Friedrich Wilhelm Weber
Dreizehnlinden
Friedrich Wilhelm Weber

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIV. Ein Kreuz im Walde

        Ist die Drossel weggezogen,
Fahl und kalt der Wald geworden,
O wie ist die Welt so stille,
O wie ist so grau der Norden!

Und der Menschengeist, der ernste,
Mag in Sinnen und in Denken,
Träumen, Hoffen und Erinnern
Winterlang sich gern versenken. –

Um die alte Donnereiche,
O wie lag der Wald so stille,
Müder Schläfer, kalt gebettet
In des Nebels weiche Hülle.

Silbergraue Fadennetze,
Spinnwebschleier lebten lose
Um Gerank, um Klett' und Distel,
Fingerhut und Hagerose.

Jetzt ein morgenfrisches Hauchen,
Und der Dunst versank im Grunde:
Seltsam! Waren Geisterhände
Tätig hier zu nächt'ger Stunde?

Nah dem Stamm des Riesenbaumes
Stand ein Kreuz, aus Birkenstäben
Roh gefügt und schlicht gebunden
Mit des Waldes wilden Reben;

Dran ein Kranz von dunkeln Dornen,
Und wie Rauch vom Opferherde
Stieg ein dünnes blaues Wölkchen
Aus der frischgegrabnen Erde. –

Hier ein Kreuz? Von wem errichtet?
Frage die im Schlaf gestörten
Waldeswipfel, die es sahen,
Frag die Sträucher, die es hörten;

Frag die Spur im Reif des Grases,
Wo zwei kleine Füße standen,
Die durch dürre Binsen streiften
Und im Birkenbusch verschwanden! –

Und zur Nacht an diesem Orte,
Den am Tage zu betreten
Jäger fürchten, den der Heide
Scheu besucht zu stillem Beten?

Und warum? in welcher Meinung?
Soll es einem, der geschieden,
Frieden geben, weil er wandert
Ruhelos und ohne Frieden?

Soll es ein Verbrechen sühnen,
Finstrer Tat geheime Qualen?
Soll es eines Gottgelübdes
Längst verjährte Schuld bezahlen?

Oder ist es einer Seele
Demutsvolle Weihespende,
Daß erbarmungsreich der Himmel
Ein Geschick zum Guten wende? –

Menschenbrust, wohl bist du tiefer
Als des Berges tiefste Schlünde;
Menschenherz, wohl rätselhafter
Bist du als die Meerabgründe!

Und Gedanken, lichte, dunkle,
Rastlos wie die Wasserwelle,
Gehn bis mitten in den Himmel,
Gehn bis mitten in die Hölle:

Nachtgedanken, Neidgedanken,
Mordgedanken, die nicht schlafen,
Eh Verleumdung, Gift und Eisen,
Todeswund ihr Opfer trafen;

Lichtgedanken, die der Erde
Blumenfülle sammeln möchten,
Um im reichsten Kranz die schönsten
Um ein teures Haupt zu flechten;

Die aus goldnen Sonnenstrahlen
Helm und Brünne möchten weben,
Um vor Wund' und Weh zu schützen
Ein geliebtes holdes Leben;

Die auf schneeigem Gefieder
In den blauen Äther fliehen
Und wie blasse Bettelkinder
Stumm am Tor der Gnade knieen. –

Um die alte Donnereiche
Lag die Welt in düstrer Trauer;
Von dem Kreuz, der Dornenkrone
Tropft' es sacht wie Tränenschauer.

Und im Wald ein kleiner Vogel
Zirpte leise, leise Klagen:
»Harter Winter, trüber Winter,
Lange Nacht: – wann will es tagen?«


 << zurück weiter >>