Friedrich Wilhelm Weber
Dreizehnlinden
Friedrich Wilhelm Weber

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XXII. Im Klosterchor

                  Hell im Chor der Klosterkirche
Flammten weiße Opferkerzen:
Heller brannten, heißer glühten
Opferfrohe Menschenherzen.

Auf dem Altar frische Sträuße:
Heiliger und reiner blühte
Ros' und Lilie in der Beter
Stillandächtigem Gemüte.

Elmar kniete vor den Staffeln
Im Gewand von weißem Linnen,
Sanft gebückt, geschloßnen Auges,
Wie versenkt in sel'ges Sinnen;

Auf dem Antlitz Fried' und Freude,
Zartes Rot auf Kinn und Wangen,
Gleich als sei ein heil'ges Feuer
Warm im Herzen aufgegangen.

Und ein Strahl der Frühlingssonne
Glitt hinein mit goldnem Glanze
Und umwob des Jünglings Locken
Wie mit einem Glorienkranze.

Denn er siegte, und soeben,
Von des Abtes Hand ergossen,
Hatte das geweihte Wasser
Gnadenreich sein Haupt umflossen,

Dank dem Prior, der dem Ringer
Erst ein Helfer war und Rater,
Jetzt des Überwinders Zeuge,
Jetzt im Geist sein zweiter Vater.

Beide knieten ihm zur Seite,
Markward und Warin, die Greise;
Dankgebete, Segenswünsche
Flüsterten die Lippen leise.

Rechts und links die frommen Mönche
Auf den dunkeln Eichenbänken
In Betrachtung; mancher mochte
Eigner Kämpfe still gedenken.

Sigeward, dem Sänger, tropften
In den Bart viel heiße Zähren,
Und der gute Beda konnte
Kaum des Schluchzens sich erwehren.

Langes Schweigen; und ins Fenster
Nickten Blatt und Blütenflocken,
Und die warmen Sonnenlichter
Spielten um des Jünglings Locken;

Und die Sträuße auf dem Altar
Hauchten ihre Opferdüfte;
Und der Andacht Blumenkelche
Strebten in die Himmelslüfte;

Und die Weserwelle rauschte,
Und ein Bussard rief vom Walde
Einsam über Tannenwipfeln:
»Junger Weidmann, kommst du balde?«

Und der Fink im Garten lockte:
»O wie ist die Welt so sonnig,
Und das Wiegen und das Fliegen
In der Luft, wie ist es wonnig!«

Lockt und ladet nur, ihr Rufer,
Wiegt euch nur, ihr Lüfteschwimmer:
Den ihr meint, er will nicht kommen,
Den ihr ruft, er hört euch nimmer. –

Dann, sich mühevoll erhebend,
Sprach der Abt von Dreizehnlinden:
»Selig sind, die Leid getragen,
Denn sie werden Tröstung finden!

Sei willkommen! – Elmar, endlich
Stehst du an den Altarstufen
Deines Gottes, der durch Schmerzen
Längst dich liebevoll gerufen.

Wohl durch Schmerzen! Eines Neidings
Arge List, Verrat der Feigen,
Bann und Schmach und schweres Siechtum
Mochten tief das Haupt dir beugen.

Und du kamst! – Um Gut und Ehre?
Kamst, um Eine zu gewinnen,
Die du seit der Kindheit Tagen
Heimlich trugst in treuen Sinnen?

O du kamst, um deiner Seele
Eine Ruhstatt zu erringen,
Die du fandest; dem Aufricht'gen
Läßt es Gott der Herr gelingen.

Fandest du durch Lehr' und Leitung,
Du aus dir des Heiles Pfade?
Durch Gebet für dich? – Das alles
Frommt, doch rettet Gottes Gnade.

Ihm der Dank, und aufwärts richte
Deine Augen mit Vertrauen:
Selig sind, die reinen Herzens,
Denn sie werden Gott anschauen!«

Elmar sprach: »Das neue Leben
Ging mir auf, das vielersehnte:
Der Verstürmte kam zum Hafen,
Als er zu versinken wähnte.

Was er zu erjagen suchte,
Ruhelos in schweren Stunden,
Ruhelos in Haß und Fehde,
Hat er endlich hier gefunden.

Den Vergeßnen, Hoffnungslosen,
Duldet ihn, ihr guten Väter,
Heißt er auch ein vogelfreier
Landesflüchtiger Verräter!

Duldet ihn, er dient euch gerne,
Und, so ihr ihn wert erachtet,
Prüft und nehmt in eure Mitte
Einen, der nach Einkehr schmachtet;

Denn er hat nach Wahn und Wirrsal
Viel zu danken, viel zu sehnen;
All die Schuld bezahlt' er nimmer,
Dürft' er alt sein Leben dienen.«

Sprach der Prior: »Du mußt harren:
Gott wird raten; sei nur stille!
Kennst du dich? In jungen Herzen
Frühlingsschnee ist Wunsch und Wille.

Jedem taugt es nicht, gesondert
Vom Gewühl der Welt, der argen,
Stumm in öder Klosterzelle
Sich lebendig einzusargen.

Dienen? Wohl! Zum Dienst bedarf es
Hier der Beter, dort der Streiter;
Weißt du, was du sollst? Die Gnade,
Die dich führte, führt dich weiter.

Harre nur!« – Des Jünglings Auge
Sank, es glühten Stirn und Wangen;
Pater Ivo seufzte leise,
Und die schwarzen Mönche sangen:

»Auf der Heid' ein Wolkenschatten
Fährt dahin das Menschenleben:
Zittert! In des Lebens Mitte
Sind vom Tode wir umgeben.

Und der Tod, der grimme Schütze,
Hehlings ohne Köcherklirren
Tritt er an, und unaufhaltsam
Pfeil auf Pfeile läßt er schwirren,

Bleicher Jäger; was da atmet,
Königsleute, Bettelleute,
Alle Riesen, alle Krüppel,
Alle sind sie seine Beute.

Und er bläst sein Horn; so traurig
Ist der Hall, so seltsam eigen:
All die Krüppel, all die Riesen,
Alles Fleisch muß an den Reigen.

Und er bläst sein Horn, und alle
Müssen an den Tanz sie treten,
Ob sie lachen oder weinen,
Ob sie fluchen oder beten.

Niederwärts! Die Linnen flattern;
Niederwärts! Geschrei und Klage;
Denn das große Buch liegt offen,
Und der Richter hält die Waage. –

Alleluja! Wohl dem Tapfern,
Der gerungen nach Erkenntnis
Und, ob hart geprüft, doch siegreich
Drang zu seines Heils Verständnis.

Alleluja! Wohl dem Waller,
Der bergan mit wundem Fuße
Schritt in Tränen, nicht des Schmerzes,
Nein, in Tränen bittrer Buße;

Der im Kampf mit rauhern Feinden,
Als mit Schwertern dräun, geworben,
Der bezwungen Gier und Gären
Und, bevor er starb, gestorben. –

Zittert! In des Lebens Mitte
Sind vom Tode wir umgeben:
Auf der Heid' ein Wolkenschatten
Fährt dahin das Menschenleben!«


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