Friedrich Wilhelm Weber
Dreizehnlinden
Friedrich Wilhelm Weber

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XXIV. Heimkehr

1.
              Und die Frühlingswetter waren
Längst verhallt, die grünen Wogen
Und der Staub des Roggenfeldes
Längst verweht und längst verflogen.

Schatten suchten Hirt und Herde;
Auf des Ackers Ährenfülle,
Auf dem Blättermeer des Waldes
Ruhte sommerliche Stille.

Nur das Heimchen sang im Grase
Und der Bach durch Schilf und Steine,
Und die Rose glüht' im Garten,
Und der Ginster blüht' am Raine.

Und vorbei an Rain und Garten
Und hinunter Bach und Wiese
Ritt ein Trupp von Sachsenmännern,
Mancher Stumpf und mancher Riese.

Diethelm sprach: »Dort liegt das Kloster,
Edler Rab, wir sind zur Stelle,
Unsre Tiere, müd und durstig,
Wittern schon die Weserwelle.« –

In das Tor von Dreizehnlinden
Zogen ein die muntern Knappen,
Habichtshöfer, grüne Sträuße
Nickten an den Lederkappen.

Allen vor der Eschenburger!
Ei, wie war sein Blick so heiter,
Ei, wie ließ den Normann tanzen
Jugendfrisch der graue Reiter!

Herzlich grüßten Abt und Prior
Nach Gebühr die Gäste alle;
Rab und Diethelm folgten beiden
In des RemtersRemter, Speisesaal im Kloster, refectorium. kühle Halle.

Sprach der greise Eschenburger,
Nickend mit vergnügter Miene:
»Prüft, ihr Herrn, ob, was ich bringe,
Nicht ein Botenbrot verdiene?

Doch zuvörderst ruft den Falken,
Denn, was ich zu melden habe,
Zielt auf ihn zumeist; nicht immer
Unheil krächzt der alte Rabe.« –

Elmar trat herein und stutzte,
Freudig halb und halb verlegen;
Diethelm, Tränen in den Augen,
Stürzte jubelnd ihm entgegen:

»O du bist es! O wie lange –«
Rab dazwischen: »Immer kühle,
Hausverwalter; heut Geschäfte,
Morgen Schwatz und Zartgefühle!

Elmar, hier die Hand, mein Knabe!
Deine Unschuld ward erwiesen;
Wie? – das später; jetzt das eine:
Du bist frei; Gott sei gepriesen!«

»Himmelsmächte«, rief der Falke,
»Frei der Acht und los des Bannes?
Frei, ich frei?« Und schluchzend sank er
An die Brust des treuen Mannes.

Rab darauf: »Ich ritt nach Aachen;
Ludwig, so gerecht als gnädig,
Hörte mich, und unverzüglich
Sprach er aller Schuld dich ledig.

Hier sein Brief mit Hand und Siegel
Stellt dich in Besitz und Ehren
Sonder Last – bis auf den Zehnten,
Den die Klosterherrn begehren.«

Lächelnd sprach der Abt: »Die Gabe
Macht die Heiligen euch huldig,
Daß ihr nicht im Himmelreiche
Braucht zu stehn; drum zahlt geduldig!«

Dann der Prior: »Habt Ihr Kunde,
Wie dem Falschen es ergangen,
Gero, seit die kecken Weiber
Schimpflich aus dem Gau ihn sangen?«

Rab darauf: »Er kroch ins Dunkle
An der Maas auf seinen Kotten;
Käm' er zu der Pfalz, ihn würden
Knecht und Küchenmagd verspotten.«

Diethelm sprach: »Wohl spürt er wenig
Lust, zu uns zurückzukehren,
Schlecht erbaut von Katlas Weise,
Ungenetzt den Bart zu scheren.«

Sagte Rab: »Der fromme König
Zürnt ihm schwer, und ein Verbrechen,
Ausgeübt auf Königsnamen,
Will er unnachsichtig rächen.

Euch, Ihr Vater, weil Ihr Holdes
Tatet, wo durch einen Argen,
Seinen Sendling, Leid geschehen,
Mag sein Königsdank nicht kargen.

Wie er gütig Euch bedachte,
Wird dies Schreiben Euch besagen:
Säumt nicht, würd'ger Abt, die Schenkung
Ins Registrum einzutragen!«

Sprach Worin: »Mag Gott ihm lohnen!
Unser Tun war unser Müssen;
Tröstlich ist es, diese Zellen
In des Herrschers Huld zu wissen.«

Rab fuhr fort: »Des heil'gen Vitus
Ird'sche Reste ließ er fassen
Reich in Gold; ein köstlich Heiltum,
Und Ihr dürft es holen lassen.«

Drauf der Abt sich tief verneigend:
»Glimpf und Gunst sind starke Stützen,
Doch wie Felsen unsre Mauern,
Wenn die Heiligen sie schützen.«

Sagte Rab: »Gedenkt der Boten!
Aber, Falk, du schweigst, mein Junge?
Auf der Dingstatt Sturm und Wetter,
Heute ohne Lung' und Zunge?

Still, wir kennen uns! – Nun weiter:
War bei Hofe ein Geraune,
Dies und jenes; doch bei Hofe
Gehn und kommen Lust und Laune.

Zwar von Bodo, unserm Grafen,
Sprach man Gutes viel und Schönes,
Doch verstimmt und unzufrieden
Sei man über dies und jenes:

Müder Mann, der siebzig Jahre
Durch die schlimme Welt gegangen,
Dürfe nach dem Ruhesessel
Hinterm Feuerherd verlangen;

Und ein Jüngrer, wohl ein Sachse,
Könn' auf seinem Stuhle sitzen,
Und – wem Unrecht widerfahren,
Werde Recht am besten schützen.

Dunkle Rede; deine Sache,
Elmar, ist es, sie zu lichten.
Nun noch dies: von Bodinkthorpe
Hab' ich Trübes zu berichten.

Denn der Graf ist krank, und sehnlich
Wünscht und bangt er, dich zu sehen,
Dich und euch, ehrwürd'ge Vater,
Bald, sobald es mag geschehen.

Und die Tochter grüßt den Falken,
Hart bedrängt von neuen Sorgen;
Will der Abt uns Herberg gönnen
Für die Nacht, so ziehn wir morgen.

Und nun sagt' ich, was ich mußte,
Und nun reicht mir eure Hände:
Gott sei Dank, des alten Raben
Reisefahrt nahm gutes Ende!« –

»Gott sei Dank, und Euch und allen«,
Sagte Elmar, »die dem Wunden,
Bannbestrickten, Wahnbefangnen
Treu und stark zur Seite stunden.

Zwiefach habt ihr mich gerettet –«
Rab darein: »Nur keine Rührung!
Übel schickt sie sich zu meiner
Hungerregung, Durstverspürung.«

Drauf der Abt: »Die Schüsseln dampfen,
Tretet her zu euren Plätzen!
Was der Kost an Würze mangelt,
Mag der gute Met ersetzen.«

Und die Klosterbrüder alle
Schritten schweigsam in den Remter,
Alle grüßend; drei, die jüngsten,
Pflegten sorglich ihrer Ämter:

Ailrat setzte Krug und Teller,
Bernhard segnete die Spende,
Biso las, derweil man speiste,
Einen Abschnitt der Legende,

Sprach der Abt am Schluß des Mahles:
»Seht, wo man euch Beßres biete;
Dankt dem Herrn, der Herr ist freundlich,
Ewig währet seine Güte!« –

Drauf der Falk: »Mein guter Diethelm,
Graut dir nicht vor Mönch und Priester?
Deucht dir nicht, dem Ungetauften,
Klosterluft zu dick und düster?«

Diethelm lachte: »Falk, bedenke,
Was ich, zwar verblümterweise,
Zu dir sprach, da dich der Sänger
Schier verführt zur Nordlandsreise.

Als dich Menschen falsch gerichtet,
Ich und Fulk, wir beide grollten
Mit den Göttern, weil die Götter
Dir und uns nicht helfen wollten.

Ich und Fulk, wir sannen weiter
In den langen Winternächten
Und vermeinten, daß die armen
Wohl zu helfen nicht vermöchten.

Und mit Wägen, Überlegen,
Ob zu traun dem Gott der Christen,
Kamen wir zum Ziel und dachten,
Daß wir uns bedenken müßten.

Und wir dachten immer schärfer,
Ich und Fulk; die dümmsten Tröpfe
Sind wir nicht, und schweren Mutes
Rieben wir die greisen Köpfe.

Doch seitdem die alte Drude
Von uns ging, – sie war verschwunden
Wie der Wind im Wald, und nirgend
Ließ sich eine Spur erkunden;

Auch der Schalk, der wilde Eggi,
War davon; du kennst den Rangen;
Tags zuvor der kleinen Aiga
Gab er Gurt und Silberspangen;

Andern Morgens fand der Meister
Einen Armring, schwer und golden,
Auf dem Amboß, seltsam fremdes
Schmiedewerk der klugen Holden: –

Seit dem Tag, von uns und andern,
War es wie ein Bann gewichen,
Und wir wurden Christenleute,
Eh ein halber Mond verstrichen;

Godo gar, der krause Otter,
Echter Sachse, denn er weinte;
Ob vor Rührung, ob vor Ärger, –
Niemand wußte, wie er's meinte.

Werinhard, – die breiten Hände,
Weißt du, die so leicht sich ballten,
Er besah sie, selbst verwundert,
Als sie lernten, sich zu falten.

Theudebert, der rote Bauer,
War's, der sich am längsten wehrte,
Doch er kam; die grimme Katla
Starb vor Wut, als sie es hörte.

Und am Eschenberg ein Siedler,
Jüngst aus Fuld' im Gau der Hessen
Angelangt, ein frommer Hüne,
Hat den Taufrock uns gemessen.« –

Markward drauf: »Ihr beiden Männer,
Du und Fulk, ihr gabt euch Mühe,
Und nach Bodinkthorpe reiten
Morgen wir in aller Frühe;

Und nach Bodinkthorpe reiten
Morgen wir zu guter Stunde,
Denn der Graf bedarf des Trostes
Und des Freundes Hildegunde.«

 
2.
Tiefer Wald! Von Stamm zu Stamme
Wob die Dämmrung graue Fäden,
Und die Bäume und die Tiere
Wechselten geheime Reden.

Sprach der Gimpel: »Sehr erfreulich
Sind mir abends die Berichte,
Wohlgesetzte kluge Worte
Aus der Welt- und Waldgeschichte.«

Sprach die Drossel: »Wenig Gutes
Hörst du heut, so nicht die Krähe
Liebes meldet von den Früchten
Ihrer höchstbeglückten Ehe.«

Drauf die Krähe: »Danke, danke!
Meine Mädchen, meine Knaben,
Sie gedeihn und werden schwärzer
Tag für Tag, zum Neid des Raben.«

Doch der Rabe schloß die Augen,
Wiegte seinen Kopf bedächtlich,
Stellte breiter seine Füße,
Kröpfte sich – und schwieg verächtlich.

Sprach der Stieglitz: »Öd und einsam
Ist es jetzt im weiten Walde,
Seit nicht mehr das Horn des Falken
Lustig klingt an grüner Halde.«

Sprach der Reiher: »Schlecht behagte
Mir sein Blasen und sein Beizen;
Zwar dein dünnes Federwämschen
Kann den Weidmann wenig reizen.«

Drauf die Elster: »Rab, der alte,
Ritt ins Wesertal hinunter;
Sonst so grimmig und so grämlich,
Schien er heut verjüngt und munter.«

Drauf die Amsel: »Ihm zur Seite
Habichtshöfer, kecke Knappen,
Und der dicke Hausverwalter,
Diethelm, auf dem breiten Rappen.«

Sprach der Dachs: »Nach Dreizehnlinden
Ging die Fahrt, ich kann's euch sagen;
Dieses weiß ich, auch noch andres,
So daselbst sich zugetragen.«

Füchslein greinte: »Wohlehrwürden
Bruder Graurock, selbst im Kloster,
Weiß Bescheid von Klostersachen;
Still, oremus, Paternoster!

Und der Falk, er ließ sich taufen,
Sagten jüngst mir Wandersleute:
Dacht' ich, daß es morgen nützte,
Taufen ließ ich mich noch heute.

Dieses weiß ich, auch noch andres:
Diethelm auf dem fetten Fohlen,
Rab, der alte, und die Burschen
Ritten, um ihn heimzuholen.«

Ahorn sprach: »Man raunt' im Winter,
Daß er nah am Tod gewesen
Und durch schwarze Kunst, will sagen
Durch der Mönche Kunst, genesen.«

»Dunkle Dinge kenn' ich besser
Als ein Ahorn«, sprach die Mistel;
»Half die Drude nicht, er schliefe
Unter Natterkopf und Distel.«

Drauf der Markolf: »Staunen muß ich,
Daß sie schied vom blauen Grunde;
Als sie ging, der braune Kobold
Sprang vorauf mit ihrem Hunde.«

Rabe sprach: »Bei ihr, einäugig,
Schritt ein felsenfarbner Kämpe,
Hünenhoch, im blauen Mantel
Und im Hut mit breiter Krempe.

Wer er war, befragt die Krähe,
Sie ist klug und wird ihn kennen:
Zwei von meinen Vettern gibt es,
Die sich niemals von ihm trennenAuf Wodans Schultern saßen zwei Raben, Hugin und Munin, Gedanke und Erinnerung., die ihm, was in der Welt geschah, ins Ohr flüsterten. Simrocks D. Myth. 170.

Sprach der Bär: »Am Habichtshöfer,
Kommt er, werd' ich Rache nehmen,
Denn er schlug den Stolz des Waldes,
Wikbert, meinen großen Öhmen.«

Rasch sich kugelnd, sprach der Igel:
»Statt der Rache, möcht' ich bitten,
Nehmt euch selbst in acht: der Falke
Ist ein Mann von eignen Sitten.«

Drauf der Wolf: »Auch meinem Volke
Tat er weh mit scharfen Streichen;
Bleibt er mir von Kleid und Kragen,
Zausen mag er meinesgleichen.

Iß und beiß die Nebenesser,
Ist der Grundsatz, den ich übe,
Und ich lernt' ihn bei den Menschen,
Und dort heißt er Nächstenliebe.«

Fichte sprach: »Vom Falken rauschte
Mir der Wind, mein Spielgeselle;
Wandeln sah er ihn im Garten,
Grübeln in der Klosterzelle.«

Sprach der Specht: »Geheime Runen
Les' ich zwischen Holz und Rinde,
Jeder liest sie nicht; ich sagte,
Daß er bald den Heimweg finde.«

Sprach die Eiche: »Kommt er wieder,
Meine Ahne läßt er hauen,
Sie, die große, gottgeweihte,
Eine Kirche draus zu bauen.«

Drauf der Fink: »Das Kreuz darunter
Find' ich stets im Frührotschimmer
Neu geschmückt mit frischen Blumen;
Wer sie bringt, verrat' ich nimmer.«

Sang die Nachtigall: »Und eine,
Die ich liebe, weckt' ich immer
Mit den schönsten meiner Lieder;
Wie sie heißt, verrat' ich nimmer.« –

Stille wurd' es; durch die Birke
Ging ein Schauern und ein Wehen
Leise, leise, wie im Traume,
Doch es war nicht zu verstehen. –

Und in dunkler Felsenritze
Barg der Uhu sich, der braune,
Struppig heute wie ein Dornbusch
Und verdrießlich böser Laune.

»Nahmst du nun das Christenwasser,
Wirrer Träumer? – Christ und Heide,
Gottesknechte, Götterknechte,
Blöde Toren sind sie beide!

Weiland rief der Sklavenkönig,
Kämpfend mit den Romuliden:
›Keine Götter sind dort oben
Und deshalb kein Recht hienieden.

Und deshalb zu Schutz und Trutze
Brauche jeder seine Waffen;
Und deshalb, ihr Kleingebliebnen,
Habt ihr recht, euch Recht zu schaffen.‹

Spartakus, mit Lorbeerreisern
Sei dein Denkerhaupt umwoben;
Deine Freiheitsbotschaft lautet:
›Keine Götter sind dort oben!‹

Glaubensballast aufzuachseln,
Sand im Sack, verdrießt den Weisen;
Mit dem leichtesten Gepäcke
Läßt am leichtesten sich reisen;

Mit dem leichtesten Gepäcke
Frisch und frech, am Hut die Feder;
Allererst ein lustig Leben,
Wie er sterbe, sehe jeder.

Glauben? Wahn und blaue Dinge!
Ich, der Uhu, glaub' ausschließlich
An mich selbst; die Selbstverehrung
Deucht mir weise, weil ersprießlich.

Ich, der Uhu, Oberuhu,
Ich, der Denker, seh' die Zeichen
Großer Zeit, wo meine Lehre
Siegt und herrscht in allen Reichen.

Wenn erst meine Essen schwelen,
Wenn erst meine Schlote rauchen,
Wald an Wald, und Erd' und Himmel
Rings in Dampf und Brodem tauchen;

Wenn erst meine Mühlen mahlen,
Meine Hämmer, wenn sie hämmern,
Wird die Götterdämmrung kommen
Und das Göttliche verdämmern.

Glauben ist das Kind der Feigheit:
Doch beherztere Geschlechter,
Düstre Zweifelshelden, werben
Um des Teufels stolze Töchter.

Glück zur Brut! Die Kreuzzerbrecher
Brechen auch die Königskronen,
Und der Rauch verkohlter Tempel
Wirbelt auf verbrannten Thronen.

Ja, das sind sie, Muspels Söhne:
Reitet zu, ihr wilden Reiter! –
Zwar der Aufschwung, den ich meine,
Liegt noch ein Jahrtausend weiter.

Gebet acht, ihr kleinen Eulchen,
Werdet klug und lauscht dem Alten:
Ich, der Uhu, Oberuhu,
Seh' die Dinge sich gestalten,

Kleine Eulchen, euch zum Nutzen!
Wachst und wartet noch ein Weilchen;
Hurtig flattert ein Jahrtausend;
Werdet Eulen, kleine Eulchen.

Hurtig flattert ein Jahrtausend;
Seid ihr stark und klug geworden,
Geb' ich euch ein großes Erbe;
All den Süden, all den Norden.

Kratzt euch drum; der schärfsten Klaue
Wird das beste Stück zuteile:
Jene Welt ist für die Katze,
Diese Welt gehört der Eule.«

 
3.
Sprach der Abt: »Sooft ich reite
Durch den Wald an Sommertagen,
Regt sich traumhaft im Gemüte
Längst entwöhntes Wohlbehagen.

Schattenkühle, Tempelstille,
Kaum ein Wispeln in den Zweigen,
Duft'ger Hauch aus Moos und Binsen,
Alles ist so hold und eigen.

Und die Gabelweih' dort oben –
Elmar, halt dich straff im Bügel!
Deine Stute, fast zu lustig,
Schäumt und drängt in Zaum und Zügel.«

Diethelm drauf: »Der Klostergerste
Hat sie lang und satt gegessen:
Still, Gerswinda, wilde Dockel
Auch daheim wird gut gemessen.

Doch mit Gunst, ihr buchgelehrten
Frommen Herrn, ich m
Seh' ich euch die Hengste tummeln,
Hier den Fuchs und dort den Braunen!«

Drauf Warin: »Im Psalter fingert
Mancher, der in Jugendtagen
Durch die Weit auf Rossesrücken
Sturmgewand und Schwert getragen.«

Markward sprach: »Zu einem Kranken
Geht die Fahrt, zu ernsten Dingen,
Sonst, wie würd' aus Knappenkehlen
Herrlich hier ein Stabreim klingen;

Einer von den freudigfrischen,
Die man sang vor vielen Jahren,
Als noch zwischen Rhein und Elbe
Mein die Berg' und Täler waren.« –

Rief der greise Eschenburger:
»Falk, gesegnet sei die Stunde:
Sieh, dort springt der falsche Bronnen,
Und du bist auf eignem Grunde!

Falk, du bist auf eignem Boden,
Sieh, dort springt der falsche Bronnen!
Grüß die Mark; du hast dein teures
Vätererbe neu gewonnen.«

Schweigsam war der Falk geritten,
Tief versenkt in ernstes Sinnen:
Heim, – zu ihr! – Und eine Träne
Fühlt' er auf die Wange rinnen.

Heim, zu ihr! – Die beiden Arme
Hätt' um jeden Stamm er legen,
O, er hätte Stein und Erde,
Blatt und Blume küssen mögen!

Und sein blondes Haupt entblößend,
Sprach er weich: »Vor vierzig Wochen,
Als ich schied von dieser Stelle,
War ich mutlos und gebrochen.

Rettung kam dem Rettungslosen
Unverdient; in Not und Schmerzen
Halfen mir, dem Weltverlaßnen,
Gott und gute Menschenherzen.«

Sprach der Abt: »Du halfst der Hilfe!
Hinter dir ein nächtlich Tosen,
Vor dir heitrer Morgenhimmel« –
Markward sprach: »und – rote Rosen!«

Wo der Weg sich trennt vom Wege,
Schwenkte Diethelm rechts zur Seite:
»Falk, beliebt es dir, ich führe
Heim zum Hof jetzt unsre Leute.

Siehst du dort den neuen Giebel?
Bodo baute seinen Erben
Einen Saal; sich läßt er zimmern
Einen Sarg – er liegt im Sterben!«

 
4.
Auf dem Hof zu Bodinkthorpe
Lastete ein dumpfes Schweigen;
Stumm der Wind und stumm der Vogel
In der Linde düstern Zweigen.

Nur der Röhrborn, rauscht' und rauschte
Fort und fort und schäumt' und schäumte;
Aiga kam mit ihrem Kruge,
Stellt' ihn unter, träumt' und träumte.

Und der Krug floß lange über,
Und das Wasser schäumt' und rauschte,
Rauscht' und schäumte, und das Mädchen
Stand und stand, wie wenn es lauschte.

In der Hand die wollne Mütze,
Lief vom Herrenhaus zur Scheuer
Und zurück zum Herrenhause
Wie betäubt der alte Meier.

Hier wie dort, in Stall und Schuppen
Schalt er säumig Mägd' und Knechte,
Und geschah, was er befohlen,
War es dennoch nicht das Rechte.

»Arnd, du triebst den Schecken müde!
Gerd, was stierst du so verdrossen?
Friedebrand, wie dir geheißen,
Sahst du nach des Bischofs Rossen?

Kleine Aiga, schläfst du wieder?
Hast du Schick und Dienst vergessen?
Seit der braune Strolch entlaufen,
Bist du dumm und wie besessen.«

Aiga ballt' ihr rundes Fäustchen.
Doch als ihr die Zähren rannen,
Lachte sie, und ohne Antwort
Flog sie mit dem Krug von dannen,

Fort zum Saal. – Indes der bleiche
Bote war hindurchgeschritten:
Auf den Polstern lag ein Müder
Hingestreckt, der ausgelitten.

Schlaf umfing ihn weich und linde;
Nicht der traumgequälte, bange,
Nein, der tiefe, friedenvolle,
Ungestörte lange, lange.

Ihm zu Häupten Hildegunde,
Vorgebeugt, wie wenn sie früge,
Ob es wahr, ob wirklich stockten
Die geliebten Atemzüge?

Zuckte nicht die blaue Lippe?
Schien sich nicht die Brust zu dehnen?
Stumm und tot! Und niedersinkend
Brach sie aus in bittre Tränen.

Kniend bei dem Heimgegangnen,
Rang der Bischof im Gebete,
Badurad, der für des Freundes
Sel'ge Fahrt und Urständ flehte.

Heut noch hatt' er milde Worte
Von der Welt, die quält und kränket,
Von der Welt, die sühnt und sänftigt,
Trostvoll ihm ins Herz versenket;

Hatt' ihm dargereicht das letzte
Liebesmahl, die Himmelsspeise,
Und die wandermüden Füße
Ihm gesalbt zur letzten Reise.

Draußen harrte auf die Sichel
Reicher Fluren goldne Spende;
Drinnen war die strenge, rauhe
Schnitterarbeit schon zu Ende.

Und ein Falter flog am Laden,
Und die Sonne schien so heiter,
Und ihr Lichtstreif auf dem Estrich
Rückte langsam, langsam weiter.

Plötzlich schrak empor die Jungfrau;
In die Halle traten leise
Elmar mit dem Eschenburger,
Markward und Warin, die Greise.

O wie schoß der Kummerbleichen
Jäh das Blut in Stirn' und Wange!
»Elmar! – Er ist tot! Er hoffte,
O, er harrte dein so lange!

Seht, o seht, ehrwürd'ge Vater.
Edler Rab! – Er hoffte immer:
Elmar, als er sterben mußte,
Rief er dich, doch kamst du nimmer!«

Elmar nahm die Hand des Toten
Und die ihre: »Hildegunde,
Leid war unser Los, und leidvoll
Ist des Wiedersehens Stunde.«

Sprach der Bischof: »Tränen trocknen;
Glücklich, wer gesät im Harme;
Denn in Freuden wird er ernten:
Elmar, komm in meine Arme!

Dir und euch, ihr frommen Brüder,
Hab' ich, wie mir aufgetragen,
Dieses Toten letzte Wünsche
Mit dem letzten Gruß zu sagen.

Falk, so er durch menschlich Fehlen
Mit versah, was du gelitten:
Zeih ihn nicht; der stumme Schläfer
Läßt dich um Vergebung bitten.

Abt Warin, gern hätt' er selber
Euch gedankt; ich soll Euch danken
Für die Bergung, für die Pflege
Eines Flüchtlings, eines Kranken;

Euch für alles, guter Prior,
Was Ihr Holdes an ihm übtet,
Und zumal, daß Ihr ihn lehrtet,
Und zumeist, daß Ihr ihn liebtet.

Eins nur macht' ihm hart das Scheiden,
Der Gedanke, schwer zu fassen,
Dies sein Kind, sein teures Kleinod,
In der Welt allein zu lassen.

Nicht allein! Sein teures Kleinod
Bat er mich mit seinem Segen,
Elmar, so dein Herz ihm offen,
An dein treues Herz zu legen.«

Und der Falk, die Arme breitend:
»Du mein Bangen und Verlangen,
Hilda, kommst du?« – Der Erlöste
Hielt die Weinende umfangen. –

Sprach der Bischof: »Amen, Amen!«
Auf die Knie sanken alle;
Friedensgeister, Gottes Engel,
Schwebten durch die stille Halle.


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