Louis Weinert-Wilton
Der Drudenfuß
Louis Weinert-Wilton

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2

»Verdammter Idiot«, stieß einige Stunden später Allan Ferguson erregt hervor, als Mr. Bayford seinen wichtigen Bericht eben mit der interessanten Episode von dem Drudenfuß eingeleitet hatte.

»Wie konntest du den Burschen aus den Augen lassen! – Weißt du, was das heißt?«

Der Ton und die Ausdrucksweise paßten weder zu der würdevollen Erscheinung des Sprechers noch zu dem luxuriös ausgestatteten Privatkontor, aber Bayford nahm sie mit unerschütterlicher Ruhe hin. Er putzte mit dem feinen Seidentuch umständlich an seinem Monokel und stäubte dann noch einige Aschenflöckchen von seinem tadellosen Anzug, bevor er erwiderte: »Das kann heißen, daß wir eines Tages um rund zweihunderttausend Pfund und um das Doppelte an Dollars reicher oder ärmer sein werden . . .«

»Hol dich der Teufel!« fauchte der andere unfreundlich, indem er mit schweren Schritten auf dem dicken Teppich auf und ab stapfte und verstört an seiner erloschenen Zigarre biß. »Zunächst denke ich nicht an das Geld, sondern daran, daß uns die Geschichte den Hals kosten kann . . .«

»Von solchen Dingen spricht man nicht«, verwies ihn sein Teilhaber tadelnd und schlug gemächlich ein Bein über das andere. »Es ist auch wirklich noch lange kein Grund vorhanden, gleich das Schlimmste zu befürchten.« Er begann mit der Fußspitze zu wippen, und die kleinen Augen unter den schütteren farblosen Brauen hefteten sich starr auf das rote Gesicht Fergusons. »Was ist denn eigentlich los?« fuhr er überlegen und geschäftsmäßig fort. »Schön, es ist plötzlich jemand aufgetaucht, der von dem Drudenfuß und was damit zusammenhängt einiges zu wissen scheint, und das kann uns nicht gerade angenehm sein. Wir sind nun so lange hinter der Sache her und haben dabei so viel aufs Spiel gesetzt, daß uns eine Einmischung nicht passen kann. Wir müssen sie uns aber auch nicht gefallen lassen, und allein kann der Mann unmöglich etwas beginnen. Die Zeichnung haben wir, und die Karte . . .«

»Ja, die Karte . . .«, murmelte Ferguson und hob ratlos die breiten Schultern. »Gut, daß du mich daran erinnerst. – Es war auch diesmal wieder nichts. Der Nachlaß ist in alle Winde verstreut worden, und wer weiß, wohin das Kartenblatt, das ja an sich wertlos ist, mit dem übrigen Kram verschleppt wurde. Und ob es überhaupt noch existiert. – Von dem Drudenfuß kann eigentlich nur der gewisse Dritte wissen«, flocht er plötzlich ein, und seine Stimme klang trocken und heiser. »Er hat die Zeichnung einen Augenblick in der Hand gehabt, bevor . . .«

»Der gewisse Dritte? – Möglich. Ich habe auch schon daran gedacht.« Bayford strich sich gelassen über die lange, schmale Nase und zog die hellen Brauen hoch. »Anstatt einfach zuzuschlagen, hättest du damals eben schießen sollen. Er hat sich's ja auch nicht überlegt.« Bayfords Gesicht verzog sich zu einer leichten Grimasse, während er nach der tiefgefurchten Narbe blickte, die auf der wohlgenährten Wange des anderen bis zum Ohr lief. »Man soll in solchen Dingen nie etwas halb tun, das ist immer gefährlich. – Wenn ich damals den Revolver nicht dummerweise beiseite gelegt hätte . . .«

»Der Teufel mag immer gleich an alles denken«, knurrte Ferguson aufgeregt und ärgerlich. »Es hat auch gar keinen Zweck, jetzt lange darüber zu reden, was wir damals hätten tun sollen. Die Bescherung ist nun einmal da, und wir müssen uns unserer Haut wehren. Wenn der Bursche die alte Geschichte aufrührt, kann es uns übel ergehen.«

»Vierzehn Jahre sind eine sehr lange Zeit«, erklärte Bayford bedächtig. »Und wenn es schon damals verdammt schwer gewesen wäre, uns etwas nachzuweisen, so ist es heute geradezu unmöglich. Dazu gehören Zeugen, und die gibt es bis auf den einen nicht. Und dieser eine hat nur gesehen, daß wir von einem Toten ein Papier an uns nahmen, was an sich kein Verbrechen ist. Von dem, was früher geschehen war, kann er kaum wissen, denn es ging ja so Hals über Kopf und so lärmend zu, daß man verrückt werden konnte. Eine scheußliche Nacht.« Er schüttelte sich leicht und machte eine kleine Pause, um sich eine frische Zigarre anzuzünden, während Ferguson mit gesenktem Kopf unruhig auf und ab lief. »Wenn mich etwas bedenklich machen könnte, so wäre es der fabelhafte Blick, den der Mann haben muß. Nach so vielen Jahren jemand wiederzuerkennen, dem man einziges Mal für wenige Minuten gegenübergestanden hat und noch dazu unter derartigen Verhältnissen, dazu gehört allerhand. Vergiß übrigens nicht, daß wir nach unseren völlig einwandfreien Papieren zu der fraglichen Zeit in Argentinien gewesen sind. – So«, schloß er entschieden, indem er das Monokel aus dem Auge beförderte und mit einem flinken Taschenspielergriff auffing, »und nun wollen wir abwarten, was der Drudenfuß eigentlich bedeuten sollte. Dann werden wir ja sehen.« Er räkelte sich in dem tiefen Klubsessel noch bequemer zurecht und sah Ferguson erwartungsvoll an. »Was machen die Geschäfte?«

»Das möchte ich dich fragen«, meinte dieser lebhaft. »Wie war es?«

»Wie ich es mir gedacht habe«, erklärte Bayford leichthin. »Zunächst einmal sündhaft teuer, und sonst viel Geschrei und nichts dahinter. Eine Menge von schönen Reden und Entschließungen, aber nichts Bedenkliches. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, können wir in aller Ruhe und Beschaulichkeit alte Herren werden.«

»Um so besser. Es wäre ein furchtbarer Schlag gewesen, wenn uns gerade jetzt das Geschäft gestört worden wäre.« Er beugte sich dicht zu dem interessierten Mr. Bayford, und obwohl sie völlig ungestört waren, dämpfte er seine Stimme zu einem kaum vernehmbaren Flüstern. »Ich habe ungefähr dreihundert Ballen versandbereit und wollte nur deine Nachricht abwarten, bevor ich die Depeschen loslasse.«

»Laß sie ruhig los«, warf sein Teilhaber ein, und Ferguson machte sich an seinem Schreibtisch zu schaffen. Er rückte etwas von dem Tisch ab, faßte nach der Platte, und im selben Augenblick sprang mit einem federnden Geräusch in der ganzen Länge eine etwa fünf Zentimeter tiefe Lade hervor. »Da sieh her«, sagte er selbstbewußt und deutete auf die farbige Weltkarte, die den Boden bedeckte, »so arbeite ich. Wo die Fähnchen sind, werden die Transporte gesammelt«, fuhr er eifrig erklärend fort, »und wenn die Ware eingeschifft ist, kommt der Wimpel auf die betreffende Schiffahrtslinie. Dabei ist aus jedem Fähnchen zu ersehen, wieviel Ware da ist und von welcher Sorte, denn ich halte alles täglich auf dem laufenden.«

»Sehr nett«, meinte Bayford zurückhaltend, »aber wenn zufällig einmal ein anderer seine Nase in die hübsche Spielerei stecken sollte . . .«

»Ausgeschlossen«, erklärte Ferguson mit einem breiten Grinsen, indem er die Lade wieder zurückspringen ließ und auf den Tisch klopfte. »Die Sache ist gesichert, und wenn ungeschickt daran herummanipuliert wird, tritt Kurzschluß ein. Dann gibt es in dem Fach nur ein Häufchen Asche. Alles ist genau ausprobiert und ganz zuverlässig.«

Mr. Bayford, der kaum mehr zugehört hatte, sagte jetzt lebhaft: »Übrigens, das Reisegeld, mit dem du mich ausgestattet hast, war etwas knapp, und du mußt zweihundert Pfund zulegen. Allein die Blumen für Mrs. Lee haben mich einige tausend Francs gekostet. Es waren aber auch geradezu märchenhafte Orchideen darunter. Ich konnte ihr doch nicht gut Gänseblümchen schicken, obwohl –«

»Mach für mein gutes Geld nicht auch noch schlechte Witze«, fiel ihm der geizige Ferguson ins Wort. »Was geht mich deine Mrs. Lee an?«

»Sehr viel, mein Lieber«, gab Bayford kühl zurück, indem er in seiner Aktentasche zu kramen begann. »So viel, daß du morgen zwei Schecks auf je hundert Pfund an sie überweisen wirst – einen von dir, den andern von mir. Hier hast du die Adresse. Dafür werden Mr. Allan Ferguson und Mr. Joe Bayford die Ehre und das Vergnügen haben, dem Komitee zur Bekämpfung des Mädchenhandels anzugehören. Es ist bereits alles geregelt.«

Er klemmte mit ernstem Gesicht das Monokel ins Auge, und sein Teilhaber starrte ihn sekundenlang an, als ob er ein Wundertier wäre. Dann bekam der große, starke Mann plötzlich einen Lachanfall, der ihm fast den Atem benahm, und Bayford mußte ihm hilfreich den breiten Rücken klopfen.

»Siehst du, so arbeite ich«, sagte nach einer weiteren Viertelstunde Bayford, indem er ein Bündel Banknoten lässig in die Westentasche schob. »Die Verbindung ist einfach unbezahlbar, und ich glaube, wir können nun sogar das hiesige Geschäft ruhig aufnehmen. Ich habe dir schon oft gesagt, daß hier das Geld auf der Straße liegt. Und wenn jemals Gefahr drohen sollte, so erfahren wir davon jedenfalls rechtzeitig.«

Der tüchtige Ferguson war neuen Geschäften nie abgeneigt, aber diesmal hob er mit einer raschen, abwehrenden Gebärde die Hand.

»Hier mache ich keine Geschäfte«, erklärte er entschieden, aber Bayford, der bereits an der Tür stand, zuckte nur mit den Achseln.

»Du wirst sie machen, und ich glaube, daß ›Tausendundeine Nacht‹ ein recht ergiebiges Arbeitsfeld sein wird. Mrs. Smith ist eine verständige Person, und ich werde sie noch heute vorsichtig vorbereiten. Du kannst mich gegen elf Uhr dort erwarten.«

Er nickte seinem Teilhaber flüchtig zu, und dieser erhob sich, um den Riegel, den er der Sicherheit halber vorgelegt hatte, zurückzuschieben.

Der Korridor des großen Geschäftshauses lag um diese Stunde bereits ruhig und menschenleer, aber kaum hatte Ferguson einen Blick in das Halbdunkel getan, als er blitzschnell den Kopf duckte und mit verstörten Mienen auf den Boden starrte.

Zwei Schritte vor der Schwelle prangte, mit dicken Kreidestrichen aufgetragen, ein Drudenfuß, und der Anblick war für den großen, starken Mann so erschreckend, daß er mit zitternder Hand an dem Türgriff Halt suchen mußte.

Nur Bayford behielt seine Fassung und stieß lediglich einen leisen Pfiff durch die Zähne, als er mit der Sohle seines Schuhs an dem unheimlichen Zeichen zu wischen begann. »Gut«, murmelte er mit einem etwas krampfhaften Lächeln, »nun wissen wir wenigstens, woran wir sind.« Er tastete unauffällig nach seiner Gesäßtasche und warf seinem völlig fassungslosen Teilhaber einen vielsagenden Blick zu. »Der Mann scheint es plötzlich sehr eilig zu haben, und wir werden bei der ersten Gelegenheit die Ungeschicklichkeit gutmachen müssen, die du vor vierzehn Jahren begangen hast.«


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