Friedrich Wilhelm Weber
Dreizehnlinden
Friedrich Wilhelm Weber

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IX. Auf des Waldes Pfaden

        Achtsam kann das Reh sich hüten
Vor des Bären plumper Tatze;
Schwerlich, bückt es sich zum Brunnen,
Vor dem Sprung der falschen Katze. –

Elmar, zieh den Gurt dir fester,
Wenn du gehst zum wilden Walde:
Schwarze Elben, schwärzre Menschen
Lauern an der Bergeshalde. –

Wilder Wald! Die müde Sonne
Ruht' an nackten Felsenwänden,
Um den letzten blauen Glocken
Ihre letzte Gunst zu spenden.

Scharfes Schwirren durch die Wipfel
In dem herbstlich harten Laube
Und vom Buchenhang der kurze
Flügelschlag der Ringeltaube;

Dann am Ast des Spechtes Hacken,
Fern der schrille Schrei der Dohlen;
Dann ein langes schweres Seufzen
Wie des Berges Atemholen;

Dann um Enzian und Quendel
Wilder Bienen leises Summen;
Dann ein Habichtskreisch, und wieder
Tiefes Schweigen und Verstummen. –

Elmar, zieh den Gurt dir fester!
Langsam schritt er durch die Gründe,
Menschenferne, wo geborgen
Sich begegnen Hirsch und Hinde.

Ging er auf der Spur des Wildes,
Um zur Lust ein Tier zu töten?
O, er wollt' an heil'ger Stätte
Sich entsündigen und beten. –

Grüne Lichtung! In der Mitte
Stand die graue Donnereiche,
Riesenhaft vor all den Riesen
Auf und ab im Gaubereiche.

Hehr und breit wie Tempelhallen
Wölbte sich das Astgeschlinge,
Altgeweiht, von Frevlerhänden
Nie verletzt mit Beil und Klinge.Wälder und Bäume standen, wie im Altertume überhaupt, so besonders bei unseren Vorfahren in hohem Ansehen und waren vielfach Gegenstand frommer Verehrung. Einer Gottheit geweiht, durften sie nicht verletzt werden; man erinnere sich des sacrum nemus, castum nemus bei Tacitus, der incaedua silva, nunquam violata bei Ovid und Lukan. Ein solcher heiliger Baum, von welchem man glaubte, daß ein Gott in ihm wohne, war die Donareiche bei Geismar, unweit Fritzlar, die Winfried fällen ließ, und vielleicht auch die Irminsäule. Waldesstille und Einsamkeit stimmen die Seele zu Gebet und Betrachtung. – Bedenkt man, daß die christlichen Bekehrer vorzugsweise auf heidnischen Opferstätten ihre Kirchen zu erbauen pflegten, so dürfte manche unserer Berg- und Waldkapellen, die fast immer unter Eichen und Linden stehen, an altgeweihten Grund und germanischen Baumkultus erinnern. Sollte nicht auch unsere liebe Sitte, den Christbaum zu schmücken, an denselben anlehnen? – Grimms D. Myth. 69. 613. Simrocks D. Myth. 477.

Denn nach Sag' und Väterglauben
War sie eines Gottes Eigen,
Der da rauscht' im dunkeln Wipfel,
Der da weht' in Stamm und Zweigen.

Elmar nahte sonder Waffen,
Hanfne Schnur an beiden HändenTempel und heilige Haine wurden waffenlos, oft nur in Fesseln betreten. Tacitus erzählt von dem Walde der Semnonen, Germania 59: Est et alia luco reverentia: nemo nisi vinculo ligatus ingreditur, ut minor et postestatem numinis prae se ferens. – Unser Händefalten beim Gebet ist symbolische Selbstfesselung. ;
Selbstlos, arm, freiwillig unfrei
Soll der Mensch sich aufwärts wenden.

Also mit gebeugtem Haupte
Stand er in des Gottes Frieden:
»Zürnst du, daß ich bei den Fremden
Deinen Dienst so lang gemieden?

O, ich hör' es, wie dein Unmut
Schilt und schauert durch die Blätter:
Wenn mich Erdgeborne hassen,
Seid mir hold, ihr guten Götter!

Lief ein Knab' in Busch und Ranken,
Fortgelockt vom Vogelsange,
Kommt er heim mit wunden Füßen,
Zankt die Mutter, doch nicht lange.

Komm' ich heim mit wundem Herzen,
Zürnen magst du, doch nicht grollen;
Wie ein heilig Wasser läutert
Tränenflut den Reuevollen.

Du, der Eine, den ich suche,
Du, der Ew'ge, der nicht altet,
Der in Huld der Sonne droben
Und der Menschenlose waltet;

Du, der dort im Wipfel säuselt,
Der in ahnungsvoller Nähe
Rätsel wispert, die ich höre,
Deren Sinn ich nicht verstehe:

Bist du Wodan, bist du Donar?
Namen sind es leeren Schalles:
Du bist du, der Unerkannte,
Unbegriffne, Eins und Alles!

Hier, wo auf geweihtem Grunde
Du nur und der Wald mich hören,
Bring' ich dar ein reines Opfer:
All mein Sehnen und Begehren!

All mein armes Glück, des Herzens
Wünsche, die von dir mich schieden,
Dürft' ich auf Erfüllung hoffen,
Geb' ich hin: gib du mir Frieden!

Gott, mein Gott, ich will entsagen!« –
Horch, da knickt' es in den Büschen,
Scharfes Klirren, Sehnenschwirren
Und Gezisch wie Schlangenzischen.

Elmar wankte; nah dem Herzen
Steckt' ein Pfeil; die Viperzunge
Riß er aus, und in die Birken
Stürmt' er wie der Wolf im Sprunge.

Schnelle Flucht und rasche Folge:
Jetzt! – er hielt ihn am Genicke:
»Königsbote, Meuchelmörder,
Du? – Das heiß' ich Frankentücke!

Als zu offnem Kampf dich luden
Rab und ich auf Schwert und Lanze,
Drücktest du dich, feiger Prahler,
Hinter deiner Sendung Schanze,

Uns zum Heil: dein Blut, des Schurken,
Lautre Waffen mußt' es schänden:
Geh, es mag ein Knecht dich würgen!
Geh, du magst am Zaun verenden!

Zittre nicht, schier möcht' ich lachen;
Werde kühner; sieh, ich bleibe
Scheu wie einem Pestbefallnen,
Armer Mann, dir weit vom Leibe!

War kein Schalk so schlecht und käuflich,
Dunkelwerk für dich zu üben,
Daß du selbst mit ew'ger Schande
Deinen Wappenschild beschrieben?

Bist du stumm?« – Mit irren Augen
Stand der Wicht, verstört und bange;
Seiner Hand entglitt der Bogen,
Alles Blut der hohlen Wange.

Stotternd rief er: »Falk, ich könnte
Dich auf Haut und Haar verklagen,
Dich auf Hals und Hand, du Stolzer!«
Elmar sprach: »Ich will es tragen!« –

»Kränkst du mich, den Königsboten,
Königsbann wird dich vernichten;
Unser ist die Macht im Lande!«
Elmar sprach: »Die Götter richten!

Heb dich fort!« Der Frank entschlüpfte
Durchs Gebüsch mit heiserm Fluche,
Und der Schrei der wilden Katze
Kreischte von der nächsten Buche.


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