Louis Weinert-Wilton
Der Drudenfuß
Louis Weinert-Wilton

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19

Vor allem mußte er sich endlich volle Klarheit darüber schaffen, wie es mit der Angelegenheit des Drudenfußes stand. Es ging dabei um ein Vermögen, das er nicht so ohne weiteres preisgeben wollte. Selbst wenn er Mrs. Lee mit ihren Millionen in die Hände bekam, waren die Hunderttausende immerhin noch ein recht netter Zuschuß, und schließlich wollte er auch nicht völlig nutzlos den Kopf riskiert haben.

Gründlich und vorausplanend, wie Bayford war, standen seine Maßnahmen sogar bereits in allen Einzelheiten fest, und als er nach einer nachdenklichen Fahrt gegen acht Uhr abends in einer der dunklen Seitengassen von Stratford das Taxi verließ, wünschte er fast, eine Bestätigung seines Verdachtes zu erhalten. Das konnte die Sachlage nur vereinfachen, da es ihm freie Hand gab, so reinen Tisch zu schaffen, wie er ihn für die völlig veränderten Verhältnisse brauchte.

Bayford glaubte sich nach dem alten Haus, zu dem er dem nächtlichen Besucher Fergusons gefolgt war, leicht zurechtfinden zu können, aber er ging in dem engen, winkligen Viertel eine geraume Weile irre. Die einzelnen Häuserreihen glichen einander bei der spärlichen Beleuchtung zum Verwechseln und ebenso die verwahrlosten Fassaden.

Der Herr mit dem Monokel schlenderte mißmutig seinen Weg weiter, als plötzlich einige Schritte vor ihm eine Frauengestalt auftauchte und eben durch den vollen Schein einer der Straßenlaternen huschte.

Der gleichgültige Blick, den er der Entgegenkommenden geschenkt hatte, wandelte sich jäh, und in der nächsten Minute fühlte sich die schlanke Gestalt durch einen leichten Griff aufgehalten.

»Ich müßte mich sehr irren, mein Kind . . .«, begann Bayford überrascht und ungemein liebenswürdig, kam jedoch nicht weiter.

»Unbedingt irren Sie sich sehr, wenn Sie zu mir ›mein Kind‹ sagen«, klang es sofort ruhig, aber in gefährlich drohendem Ton zurück; »und wenn Sie mich nicht augenblicklich loslassen . . .«

Mr. Bayford dachte nicht daran. Er war überzeugt, die aparte Schönheit in Rot aus der Bar vor sich zu haben, und eine günstigere Gelegenheit, sich mit ihr anzufreunden, konnte sich nicht ergeben.

Der Herr mit dem Monokel ließ die schmale Hand, die bisher nicht den geringsten Widerstand geleistet hatte, los und schob dafür seinen Arm in jenen des Mädchens.

»Sie dürfen mir meine Zudringlichkeit nicht übelnehmen«, sagte er selbstsicher, »aber ich bewundere Sie bereits seit langem und schätze mich glücklich . . .«

»Tun Sie das nicht«, mahnte ihn die ruhige Stimme neuerlich, aber wiederum überhörte er den seltsamen Tonfall, der in den Worten lag, und faßte den Arm noch etwas zärtlicher . . .

Schon in der folgenden Sekunde gab es in der stillen Gasse einen klatschenden Schlag, dem ein Klirren von Glasscherben folgte, und während eine Gestalt taumelnd an der nächsten Mauer Halt suchte, flog eine andere etwa zehn Schritte weiter in ein Haustor. Mr. Bayford bedurfte einer ziemlichen Weile, um sich zu sammeln, seinen Hut aufzuklauben und ein neues Monokel aus der Westentasche ins Auge zu befördern. Erst als er soweit war, vermochte er einen halblauten Fluch über die Lippen zu bringen, und sein verzerrtes Gesicht verriet, in was seine Bewunderung für die Rote sich gewandelt hatte. Wenn er nicht gewußt hätte, daß ihr Schicksal ohnehin bereits entschieden war . . .

Für alle Fälle wollte er sich das Haus besehen, in dem sie Zuflucht gesucht hatte – das Weitere würde sich dann bei ruhiger Überlegung schon finden. Bevor er sie der Fürsorge der ›dicken Zigarre‹ überließ, wollte er mit ihr eine Abrechnung machen, die ihm eine gründliche Genugtuung verschaffen sollte. Er schlenderte mit einem tückischen Grinsen die kurze Strecke zurück, und als er sich das unfreundliche Gebäude näher betrachtete, um es sich ja zuverlässig einzuprägen, erkannte er zu seiner großen Überraschung mit einemmal, daß er sich an dem Ziel befand, dem sein Weg eigentlich gegolten hatte. Unmittelbar neben dem Haustor war der kleine Laden mit den zwei Tierköpfen auf dem Treppengeländer, die ihm damals aufgefallen waren, und während er das verwaschene Firmenschild entzifferte, fiel ihm auch der Name wieder ein: ›Maurice Rosary‹.

Rosary hatte wenige Minuten vorher das Tor heftig ins Schloß werfen und eilige Füße über den Flur laufen hören und hatte seine Tür geöffnet, um zu sehen, was da los war. Er gewahrte gerade noch, wie seine Nachbarin mit sichtlicher Hast ihr Zimmer aufschloß, und da ihr Blick dabei gespannt auf das Haustor gerichtet blieb, kam ihm die Sache einigermaßen seltsam vor.

»Was ist geschehen, Miss?« fragte er rasch und besorgt, aber das Mädchen war bereits in der Tür verschwunden und streckte nur das erhitzte Gesichtchen durch einen kleinen Spalt. Trotz des trüben Lichtes bemerkte der schmächtige Mann, daß es noch hübscher war als sonst, obwohl es nicht so schön bemalt war, und daß die Augen wie kostbare Steine funkelten.

»Ich habe da draußen eben einem Mann eine geknallt«, bekam er im Flüsterton eilig anvertraut, wußte aber damit nichts anzufangen.

»Was haben Sie geknallt?«

»Ich habe einem zudringlichen Kerl eine Ohrfeige gegeben.«, kicherte es vergnügt aus dem Spalt, und nun war Mr. Rosary im Bilde.

Rosary empfand eine große Erleichterung, als seine Nachbarin ihm verabschiedend zuwinkte und hinter sich absperrte, und während er lebhaft zurückwinkte, überlegte er blitzschnell, was da zu tun war. Er war nicht gerade ein Held, aber wenn es um dies Mädchen ging, würde er wie ein Löwe kämpfen . . .

Er eilte in seine Stube, und als er sich, mit einem mächtigen verrosteten Schürhaken bewaffnet, lauschend an die Tür stellte, klopfte zwar sein Herz sehr, aber er war zu allem entschlossen.

Bayford öffnete das Tor und suchte sich zunächst in dem halbdunklen Flur zurechtzufinden. Der Gedanke, in diesen übelriechenden Räumen vielleicht von Tür zu Tür nach dem Antiquitätenhändler suchen zu müssen, hatte nichts Verlockendes und war nicht danach angetan, seine Laune zu bessern.

Aber diesmal meinte es der Zufall gut mit ihm.

Rosary lugte von seinem Posten sprungbereit nach dem Eindringling aus, aber kaum war er dessen ansichtig geworden, als sich die ängstliche Spannung in seinen Mienen in namenloses Staunen verwandelte.

Er wußte nicht, ob das der geohrfeigte Mann war, aber jedenfalls war es Mr. Bayford, und da gab es kaum eine Gefahr, sondern vielleicht sogar ein Geschäft.

Der gute Mann hatte es plötzlich so eilig, daß er das Eisen in seiner Rechten ganz vergaß und damit in den Flur stürzte.

»Wünschen Sie vielleicht etwas, Sir?« erkundigte er sich beflissen, und der düstere Zug in Bayfords Gesicht machte einem erfreuten Lächeln Platz.

»Das nenne ich Glück«, sagte er. »Gerade Sie wünsche ich mir.«

Rosary wischte umständlich den einzigen Stuhl in seiner Stube ab, bevor er ihn seinem Besucher zurechtschob.

»Es wird mir eine besondere Ehre sein, Ihnen dienen zu können, Mr. Bayford«, versicherte er, und wenn es diesen auch überraschte, mit seinem Namen angesprochen zu werden, so war es ihm doch nicht unangenehm. Daß der Mann ihn kannte, erleichterte die Sache vielmehr, denn es gab ihm einen gewissen Rückhalt.

»Sie sind mir von meinem Teilhaber Ferguson empfohlen worden«, meinte er leichthin. »Ich werde in der nächsten Zeit verschiedenes benötigen, und da mich mein Weg heute gerade hier vorübergeführt hat, wollte ich mich nach Ihnen umsehen.«

Er schwieg und begann sorgfältig an seinem Hut herumzuputzen, der noch hie und da Spuren des Straßenschmutzes aufwies, und der schmächtige Mann schwieg auch. Für seinen hellen Verstand und seine scharfen Ohren stimmte da etwas nicht. Man schrieb ihm, oder man ließ ihn rufen, wenn man demnächst etwas von ihm benötigte, aber man kroch nicht in die schmutzigen Gassen von Stratford, um sich nach ihm umzusehen.

Er beschloß, auf der Hut zu sein, aber solange er nicht wußte, worum es ging, war das eine schwierige Sache.

Der andere begnügte sich vorläufig nur mit allgemeinen Redensarten. »Mr. Ferguson ist mit Ihnen sehr zufrieden gewesen. Dieses Objekt, das Sie ihm vor einigen Tagen besorgten . . .«

Bayford ließ es bei dieser Andeutung, die er mit einem seltsamen Blick begleitete, bewenden, und Rosary wußte nun, daß es um den Handel mit den Karten ging. Aber dabei hatte der geheimnisvolle große Herr vom Schiff die Hand mit im Spiele gehabt, und über solche Dinge sprach er um keinen Preis.

»Man tut, was man kann«, wich er daher bescheiden aus und konnte nicht verstehen, warum der andere ihn plötzlich so durchdringend ansah und so heftig an den dünnen Lippen nagte, so lange, daß dem armen Rosary förmlich bange wurde. Aber dann fuhr Bayford wieder mit dem Ärmel glättend über den Hut und traf Anstalten zu gehen, obwohl er eigentlich von den Geschäften noch nicht ein Wort gesprochen hatte.

Erst auf der Schwelle kam er kurz darauf zurück. »Ich werde Sie verständigen, wenn ich Sie brauche. Ich möchte, daß Sie mir einige alte Möbelstücke zu einem annehmbaren Preis auftreiben. Hoffentlich stellen Sie mich damit so zufrieden, wie meinen Teilhaber mit der Besorgung der Karte . . .« Bayford nickte etwas zerstreut und warf dann plötzlich noch eine flüchtige Bemerkung hin, die schon wieder nichts mehr mit dem Geschäft zu tun hatte.

»Sie scheinen eine ausnehmend hübsche Hausgenossin zu haben. Wenigstens ging das Mädchen einige Schritte vor mir hier herein. Groß, schlank, mit einem entzückenden Gesichtchen. Eine geradezu auffallende Schönheit – nicht nur für Stratford.«

Er sah den blassen, schmächtigen Mann fragend an, und dieser verhielt für einen Augenblick den Atem, aber plötzlich begann er lebhaft mit dem Kopf zu nicken und sich den dünnen Bart zu krauen.

»Oh, wir haben viele sehr schöne Mädchen hier herum und auch im Hause«, erklärte er sachverständig. »So wie Sie sie beschreiben, Sir, kann es eine von den fünf Damen sein, die im ersten Stock wohnen, oder eine aus dem zweiten Stock, die auch alle sehr hübsch sind.«

»Sie müssen ja hier in dieser unscheinbaren Bude eine ganze Schönheitsgalerie beisammen haben«, spottete Bayford etwas verdrießlich, wollte aber doch noch einen Versuch machen, über das Mädchen etwas Näheres zu erfahren. »Ich glaube die Betreffende bereits wiederholt in der Bar ›Tausendundeine Nacht‹ gesehen zu haben. Sie trägt stets ein rotes Kleid und einen ebensolchen Turban . . .«

»Ein rotes Kleid und einen ebensolchen Turban«, echote Rosary mit krampfhafter Lebhaftigkeit. »Gott, was für einen Blick Sie haben, Sir! – Ich habe das nicht bemerkt, obwohl die Damen jeden Tag an mir vorüberkommen, wenn sie ausgehen.« Der bedrängte Mann fühlte, wie sein Hals immer trockener wurde, aber Bayford wandte sich plötzlich nach einem mißtrauischen Blick kurz ab und trat wortlos in den Flur.

Trotz dieser kühlen Verabschiedung ließ Rosary es sich nicht nehmen, seinen Besucher ehrerbietig bis an das Tor zu begleiten, aber als dieses sich geschlossen hatte, war er mit seinen Kräften zu Ende.


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