Friedrich Wilhelm Weber
Dreizehnlinden
Friedrich Wilhelm Weber

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XIX. Elmar im Klostergarten

1.
              »Geh' ich durch den Klostergarten
Bei des Frühlings lindem Weben,
Staunen muß ich, daß ich atme
Nach dem Kampf auf Tod und Leben;

Atme, weil mit seltner Treue
Gute Menschen für mich wachten,
Christen für den Ungetauften,
Und dem Leib Genesung brachten.

Nur dem Leib: der wunden Seele
Arzenei erdenkt kein Denker!
Kam sie krank in diese Mauern,
Krank genug, hier ward sie kränker.

Kam sie krank an Haß und Liebe,
Krank genug an diese Stelle,
Kränker durch des Zweifels Qualen
Ward sie in der Klosterzelle!

Beides bist du, Pater Prior,
Weis' und gut, des muß ich klagen:
Deine Weisheit, deine Güte
Hat mir bittre Frucht getragen.«

 
2.
»Beides bist du, Pater Prior,
Weis' und gut, doch mir zum Leide;
Seit ich horchte deinem Raunen,
Wichen von mir Fried' und Freude. –

Früchte sucht der Knab' im Walde,
Wo sich Blatt und Beere drängen;
Immer reifer, immer röter
Glühn sie an den Berggehängen;

Sommersüße große Früchte,
Immer röter, immer reifer
Glühn sie in den Talgewinden,
Und den Knaben zieht der Eifer.

Und der Eifer zieht den Knaben
Immer tiefer in die Gründe,
Bis wie Rätsel ihn umstricken
Berggehäng' und Talgewinde.

Fremd ist ihm der Born im Steine,
Fremd der Bach, der muntre Wandrer,
Fremd der Fels und auf dem Felsen
Selbst der Sonnenschein ein andrer;

Fremd die Blumen, fremd die Bäume,
Fremd die Vögel in den Zweigen:
Ach, wer wird dem armen Jungen
Den ersehnten Rückweg zeigen? –

Pater Prior, Pater Prior,
Deiner Weisheit linde Lehren
Führten mich in Irr' und Wirre
Wie den Knaben rote Beeren.«

 
3.
»Wird den Menschen zugewogen
Leid und Lust mit gleicher Waage,
Schulden mir gerechte Götter
Sonnenschein und linde Tage.

Dunkel war es, was ich lebte!
Übles hast du angestiftet,
Wodanspriester, der das weiche
Knabenherz mit Haß vergiftet.

Dann ein Rausch, der siegestrunkne
Taumel auf den Wikingszügen:
War das frohbewußten Glückes
Ruhig atmendes Genügen?

Dann des Argen Neid, der mitten,
Mitten mich ins Herz getroffen;
Ächtung, Siechtum, Seelenkämpfe
Und ein Lieben ohne Hoffen.

Innerlich verhärmt, verkümmert,
Seh' ich um mich Schutt und Scherben:
O ihr allzu treuen Pfleger,
Warum ließt ihr mich nicht sterben? –

Wird den Menschen zugewogen
Leid und Lust mit gleicher Waage,
Schulden mir gerechte Götter
Sonnenschein und linde Tage.«

 
4.
»Im Gebirg ist eine Stelle,
Wo der Sturm, der wildempörte,
Brechend in den hohen Hallen,
Bis zum Grund den Wald zerstörte.

Hingerafft, geknickt, zerschmettert
Liegen dort die mächt'gen Eichen;
Unter Weiderich und Binsen
Modern ihre Riesenleichen;

Aufeinander, durcheinander
Stamm und Äste, wild verworren;
Losgerissen in die Lüfte
Stehn die schwarzen Wurzelknorren.

Die von Frühlingswonne träumten,
Finkenschlag und Blumenschimmer,
Warf im Zorn das Wetterbrausen
Einer Winternacht in Trümmer.

Öd und wüst! – So wüst und öde
Ward mein Leben. Eine Stunde
Richtete die Blütenbäume
Meiner Hoffnung jäh zugrunde.

Wüst und öde! Um die Toten
Spinnen sich, wie dunkle Ranken
Einen Runenstein umweben,
Meine traurigen Gedanken.«

 
5.
»Wäre nicht der Neid der Götter,
Menschen könnten glücklich werden;
Wäre nicht der Haß der Menschen,
O, es wäre schön auf Erden!

Grollend schaun die Loseschüttler
Von den dunkeln Wolkensitzen;
Will ein Herz in Hoffnung knospen,
Dräun sie mit des Zornes Blitzen.

Will ein Herz in Freud' erblühen,
Auf die ersten zarten Sprossen
Schleudern sie mit harten Händen
Winterschnee und rauhe Schloßen.

Und der Erdensohn, um aller
Not ein Übermaß zu schaffen,
Schlag um Schlag auf seinesgleichen
Schwingt er die verruchten Waffen.

O, nicht hungerhagre Wölfe,
Die ein krankes Reh gefunden
Und sich balgen um die Beute,
Reißen sich so tiefe Wunden! –

Wäre nicht der Neid der Götter,
Menschen könnten glücklich werden;
Wäre nicht der Haß der Menschen,
O, es wäre schön auf Erden!«

 
6.
»Ehrlos, wehrlos! – All der Wälder,
All der Hage, all der Heiden
Ist mir nicht so viel gelassen,
Einen Stab davon zu schneiden.

Ehrlos, wehrlos! – All der Hufen
Nicht ein armer schmaler Fetzen,
All der Häuser nicht ein Fleckchen,
Einen Dreibein drauf zu setzen.

Straßen hat die Welt, vier Straßen,
Offen seit viel tausend Jahren:
Blas' ich eine Federflocke,
Wo sie fliegt, da kann ich fahren.

Weit, so weit die Wasser rinnen,
Rechtlos, friedlos! Leib und Leben
Sind dem Schächer wie dem Wolfe,
Wie dem Raben preisgegeben.

Und die Seele? – Ohne Antwort
Muß ich fragen, immer fragen:
Wüßt' ich Raum für sie, das andre,
O, das andre wollt' ich tragen!

Kann sie fliehn zu Walhalls Göttern?
Sind sie denn? – Zum Gott der Christen?
Ist er denn? – Der müde Kämpfer
Ringt in Zweifeln und in Zwisten.«

 
7.
»Keine Götter sitzen droben
Auf den grauen Wolkenstühlen,
Keine, oder felsenharte,
Die nicht Leid, nicht Mitleid fühlen;

Keine, oder dumpfe Schläfer,
Die auf weichen Polstern gähnen
Und, vergessend wie vergessen,
Die Jahrtausende verdehnen.

Walhall? Morgentraum des Knaben,
Beim Erwachen schnell verflogen!
Thiatgrim, der alte Friese,
Deucht mir fast, hat viel gelogen. –

Leb' ich nicht? Und was lebendig
In mir wirkt, wo kann es bleiben?
Wird es nichtig wie die Hülle,
Die es deckt, im Sturme treiben?

Ohne Antwort muß ich fragen,
Ohne Trost, wohin ich kehre,
Und erschrocken starrt das Auge
In die Nacht, ins Ewigleere.«

 
8.
»Künste lernt' ich, edler Künste,
Hoher Künste lernt' ich sieben,
Wie sie übten unsre Väter,
Wie sie Nordlandsmänner üben:

Runen lesen, Runen ritzen,
Und der Harfe Saiten rühren;
Schmieden eine zähe Klinge,
Und im Streit sie ehrlich führen;

Fest auf Rossesrücken haften,
Schwimmen durch empörte Sunde
Und mit Pfeil und Speer ins Weite
Senden sichre Todeswunde.

Künste lernt' ich, edler Künste,
Hoher Künste lernt' ich sieben;
Wenig frommen sie, die eine
Schwerste ist mir fremd geblieben:

Könnt' ich denken, was ich wollte,
Und vergessen, was ich möchte,
Heller wären meine Tage,
Stiller wären meine Nachte.«

 
9.
»Die beneid' ich, die im Glanze
Deutscher Heldenzeit sich sonnten,
Die mit Schwertern statt mit Worten
Ihre Meinung sagen konnten.

Tatlos schlepp' ich meine Tage!
O, ich habe Zeit zum Denken,
Zeit zum Sinnen und zum Suchen,
Zeit genug, mich selbst zu kränken.

Und die Mönche, sie umhegen
Mich mit rücksichtsvoller Liebe,
Mir zur Qual; ich trage leichter
Keulenschlag und Klingenhiebe.

Irren will ich durch die Lande,
Auf den Wassern will ich treiben;
Tödlich ist mir dieses Brüten,
Und hier kann ich nimmer bleiben.«

 
10.
»Von der Heimaterde scheiden,
O, wohl ist es hart und herbe!
Muß ich scheiden ohne Hoffnung,
Bin ich tot, bevor ich sterbe.

Muß ich scheiden ohne Hoffnung,
Gleich dem Hirsch auf mürbem Eise,
Das im Strom zum Meere flutet,
Fahr' ich trostlos auf die Reise.

Zwar in weltentlegner Bergschlucht,
Wo der Eber suhltSuhlen, sich in einer Lache wälzen, vorzugsweise vom Schwarzwild gebräuchlich., der graue,
Könnt' ich hausen mit dem WaldschratDer Schrat, Schretel. Pilosus, Silvanus, Faunus, Satyrus, ein unwirscher und ungeselliger Waldgeist, rauh und zottig, mit zusammengewachsenen Augenbrauen, wohl ein Vetter des Bilwiß. Simrocks D. Myth. 422.,
Hehlings, wie der Fuchs im Baue,

Wildes Tier mit wilden Tieren;
Dann aus Not ein Dieb, ein Schächer,
Dann zu Trug und Hohn der Häuptling
Ausgestoßener Verbrecher. –

Armer Elmar, irre, irre
Durch die Wasser, durch die Lande:
Findest du kein Grab in Ehren,
Such ein Grab dir ohne Schande!«

 
11.
»Winternachts am Hallenfeuer
Wußte Wilfried Thorkells Gästen
Nordlandssagen zu berichten
Von dem Weinland fern im WestenDas Verdienst der ersten Entdeckung des großen Weltkontinents in seinen nördlichen Teilen gebührt den Nordgermanen des zehnten Jahrhunderts. Für den Anachronismus wird um Nachsicht gebeten. – Die kühnen Seefahrer nannten die neue Welt Helluland it mikla, das große Bergland, – Labrador, und Vinland it goda, das gute Weinland – Massachusetts. Sie waren zu arm und standen noch auf einerzu niedrigen Bildungsstufe, als daß ihre Entdeckung eine welthistorische Bedeutung, wie die Wiederauffindung der tropischen Länder Amerikas durch Christoph Columbus, hätte erlangen können. Humboldts Kosmos II. 269.,

Das zuerst der rote Erik,
Dann Björn Asbrandson gefunden,
Als auf reisemüden Kielen
Sturm sie trieb von Sund zu Sunden.

Traumhaft wunderliche Sagen
Von des Waldes Riesenkronen,
Von den armen roten Männern,
Die in ihrem Schatten wohnen;

Von des Dickichts Astgewirre,
Blumenschlingen, Laubgewinden,
Wo nur mühvoll kluge Jäger,
Hirsch und Bär den Wildpfad finden;

Von den seltsam bunten Vögeln,
Die durch Strauch und Wipfel streifen
Oder, eine graue Wolke,
Bucht und Klippenhang umschweifen;

Von des Bibers Wasserdörfern,
Von der Taube Wanderzügen,
Von des Büffels Weidegängen
Und der Schneegans hohen Flügen;

Vom Gelock der Rebenranken,
Die um Stamm und Zweige gaukeln,
Von den purpurdunkeln Trauben,
Die im Sonnenglanz sich schaukeln;

Von dem Weizenfeld der Lichtung
Zwischen Fluß und Felsenföhren,
Lanzenschäfte all die Halme,
Goldne Keulen all die Ähren;

Von des Urwalds tiefem Schweigen,
Wenn die stillen Sternenbälle
Glühn und weit verhallt der dumpfe
Nachtgesang der Wasserfälle;

Wenn der Wildnis fromme Söhne
Aus den Hirschhautzelten treten
Und gehobnen Haupts zum großen
Unbegriffnen Geiste beten. –

Fernes Land! In Kinderunschuld,
Nicht verwirrt vom Kampf und Kriege
Zwischen Göttern, zwischen Menschen,
Schläfst du in der Wellenwiege!

Ob die graue Wasserwüste
Dich in Nacht und Nebel berge,
Dennoch find' ich dich; dem Flüchtling
Ist die Not ein guter FergeFerge, Fährmann; ein uraltes deutsches Wort. Graffs Althochd. Sprachschatz III. 588. .

Ausgestoßen von den Meinen,
Wilder Wolf im eignen Lande,
Seh' ich vor mir Strick und Grube,
Hinter mir die Treiberbande.

Wertlos ward ich gleich dem Moose,
Gleich dem Pilz am Bergeshange,
Die das Reh des Waldes achtlos
Niedertritt auf seinem Gange;

Wertlos gleich dem Fichtenzapfen,
Den der Sturm mit Laub und Schorfen,
Seines Spielwerks überdrüssig,
In den Heidesumpf geworfen.

Schönes Land im weiten Westen,
Fern und einsam! – Heb die Schwingen,
Freier Falk, du heimatloser,
Eine Heimat zu erringen!

Heb die Schwingen! Schon zu lange
Hast du träumend hier gesessen;
Fort, meerüber: in der Wildnis
Allvergessend, allvergessen!«

 
12.
»Geh' ich einsam durch die Büsche,
Sitz' ich einsam in der Zelle,
Unablässig mir zur Seite
Folgt ein treuer Sprechgeselle.

Immer surrt er: ›harre, harre!‹
Immer raunt er: ›bleibe, bleibe;
Alles fügt sich, eh' im höchsten
Sommer steht die Sonnenscheibe!‹

Und ich harre, weil ich tiefer
In mein Suchen mich versenke,
Und ich bleibe, – und ich bleibe,
Hilda, weil ich dein gedenke.«

 
13.
»Wind, du unsichtbarer Wandrer,
Flüchtig ist dein Gang vom Westen,
Wenn du in die Tannenwipfel
Schreitest aus den Eichenästen;

Wenn du schauerst durch die Blätter,
Wenn du flüsterst mit den Zweigen,
Und, zu lauschen, Halm und Blüte
All die klugen Köpfchen neigen.

All den Blüten, all den Halmen
Lispelst du ein liebes Grüßen
Von den Dolden, von den Glocken,
Die im blauen Walde sprießen.

Wind, du unsichtbarer Wandrer,
Rausche nur durch Busch und Hagen;
Von der Blume, die ich meine,
Hast du mir kein Wort zu sagen.«

 
14.
»Wüßt' ich sie im sichern Hafen,
Mit den Stürmen kämpft' ich gerne,
Alle Schmerzen wollt' ich dulden,
Bliebe jeder Schmerz ihr ferne.

Wär' ihr besser, möcht' ich lieber,
Daß sie keine Schmerzen trüge,
Daß, sooft sie mein gedenket,
Banger nicht das Herz ihr schlüge?

Daß sie mein nicht mehr gedächte?
Herbstes Wort von allen herben!
Bittrer Tod: Vergessenwerden
Ist noch bitterer als Sterben.

Eine Lieb' ist keine Liebe;
Daß sie durch zwei Herzen gehe,
Ist ihr Recht, und beiden bringe
Sehnend Leid und wundes Wehe.«

 
15.
»Greiser Prior, deine Lehren
Sind verständig, sehr verständig:
Nur erwäge, greiser Prior,
Du bist tot und ich lebendig.

Deine Lehren, greiser Prior,
Wie des Schnees gelinde Flocken
Säuseln sie vom frost'gen Himmel
Auf des Frühlings Blumenglocken.

Alte Menschen, kalte Menschen!
Ihre Häupter grauer Winter,
Ihre längst verglühten Herzen
Längst erstarrte harte Sinter.«

 
16.
»Wunderlich! Ein altes Märchen
Deucht es mir, gehört im Traume:
Sinnend, einen Kranz im Schoße,
Saß sie unterm Apfelbaume.

Weiße Blütenblätter streifend
Von der Achsel, aus den Locken,
Gab sie mir den Gruß zurücke
Hold errötend, süß erschrocken.

Eines hatt' ich ihr zu sagen;
Statt des einen sagt' ich immer,
Was ich nicht zu sagen hatte,
Was ich hatte, sagt' ich nimmer.

Von dem großen grauen Wolfshund,
Ihrem treusten Weggesellen,
Von der Brut im Nest der Amsel
Sprach ich und des Bachs Forellen.

Wunderlich! Geschliffne Äxte
Sah ich furchtlos auf mich zücken,
Und vor einem Mädchen stand ich
Zaghaft mit gesenkten Blicken.«

 
17.
»Wollte manchmal stille Hoffnung
Sich im Herzen leise regen,
Hielt mir eine blasse Idis
Strengen Blicks das Kreuz entgegen.

Schöne Idis, o ich weiß es,
Wo sich unsre Wege scheiden:
Lieben könntest du den Sachsen,
Den Gebannten, nie den Heiden.

Lieben könntest du den Bettler,
Doch den Kreuzverächter nimmer;
Da sich unsre Wege scheiden,
Lebe wohl, leb wohl auf immer!«

 
18.
»Steh' ich vor dem Zauberberge,
Süße Klänge rauschen drinnen:
›Komm zu uns, bei uns alleine
Magst du Huld und Heil gewinnen!

Komm zu uns, schon lange, lange
Harren wir des blonden Knaben;
Komm, und alles ist dein eigen,
Komm, und alles sollst du haben!‹

Eine winkt mir traurig lächelnd,
Und mein Herz will zu der einen:
›Ja, ich komme!‹ – möcht' ich rufen;
›Nein, ich kann nicht!‹ – muß ich weinen.

Steh' ich vor dem Zauberberge,
Süße Klänge hör' ich rauschen:
Fort, o fort! – Doch wie gefesselt
Muß ich stehn und lauschen, lauschen.«

 
19.
»Deiner Worte, greiser Prior,
Auch nicht eines ging verloren,
Klagst du gleich, der träge Schüler
Lausche dir nur mit den Ohren.

Jedes hab' ich wohl verstanden
Und erwogen tief im Herzen:
Greiser Prior, statt des Trostes
Brachtest du mir Not und Schmerzen;

Statt des Glaubens bange Zweifel,
Statt der Ruhe irres Schwanken;
Immer jagend, immer fragend,
Schweifen unstet die Gedanken;

Gleichwie sturmgetriebne Tauben,
Fern den heimatlichen Buchen,
Zwischen See und Himmel flattern
Und umsonst ein Eiland suchen.

Pfadlos sind die blauen Lüfte,
Ratlos bin ich selbst und müde;
Was ich suche, was ich sehne,
Ist nicht Glück, nur Friede, Friede!«

 
20.
»Welch unsel'ge Zeit! Der Fremdling
Herr im Land, gehöhnt die Treue,
Krank das Recht, der alte Glaube
Tot, und rätselhaft der neue.

Wär' ich grau, verschmerzen könnt' ich
Alle Mühsal, die gewesen,
Und im Sterben von des Lebens
Langem Siechtum bald genesen.

Jugend heischt und hofft; verloren
War mein Dringen und mein Werben!
Frommt es nicht, der Welt zu leben,
Tut es not, der Welt zu sterben.

Glücklich, wer von ihr geschieden
Eine Siedelei sich baute
Und vom Gartenfleck am Walde
Neidlos in das Wirrsal schaute;

Oder, wenn der Geist ihn triebe,
In der Klosterzelle säße
Und, ins Ewige versunken,
Zeit und Erdenleid vergäße!«

 
21.
»›Nicht ein Sperling fällt vom Dache,
Nicht ein Haar von deinem Haupte
Außer Gott und Gottes Willen!‹
Guter Prior, wer das glaubte!

Und du sprachst: Sein starker Wille
Führte mich in tiefes Schweigen
Aus der Welt, um mir die rechte
Straße in die Welt zu zeigen;

Und du sprachst, daß auch das Üble
Dem zum Heil gereichen müßte,
Der es Gott zuliebe trüge: –
Guter Prior, wer das wüßte!

Ebb' und Flut in meinem Kopfe:
Soll sich stillen all das Streiten,
Guter Prior, manches Rätsel
Hast du mir noch auszudeuten!«

 
22.
»Auch die Feinde soll ich lieben?
Pater Prior, welch Verlangen!
Schlägt mich wer, ich soll gelassen
Ihm erbieten beide Wangen?

Harter Mönch, du lehrst und forderst
Hundert Pflichten, schwer zu üben,
Doch die übermenschlich schwerste
Dünkt mich, seinen Feind zu lieben.

Und ihr tut es; ich erfuhr es
An mir selbst! – Nun schweig, du Spötter,
Wodanspriester; diese Menschen
Können mehr als unsre Götter!«

 
23.
»Schwank' ich zwischen Gott und Göttern,
An die Menschheit, die ich haßte,
Glaub' ich nun: ein Gottesodem
Lebt und wirkt im Erdengaste.

War's durch fromme Kraft des Guten,
War's durch dunkle Macht des Bösen,
Daß nach mondelangem Ringen
Ich von schwerer Sucht genesen?

Alte Drude, stammt dein Werben
Aus des Abgrunds Finsternissen?
Dein Beschwören ist dein Suchen,
Und dein Zauber ist dein Wissen.

Deine Blumen, deine Kräuter
Sprießen froh am Licht der Sonnen,
Und mit reinen Händen schöpfst du
Aus des Bergs kristallnem Bronnen;

Und mit reinen Händen boten
Gute Menschen mir den Becher,
Christ dem Heiden, biedre Mönche
Dem geächteten Verbrecher. –

Wunder gibt es, deren Wirken
Nie zu Ende wird geschrieben:
Menschengeist mit seinem Forschen,
Menschenherz mit seinem Lieben.«

 
24.
»Oft erscheinen mir Gestalten,
Wie ich sie geträumt im Fieber.
Ja, so war es: eine Jungfrau
Saß mir schweigend gegenüber;

Schwarz ihr Kleid, ein Kreuz am Busen,
Weiß ihr Mieder; reinste Güte
In den Blicken, auf den Wangen
Lilienschnee und Rosenblüte:

Caritas, ein Christenmädchen,
Immer liebreich, immer huldig,
Immerdar getrosten Mutes
Dienstbeflissen und geduldig.

Also sah ich sie, die Fromme,
Ob sie sanft sich um mich mühte
Oder, tief gesenkt die Stirne,
Betend vor dem Lager kniete. –

Caritas, wie schufst du herben
Widerstreit mir im Gemüte!
Zwingt die Macht der Menschen Nacken,
Menschenherzen zwingt die Güte.

Vor dem starken Gott der Christen,
Vor der Milde seiner Lehren
Beugt' ich mich, wenn nicht verhaßte
Franken die Verkünder waren.«

 
25.
»Wie, wenn, statt besiegt zu werden,
Wir die Franken übermochten,
Hatten wir nicht unsre Götter
Aufgedrängt den Unterjochten?

Hätten wir die guten Mönche
Nicht verlacht als eitle Schwätzer?
Denn die Wahrheit hat der Sieger,
Der Besiegte ist ein Ketzer. –

›Was ist Wahrheit?‹ rief der Römer
Spöttisch in der Christensage;
Ohne Antwort in die Wolken
Schreit der Welt uralte Frage. –

›Soll ein Menschenauge schauen,
Muß der Himmel sich erschließen
Und ein Abglanz seines Lichtes
In das dunkle Herz sich gießen!‹

Also sprachst du, weiser Prior! –
Beten soll ich? Wird es frommen?
Wenn ich bete, wird im Beten
Mir die Offenbarung kommen?«


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