Friedrich Wilhelm Weber
Dreizehnlinden
Friedrich Wilhelm Weber

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XVIII. Hildegundens Trauer

1.
            »Andre, denen Leid geschehen,
Dürfen klagen, ich muß schweigen;
Wankt mein Mut in Furcht und Trauer,
Heitre Miene muß ich zeigen.

Die mir ratend helfen könnte,
Schläft hier unterm kalten Steine;
An der Linde ihr zu Häupten
Sitz' ich oft und weine, weine,

Leise nur; ein Mutterschlummer
Ist so leicht, sie würd' es hören;
Nein, es darf des Kindes Klage
Ihre Seligkeit nicht stören!

Wenn es schauert hoch im Wipfel,
Neig' ich mich zu bangem Lauschen:
Sind es liebe Flüsterworte?
Ach, es ist nur Windesrauschen!

Weiß sie nicht, was mir geschehen,
Hütet euch, daß ihr es saget,
Kleine Engel, die ihr Botschaft
Zwischen Erd' und Himmel traget.

O, sie würde, Urlaub heischend,
An der goldnen Pforte stehen;
O, sie würd' im Himmel weinen,
Wüßte sie, was mir geschehen!«

 
2.
»Einen wilden stolzen Falken
Hatt' ich mir zur Lust gezogen;
Mit dem Todespfeil im Herzen
Ist er fort, weit fort geflogen.

Liebt' er Ring und Lederkappe?
O, ins Weite mocht' er streben,
Durch die Wälder mocht' er schweifen,
In den Wolken mocht' er schweben,

Frei und kühn, ein Ziel dem Neide! –
Weh, ihn traf ein fremder Schütze,
Feig versteckt, nach Schächerweise,
Mordlich mit verruchter Spitze!

Seidne Bänder wollt' ich winden
Um sein glänzendes Gefieder,
Silberfäden, goldne Schnüre,
Käm' er nur, o käm' er wieder!

Weh um ihn, den hochgemuten!
Den ich mir zur Lust gezogen,
Mit dem Todespfeil im Herzen
Ist er fort, weit fort geflogen.«

 
3.
»Finstre Nacht und kalter Regen,
Und der Wald erseufzt im Winde:
O ihr Stürme, wilde Wetter,
Wenn er lebt, o seid ihm linde!

Treibt sein Kiel auf dunkelm Meere
Über Klippen, über Schlünde,
All ihr Wasser, all ihr Wogen,
Wenn er lebt, o seid ihm linde!

Irrt er auf verlaßner Heide,
Suchend, wo er Obdach finde,
Führt ihn, all ihr guten Sterne,
Wenn er lebt, o seid ihm linde!

All ihr Engel, ihr, der reichen
Himmelsburgen Ingesinde,
Wo er ringe, wo er kämpfe,
Wo er sei, o seid ihm linde!«

 
4.
»Auf dem Sande weiße Schwäne,
Schwanenjungfrau'n, die sich baden,
Die zum lauen Süd sich schwangen
Von des Nordlands Eisgestaden.

Weiße Schwäne, wilde Mädchen,
Schön ist euer Los zu preisen:
Durch die Wellen könnt ihr rudern,
Durch die Wolken könnt ihr reisen!

Hätt' ich eure Federhemden,
Durch die Himmelsräume flög' ich;
Ihn zu finden, den ich suche,
Durch die Erdenreiche zög' ich.

Ihn zu finden, den ich suche,
Schweift' ich rings in allen Meeren,
Wär's nur, einmal ihn zu grüßen
Und dann trauernd heimzukehren.«

 
5.
»Wenig sprach er stets, und einsam
Ging er meist auf stillen Wegen
Längs des Bachs, durch Wies' und Saaten
Und in fernen Waldgehegen.

Daß er niemals, was er meinte,
Mir gestanden, darf's mich kränken?
O ich weiß ja, unsre Liebe
Ist so alt als unser Denken.

Beben sah ich seine Lippe,
Seine Wange sah ich brennen,
Und sein tiefes treues Auge
Sagte mehr, als Worte können.«

 
6.
»Mondbeglänzt im stillen Walde
Schläft der Teich in Farn und Moose;
Mitternächtlich aus der Tiefe
Taucht die bleiche Wasserrose.

Träumend nicken Buch' und Birke;
Nicht ein Flüstern, nicht ein Schaudern,
Um im Schlummer nicht das süße
Waldgeheimnis auszuplaudern.

NenupharNenuphar, alter Name der Seerose, Nymphaea., die weiße Blume,
Birgt sich gern in Nacht und Schweigen;
Nur des Himmels treuen Sternen
Wagt sie schüchtern sich zu zeigen!

Nur den kalten keuschen Lichtern,
Die da dämmern fern und trübe: –
Nenuphar, du weiße Blume,
O wie gleichst du meiner Liebe!«

 
7.
»Zwischen Berg und tiefem Tale
Sprießt ein Kräutlein, heißt Vergessen;
Wunderkräutlein, wer es äße,
Könnte ganz gesund sich essen.

Wer es fände, wem des Waldes
Dunkle Rätsel sich erschlössen,
Wer es pflückte, o er würde
All sein bittres Leid vergessen.

Ward mir von des Himmels Mächten
Leid, ein volles Maß, gemessen:
Leid ist meine beste Habe,
Und ich will es nicht vergessen.

Leid ist meine beste Habe,
Leid um das, was ich besessen;
Ob ich auch vergessen könnte,
Dennoch will ich nicht vergessen.

Wunderkraut, ob deine Blätter
Auf dem Gartenbeet mir sprössen:
Was ich leide, was ich liebe,
Will und mag ich nicht vergessen.«

 
8.
»Wenn er auf den Schild, den blanken,
Pflicht und Vaterland geschrieben,
Und, von ihm geführt, die Sachsen
Uns aus Mark und Gau vertrieben;

Wenn er käme, für erlittne
Schmach das Rächeramt zu üben,
Alle, die ihn feig verließen,
Strafend mit gewalt'gen Hieben;

Wenn er dann mich fragte: ›Hilda,
Bist du, was du warst, geblieben?‹
Haßt' ich ihn? Mich selbst verachten
Müßt' ich, wollt' ich ihn nicht lieben.«

 
9.
»Kommt ein fremder Mann geschritten
Durch das Tal in Schnee und Eise:
Fremder Mann, wie mag ihn führen
Her zu uns die Winterreise?

Tritt er an des Hofes Pforte,
Pocht mein Herz in lautern Schlägen:
Trüg' er Botschaft von dem Einen? –
Und ich flieg' ihm rasch entgegen.

Fremder Mann, der wandermüde,
Obdach heischt er oder Spende,
Und am Herd bei Krug und Schale
Wärmt er sich die starren Hände.

Neues bringt er, trübe Märe
Von Erfrornen und Vermißten,
Von der Hungerwut des Wolfes
Und des Fuchses argen Listen;

Von der Not, die Reh' und Hirsche
Treibt in Hütten und in Scheunen:
Dies und das, nur keine Kunde,
Keine Kunde von dem Einen!

Rotes Gold, o einen Schild voll,
Wär' es mein, ich gäb' es gerne
Jedem, der mir Botschaft brächte
Von dem Einen aus der Ferne.«

 
10.
»Krank am Leib und im Gemüte,
Krank zum Tod vom Biß der Schlange
Ging er fort; ein letztes Grüßen
Winkt' ich ihm vom Hügelhange.

Letztes Grüßen? – War's ein letztes
Fahrewohl zum letzten Gange?
War's ein letztes nicht, weswegen
Trieb es mich mit dunkelm Drange?

War's ein letztes nicht, weswegen
Klopft mein ahnend Herz so bange? –
Wenn er lebte, wo er lebte,
Botschaft hätt' ich lange, lange!«

 
11.
»Kam er durch den Wald geritten,
Kam er durch das Feld gegangen,
O wie glänzten seine Augen,
O wie blühten seine Wangen!

Steht er jetzt vor meiner Seele,
Der Verlorne, den ich liebe,
O, wie ist so bleich sein Antlitz,
O, wie ist sein Blick so trübe! –

Weiße Wände, Kienspanlichter;
Ihm zur Seite dunkle Schatten,
Stumm und ernst, als müßten morgen
Einen Toten sie bestatten.«

 
12.
»Tritt der Händler in die Halle,
Gelb von Haut und schwarz von Haaren,
Vielgeschwätzig auf den Tischen
Legt er aus die bunten Waren:

Scharlach von den Griecheninseln,
Lündisch Tuch und Mohrenseide,
Stahlgewirk aus Mailands Essen
Und romanisch Goldgeschmeide.

Wühlend in den Siebensachen,
Kauft der Vater ganze Haufen;
Freut' es mich, er würde gerne
All den eiteln Kram mir kaufen.

Und ich schenkt' ihn gern den Mägden,
Sich zu putzen für den Freier;
Mir geziemt nur düstre Wolle,
Tränentuch und Witwenschleier.«

 
13.
»Aiga sagt, ein dunkles Rätsel
Sei der braune Schmiedebube;
Regentriefend, müd und hungrig
Trat er gestern in die Stube.

Wohlgepflegt am frischen Feuer
Saß er dann und summte leise,
Wie im Traum, geschloßnen Auges
Eine fremde trübe Weise.

Wendisch war's: des Falken Klage,
Der, vom Walde weit, im Bauer
Einsam, mit gelähmtem Flügel
Sich verzehrt in Zorn und Trauer.

Zaghaft sprach ich: ›Singe weiter,
Wenn du kannst, die düstre Kunde,
Ob genesen der Gefangne
Heimwärts flog zum grünen Grunde?‹

Doch die schwarzen Locken schüttelnd,
Lacht' er still; die Perlenzähne
Glänzten weiß, und auf die Wange
Rollt' ihm eine dicke Träne.«

 
14.
»Grünt der Wald und blüht die Wiese,
Gehn die Mädchen in den Hagen,
Knüpfen Halme, zupfen Blätter,
Holde Antwort zu erfragen;

Holde Antwort über Einen,
Den sie meinenMeinen, mit Zuneigung eingedenk sein, schwed. minnas, dan. minde. Minnen und meinen sind ursprünglich derselben Bedeutung. in Gedanken:
Wilde Rose, die ich suche,
Birgt sich unter Dorn und Ranken.

Blätter fünf der wilden Rose,
Die wie Herzen sind zu schauen,
Was ich meine tief im Herzen,
Will ich heimlich euch vertrauen.

Schreiben will ich auf das erste
Stiller Liebe Runenzeichen;
Auf das erste und das zweite,
Denn das erste wird nicht reichen.

Bittre Klage auf das dritte,
Auf das vierte bittre Klage;
Ach, nicht hundert Blätter faßten
All den Kummer, den ich trage!

Auf das fünfte, o wie gerne,
Möcht' ich meine Hoffnung schreiben!
Da ich keine Hoffnung habe,
Muß es unbeschrieben bleiben.

Mag der Wind die Runen lesen
Und verrauschen! – Keine Boten
Gehn von diesem Strand zu jenem
In das stille Reich der Toten!«

 
15.
»Oft verloren in Gedanken
Sitzt der Vater, tiefbekümmert:
Was erregt ihn und bewegt ihn,
Wenn ihm feucht die Wimper schimmert?

Traurig sucht mich oft sein Auge,
Doch sein Blick entweicht dem meinen;
Sieht er fort und lächelt trübe,
O, dann muß ich gehn und weinen!

Niemals nennt er einen Namen,
Den ich nie zu nennen wage;
Ist es nicht, als ob er heimlich
Seinen Urteilsspruch beklage?

Oft berät er sich mit Diethelm
Und ermahnt den biedern Alten,
Auf dem Habichtshofe alles
Wohl in Fug und Schick zu halten.

Kann er hoffen, daß der Falke
Je zur Heimatstätte kehre?
O ich zittre, wenn ich denke,
Daß es dennoch möglich wäre!«

 
16.
»Pfänder zwei, vielteure Pfänder,
Ließ er mir zurück beim Scheiden,
Reichen Hort, um den ein reiches
Königskind mich mag beneiden.

Pfänder zwei, vielteure Pfänder:
Hier den Ring zum Seingedenken,
Dort das Schwert zum Aufbewahren,
Will ein Gott ihm Heimkehr schenken.

Heimkehr? – Wenn in schwerster Stunde
Er noch Heil zu hoffen wagte,
Krank an Glück, an Leib und Ehre,
Unrecht wär's, wenn ich verzagte.

Ring, mich stets an ihn zu mahnen,
Still auf meinem Herzen ruhe;
Schwert, bis er dich wiederfordert,
Harre sein in sichrer Truhe!«

 
17.
»Mag der Mann mit Wort und Eisen
Trotzen dem Geschick, dem harten,
Ihm gebührt es; Frauenwaffe
Ist Gebet und stilles Warten.

Warten will ich Tag' und Nächte
Wandellos in Lieb' und Treue:
Reicher Gott, verzeih mir Armen,
Wenn ich sein mich nicht verzeiheSich verzeihen, mit dem Genetiv, seine Ansprüche aufgeben. In dieser Form ist das Wort eigentlich nicht veraltet, doch ist verzichten gangbarer..

Hör mich, reicher Gott im Himmel;
Beten will ich Tag' und Nächte:
Tu an ihm nach deiner Güte,
Was ihm frommt! Du kennst das Rechte.

Die den offnen Blick belastet,
Nimm ihm ab des Wahnes Binde:
O ich weiß, er sucht dich lange;
Hilf ihm, Herr, daß er dich finde!

Schau ihn an mit mildem Auge,
Treuer Gott, den Tiefgebeugten;
Deiner Huld nur einen Funken
Laß erbarmungsvoll ihm leuchten;

Deines Lichts nur einen Schimmer
Gieß auf seine dunkeln Pfade:
Gott, mein Gott, in seine Seele
Einen Strahl nur deiner Gnade!«

 
18.
»NächtenNächten, in vergangener Nacht. sah ich ihn im Traume,
Die Erinnrung macht mich beben,
Wie er rang mit einer wüsten
Wurmgestalt auf Tod und Leben.

Hochgebäumt, mit offnem Rachen
Stürzt' auf ihn das Ungeheuer;
Grauer Dampf entquoll dem Schlunde,
Wut dem Blick und wildes Feuer.

Schuppenringe, grimme Tatzen,
Sah ich um den Mann sich klammern;
Deutlich hört ich's: ›Hildegunde!‹
War sein halbersticktes Jammern.

Fliegen wollt' ich, ihn entreißen
Aus des Untiers Klau'n und Zähnen,
Doch gelähmt, gebannt, gebunden,
Konnt' ich ›Gott, mein Gott!‹ nur stöhnen.

Da – im Blute schwamm der Drache!
Und mein Held? – Sein lichtverklärtes
Antlitz strahlt', und selig lächelnd
Hielt er hoch das Kreuz des Schwertes.«

 
19.
»Auf dem Raine Klee und Blumen,
Und die Drossel singt im Hagen:
Langer Winter, trüber Winter, –
Ach, wie hab' ich's nur ertragen!

Seh' ich rückwärts: Zagen, Hoffen;
Seh' ich vorwärts: Hoffen, Zagen;
Immerfort der alte Zweifel,
Immerfort dieselben Klagen!

Eitel ist es, Wind und Wolke,
Sonn' und Mond nach ihm zu fragen
Wenn er atmet, wo er atmet,
Eine wüßt' es mir zu sagen;

Eine, der die Himmelswandrer,
All die Vögel, Botschaft tragen;
Mag sie auf das Frankenmädchen
Finster schaun, ich will es wagen!«


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