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Es war ein eigentümlicher Kontrast, die beiden: – die schlanke, fast zarte Gestalt des vornehm aussehenden jungen Mannes mit dem bleichen Antlitz voll stiller Ruhe, den großen ernsten Augen, aus denen jetzt jenes Leuchten geschwunden war, das sie rätselhaft anziehend machen konnte, und die riesige Figur des Arbeiters; mit dem stolz getragenen blonden Kopfe, mit dem Gesicht, eisern wie seine Muskeln und Sehnen, dem flammenden Blick, der sich mit einer Art wilder Genugthuung in die bleichen Züge seines Gegners bohrte; er ahnte, was dahinter verborgen lag. Der Instinkt der Eifersucht hatte ihn sehen und deuten gelehrt, wo sonst niemand etwas sah, und wenn alle Welt behauptete, daß Arthur Berkow fremd und kalt an seiner schönen Gemahlin vorübergehe und nie das mindeste Interesse für sie gehegt habe, Ulrich wußte, daß man nicht gleichgültig bleiben konnte, wenn man ein Wesen, wie Eugenie Windeg, die Seine nannte, wußte, was es heißt, ein solches Wesen zu verlieren, seit jenem Morgen, wo er unter den Tannen stand und dem davonrollenden Wagen nachsah. Aber mitten durch das Weh der Trennung rang sich in ihm ein stolzer Triumph empor. Eine Frau, die ihren Mann liebt, verläßt ihn nicht in dem Momente, wo alles um ihn her wankt und bricht, und sie ging von ihm, ging im sicheren Schutze ihres Vaters und Bruders und ließ ihn allein zurück, allem preisgegeben. Das hatte ihn denn doch getroffen, den stolzen Berkow, der sonst nicht zu treffen war mit Haß und Drohungen, mit der Furcht vor Gewalt und Empörung, vor seinem Ruin selbst, und wenn er seine ganze Umgebung täuschte mit dieser ruhigen Stirn, den Feind konnte er damit nicht täuschen; der Schlag war bis ans Herz gegangen.

»Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, was in der letzten Zeit vorgegangen ist,« begann Arthur, »Sie werden ebensogut und noch besser darüber unterrichtet sein, als ich es bin. Die übrigen Werke sind Ihrem Beispiele gefolgt; wir gehen allem Anschein nach längeren Konflikten entgegen. Sind Sie Ihrer Kameraden sicher?«

Ulrich stutzte bei der letzten Frage. »Wie meinen Sie das, Herr Berkow?«

»Ich meine, ob wir hier unter uns allein fertig werden können, ohne fremde Einmischung. Auf den andern Werken können sie es nicht. Von den Eisenhütten hat man sich bereits mit der Bitte um Hilfe nach der Stadt gewendet; Sie sind den dortigen Tumulten ja wohl nicht fremd, also werden Sie wohl am besten wissen, wie notwendig das war. Ich freilich würde nur im Fall der äußersten Notwehr zu einem solchen Mittel greifen, aber auch der Fall kann eintreten. Bereits sind mehrere meiner Beamten insultiert worden; man war neulich im Walde nahe daran, auch mich zu insultieren; bauen Sie nicht auf meine Geduld oder auf meine Schwäche! So sehr ich das Aeußerste zu vermeiden wünsche, der Gewalt werde ich mit Gewalt antworten.«

Ulrich hatte schon bei den ersten Worten mit finsterer Ueberraschung aufgeblickt. Er mochte wohl etwas andres erwartet haben, als eine solche Erklärung, aber die Ruhe, mit der sie gegeben wurde, nahm ihr alles Herausfordernde und zwang auch den Gegner zur Mäßigung; es klang nur ein leiser Hohn in seiner Stimme, als er erwiderte:

»Das ist mir nichts Neues. Gewalt gegen Gewalt! Ich wußte es von vornherein, daß wir eines Tages dahin kommen würden.«

Arthur sah ihn fest an. »Und wer trägt die Schuld, wenn wir dahin kommen, der Widerstand der Menge oder der Starrsinn eines einzigen?«

»Der Starrsinn eines einzigen! ganz recht, Herr Berkow! Sie wissen, daß es nur ein Wort kostet – und morgen arbeiten Ihre Werke wieder.«

»Und Sie wissen, daß ich dieses Wort nicht sprechen kann, weil es Unmögliches einschließt. An euch ist es jetzt nachzugeben; ich biete euch noch einmal die Hand dazu.«

»Wirklich?« rief der junge Bergmann, diesmal mit ausbrechendem Hohne. »Wohl weil es jetzt überall in der ganzen Provinz losbricht und wir einen Schutz und Hinterhalt an unsern Kameraden haben?«

Berkow richtete sich mit einer raschen Bewegung empor, und jetzt flammte auch sein Auge. »Weil man euch mit den Waffen zu der Ordnung zwingen wird, die ihr mit Füßen tretet, und weil ich meinen Leuten dies Schicksal ersparen möchte. Lassen Sie den Hohn, Hartmann, an den Sie selbst nicht glauben! Was auch zwischen uns geschehen ist und vielleicht noch geschehen wird, von dem Vorwurfe der Feigheit, denke ich, sprechen wir uns wohl gegenseitig frei.«

Es war wieder jener Ton und Blick wie damals im Konferenzzimmer. Ulrich schaute mit einem Gemisch von Groll und Bewunderung auf seinen jungen Chef, der in solcher Stunde so mit ihm zu sprechen wagte, und er mußte es doch von der Scene im Walde her wissen, was bei ähnlichen Begegnungen zu fürchten war; seine Worte bewiesen ja auch, daß er es sehr gut wußte, und dennoch hatte er heute freiwillig dieses Alleinsein gesucht. Der Park war völlig leer, auf der Wiese kein menschliches Wesen zu erblicken, und die Häuser lagen noch eine ganze Strecke weit entfernt. Keiner von den Beamten hätte es gewagt, mit dem gefürchteten Hartmann so unter vier Augen eine Unterredung zu suchen, die leicht verfänglich werden konnte, selbst der kecke Oberingenieur nicht; nur der einst so verachtete Weichling wagte es; jawohl, von dem Verdachte der Feigheit hatte sein Gegner ihn längst schon freigesprochen.

Arthur schien den Eindruck zu fühlen, den seine Haltung hervorbrachte; er trat einen Schritt näher.

»Sehen Sie denn nicht ein, Hartmann, daß Sie sich für die Zukunft unmöglich machen mit diesem Benehmen?« fragte er ernst. »Sie glauben vielleicht, daß bei dem endlichen Ausgleiche Ihre Kameraden einen Druck auf mich üben werden? Ich lasse mir keinen Zwang anthun, mein Wort darauf; aber ich achte in Ihnen die tüchtige, wenn auch mißleitete Kraft. Sie hat sich bisher nur zu meinem Schaden kundgegeben, und gerade daran habe ich gesehen, was sie wirken kann, wenn sie sich einst nicht mehr feindselig gegen mich wendet. Geben Sie jetzt der Stimme der Vernunft Gehör, begnügen Sie sich mit der Erreichung des Möglichen – und ich biete Ihnen freiwillig das Bleiben auf den Werken und freie Bahn zum Emporsteigen. Ich weiß, was ich damit wage, wenn ich ein Element wie Sie unter meinen Arbeitern behalte; aber ich werde es wagen, wenn meinem Vertrauen das gleiche entgegenkommt.«

Das Anerbieten selbst war vielleicht schon gewagt genug einem Manne gegenüber, der gewohnt war, jede Mäßigung als Schwäche aufzufassen; aber Berkow schien sich gerade hier nicht verrechnet zu haben. Zwar antwortete Ulrich nicht; er verriet auch keine Nachgiebigkeit, aber für eine Natur wie die seinige war es schon genug, daß das Gebotene nicht sofort mit finsterm Mißtrauen zurückgestoßen wurde.

»Vertrauen freilich habe ich bisher vergebens von euch gefordert,« fuhr Arthur fort. »Ihr habt es mir bis auf diese Stunde verweigert. Ich bin fremd hier eingetreten; wenn auch nicht dem Orte selbst, meinen Werken und euch war ich ein Fremder. Ihr seid mir mit einer Kriegserklärung entgegengekommen, ohne auch nur zu fragen, was ich freiwillig ändern und bessern wolle; ihr habt mich als Feind empfangen und behandelt und wußtet noch nicht einmal, ob ich euer Feind sein wollte.«

»Wir sind im Kriege!« sagte Ulrich kurz. »Da gilt jeder Vorteil.«

Arthur hob das vorhin so blasse Antlitz, das jetzt überflutet war von dem flammenden Purpur des Abendrotes, dessen Widerschein sie beide umleuchtete.

»Muß denn Krieg sein zwischen uns? Ich meine nicht den jetzigen Streit, der früher oder später sein Ende erreichen wird; ich meine den geheimen erbitterten Krieg, den Härte und Zwang von der einen Seite und Groll und Haß von der andern endlos schüren und endlos fortspinnen. So ist es gewesen all die Jahre lang, ich weiß es, und so wird es wieder sein, wenn der Zwang allein euch niederwirft. Wir sollten Frieden machen, ehe sich beide Teile daran verbluten; noch können wir es, noch ist nichts geschehen, was den Riß unheilbar erweitert; in wenig Tagen ist es vielleicht zu spät.«

Die Stimme des jungen Chefs hatte in all ihrer Ruhe etwas mächtig Ergreifendes, und man sah an der heftigen Bewegung in Hartmanns Zügen, daß er nicht unempfindlich dagegen blieb. Der trotzige Bergmann, der, je mehr er gewohnt war, seinesgleichen zu beherrschen, um so tiefer den verletzenden Hochmut oder die schlecht verhehlte Furcht von Höherstehenden empfand, sah sich hier auf eine Stufe gestellt, die ihm noch niemand angewiesen. Er wußte sehr gut, daß Arthur mit keinem seiner Untergebenen, vielleicht mit keinem seiner Beamten so gesprochen hätte, daß er diese Art der Verhandlung einzig seiner Persönlichkeit dankte. Der Chef sprach zu ihm wie der Mann zum Manne, in einer Angelegenheit, von der das Wohl und Wehe beider abhängt, und er hätte wohl auch gesiegt damit, wäre er nur nicht gerade Arthur Berkow gewesen. Ulrich war eine viel zu unbändige, viel zu leidenschaftliche Natur, um da Gerechtigkeit üben zu können, wo er mit ganzer Seele haßte.

»Es ist uns schwer genug gemacht worden mit dem Vertrauen,« sagte er bitter. »Ihr Vater hat uns so viel davon genommen all die Jahre lang, daß für den Sohn nichts mehr übrig ist. Ich glaube Ihnen, Herr Berkow, daß Ihr Anerbieten nicht von der Furcht herkam; bei einem andern würde ich das nicht thun; Ihnen glaube ich es! Aber da wir einmal dabei sind, uns allein zu helfen, so denke ich, wir fechten es auch aus bis zuletzt. So oder so – einer muß am Ende recht behalten.«

»Und Ihre Kameraden? Wollen Sie all die Sorge, all den Mangel, all das Unglück vielleicht auf sich nehmen, das dies ›Ausfechten‹ bis zuletzt mit sich führt?«

»Ich kann's nicht ändern! Für sie geschieht es.«

»Nein, für sie geschieht es nicht!« sagte Arthur fest, »sondern einzig für den Ehrgeiz ihres Führers, der die Herrschaft an sich reißen möchte, um ihnen dann ein schlimmerer Despot zu werden, als die gehaßten Herren es je gewesen sind. Wenn Sie noch an Ihre sogenannte Mission glauben, Hartmann, mich täuschen Sie nicht mehr damit, seit ich sehe, daß Sie alles, wozu ich mich bereit erkläre, um die Lage Ihrer Kameraden zu bessern, als wertlos beiseite werfen, um des einen Zieles willen, das ich nur zu gut kenne. Sie wollen mich und die Beamten künftig machtlos wissen Beschlüssen auf Auflehnungen gegenüber, die Sie allein diktieren würden; Sie wollen, sobald Sie im Namen einer blind gehorchenden Menge sprechen, alle Rechte des Herrn sich anmaßen und mir mit dem Namen nur die Pflichten desselben lassen: Sie wollen nicht Anerkennung Ihrer Partei, sondern Unterdrückung jeder andern; das ist's, warum Sie alles aufs Spiel setzen. – Sie werden es verlieren!«

Die Sprache war kühn genug einem solchen Manne gegenüber, und Ulrich fuhr auch dabei in gereizter Wut auf.

»Nun, wenn Sie es denn so genau wissen, Herr Berkow, meinetwegen! Sie haben ganz recht, es handelt sich nicht bloß um den höheren Lohn, um das bißchen Sicherheit in den Schachten. Das mag für die genug sein, die sich nur für Weib und Kinder quälen, und nichts weiter kennen ihr lebelang; die Mutigen unter uns wollen mehr. Die Zügel wollen wir in Händen haben; achten soll man uns als Gleichberechtigte! Das mag sich freilich schlecht genug lernen für die unumschränkten Herren, aber jetzt sind wir an der Reihe. Wir haben endlich begriffen, daß unsre Hände es sind, die euch alles erringen, wovon ihr allein die Früchte genießt. Ihr habt unsre Arme lange genug zur Sklavenarbeit gebraucht; jetzt sollt ihr sie fühlen lernen!«

Die Worte wurden mit einer so furchtbaren Heftigkeit herausgeschleudert, als sei jedes derselben schon eine Waffe, zum Treffen und Töten bestimmt. Die ganze maßlose Leidenschaftlichkeit Ulrichs brach wieder hervor, und die Wut, die einer ganzen Klasse galt, wendete sich im Augenblick gegen den einen, der gerade vor ihm stand. Die Lage dieses einen war bedenklich genug diesem Manne gegenüber, der mit geschwollenen Stirnadern und geballten Fäusten bereit schien, seinen Worten die That folgen zu lassen.

Aber Arthur zuckte nicht einmal mit der Wimper und wich auch keinen Schritt aus der gefährlichen Nähe. Er stand wieder da mit jener Haltung kalter, stolzer Ruhe, das große Auge fest auf den Gegner gerichtet, als habe er mit diesem Auge allein die Macht, ihn zu zwingen.

»Ich glaube, Hartmann, Sie werden vorläufig die Zügel noch in den Händen lassen müssen, die gewohnt und im stande sind, sie zu regieren. Auch das will gelernt sein! Mit roher Gewalt stiftet man Empörungen an und reißt Schöpfungen nieder, aber man erbaut keine neuen damit. Versucht es, die Werke hier mit euern Händen allein zu leiten, wenn das so sehr gehaßte Element fehlt, das diesen Händen die Richtung, das den Maschinen die Triebkraft und der Arbeit den Geist gibt, und das für jetzt noch uns gehört. Stellt euch dem ebenbürtig an die Seite und man wird euch die Gleichberechtigung nicht länger versagen. Was ihr jetzt in die Wagschale zu werfen habt, die Massen allein, das sichert euch noch nicht die Herrschaft!«

Ulrich wollte antworten, aber noch erstickte die Leidenschaft seine Stimme. Arthur warf einen Blick nach dem Walde hinüber, wo die Röte jetzt dunkler und dunkler glühte, und wandte sich dann zum Gehen.

»Hätte ich vorher gewußt, daß jedes Wort der Versöhnung vergebens sein würde, ich hätte diese Unterredung nicht gesucht. Ich bot Ihnen den Frieden und das Bleiben auf den Werken; das Opfer hätte vielleicht kein andrer gebracht und ich habe mich schwer genug dazu zwingen müssen. Auch das wird mit Haß und Hohn zurückgestoßen. Sie wollen mein Feind sein – nun so seien Sie es denn, aber nehmen Sie auch die Verantwortung für alles, was jetzt geschieht, ich habe umsonst versucht, es zu hemmen? Wie der Streit selbst jetzt auch ausfallen mag – wir beide sind zu Ende miteinander.«

»Glück auf!« rief ihm Hartmann dumpf nach. Es klang wie schneidender Hohn, und das war es wohl auch in diesem Augenblick. Der junge Chef schien es nicht mehr zu hören. Er war bereits einige Schritte fort und schlug jetzt die Richtung nach den Häusern ein.

Ulrich blieb zurück; über seinem Haupte schwankten die Weidenzweige im Abendwinde auf und nieder. Auf der Wiese wallte weißer Duft, und drüben über den Tannen glänzte es noch einmal auf, unheimlich und rot wie Blut, um dann langsam zu verblassen. Der junge Bergmann starrte unbeweglich in den flammenden Abendhimmel, der unheimliche Schein lag auch auf seinem Antlitz.

»Wir sind zu Ende? Nicht doch, Herr Arthur Berkow, wir fangen jetzt erst an! Ich habe mir die Feigheit nicht eingestehen wollen, die mich immer noch zurückhielt; ich wagte mich nicht an ihn, solange sie an seiner Seite war. Jetzt ist die Bahn frei – jetzt wollen wir abrechnen!« In der Residenz wogte das ganze buntbewegte Treiben eines Sommernachmittags. In den Hauptstraßen drängte sich die Menge der Spaziergänger, Geschäftsleute und Arbeiter in ewig wechselndem Gewühl; dazwischen tönte endloser Lärm und endloses Wagengerassel; von allen Seiten wirbelte der Staub auf, und die heißen Strahlen der Nachmittagssonne, die schon anfingen, schräg zu fallen, beleuchteten das Ganze.

Von den Fenstern des Windegschen Hauses, das in einer dieser Hauptstraßen lag, schaute eine junge Dame hinab auf dieses Getümmel, das ihr beinahe fremd geworden war in der Einsamkeit ihrer Waldberge. Eugenie war in das väterliche Haus zurückgekehrt, und damit schien die kurze Zeit ihrer Ehe ausgelöscht und vergessen. Im Familienkreise wurde dieser Punkt nur höchst selten und nur dann berührt, wenn von der bevorstehenden Scheidung die Rede war. Die Söhne folgten darin dem Beispiel ihres Vaters, der sich einfach vorgenommen zu haben schien, jene Erinnerung totzuschweigen, in seinem Hause wenigstens, während er zugleich in der Stille die nötigen Schritte zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungsprozesses that. Bis dahin sollte die Sache der Welt gegenüber noch nicht berührt werden. Die Dienerschaft und die wenigen um diese Zeit noch in der Residenz anwesenden Bekannten wußten nur von einem vorübergehenden Besuche der jungen Frau bei den Ihrigen, der durch die Verhältnisse auf den Gütern ihres Mannes veranlaßt und geboten war.

Eugenie bewohnte wieder die Zimmer, die sie vor ihrer Vermählung inne gehabt hatte; in der Einrichtung derselben war nichts verändert worden, und wenn sie wie früher am Erkerfenster stand, so begegnete ihr Blick auch draußen den allbekannten Gegenständen, als sei sie nie fort gewesen. Die letzten drei Monate sollten und konnten für sie ja auch nichts andres sein, als ein schwerer banger Traum, aus dem sie jetzt erwachte zu der alten Freiheit ihrer Mädchenjahre und zu einer besseren, als die ehemalige, denn jetzt lauerte das Gespenst der Sorge nicht mehr drohend auf jedem Schritte, den sie und die Ihrigen thaten; jetzt brachte nicht jeder neue Tag wieder neue Demütigungen und neue Opfer; jetzt wurde nicht jede Stunde des Familienlebens vergiftet durch die Furcht vor der vielleicht morgen schon drohenden Schande des Ruins und vor all seinen furchtbaren Folgen. Das alte edle Geschlecht der Windeg konnte wieder auftreten im vollen Glanze der Macht und des Reichtums. Wer die Rabenauschen Güter besaß, der war reich genug, alle früheren Verluste zu decken und sich und den Seinen eine glänzende Zukunft zu bereiten. Freilich ein Schatten blieb noch immer zurück in all dem neuen Sonnenschein, der dem Baron und auch einst Eugenie so sehr verhaßte bürgerliche Name; aber auch das konnte nur eine Frage der Zeit sein. Das schöne, geistvolle Mädchen hatte schon in ihren eigenen Kreisen manchen Verehrer gefunden, der wohl früher oder später zum Bewerber geworden wäre, trotz der offenkundigen Verhältnisse ihres Vaters. Eugenie Windeg war ganz danach, es einen Mann vergessen zu lassen, daß er die Tochter einer armen und verschuldeten Familie in sein Haus führte. Der alte Berkow hatte damals mit roher Hand in all jene Pläne und Anknüpfungen gegriffen und den Preis seinem eigenen Sohne zugewandt. Er hatte die Macht, zu fordern, wo andre erst werben mußten, und wußte sie zu gebrauchen. Jetzt aber wurde Eugenie wieder frei; der nunmehrige Majoratsherr konnte ihr eine reiche Mitgift sichern; er kannte mehr als einen Standesgenossen, der gern, und nicht bloß aus Berechnung, bereit war, die einst zerrissenen Fäden wieder anzuknüpfen und mit dem Namen auch die letzte Erinnerung an jene Heirat zu verwischen, indem er durch eine ebenbürtige Vermählung die junge Baroneß wieder auf die gleiche, wenn nicht noch auf eine höhere Stufe erhob, als die war, auf welche die Geburt sie gestellt hatte. Dann war der letzte Flecken getilgt von dem Wappenschilde der Windeg und es strahlte wieder im hellsten Glanze.

Aber die junge Frau sah gar nicht so ruhig und hoffnungsfreudig aus, wie man es nach all diesem Sonnenschein des Glückes doch hätte erwarten sollen. Schon wochenlang war sie im väterlichen Hause, und noch immer wollte die Farbe nicht auf ihre Wangen zurückkehren und der Mund das Lächeln nicht wieder lernen. Sie blieb hier, umgeben von all der Liebe und Sorgfalt der Ihrigen, so bleich und still, wie sie nur je an der Seite des ihr aufgedrungenen Gatten gewesen, und auch jetzt schaute sie hinunter auf das Gewühl zu ihren Füßen, ohne daß es auch nur einer der wechselnden Gestalten in der auf und ab flutenden Menge gelang, ihre Aufmerksamkeit für einen Moment zu fesseln. Es war jener leere, träumende Blick, dem die nächste Umgebung völlig verschwindet, und der statt dessen etwas ganz andres an einem ganz andern Orte sieht. »In eurer Residenz verlernt man ja alles, sogar die Sehnsucht nach der Waldeinsamkeit!« Das schien hier nicht zuzutreffen. Eugenie sah aus, als sehne sie sich recht schmerzlich danach. Der Baron pflegte vor dem Spazierritt, den er gewöhnlich gegen Abend unternahm, stets auf eine halbe Stunde zu seiner Tochter zu kommen; auch heute geschah das, aber heut war seine Miene wichtiger als sonst und er hielt ein Papier in der Hand.

»Ich muß dich diesmal mit etwas Geschäftlichem behelligen, mein Kind,« begann er nach kurzer Begrüßung, »Ich habe soeben eine Besprechung mit unserm Rechtsanwalt gehabt, die über Erwarten befriedigend ausgefallen ist. Der Vertreter der Gegenpartei ist in der That bevollmächtigt, all unsern Wünschen entgegenzukommen; die Herren haben sich bereits über die notwendigen Schritte geeinigt, und die ganze Angelegenheit wird sich voraussichtlich weit schneller und leichter erledigen lassen, als wir zu hoffen wagten. Ich bitte dich, dies Blatt zu unterschreiben.«

Er hielt ihr das Papier hin; die junge Frau schien hastig danach greifen zu wollen, aber auf einmal ließ sie die ausgestreckte Hand wieder sinken.

»Ich soll –?«

»Nur deinen Namen unter diese Schrift setzen, weiter nichts,« sagte der Baron ruhig, indem er das Blatt auf den Schreibtisch legte und ihr einen Sessel heranschob. Eugenie zögerte.

»Es ist ein Aktenstück – soll ich es nicht zuvor durchlesen?«

Windeg lächelte ein wenig. »Wenn es ein Dokument von Wichtigkeit wäre, so hätten wir es dir selbstverständlich zur Durchsicht vorgelegt; es handelt sich hier aber nur um den Scheidungsantrag, den der Justizrat in deinem Namen stellen wird und wozu er deiner Unterschrift bedarf – eine bloße Förmlichkeit zur Einleitung des Prozesses. Die Details folgen erst später. Wenn du indessen den Wortlaut kennen zu lernen wünschest –«

»Nein, nein!« unterbrach ihn die junge Frau abwehrend, »dessen bedarf es nicht. Ich werde unterschreiben; aber es muß doch wohl nicht gerade jetzt in dieser Stunde sein; ich bin augenblicklich nicht in der Stimmung dazu.«

Der Baron sah sie höchst befremdet an. »Stimmung? Es handelt sich hier nur um eine Namensunterschrift; sie wird in einer Minute vollzogen sein, und ich habe dem Justizrate versprochen, ihm das Blatt noch heute wieder zuzusenden, da er es morgen einzureichen beabsichtigt.«

»Nun denn, so werde ich es dir heute abend noch mit meiner Unterschrift bringen. Nur in diesem Augenblicke nicht; ich kann jetzt nicht.« Der Ton der jungen Frau war seltsam gepreßt, beinahe angstvoll. Ihr Vater schüttelte etwas unwillig das Haupt.

»Das ist eine seltsame Laune, Eugenie, die ich nicht begreife. Warum willst du diesen einfachen Federzug nicht gleich jetzt in meiner Gegenwart thun? Indessen, wenn du darauf bestehst – ich rechne darauf, daß du mir heute abend beim Thee das Blatt zurückgibst; es ist dann noch Zeit genug, es fortzusenden.«

Er bemerkte nicht das tiefe, erleichternde Aufatmen seiner Tochter bei den letzten Worten, sondern trat an den Erker und blickte gleichfalls hinunter auf die Straße.

»Wird Kurt nicht zu mir kommen?« fragte Eugenie nach einer augenblicklichen Pause. »Ich habe ihn nur erst heute mittag bei Tische gesehen.«

»Er wird noch müde sein von seiner Reise und wohl etwas ausgeruht haben. – Ah, da bist du ja, Kurt, soeben sprachen wir von dir.«

Der junge Baron, der in diesem Augenblicke eintrat, mußte wohl darauf gerechnet haben, die Schwester allein zu finden, denn er sagte mit offenbarer und nicht ganz angenehmer Ueberraschung:

»Du hier, Papa? Ich hörte doch, du hättest drüben in der Bibliothek eine Besprechung mit unserm Rechtsanwalte.«

»Wir sind bereits zu Ende, wie du siehst.«

Kurt schien der besagten Besprechung fast eine längere Dauer gewünscht zu haben, indes erwiderte er nichts, sondern ging zu seiner Schwester und nahm vertraulich an ihrer Seite Platz. Er war in der That erst heute mittag aus der Provinz eingetroffen; ein eigentümlicher, dem Baron im höchsten Grade fataler Zufall hatte es gewollt, daß das Regiment, bei welchem sein ältester Sohn stand, gerade jetzt in die Stadt verlegt wurde, die den Berkowschen Besitzungen zunächst lag, gerade jetzt, wo man alle Beziehungen dort abgebrochen hatte! Von einem längeren Urlaube des jungen Offiziers konnte nicht die Rede sein, da die soeben ausbrechende Bewegung der Arbeiter in dortiger Gegend die ganze Provinz in Aufregung versetzte. Es standen Unruhen und demzufolge das Einschreiten des Militärs zu erwarten – da konnte sich Kurt dem Dienste nicht entziehen. Er reiste also ab mit der gemessenen Weisung des Vaters, in seiner neuen Garnison, wo man natürlich Berkow sehr genau kannte, die bevorstehende Scheidung für jetzt noch zu verschweigen. Der Baron hielt an der Taktik fest, der Welt erst die Thatsache gegenüberzustellen, und im übrigen hegte er die stillschweigende Voraussetzung, daß sein Sohn jede persönliche Berührung mit dem einstigen Verwandten möglichst vermeiden werde.

Die Voraussetzung schien auch einzutreffen, wenigstens wurde Arthurs Name in den Briefen nie genannt und die Verhältnisse auf seinen Besitzungen nur sehr beiläufig erwähnt, bis Kurt in einer dienstlichen Angelegenheit nach der Residenz beordert wurde. Während der wenigen Stunden seines Hierseins hatte man sich nicht aussprechen können. Bei Tische hatte die Gegenwart einiger Gäste der Familie Zwang auferlegt; jetzt aber, wo durch die geforderte Unterschrift Eugeniens der sonst streng vermiedene Punkt einmal berührt war, erkundigte sich der Baron auch mit jener Gleichgültigkeit, mit der man nach dem Ergehen eines sehr entfernten Bekannten fragt, wie es denn eigentlich auf den Berkowschen Gütern stände.

»Schlimm, Papa, sehr schlimm!« sagte Kurt, indem er sich dem Vater zuwandte, ohne jedoch seinen Platz neben der Schwester aufzugeben. »Arthur wehrt sich wie ein Mann gegen das Unglück, das von allen Seiten auf ihn einstürmt, aber ich fürchte, er wird ihm doch zuletzt unterliegen. Er hat es zehnfach schlimmer als seine Kollegen auf den übrigen Werken; all die Sünden, die sein Vater mit einer zwanzigjährigen Tyrannei und Ausbeutung, mit den unsinnigsten Spekulationen der letzten Zeit aufgehäuft hat, muß er jetzt büßen. Ich begreife nicht, wie er sich in dem Kampfe noch überhaupt aufrecht erhält. Ein andrer wäre längst unterlegen.«

»Wenn die Bewegung ihm über den Kopf wächst, so wundert es mich, daß er noch nicht militärische Hilfe in Anspruch genommen hat,« meinte der Baron ziemlich kühl.

»Das ist's ja eben, daß er in dem Punkte keine Vernunft annehmen will! Ich« – hier brach die ganze aristokratische Rücksichtslosigkeit des jungen Erben von Windeg durch – »ich hätte längst unter die Kerle schießen lassen und mir mit Gewalt Ruhe geschafft! Anlaß dazu haben sie ihm wahrhaftig genug gegeben, und wenn ihr Rädelsführer so weiter hetzt, wie er es jetzt Tag für Tag thut, so werden sie ihm noch nächstens das Haus über dem Kopfe anzünden – aber das hilft alles nichts. ›Nein und abermals nein‹, und ›solange ich mich noch allein wehren kann, setzt kein Fremder den Fuß auf meine Werke!‹ Da helfen weder Bitten noch Vorstellungen. Und, offen gestanden, Papa, man sieht es im Regimente sehr gern, wenn unsre Hilfe nicht verlangt wird, wir haben sie nur zu oft leisten müssen in den letzten Wochen. Auf den andern Werken war es nicht halb so schlimm wie auf den Berkowschen, und doch hatten die Herren nichts Eiligeres zu thun, als nach Schutz und Soldaten zu rufen und sich mit ihren eigenen Leuten auf den Kriegsfuß zu stellen. Es sind da häßliche Scenen vorgekommen, und wir fahren am schlimmsten dabei. Mit Härte vorgehen soll man nicht, wo es sich nur irgend vermeiden läßt; seiner Autorität etwas vergeben soll man auch nicht, und doch die Verantwortung tragen für alles, was geschieht. Darum rechnen es auch der Oberst und die Kameraden dem Arthur hoch an, daß er bis jetzt noch ganz allein mit seinen Rebellen fertig geworden ist und auch ferner mit ihnen fertig werden will, obgleich es gerade bei ihm am ärgsten zugeht.«

Eugenie hörte in atemloser Spannung dem Bruder zu, der sie für ganz unbeteiligt bei der Sache zu halten schien, denn er wandte sich mit der Erzählung ausschließlich an seinen Vater. Dieser dagegen, der schon mit steigendem Mißfallen das wiederholte »Arthur« bemerkt hatte, dessen sein Sohn sich bediente, sagte jetzt mit zurechtweisender Kälte:

»Du und deine Kameraden, ihr scheint ja sehr genau über alles unterrichtet zu sein, was da draußen bei Berkow vorgeht.«

»Die ganze Stadt spricht davon!« versicherte Kurt unbefangen. »Was mich betrifft, ich war allerdings ziemlich oft draußen.«

Der Baron fuhr fast in die Höhe bei diesem Geständnis. »Du warst bei ihm auf seinen Gütern? Und das sogar öfter?«

Ob der junge Offizier die innere Bewegung bemerkt hatte, die sich bei seinen letzten Worten in den Zügen Eugeniens bemerkbar machte, er schloß ihre Hand auf einmal fest in die seinige, während er seinen unbefangenen Ton beibehielt.

»Nun ja, Papa! Du befahlst mir ja über die bewußte Angelegenheit noch zu schweigen, und da wäre es doch aufgefallen, wenn ich meinen Schwager völlig ignoriert hätte, zumal in seiner augenblicklichen Lage; das Hinausfahren war mir ja nicht verboten.«

»Weil ich glaubte, dein eigenes Taktgefühl würde dir dergleichen verbieten,« rief Windeg, im höchsten Grade gereizt. »Ich setzte voraus, daß du diese Beziehungen meiden würdest; statt dessen hast du sie geradezu aufgesucht, wie es scheint, ohne mir auch nur ein Wort davon zu schreiben. Wahrhaftig, Kurt, das ist stark!«

Kurt hätte, um die Wahrheit zu sagen, bekennen müssen, daß er ein direktes Verbot gefürchtet und es deshalb wohlweislich vorgezogen hatte, das ganze Vergehen, brieflich wenigstens, zu verschweigen. Er hegte sonst einen unbedingten Respekt vor dem zornigen Stirnrunzeln seines Vaters; heute aber schien die Gegenwart Eugeniens diesem Respekt das Gleichgewicht zu halten. Sein Auge begegnete dem ihrigen, und was er darin sah, mußte ihm wohl die väterlichen Vorwürfe erträglicher machen, denn er lächelte sogar, als er ganz unbekümmert erwiderte:

»Ja, Papa, ich kann doch nicht dafür, daß ich Arthur so lieb gewonnen habe! Du hättest es auch gethan an meiner Stelle. Ich versichere dir, er kann von einer ganz hinreißenden Liebenswürdigkeit sein, wenn er nur nicht immer so furchtbar ernst wäre, aber freilich, das steht ihm ausgezeichnet. Ich habe ihm noch gestern beim Abschied gesagt: ›Arthur, wenn ich dich früher so gekannt hätte –‹«

» Dich?« unterbrach ihn der Baron mit seiner allerschärfsten Betonung.

Der junge Offizier warf trotzig den Kopf zurück. »Nun ja, wir sind du und du geworden! Das heißt, ich bat ihn darum, und ich sehe auch nicht ein, warum wir einander nicht so nennen sollen. Er ist ja doch mein Schwager.«

»Die Schwagerschaft hat ein Ende!« sagte der Baron kalt, nach dem Schreibtisch zeigend; »dort liegt der Scheidungsantrag.«

Kurt warf einen nicht allzu zärtlichen Blick auf das bezeichnete Blatt. »Ja so, die Scheidung! Hat Eugenie schon unterschrieben?«

»Sie ist eben im Begriff, es zu thun.«

Der junge Mann sah wieder seine Schwester an, deren Hand jetzt in der seinigen bebte und deren Lippen zuckten, wie in mühsam verhaltener innerer Qual.

»Nun, ich dächte, Papa, gerade in dem Punkte hätte sich Arthur so benommen, daß jeder Vorwurf und jede Bitterkeit gegen ihn ausgeschlossen ist. Es wäre kleinlich, ihm jetzt nicht volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich habe nie geglaubt, daß ein Mann sich mit solcher Energie aus seiner Schlaffheit emporraffen kann, wie ich es jetzt an ihm sehe. Was er alles geleistet hat in diesen letzten Wochen, wie er überall zu rechter Zeit und am rechten Orte eingreift, was er schon für entsetzliche Szenen verhindert hat, er allein, mitten unter der rebellischen Menge, bloß durch sein Erscheinen und die Macht seiner Persönlichkeit, das muß man sehen, um es zu glauben. Er ist geradezu zum Helden geworden – das sagen der Oberst und die Kameraden, das sagt überhaupt die ganze Stadt. Die Beamten benehmen sich ausgezeichnet, weil er sie überall anführt; auch nicht ein einziger ist von den Werken gewichen, aber als ich abreiste, da schienen sie mir denn doch an der Grenze des Möglichen angekommen zu sein. Das Unglück ist nur, daß Arthur sich in den Kopf gesetzt hat, es solle kein Fremder zwischen ihn und seine Leute treten, und daß er das mit eiserner Entschiedenheit durchführt. Ich glaube, wenn es zum Aeußersten kommt, so ist er imstande, sich mit dem ganzen Beamtenpersonal im Hause zu verschanzen und sich dort bis auf den letzten Mann zu wehren, ehe er uns zu Hilfe ruft. Das sieht ihm ganz ähnlich!«

Hier zog Eugenie heftig ihre Hand aus der des Bruders. Sie stand plötzlich auf und ging ans Fenster, der Baron dagegen erhob sich mit dem Ausdruck des lebhaftesten Unwillens.

»Ich weiß nicht, Kurt, wie du dazu kommst, eine einfache Frage nach dem Stande der Dinge auf Berkows Gütern mit einem so überschwenglichen Lobliede auf ihn zu beantworten. Es ist das eine Schonungslosigkeit gegen deine Schwester, die ich gerade dir, der sie stets mit so besonderer Zärtlichkeit zu lieben behauptete, am wenigsten zugetraut hätte. Wie du dich mit deiner Bewunderung für diesen Mann, die du in deiner Garnison ganz offen zur Schau zu tragen scheinst, später dort abfinden willst, wenn die Scheidung bekannt wird, überlasse ich dir selber. Für jetzt bitte ich, daß dieses Gespräch ein Ende nimmt. Du siehst, wie peinlich es Eugenie berührt. Du wirst mich begleiten.«

»Nur einige Minuten noch laß mir Kurt hier, Papa,« bat die junge Frau leise. »Ich möchte ihn etwas fragen.«

Der Baron zuckte die Achseln. »Nun, dann wird er wenigstens die Güte haben, diesen Punkt nicht weiter zu berühren und dich nicht noch mehr aufzuregen. In zehn Minuten stehen die Pferde unten, Kurt; ich erwarte dich dann bestimmt. Auf Wiedersehen!«

Die Thür hatte sich kaum geschlossen, als der junge Offizier ans Fenster zu seiner Schwester eilte und mit unverkennbarer, wenn auch etwas stürmischer Zärtlichkeit den Arm um sie legte.

»Bist du mir auch böse, Eugenie?« fragte er. »War ich wirklich schonungslos?«

Die junge Frau hob in leidenschaftlicher Spannung das Auge zu ihm empor. »Du bist bei Arthur gewesen – du hast ihn öfter gesprochen, erst gestern noch beim Abschiede – hat er dir nichts, gar nichts aufgetragen?«

Kurt sah zu Boden. »Er läßt sich dir und dem Papa empfehlen,« sagte er etwas kleinlaut.

»In welcher Art? Was sagte er dir?«

»Er rief mir nach, als ich schon im Wagen saß: ›Empfiehl mich dem Herrn Baron und deiner Schwester!‹«

»Und das war alles?«

»Alles!«

Eugenie wandte sich ab; sie wollte dem Bruder die bittere Enttäuschung nicht zeigen, die sich in ihren Zügen malte, aber Kurt hielt sie fest. Er hatte die schönen, dunklen Augen seiner Schwester; nur war der Ausdruck bei ihm kecker, lebenslustiger, aber in diesem Augenblick – er beugte sich tief zu ihr hinab – verschwand dies alles vor einem ungewohnten Ernst.

»Du mußt ihm wohl einmal sehr wehe gethan haben, Eugenie, und das in einer Weise, die er noch immer nicht verwinden kann. Ich hätte dir so gern eine Zeile, ein Abschiedswort gebracht, aber das war von ihm nicht zu erlangen. Er wollte mir nie Rede stehen, so oft ich deinen Namen nannte, aber bleich wurde er jedesmal dabei und wandte sich ab und zog fast mit Gewalt ein andres Thema herbei, um nur nichts mehr davon zu hören, gerade so, wie du es machst, wenn ich dir von ihm spreche. – Mein Gott, haßt ihr euch denn so sehr?«

Eugenie riß sich mit einer leidenschaftlichen Bewegung aus seinen Armen. »Laß mich, Kurt! um Gottes willen, laß mich! Ich ertrage das nicht länger.«

Ein Ausdruck hellen Triumphs flog über das Gesicht des jungen Offiziers und es klang wie ein mühsam unterdrückter Jubel aus seiner Stimme.

»Nun, ich will mich ja nicht in eure Geheimnisse drängen! Ich muß jetzt fort. Papa wird sonst ungeduldig; er ist so schon heute übler Laune. Ich soll dich wohl jetzt allein lassen, Eugenie. Du mußt ja doch den – den Scheidungsantrag unterschreiben! Bis wir zurückkommen, wird es wohl geschehen sein. Leb wohl!«

Er eilte fort. Die Pferde standen in der That bereits unten im Hofe und der Baron sah ungeduldig nach den Fenstern hinauf. Der Spazierritt gehörte diesmal nicht zu den angenehmsten, denn sowohl der älteste Sohn als die beiden jüngeren hatten dabei die üble Laune des Vaters zu empfinden. Baron Windeg konnte es nun einmal nicht ertragen, wenn irgend etwas, das den Namen Berkow trug, in seiner Gegenwart gelobt wurde, und da er natürlich bei seiner Tochter das Gleiche voraussetzte, so fand er sie und sich beleidigt, und Kurt bekam noch Verschiedenes über seine »Taktlosigkeit« und »Rücksichtslosigkeit« zu hören. Dieser ließ das aber sehr ruhig über sich ergehen und schien leider nicht die geringste Reue zu empfinden, dagegen bekundete er ein lebhaftes Interesse an dem Ritte selbst oder vielmehr an der Dauer desselben. Er war so lange nicht in der Residenz gewesen, fand die äußerst belebte Promenade so unterhaltend und brachte es denn auch wirklich dahin, die Partie so weit auszudehnen, daß die vier Herren erst mit dem Einbruch der Dunkelheit in die Stadt zurückkehrten.

Eugenie war inzwischen allein zurückgeblieben. Die Thür war abgeschlossen – sie konnte und wollte jetzt niemand in ihrer Nähe dulden. Die Wände ihres Zimmers und die alten Familienbilder, die sie schmückten, hatten schon manche Thräne, manche bittere Stunde gesehen, damals, als es sich um die Vermählung der jungen Frau handelte, aber doch keine so schwere wie heute, denn heute galt es, den Kampf mit sich selber, und der Gegner war nicht leicht zu überwinden.

Dort auf dem Schreibtisch lag das Blatt, in welchem eine Frau die gesetzliche Trennung von ihrem Manne forderte; nur die Unterschrift fehlte noch daran. War die vollzogen, so war es auch die Scheidung, denn die Einwilligung ihres Gatten, der Einfluß und die Verbindungen des Barons sicherten der Angelegenheit ein schnelles und erwünschtes Ende. Eugenie hatte vorhin, in Gegenwart des Vaters, den verhängnisvollen Federzug nicht thun wollen, gethan mußte er doch jetzt werden. Was half der Aufschub einer einzigen Stunde? Es galt ja gleich, ob das Unabänderliche früher oder später geschah. Aber gerade in dieser einen Stunde war Kurt gekommen und hatte mit seiner Erzählung die Wunde wieder aufgerissen, die freilich noch niemals aufgehört, zu bluten.


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