Friedrich Wilhelm Weber
Dreizehnlinden
Friedrich Wilhelm Weber

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XXIII. Die wilde Katze

1.
                Auf dem Hof zu Bodinkthorpe
Ward gemauert und gezimmert;
Einsam an der breiten Linde
Saß der Graf gebeugt, bekümmert.

Und der Frühlingsgruß der Schwalbe
Klang wie vorwurfsvolle Klage:
Übel hast du, Wirt, erwogen,
Was ich riet am Scheidetage.

Und ich kann nicht bei dir bleiben;
Was ich riet, erwogst du übel:
Sieh, dein Haus ist wüst geworden,
Und gesunken ist dein Giebel.

Gastlich war mir diese Stelle,
Und ich traure, wenn ich wandre;
Ist mir leid, du alter Droste,
Ist mir leid um dich und andre.

Baue nur; nicht dir! – Dich selber
Schlugest du mit hartem Schlage:
Übel hast du, Wirt, erwogen,
Was ich riet am Scheidetage.« –

Gramvoll horchend saß der Alte,
Immer bleicher, immer trüber;
Unversehens stand der braune
Schmiedebub' ihm gegenüber.

Schalkhaft lächelnd, wie verlegen,
Zupft' er bald am Gurtgebinde,
Bald am Wams und zog und bog sich
Wie ein Birkenreis im Winde.

Rief der Graf: »Was willst du, Knabe?«
»Euretwegen sozusagen
Kam ich hier, doch war's nicht nötig,
Mich so barsch und laut zu fragen.

Ohnehin vor großen Herren
Fällt mir schwer die rechte Rede,
Denn ich bin ein armer Junge
Von Natur – und etwas blöde.

Schwarzer Graf und wilde Katze
Nennt uns zwei die Lästerzunge,
Seid Ihr gleich von grauen Haaren,
Und ich bin ein armer Junge;

Eggi, Herr, bei Fulk, dem Schmiede, –
Harter Dienst und schmales Futter, –
Eine Waise, will bedeuten
Vaterlos und ohne Mutter.

Und von wo? Die Bernsteinküste
Kennt Ihr ja; sie liegt am Meere;
Und das Edelglas, dort wächst es
Wild wie hier die Heidelbeere.

Montag war's; ein fremder Jude
Kaufte mich, mich zu verkaufen;
Und am Dienstag in der Frühe
Bin ich ihm davongelaufen.«

»Bub', du lügst!« – »Ich glaub' es selber.
Logt Ihr nie? Könnt Ihr's beeiden?
Unschwer ist es klugem Manne,
SchimpfSchimpf, hier in der eigentlichen Bedeutung Scherz; häufig bei Hans Sachs. und Ernst zu unterscheiden.«

Drauf der Graf: »Mit schalen Witzen
Magst du andre lustig machen;
Geh, ich bin nicht in der Laune,
Deine Possen zu belachen!«

»Possen? Ei! Nicht in der Laune?
Künden wollt' ich, wie ich pflege,
Wahrheit; doch Ihr lauscht der Lüge,
Ihr, der Graf; – so denkt, ich löge.

Was ich Euch zu melden habe,
Ist ein Märlein ernst und heiter:
Von dem Herrn vom Habichtshofe,
Seinen Gänsen – und so weiter.

Fahrt nicht auf! Ich bin gekommen
Sozusagen Euretwillen;
Eigentlich um eine andre,
Die sich grämt und härmt im stillen;

Eine, die vergeht und lächelt,
Wund zum Tod und krank zum Sterben:
Auch ein Winterwams kann reichen,
Armer Leute Gunst zu werben.

Schwarzer Graf –« »Verwegner Kobold,
Bist du toll? Du magst dich scheren!«
»Wenn ich spreche, Euer Gnaden
Täten gut, mich anzuhören,

Daß es, wie es ging, nicht gehe,
Als Ihr hörtet und nicht hörtet
Und durch Hören und Nichthören
Recht in Unrecht arg verkehrtet.

Denn ich spreche von dem Falken,
Den ein Neiding falsch bezichtet,
Den Feiglinge falsch verlassen
Und ein Schwächling falsch gerichtet.

Gärt Ihr auf? – Mir ist nicht bange,
Mögt Ihr gleich die Augen rollen:
Ich, im Land der ärmste Bube,
Weiß, was alle wissen sollen.

Falsch gerichtet! Hat der Falke
Euch geschwelt aus Eurem Saale?
Pfui, o pfui, Herr Graf: so Niedres
Konnte Grimbart nur, der kahle!

Und ich sah's mit meinen Augen,
Denn, begreiflich, hier und dorten
Hab' ich vielerlei Geschäfte
Tag und Nacht an vielen Orten.

Fragt den Alten! Auf den Binsen
Keicht er sterbend; er ist mürbe:
Schade wär's für euren Himmel,
Wenn er sonder Beichte stürbe!

Fragt ihn selber: kleine Zeugen
Brauchen, wenn sie Unbill rügen,
Einen Zeugen, doch den großen
Glaubt Ihr gern, auch wenn sie lügen;

Lügen wie der Königsbote,
Als er log, ihn hab' im Berge
Meuchlings angerannt der Falke,
Was er jenem tat, der Scherge.

Und ich sah's! Und fragt den Kahlen,
Fragt ihn, wer ihn angestiftet,
Saft und Salbe zu bereiten,
Die ein Mordgeschoß vergiftet.

Was ich sah, die wilde Katze
Sah es auch; wir sahn es beide:
Morgen wird's im Gau gesungen,
Euch zum Lob' und Rab zum Leide.

Denn ich hab' ein saubres Liedlein
Drauf gesetzt zu Euern Ehren
Und im Kehrreim einen Kuckuck
Angebracht, ist fein zu hören. –

Sonderbar, auch um sein Beten
Banntet Ihr den frevlen Sachsen:
Recht; in Euerm Glaubensgarten
Darf kein heidnisch Unkraut wachsen!

Wollt Ihr reuten, gründlich reuten,
Mäht wie auf den Allerwiesen:
Halbe Heiden, ganze Heiden
Sind sie, bis auf den und diesen;

Bis auf mich und andre Fromme,
Ob sie gleich ihr Kreuzlein schlagen,
Ob sie gleich zur Klosterküche
Mit Geknirsch ihr Zinshuhn tragen. –

Und der Falk? Es wird Euch freuen,
Endlich wird er klug durch Schaden:
Im Konvent zu Dreizehnlinden
Ließ er sich den Scheitel baden.«

Drauf der Graf: »Dir sollt ich glauben,
Dir, du unverschämter Range?
Wenn du wußtest, was du schwatzest,
Warum schwiegst du denn so lange?«

Sprach der Braune: »Dumme Bracken
Klaffen stets mit viel Gebelle,
Stets zur Unzeit; ein gescheiter
Wird nur laut an rechter Stelle.

Überdies ist jemand klüger,
Als wir beide je gewesen,
Und versteht, vom Runenstabe
Tag und Tagewerk zu lesen.

Plaudern sollt' ich? Wem zuliebe?
Euch? Wofür? Dem Junker? Freilich,
Für die ungeheuren Prügel,
Die er, – o es war abscheulich!

Hört! Nichts Gutes auszurichten,
Streift' ich einmal in den Gründen,
Und vom Habichtshof die Gänse,
Mir zum Unheil, mußt' ich finden.

Einzeln hascht' ich sie am Zaune,
Und mit losem Knabenwitze
Klemmt' ich ihnen fingerlange
Stäbchen in die Schnabelspitze.

Herr, vergnüglich war's zu sehen,
Wie sie schief die Köpfe hielten,
Aufwärts mit dem einen Auge,
Abwärts mit dem andern schielten.

Und ich lachte, doch nicht lange;
Elmar kam, und Zorn im Blicke
Fuhr er jählings mit der harten
Eisenfaust mir ins Genicke.

Schütz' Euch Gott vor seinen Augen,
Schütz' Euch Gott vor seiner Tatze!
Nicht gestreichelt, nein, gestrichen
Hat er da mich arme Katze.

Dumme Streiche, Rutenstreiche
Mögen sich zusammen schicken;
Solche gab es nicht, solang es
Birken gab und Bubenrücken!

Herr, solange Stöcke wuchsen,
Gab es niemals solche Hiebe;
Weiß nicht, ob sie Gutes stiften,
Doch sie stiften keine Liebe.

Traf ich wo den grimmen Häscher
Auf der Flur, im Waldgehege, –
Jedermann hat seine Gänge, –
Glitt ich sacht ihm aus dem Wege.

Und ich hass' ihn noch; zur Strafe
Mög' er, was er trägt, ertragen:
Sprach ich heute, war es einzig
Euretwillen sozusagen.«

Drauf der Graf mit heisrer Stimme:
»Dein Gespinst von Trug und Tücken
Ist zu grob; hab acht, es gibt noch
Birkenholz für Bubenrücken!«

Schrie der Knabe: »Das die Antwort?
Das? Dann Schmach auf Eure Glatze,
Feiler Richter! Hört, ich sag' es,
Hört, sie sagt's, die wilde Katze!«

Keichend rief der Greis: »Du Natter,
Schweig und heb dich um die Ecke,
Sonst, bei Gott, mit meinem Fuße
Schleudr' ich dich in jene Blöcke!«

»Schleudern? Schleudert doch! Ein Klößlein
Erde klebt an Eurer Zehe,
Nein, ein Kloß, der Euch zum Halse
Wächst, derweil ich ihn besehe;

Euch zur Kehle! Viele Tage
Habt Ihr nicht, um zu besorgen,
Was Ihr müßt; gedenkt des Falken
Heute noch und helft ihm morgen!

Guter Rat ist manchmal teuer,
Meinen sollt Ihr billig haben:
Bringt der Dame Hildegunde
Diesen Strauß – und laßt mich traben!

Knospen nur; sie wird verstehen,
Was sie wollen, was ich meine,
Wenn die Rose glüht im Garten,
Wenn der Ginster blüht am Raine.«

Über Zimmerholz und Planken
Schwang er sich mit leichtem Satze
Lachend in den Wald; im Walde
Dreimal schrie die wilde Katze.

 
2.
Am Kamin des Eschenburgers
Saßen zwei, die düster schwiegen;
Auf dem Steingesimse dampfte
Ingwermet in blauen Krügen.

Rab, der alte, schob mit Eifer
Buchenblöcke in die Brände,
Denn die Morgenfrische hauchte
Schneidig kalt durchs Berggelände.

Und der Graf, der Bodinkthorper,
Wischte fleißig Wang' und Auge:
Trieb ihm nur der scharfe Frühritt
Ins Gesicht so herbe Lauge?

Also eine finstre Weile
Tränentrocknen, Scheiterschieben,
Und das Feuer sang und zischte,
Und der Met war stehngeblieben.

Endlich griff der Eschenburger
Einen ungeheuren Kloben,
Warf ihn grimmig in die Gluten,
Daß zum Dach die Funken stoben.

»Greuel!« rief er; »ein Verbrechen
Ward verübt von Rechtes wegen!« –
»Sagt: ein Irrtum, schwerer Irrtum!«
Sprach der andre dumpf dagegen.

Wieder Stille, lange Stille,
Und die Kohlen knirrten leise;
Zornig dieser, traurig jener,
Stierten in die Glut die Greise,

Bis der edle Eschenburger
Hastig sprang vom Eichenstuhle:
»Irrtum, sagt Ihr? – Teufelstücke,
Ausgedacht am Höllenpfuhle

Und vollführt von einem Schurken,
Gott sei Lob, von einem Franken,
Eurem Gast, der Euch so niedrig
Hielt, dem Wirt mit Schmach zu danken!

Irrtum? – Mißverstandne Wahrheit,
Menschlich Fehlen lass' ich gelten:
Daß so offenbare Lüge
Ihr verkannt, das muß ich schelten.

Bei Frau HarkesFrau Harke, ein in manchen niedersächsischen Gegenden gefürchtetes, göttliches Wesen, eine eifrige Spinnerin, die in den heiligen Zwölfen mit der wilden Jagd durch die Lüfte fahren mußte. breitem Daumen!
Seit ein Sachsenweib gesponnen,
Ward ein Truggewirk wie dieses
Hier im Land nicht ausgesonnen:

Bosheit schuf den dunkeln Zettel,
Rachelust war Spulenwinder,
Feigheit trug herbei den Einschlag,
Und am Webstuhl saß ein Blinder.

Ward ein Schandkleid draus geschnitten,
Das um Eure Schultern flattert,
Nicht des Falken, die Euch trugen,
Als die Brände Euch umknattert.

Mancher will sein Tun von gestern
Heut auf fremde Rechnung schreiben:
Euer war der Spruch; Ihr sprachet,
Um des Kaisers Freund zu bleiben.

Wollt Ihr jetzt die Hände waschen,
Halt' ein andrer Euch das Becken,
Nicht der Rab, der riet und warnte,
Euch nicht ruchlos zu beflecken.«

Drauf der Graf: »Ich sagt' Euch alles!
Leid erfuhr ich viel auf Erden:
Diese Wunde brennt im Herzen,
Und sie wird mir tödlich werden.

Wühlt nicht, rauher Arzt! Schafft Hilfe,
Nicht für mich, doch helft erwägen,
Wie dem andern, falls ein Unrecht
Ihm geschah, wir helfen mögen.

Zwar zu traun dem Schelm, dem Buben –«
»Wie bedenklich, – ich erstaune!
Reine Wahrheit sprach der Gelbe,
Doch ein Lügner ist der Braune!

Und der Kahlkopf war geständig,
Frei geständig?« – »Er bekannte,
Blau vor Angst mit Zähneknirschen,
Daß er mir den Saal verbrannte;

Daß er für den Königsboten
Ein Gemisch aus dunkelm Kraute,
Stumm gerupft in sieben Nächten,
Eisen zu vergiften, braute.

Und mit Wehgeheul sich krümmend,
Trotzig ringend um sein Leben,
Wie der Wolf am Spieß, so starb er;
Mag ihm Gott, wie ich, vergeben!«

Rab darauf: »Er war ein Schleicher,
Und ich traut' ihm nie, dem Schalken.
Doch der Abt von Dreizehnlinden,
Sprecht, was schrieb er von dem Falken?«

»Daß er in des Klosters Frieden
Rauhes Siechtum durchgelitten,
Endlos, bis durch Gottes Gnade
Seel' und Leib den Sieg erstritten;

Daß am Kreuz des Kreuzes Hasser
Betend kniet. Die Botschaft weiter
Trug zu Badurad, dem Bischof,
Gestern schon ein flinker Reiter.« –

»So? – und neigt' er sich der Taufe,
War's die freie Tat des Freien,
Nicht die Meintat eines Heuchlers,
Königschristlich zu gedeihen.

Königschristlich zu gedeihen,
Mögen Schalk und Schelm sich neigen:
Bog der Falk die stolze Stirne,
War's, um sich vor Gott zu beugen;

Schalk und Schelm, die klugen Leute,
Die nicht erst zu glauben brauchen,
Um kopfüber, wie der Otter,
In das Christenbad zu tauchen.

Pfui der Welt!« – Der Graf dagegen:
»Werter Freund, was frommt das Schelten?
Gebt mir Rat: wie ist zu sühnen,
Wenn wir schiefes Urteil fällten!

Wenn im Kampfe mit uns selber
Und im Widerstreit der Pflichten
Schweren Herzens –« Grimmig lachend
Fuhr der andre drein: »Mitnichten!

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers,
Gott, was Gottes, steht geschrieben!
Liebt den Kaiser, doch ein wenig
Dürft Ihr auch Euch selber lieben,

Euch und Eure arme Seele!
In des Zweifels Finsternissen
Spricht am sichersten und klarsten
Das Gesetzbuch im Gewissen.

Schlugt Ihr's auf? Sagt ja! Mich jammert
All das Wenden und das Winden:
Tat ist Tat; doch laßt uns sehen,
Wie wir Heil und Hilfe finden.

Spracht Ihr Recht in Königs Namen
Auf die Inzicht eines Laffen –,
Mag allein das Wort des Königs
Widerruf und Wandel schaffen.

Drum zur Pfalz! – Und schickt mit Eurem
Brief des Abtes Brief und Briefe
An die Hofherrn, denn die Hofherrn
Sind die Herrn der Höh' und Tiefe.

Und ich reise selbst und halte
Erste Rast am Quell der Pader;
Hold entgegen schlägt dem Blute
Wohl die blutsverwandte Ader;

Und der Bischof schreibt dem Bischof
Kluge Grüße wohlbedächtig:
Wie zum Binden so zum Lösen
Sind die Infulträger mächtig. –

Ei, der Met ist kalt geworden!
Seid getrost und laßt mich sorgen:
Rasch gerüstet sind die Rosse,
Und, so Gott will, reit' ich morgen.«

Als der nächsten Frühe Strahlen
Durch die Eschenwipfel brachen,
War der Alte auf dem Wege
Zu der Königspfalz in Aachen.


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