Louis Weinert-Wilton
Der Drudenfuß
Louis Weinert-Wilton

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31

Mr. Smith wurde durch den Trauerfall außerordentlich in Anspruch genommen und bot bei allen diesen Gelegenheiten ein Bild hilfloser Zerfahrenheit. Er hatte weder den herbeigeholten Ärzten noch später dem Leichenbeschauer auf ihre routinemäßigen Fragen eine halbwegs klare Auskunft zu geben vermocht, und auch in den anderen Dingen, die an ihn herantraten, wußte er sich keinen Rat. Er empfing die unterschiedlichsten Leute, hörte ihnen teilnahmslos zu und beschränkte sich dann auf irgendeine rätselhafte Geste, mit der jeder anfangen konnte, was er wollte. Glücklicherweise handelte es sich hierbei durchwegs um Dinge von wenig Belang, und man bemühte sich, dem völlig gebrochenen Mann so gut wie möglich zu helfen.

Der arme Smith warf auch auf die Karte, die ihm eben überreicht wurde, keinen Blick, aber als kaum eine Minute später Mr. Bayford gemessen über die Schwelle trat, schien dies doch einigen Eindruck auf ihn zu machen. Er brach seinen aufgeregten Marsch jäh ab, legte den Kopf zur Seite, und seine farblosen Fischaugen lagen starr hinter den starken Brillengläsern.

»Sie sehen mich fassungslos«, begann Bayford, indem er, ohne eine Aufforderung abzuwarten, den nächsten Stuhl einnahm, »und je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger kann ich glauben, daß . . .« Er ließ den Satz unvollendet und schüttelte bewegt und grübelnd den Kopf. »Mrs. Smith fühlte sich am letzten Abend gesund und frisch wie immer, und ich habe von ihr überhaupt nie eine Klage über ihr Befinden gehört. – Wir haben sogar noch eine geschäftliche Angelegenheit erledigt«, fügte er so ganz nebenbei hinzu, »an der ihr sehr viel gelegen war.«

»Ja, Polly war immer für Geschäfte«, meinte Smith wehmütig und setzte sich dann wieder in Marsch, wobei er mit dem Kopf und den Händen krampfhafte Bewegungen ausführte und die Anwesenheit des anderen ganz zu vergessen schien.

Bayford ließ ihm eine Weile Zeit, dann brachte er sich in Erinnerung.

»Dieses letzte Geschäft bedarf allerdings noch des Ausgleichs«, deutete er unverfroren an. »Mrs. Smith wollte die Sache gestern regulieren – aber gestern . . .« Er seufzte gefühlvoll und wischte sich mit dem blütenweißen Seidentuch die feuchte Stirn, denn es war ihm in diesem Augenblicke, von dem so viel abhing, wirklich etwas warm.

»Es handelt sich um fünftausend Pfund«, erklärte er endlich entschlossen.

Mr. Smith hatte in seinem ruhelosen Spaziergang neuerlich mit einem Ruck haltgemacht und stand mit gebeugtem Rücken und hängenden Armen da.

»Ich habe mit Pollys Angelegenheiten nie etwas zu tun gehabt«, stieß er mit ängstlicher Hast hervor. »Wenn Sie sich an ihren Vermögensverwalter wenden wollen . . .«

»Vorläufig möchte ich das nicht«, erklärte der Herr mit dem Monokel bedächtig und betrachtete angelegentlich seine gepflegten Nägel. »Ich habe meine Gründe dafür und nehme an, daß Sie sie billigen werden, wenn Sie sie gehört haben.« Er hob plötzlich den Blick und sah herausfordernd in die verschwommenen Pupillen, die auf ihn gerichtet waren. »Mrs. Smith hätte nämlich die Sache sogar noch am selben Abend in Ordnung gebracht, wenn sie nicht von etwas anderem so außerordentlich in Anspruch genommen gewesen wäre: Es scheint zwischen ihr und Ihnen kurz vorher eine ernste Meinungsverschiedenheit gegeben zu haben; wegen der angelegten Gelder. Sie hat mir die Sache sehr ausführlich erzählt, und ich glaube nicht, daß davon noch ein Vierter wissen muß. – Deshalb habe ich mich vorerst an Sie gewandt . . .«

Der rücksichtsvolle Gentleman schwieg, und Mr. Smith war diese peinliche Erinnerung so nahegegangen, daß er an dem Flügel hatte Halt suchen müssen. Endlich versuchte er sich mit einem verzerrten Lächeln aufzurichten und spitzte den Mund, als ob er pfeifen wollte, brachte aber keinen Ton hervor und schüttelte wehmütig den Kopf.

»Ein schreckliches Mißverständnis«, murmelte er. »Polly war so eigen und ließ sich nichts erklären.« Er seufzte tief auf, legte die Hand aufs Herz und hatte mit einemmal wieder seine würdevolle Pose und seinen öligen Tonfall. »Und ich habe sie so geliebt . . .!«

»Eben deshalb«, meinte Bayford mit einem nachdrücklichen Nicken etwas unklar. »Ich kann mir denken, daß dieses Mißverständnis Sie bedrückt, und wir wollen daher nicht weiter darüber sprechen. – Es handelt sich, wie gesagt, um fünftausend Pfund, und ich möchte Sie bitten, mir über diesen Betrag einen Scheck auszustellen.«

»Verzeihen Sie«, stotterte Smith hastig, »aber Sie werden verstehen . . .«

Er schritt wie ein Nachtwandler zu dem großen Schreibtisch und begann aufgeregt in einer der Schubladen zu kramen.

Bayford hatte die Rechte in die Tasche des Überrocks versenkt und verfolgte mißtrauisch und gespannt jede Bewegung des andern. Als ihm die Sache zu lange währte, glaubte er allen Möglichkeiten vorbeugen zu müssen.

»Ich nehme an, daß Sie lediglich Ihr Scheckbuch suchen«, sagte er bestimmt und deutlich. »Etwas anderes wäre zwecklos, denn ich bin darauf vorbereitet.«

»Das Scheckbuch, jawohl«, bestätigte Smith und wühlte noch hilfloser und verzweifelter herum. Mit einemmal ertönten von seinen gespitzten Lippen die ersten Takte eines Siegesmarsches, und er warf triumphierend das Heft auf den Tisch.

»Wieviel sagten Sie doch gleich?« fragte er äußerst höflich.

»Fünftausend Pfund«, erwiderte Bayford mit geschäftsmäßiger Gelassenheit, und der andere füllte sorgsam das Blatt aus.

Der Herr mit dem Monokel nahm es entgegen, ohne die Rechte von der Waffe in seiner Tasche zu lassen, und seine Nerven kamen erst etwas zur Ruhe, als er den Häuserblock der Bar ein beträchtliches Stück hinter sich hatte.


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