssen, ehe ich hierher kam; du weißt es, Arthur, also schone es auch.«

Die Worte klangen fast wie eine Bitte; aber Arthur war bereits auf einen Punkt gekommen, wo er das nicht mehr verstand. Die wilde Bitterkeit, die furchtbare Gereiztheit, welche sein ganzes Wesen durchzitterten, gaben auch hier die alleinige Richtung und Auffassung, als er schneidend erwiderte:

»Ich zweifle durchaus nicht daran, daß Baroneß Windeg ein unendliches Opfer bringt, wenn sie sich entschließt, noch drei Monate länger den gehaßten bürgerlichen Namen zu tragen, noch länger an der Seite eines so tief verachteten Mannes zu bleiben, trotzdem man ihr die sofortige Freiheit bietet. Ich habe einst hören müssen, wie furchtbar dir beides war; ich kann danach ermessen, was diese Selbstüberwindung dich kostet.«

»Du wirfst mir das Gespräch am Abend unsrer Ankunft vor,« sagte Eugenie leise. »Ich hatte es vergessen.«

Jetzt endlich flammten seine Augen auf; aber es war nicht jenes Aufleuchten, welches sie darin gesucht und gehofft; es war etwas Fremdes, Feindseliges, was sich jetzt in ihm emporbäumte.

»Hast du wirklich? Ob ich es vergessen habe, danach fragst du nicht? Mit anhören habe ich es damals müssen; das war aber auch die Grenze dessen, was ich ertragen konnte. Meinst du, ein Mann ließe sich ungestraft so in den Staub treten, wie du es an jenem Abende thatest, und sich dann ohne weiteres wieder daraus erheben, wenn es dir beliebt, deine Meinung zu ändern? Ich war nicht ganz der elende Weichling, für den du mich gehalten; seit jener Stunde war ich es nicht mehr; die hat über mich entschieden, aber sie entschied auch über unsre Zukunft. Was mich trifft und treffen kann, werde ich allein tragen. Ich habe ja so manches gelernt in den letzten Wochen; ich werde auch das durchführen, aber« – hier richtete er sich mit glühendem Stolze in die Höhe – »aber die Frau, die mich am Tage nach unsrer Trauung mit so hochmütiger Verachtung von sich stieß, ohne auch nur zu fragen, ob der Gatte, dem sie doch nun einmal ihre Hand gegeben, auch wirklich so schuldig war, wie sie ihn glaubte, – bei der meine Erklärung, mein Wort darauf, daß sie sich im Irrtum befinde, nur als die Ausflucht eines Lügners galt – die mir auf die Frage, ob sie es nicht wenigstens der Mühe wert halte, den Versuch zur Besserung eines ›Verlorenen‹ zu machen, dieses verächtliche Nein entgegenschleuderte – diese Frau will ich nicht an meiner Seite haben, wenn ich den Kampf um meine Zukunft ausfechte – ich will allein sein!«

Er wandte sich stürmisch ab. Eugenie stand betreten, wortlos da; so sehr sich auch das Wesen ihres Mannes in der letzten Zeit geändert hatte, leidenschaftlich hatte sie ihn noch nie gesehen, und jetzt war er es in einem Maße, das sie fast erschreckte. An dem Sturme, der ihr hier entgegenflutete, konnte sie ermessen, was sich damals hinter seiner Gleichgültigkeit barg, die sie so tief empörte, was monatelang in ihm gewühlt hatte, bis es ihn endlich emporriß aus der Apathie, die ihm zur zweiten Natur geworden war. Jawohl, dieses kalte, verächtliche Nein – sie wußte am besten, wie unrecht sie ihm damit gethan, und jetzt, wo sie sah, wie tief es ihn getroffen, jetzt hätte diese Stunde vielleicht alles wieder gut gemacht, was jene andre verschuldet, wären nicht die unseligen letzten Worte gewesen. Die berührten die Hochmutsader der jungen Frau, und wo ihr Stolz ins Spiel kam, da war es vorbei mit Einsicht und Ueberlegung, selbst wo sie sich im Unrecht wußte.

Die dunklen Augen Eugeniens hingen noch immer unverwandt an seinen Zügen. (S. 222.)

»Du willst allein stehen!« wiederholte sie. »Nun denn, aufdrängen werde ich dir meine Nähe nicht. Ich kam, um mich zu überzeugen, ob der Plan meines Vaters auch der deinige sei. Er ist es, wie ich sehe – ich werde also abreisen.«

Sie wandte sich zum Gehen. An der Thür hielt sie noch einmal inne; es war ihr, als sei er in dem Moment, wo sie die Hand an den Drücker legte, emporgeschnellt, als habe er eine Bewegung gemacht, ihr nachzustürzen, doch das mußte wohl Täuschung sein, denn als sie sich umwendete, stand Arthur noch am Schreibtisch, totenbleich zwar, aber in seiner Haltung, in jedem Zuge seines Gesichts stand das Wort geschrieben, mit dem sie ihn einst von sich gestoßen, ein herbes, unbeugsames Nein.

Eugenie raffte ihren letzten Mut zusammen zum Abschied.

»Wir werden uns morgen nur in Gegenwart meines Vaters sehen, und dann vielleicht nie wieder, also – leb wohl, Arthur!«

»Leb wohl!« sagte er dumpf.

Die Thür schloß sich hinter ihr; sie war verschwunden. Das letzte Alleinsein war unnütz verstrichen, die letzte Brücke zur Verständigung abgebrochen, keines von beiden hatte seinen Starrsinn beugen, keines das Wort aussprechen wollen, das hier allein helfen und retten konnte, das eine Wort, das alles wieder gut gemacht hätte, und wäre zehnfach Schlimmeres geschehen; der Stolz allein redete – und damit war ihr Urteil gesprochen. –

Grau und trübe kam der nächste Morgen über die Berge, aber im Hause war es trotz der ungewöhnlichen Stunde schon lebendig geworden. Man hatte die Abreise so früh festsetzen müssen, da man rechtzeitig den Anschluß an den Bahnzug erreichen wollte, um heute abend noch in der Residenz einzutreffen. Vorläufig war freilich nur erst Kurt von Windeg im Salon. Der Baron befand sich noch auf seinem Zimmer. Eugenie war gleichfalls noch nicht sichtbar, und der junge Offizier schien mit sichtbarer Ungeduld irgend etwas zu erwarten. Er hatte bereits mehreremal den Salon durchmessen, dann am Balkon gestanden, dann auf dem Fauteuil gesessen, von dem er jetzt rasch in die Höhe sprang, als Arthur Berkow eintrat.

»Ah, Sie sind schon hier?« sagte dieser, seinen jungen Schwager mit jener höflichen Kälte begrüßend, die zwischen ihnen Sitte war.

Kurt eilte ihm lebhaft entgegen. »Ich wollte gern noch allein einige Worte Ihnen – aber, mein Gott, was ist Ihnen? Sind Sie krank?«

»Ich?« fragte Arthur ruhig. »Was fällt Ihnen ein? Ich befinde mich vollkommen wohl!«

»So?« meinte Kurt mit einem Blick auf das bleiche, überwachte und abgespannte Antlitz seines Schwagers, »ich hätte eher das Gegenteil angenommen.«

Arthur zuckte etwas ungeduldig die Achseln. »Ich bin das frühe Aufstehen nicht gewohnt; da sieht man immer überwacht aus. Uebrigens fürchte ich, Sie werden heute eine schlechte Fahrt haben; es ist ein abscheulicher Nebelmorgen.«

Er trat ans Fenster, wie um nach dem Wetter zu sehen, in Wahrheit aber wohl nur, um sich den unbequemen physiognomischen Beobachtungen zu entziehen, mit denen Kurt ihm lästig fiel. Dieser ließ sich aber so leicht nicht abweisen; er trat dicht an seine Seite.

»Ich wollte der erste hier sein,« begann er ein wenig stockend, »weil ich gern noch eine Unterredung unter vier Augen mit Ihnen haben möchte, Arthur!«

Der Angeredete wendete sich um, ebensosehr verwundert über dieses Verlangen, als über die Art der Anrede. Kurt hatte ihn während der ganzen Verwandtschaft kaum einmal beim Vornamen genannt. Er pflegte sonst stets dem Beispiele seines Vaters zu folgen und das steife »Herr Berkow« zu gebrauchen.

»Nun?« fragte dieser befremdet zwar, aber freundlich.

In den Zügen des jungen Offiziers kämpften sichtbar Unsicherheit und Verlegenheit mit andern Empfindungen, plötzlich aber hob er sein hübsches, offenes Gesicht zu dem Schwager empor und sah ihn treuherzig an.

»Wir haben Ihnen unrecht gethan, Arthur, und ich vielleicht am meisten! Ich war empört über die Heirat, über den Zwang, der uns geschah, und – daß ich es Ihnen nur ehrlich gestehe – ich habe Sie rechtschaffen gehaßt von dem Augenblick an, da Sie mein Schwager wurden. Seit gestern weiß ich, daß wir uns in Ihnen geirrt haben, und seitdem ist es auch aus mit dem Hasse. Es thut mir leid, sehr leid, und das – das war es, was ich Ihnen sagen wollte! Nehmen Sie es an, Arthur?«

Er streckte ihm warm und herzlich die Hand hin. Arthur ergriff sie.

»Ich danke Ihnen, Kurt!« sagte er einfach.

»Gott sei dank! jetzt ist's herunter; es hat mich die ganze Nacht nicht schlafen lassen,« versicherte Kurt aufatmend, »und glauben Sie mir, auch mein Vater läßt Ihnen jetzt Gerechtigkeit widerfahren. Zugestehen wird er Ihnen dies freilich nicht, aber ich weiß, daß er so denkt.«

Ein flüchtiges Lächeln flog über Berkows Gesicht; freilich die Stirn wurde nicht heller davon und das Auge nicht klarer; auf beiden lag noch der schwere Schatten, als er ruhig antwortete: »Das ist mir lieb. So scheiden wir wenigstens nicht als Feinde.«

»Ja, was die Abreise betrifft,« fiel Kurt rasch ein, »Papa ist noch oben in seinem Zimmer und Eugenie augenblicklich ganz allein in dem ihrigen – wollen Sie sie nicht noch einmal sprechen?«

»Wozu?« fragte Arthur betroffen. »Der Herr Baron kann jeden Augenblick erscheinen und Eugenie wird schwerlich –«

»Ich stelle mich vor die Thür und lasse niemand hinein!« versicherte Kurt eifrig. »Ich werde den Papa schon so lange hier aufzuhalten wissen, bis ihr drinnen fertig seid.« Eine schnelle Röte bedeckte einen Moment lang Arthurs Stirn, als er dem gespannt forschenden Blick seines Schwagers begegnete, aber er schüttelte ernst den Kopf.

»Nein, Kurt, das ist unnötig! Ich habe gestern abend bereits noch einmal und ausführlich mit Ihrer Schwester gesprochen.«

»Auch über die Abreise?«

»Auch über die Abreise!«

Der junge Offizier sah etwas enttäuscht aus, übrigens blieb ihm keine Zeit zu weiteren Vorschlägen, denn man hörte bereits draußen den Schritt des Barons, der gleich darauf eintrat. Kurt zog sich mit einer halb trotzigen Bewegung mehr in den Hintergrund des Zimmers zurück, während er vor sich hinmurmelte: »Und richtig ist die Sache doch nicht!«

Das unumgänglich nötige Beisammensein während des Frühstücks war vorüber. Die abgemessene Förmlichkeit des Barons und die stete Gegenwart der Diener hatten darüber hinweggeholfen; jetzt fuhr der Wagen unten auf der Terrasse vor. Die Herren nahmen ihre Mäntel um und das Kammermädchen brachte Eugenien Hut und Shawl. Arthur bot seiner Frau den Arm, um sie hinunterzuführen. Der Schein eines vollkommenen Einverständnisses sollte ja bis zum letzten Augenblick aufrecht erhalten bleiben.

Grau und trübe war der Morgen über die Berge gekommen; grau und trübe stieg er jetzt ins Thal hernieder, vor den Fenstern wogte ein Nebelmeer, und hier drinnen gab das frostig kalte Morgenlicht, das die Räume bereits erfüllte, ihnen etwas gespenstig Oedes und Unheimliches; es schien, als ob all die reiche Pracht, die sie schmückte, auf einmal Glanz und Farbe verloren hätte, und sie sollten ja auch jetzt leer werden, ganz leer – die junge Herrin verließ sie, um nicht wiederzukehren.

Kurt machte im stillen die Bemerkung, daß auch seine Schwester dasselbe Aussehen zeigte, das ihn vorhin an Arthur so erschreckt hatte, aber sonst konnte auch er in der Haltung beider nichts Außergewöhnliches entdecken. Sie wußten die einmal übernommenen Rollen durchzuführen, wenn ihre Züge auch verrieten, daß es ihnen eine schlaflose Nacht gekostet, und vielleicht war diese starre, kalte Fassung nicht einmal eine Rolle. Wenn der Sturm ausgetobt hat, dann folgt jene Ruhe, die uns so oft im Leben gerade über das Schwerste, das am meisten Gefürchtete, verhältnismäßig leicht hinweghilft, weil es wie ein Schleier auf der Seele liegt, der sie nicht zum klaren Bewußtsein des entscheidenden Moments kommen läßt, weil all das frühere Kämpfen und Ringen untergeht in einem dumpfen Wehgefühl, durch das nur hin und wieder ein jäher, stechender Schmerz zuckt, bei dem man sich erst besinnen muß, warum man denn eigentlich leidet. Am Arme ihres Mannes schritt Eugenie die Treppen hinunter, ohne eigentlich zu wissen, daß und wohin sie gingen. Wie im Traume sah sie die teppichbelegten Stufen, auf denen ihr Kleid rauschte; die hohen Oleanderbäume, mit denen das Vestibül geschmückt war, die Gesichter der Diener, die sich vor der gnädigen Frau verneigten, das alles glitt undeutlich, schattenhaft vorüber – dann plötzlich berührte etwas scharf und beinahe schmerzend ihre Stirn; es war die kalte Morgenluft, in der sie zusammenschauerte, und vor sich sah sie den Wagen, der sie fortführen sollte, ihn allein, denn Terrasse, Blumenanlagen und Fontänen, das alles verschwand in Dämmerung und Nebelgeriesel. Noch einmal begegneten sich die Augen der beiden Gatten, aber sie sagten einander nichts. Der Schleier lag schwer und dicht auch zwischen ihnen. Dann fühlte die junge Frau, wie eine Hand sich feucht und eiskalt in die ihrige legte, und hörte einige fremd und höflich klingende Abschiedsworte, die sie nicht verstand, aber es war doch Arthurs Stimme, die sie sprach, und dabei fuhr wieder der stechende Schmerz heiß durch den dumpfen Traum – dann Hufestampfen und Räderrollen und vorwärts ging es, hinein in das Nebelgrauen, das ringsum wallte und wogte, wie damals, als die Trennung beschlossen ward, oben auf der Waldhöhe in jener Frühlingsstunde – und was sich da trennt, das trennt sich für alle Ewigkeit! Wie ich Ihnen sage,« versicherte der Oberingenieur dem Direktor, während sie gemeinschaftlich nach ihren beiderseitigen Wohnungen gingen, »jetzt wird's Ernst! Der Herr Führer scheint die Angriffsparole ausgegeben zu haben, aber wir sollen ihnen den Vorwand dazu liefern. Man fordert uns ja förmlich heraus, und die Insulten sind an der Tagesordnung. Sie haben uns richtig den ganzen Bezirk aufgewiegelt; auf allen Werken ist die Geschichte jetzt erklärt; wir hatten nur die Ehre gehabt, anzufangen. Das ist Wasser auf Hartmanns Mühle. Er trägt den Kopf noch einmal so hoch wie sonst!«

»Herr Berkow scheint auf alles gefaßt zu sein,« meinte der Direktor. »Er hat schleunigst die gnädige Frau in Sicherheit gebracht; das beweist am besten, was er von seinen eigenen Leuten fürchtet.«

»Bah, unsre Leute!« fiel der Kollege ein. »Mit denen wollten wir schon fertig werden, wenn nur der eine nicht wäre! Aber solange der befiehlt, ist an Ruhe und Frieden nicht zu denken. Nur acht Tage lang den Hartmann fort von den Werken – und ich wollte für den Ausgleich bürgen!«

»Ich habe schon daran gedacht« – der Direktor sah sich vorsichtig um und senkte dann die Stimme – »ich habe schon daran gedacht, ob man nicht den Verdacht gegen ihn benutzen könnte, den ja hier jeder hegt und mit dem ihm wohl keiner unrecht thut. Was meinen Sie dazu?«

»Das geht nicht! Verdacht haben wir genug, aber wo bleiben die Beweise? An der Maschine und den Stricken hat sich nichts weiter finden lassen, als daß sie eben gerissen sind, die Herren vom Gericht haben das eingehend genug untersucht. Wie es kam und was da unten in der Tiefe vorgegangen ist, das kann eben nur Hartmann wissen, und der steht seinen Mann, auch im Leugnen. Man würde ihn ohne Resultat wieder frei geben müssen.«

»Aber eine Kriminaluntersuchung würde ihn vorläufig unschädlich machen. Wenn man denunzierte, einige Wochen Haft –«

Der Oberingenieur runzelte die Stirn. »Wollen Sie die Wut unsrer Leute auf sich nehmen, wenn man ihren Führer angreift? Ich nicht! Sie stürmen uns das Haus, sage ich Ihnen, wenn sie das Manöver durchschauen, und das geschieht sicher.«

»Das wäre noch die Frage. Er hat nicht mehr die alte Liebe unter ihnen.«

»Aber die alte Furcht noch! Mit der regiert er sie despotischer als je, und dann – Sie thun unsrer Knappschaft unrecht, wenn Sie glauben, sie würde den Kameraden, den Führer, auf einen bloßen Verdacht hin im Stiche lassen. Scheuen mögen sie ihn, sich ihm auch entfremden mit der Zeit, aber in dem Momente, wo wir die Hand an ihn legen, da schart sich alles um ihn und schützt ihn auf jede Gefahr hin. Nein, nein, das geht nicht! Was wir gerade vermeiden wollen, ein blutiger Konflikt, wäre dann unausbleiblich, und überdies bin ich überzeugt, Herr Berkow würde dazu die Hand nicht bieten.«

»Ahnt er noch immer nichts von dem Verdachte?« fragte der Direktor.

»Nein! Ihm gegenüber wagt natürlich niemand eine Hindeutung darauf, und ich glaube, es ist besser, wir ersparen es ihm auch ferner. Er hat so schon genug zu tragen.«

»Jawohl, übergenug, und die Hiobsposten der letzten Wochen und Schäffers Briefe aus der Residenz scheinen doch nicht ohne Wirkung zu bleiben. Ich glaube, er denkt ernstlich ans Nachgeben.«

»Warum nicht gar!« fuhr der Oberingenieur auf, »dazu ist es jetzt zu spät. Vor der Antwort, die er den Leuten gab, da blieb ihm allenfalls noch die Wahl, ob er sein Geld riskieren oder die Fuchtel auf sich nehmen wollte, die es dem Herrn Hartmann beliebte uns aufzuerlegen; nach der Art, wie er ihm damals gegenübertrat, kann gar keine Rede mehr davon sein. Jede Spur von Autorität ist unwiederbringlich dahin, wenn er nicht fest bleibt. Er muß vorwärts, und vorwärts zu müssen, das ist immer ein Vorteil im Kampfe.«

»Aber wenn es sich um das Vermögen handelt!«

»Aber wenn es sich um die Ehre handelt!«

Die beiden Herren gerieten wieder in eine jener hitzigen und fruchtlosen Debatten, deren Resultat gewöhnlich war, daß ein jeder bei seiner Meinung blieb, und so geschah es auch diesmal, als sie sich kurz darauf trennten.

»Es ist doch etwas Schönes um die Neutralität,« grollte der Oberingenieur dem Kollegen nach, indem er in sein Haus trat. »Nur immer hübsch ängstlich, immer hübsch vorsichtig, es nur ja mit keiner Partei verderben, weil man nie wissen kann, welche einmal ans Ruder kommt. Ich wollte all die Hasenfüße – Wilberg, was zum Kuckuck haben Sie denn da mit meiner Tochter zu schaffen?«

Die beiden jungen Leute, denen diese Anrede galt, fuhren erschrocken auseinander, als seien sie auf einem Verbrechen ertappt worden, obgleich es in Wirklichkeit nur ein ganz harmloser Handkuß war, den sich Herr Wilberg erlaubt hatte, aber er sah dabei so gefühlvoll und Melanie ihrerseits so gerührt aus, daß ihr Vater, durch das vorhergehende Gespräch mit dem Direktor schon geärgert und gereizt, wie ein Ungewitter dazwischen fuhr.

»Ich bitte ganz außerordentlich um Entschuldigung!« stammelte der junge Beamte, während Fräulein Melanie, in dem Bewußtsein, daß ein Handkuß unter keinen Umständen etwas Schlimmes sei, ziemlich keck dreinschaute.

»Ich bitte ganz außerordentlich um eine Erklärung!« rief der Oberingenieur zornig. »Was haben Sie hier unten auf dem Hausflur zu thun? Warum gehen Sie nicht, wie es sich gehört, in das Visitenzimmer?«

Die geforderte Erklärung ließ sich nun wirklich nicht in drei Worten geben, obgleich die jungen Leute unschuldig genug an diesem Zusammentreffen waren. Wilberg war in das Haus seines Vorgesetzten gekommen, einen Auftrag Herrn Berkows im Kopfe und tiefe Schwermut im Herzen. Letztere galt natürlich der Abreise der gnädigen Frau, die er bereits am Abende vorher erfahren, aber an dem betreffenden Morgen glücklich verschlafen hatte. Der junge Beamte war kein Frühaufsteher und hatte nie den Leichtsinn begangen, sich der neblig kalten Morgenluft auszusetzen, in der man sich den Rheumatismus holen konnte. Er war es nicht gewesen, der damals beim Tagesgrauen unter den Tannen gestanden, dort, wo die Chaussee in den Wald einbog, geduldig wartend, trotz Nebel und Kälte, um der einen Minute willen, in welcher der Wagen vorüberrollte, um des einen Blickes willen, der im Innern desselben ein Antlitz suchte, das er nicht fand, denn dies Antlitz lag mit geschlossenen Augen in den Polstern vergraben. Als jener andere heimkehrend unter seinem Fenster vorüberging und in das Haus des Schichtmeisters trat, schlief Herr Wilberg noch in ungestörter Ruhe, was ihn aber nicht hinderte, sich beim Erwachen grenzenlos unglücklich zu fühlen und die ganze Woche hindurch eine so melancholische Miene zur Schau zu tragen, daß Fräulein Melanie, die ihm zufällig im Hausflur begegnete, nicht umhin konnte, teilnehmend zu fragen, was ihm denn fehle.

Der junge Dichter war gerade in der Stimmung, seinen Schmerz irgend einem mitfühlenden Wesen auszuströmen; er seufzte daher verschiedene Male, machte Andeutungen und schüttete zuletzt natürlich sein ganzes Herz aus, um ebenso natürlich ein noch weit größeres Mitleid dafür in Empfang zu nehmen. War die junge Dame vorhin neugierig gewesen, so wurde sie jetzt über alle Maßen gerührt. Sie fand die Sache hochromantisch, den armen Wilberg ihrer tiefsten Teilnahme würdig, und nahm es daher auch ganz unbefangen hin, als er am Ende all dieser Mitteilungen und Tröstungen ihre Hand ergriff, um einen dankbaren Kuß darauf zu drücken; es war ja nicht die geringste Gefahr dabei, da er eine andere liebte.

In diese rührende Scene nun fuhr der Herr Oberingenieur mit der ganzen Prosa seiner väterlichen Autorität und verlangte zu wissen, warum diese Herzensergießungen hier unten im Hausflur und nicht oben in der Visitenstube vor sich gingen, wo ihnen die Gegenwart der Mama selbstverständlich einige Schranken auferlegt hätte. Herr Wilberg, im Bewußtsein des großen Unrechts, das ihm hier geschah, raffte sich zusammen.

»Ich habe einen Auftrag von Herrn Berkow,« erklärte er.

»So? Das ist etwas andres! Geh hinauf, Melanie! Du hörst ja, daß es sich um Geschäftssachen handelt.«

Melanie gehorchte, während ihr Vater am Fuße der Treppe stehen blieb, ohne den jungen Beamten, wie sonst, in seine Wohnung einzuladen, so daß dieser genötigt war, sich hier seines Auftrages zu entledigen.

»Es ist gut,« sagte der Oberingenieur ruhig. »Die betreffenden Zeichnungen stehen Herrn Berkow zur Verfügung; ich werde sie ihm selbst bringen. Und nun ein Wort zu Ihnen, Wilberg! Ich habe Ihnen trotz einer gewissen gegenseitigen Antipathie doch immer Gerechtigkeit widerfahren lassen.« Herr Wilberg verneigte sich. »Ich halte Sie sogar für einen ganz tüchtigen Beamten.« Herr Wilberg verneigte sich zum zweitenmale. »Aber auch für etwas verrückt.«

Der junge Mann, der soeben im Begriff war, die dritte Verbeugung zu machen, fuhr in die Höhe und starrte ganz fassungslos seinen Vorgesetzten an, der mit unverwüstlicher Gemütsruhe fortfuhr:

»Was nämlich Ihre Manie zum Dichten betrifft. Das ginge mich nichts an, meinen Sie? Ich will das auch hoffen. Sie haben nacheinander den Hartmann, die gnädige Frau und Herrn Berkow angesungen. Das können Sie thun, wenn es Ihnen Vergnügen macht, aber lassen Sie sich nicht etwa einfallen, meine Melanie anzusingen – das verbitte ich mir. Ich will nicht, daß dem Kinde dergleichen Unsinn in den Kopf gesetzt wird! Wenn Sie durchaus einen neuen Gegenstand für Ihre poetischen Gefühle brauchen, so nehmen Sie mich oder den Direktor; wir stehen Ihnen zu Diensten.«

»Ich glaube, ich werde das unterlassen,« sagte Wilberg im höchsten Grade gereizt.

»Wie es Ihnen beliebt, aber merken Sie sich: meine Tochter bleibt aus dem Spiele. Wenn mir eines Tages einmal ein Gedicht ›An Melanie‹ unter die Hände kommt, dann fahre ich zwischen Ihre Jamben und Alexandriner, oder wie das Zeug sonst heißt. Das war es, was ich Ihnen sagen wollte. Adieu.«

Damit ließ der rücksichtslose Vorgesetzte den in seinen heiligsten Gefühlen gekränkten Dichter stehen und stieg die Treppe hinauf. Oben in der Wohnung kam ihm seine Tochter entgegen.

»O Papa, wie kannst du so hart und ungerecht gegen den armen Wilberg sein! Er ist so unglücklich!

Der Oberingenieur lachte laut auf. »Unglücklich? Der? Ein verunglückter Dichter ist er; schauderhafte Verse schreibt er zusammen, aber je mehr man versucht, ihm das begreiflich zu machen, desto toller reimt er darauf los. Was übrigens den Handkuß betrifft –«

»Mein Gott, Papa, da bist du ganz und gar im Irrtum!« unterbrach ihn Melanie sehr entschieden. »Es war nur Dankbarkeit. Er liebt ja die gnädige Frau, hat sie vom ersten Moment an geliebt, natürlich hoffnungslos, da sie bereits verheiratet ist, aber es ist doch begreiflich, daß er sich darüber grämt und daß ihre Abreise ihn vollends in Verzweiflung stürzt.« »Also einzig aus Gram und Verzweiflung hat er dir die Hand geküßt? Merkwürdig! Uebrigens woher weißt du denn das alles, Melanie? Du scheinst mir ja ganz außerordentlich bewandert in den Herzensgeschichten dieses blonden Schäfers!«

Die junge Dame hob mit unverkennbarer Genugthuung den Kopf. »Ich bin seine Vertraute; mir hat er sein ganzes Herz ausgeschüttet. Ich habe ihn auch trösten wollen, aber er mag keinen Trost; er ist zu unglücklich.«

»Das ist ja eine allerliebste Geschichte!« brach der Oberingenieur zornig los. »Also bis zum Trösten und Herzausschütten seid ihr schon gekommen? Ich hätte den Wilberg gar nicht für so gescheit gehalten. Wer bei euch Frauen erst auf das Mitleid spekuliert – aber der Sache wollen wir denn doch bei Zeiten ein Ende machen. Du wirst künftig nicht wieder solche unpassende Vertraulichkeiten entgegennehmen, Melanie, und die Tröstungsgeschichte verbitte ich mir ein- für allemal. Ich werde sorgen, daß er fürs erste nicht wieder ins Haus kommt, und damit Punktum!«

Melanie wendete sich schmollend ab, ihr Herr Papa bewies aber keine sehr große Menschenkenntnis, wenn er mit diesem diktatorischen Punktum die Sache nun auch wirklich beendet und das Schreckbild gebannt glaubte, das in Gestalt eines dichtenden und Guitarre spielenden Schwiegersohnes urplötzlich vor ihm aufgetaucht war. Er hätte doch wissen müssen, daß Fräulein Melanie sich jetzt erst recht vornahm, den armen, so arg verkannten Wilberg zu trösten, wo und wie es nur anging, und daß Herr Wilberg sich noch denselben Abend hinsetzte, um ein Gedicht »An Melanie« zu verfassen; dergleichen ließ sich mit einem bloßen Punktum wirklich nicht verbieten.

Der Tag neigte sich zu Ende. Im Sinken brach die Sonne noch einmal rot durch das sie umgebende Gewölk und ließ Wald und Berge aufglühen in kurzer vergänglicher Pracht. Nur wenige Minuten lang, dann sank der rote Feuerball langsam am Horizonte nieder und mit ihm verschwanden der Glanz und die Farben, die er einen flüchtigen Moment lang der Erde geliehen.

Arthur Berkow hatte soeben das Gitter am Ausgang des Parkes geöffnet und war hinausgetreten; hier blieb er stehen, unwillkürlich gefesselt von dem Schauspiel, und schaute mit einem langen düsteren Blicke dem scheidenden Gestirn nach. Sein Antlitz trug jetzt den Ausdruck vollkommen erstrittener Ruhe, aber es war nicht jene Fassung, mit der ein Mann sich emporrafft, wenn er eine siegreich überwundene Schwäche von sich wirft, um in neue Bahnen einzulenken. Wenn man allein zurückbleibt auf dem sinkenden Schiffe, und sieht in der Ferne das Boot verschwinden, das die besten Güter und Schätze der sicheren Küste zuführt, während das Schiff selbst unaufhaltsam der Klippe entgegentreibt, an der es zerschellen muß, da hält der Mannesmut wohl auch noch aus, aber freudig ist er nicht mehr. Wenn die letzte Hoffnung gegangen ist, dann kommt die Ruhe, die im stande und bereit ist, allem zu trotzen; sie lag jetzt auch auf Arthurs Zügen; der Traum war ausgeträumt und die nächste Zukunft forderte wahrlich ein volles ganzes Erwachen.

Er schritt über die Wiese hin und schlug die Richtung ein, die nach den Wohnungen seiner Oberbeamten führte. Der breite Wassergraben, der am oberen Ende des Parkes entlang lief, durchschnitt auch hier den Wiesengrund, aber während dort eine zierliche Brücke den Uebergang bildete, mußte hier ein einfaches Brett, derb und sicher, aber so schmal, daß nur einer es passieren konnte, denselben Dienst leisten. Arthur betrat es rasch, ohne zu bemerken, daß ein andrer zugleich von drüben herkam, und bereits hatte er einige Schritte gethan, als er plötzlich vor Ulrich Hartmann stand, der ihn gleichfalls erst in diesem Augenblicke zu erkennen schien. Der junge Chef blieb stehen, in der Voraussetzung, daß sein Untersteiger zurückgehen und ihn hinüberlassen werde, aber es mußte doch etwas an dem »Provozieren« sein, das der Oberingenieur bemerkt haben wollte; ob jener wirklich einen Konflikt suchte, oder ob er nur seiner eigenen trotzigen Natur gehorchte, genug, er blieb unbeweglich stehen und machte keine Miene zu weichen.

»Nun, Hartmann, wollen wir so stehen bleiben?« sagte Arthur ruhig, nachdem er einige Sekunden lang vergebens gewartet. »Das Brett ist zu schmal für zwei; einer muß zurück.«

»Muß ich der eine sein?« fragte Ulrich scharf.

»Ich dächte doch wohl!«

Hartmann schien eine herausfordernde Antwort auf den Lippen zu haben; aber auf einmal besann er sich. »Ja so, wir sind auf Ihrem Grund und Boden! Das hatte ich vergessen!«

Er ging zurück und ließ Berkow hinüber; als dieser jenseit des Grabens war, hielt er seinen Schritt an.

»Hartmann!«

Der Angeredete, der eben im Begriff war, das Brett zu betreten, wandte sich um.

»Ich hätte Sie in diesen Tagen rufen lassen, hätte ich nicht befürchten müssen, zu Mißdeutungen Anlaß zu geben. Da wir aber einmal hier zusammentreffen – ich möchte Sie sprechen.«

Ein Blitz des Triumphes schoß über Ulrichs Züge hin. Dann nahmen sie wieder ihren gewöhnlichen verschlossenen Ausdruck an.

»Hier auf der Wiese?«

»Der Ort ist gleich; wir sind auch hier allein.«

Ulrich kam langsam näher und stellte sich seinem Chef gegenüber, der an einer der Weiden lehnte, die den Rand des Grabens säumten. Auf der Wiese fingen die Abendnebel an emporzusteigen, und drüben über dem Walde, da wo die Sonne gesunken war, glühte jetzt das Abendrot auf.


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