Friedrich Wilhelm Weber
Dreizehnlinden
Friedrich Wilhelm Weber

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XI. Vogelfrei

1.
                »Fertig!« sprach der Meister Fulko;
»Hildegunden, deiner Frauen,
Kleine Imma, liebe Tochter,
Bring das Schloß; sie kann ihm trauen.

WielandWieland, der Zwergkönig, der Wölundr des Nordens und Galans le forgeron der kerlingischen Sage, war der kunstreichste Meister aller Schmiede. kaum, der Schmiedekönig,
Wüßt' es künstlicher zu machen,
Und im Berg die stillen Leute,
Und – du Kobold, laß das Lachen!

Eggi, schon den ganzen Morgen
Greinst du mit vergnügtem Blicke,
Gleich als wär' ein feistes Wildbret
Dir gegangen in die Stricke.

Mach dich fort, du brauner Schlingel,
Sieh mir fleißig nach den Schafen,
Daß sie nicht zu Schaden gehen
Auf dem Winterfeld des Grafen!«

Eggi, in der Tür sich wendend:
»Meister Fulk, Ihr habt's geraten:
Gestern war's; ein Edelmarder,
Und Herr Gero will ihn braten.«

»Geh, du Gauch! – Er grollt dem Falken«,
Sprach der Schmied; »wohl mag er lästern;
Härter als uns je der Franke
Schlug der Sachs den Sachsen gestern.

Wie man einen wutverdächt'gen
Hund erhängt am nächsten Aste,
Ward ein Edler preisgegeben,
Weil ein Bösewicht ihn haßte.

Stolzer Falk! Vom Wald zur Weser
Wird kein treures Herz gefunden! –
Doch da ist er selbst: – o Imma,
Wie verhärmt in wenig Stunden!«

Elmar kam; der greise Diethelm
Schritt ihm nach mit finsterm Mute; –
Zorn und Tränen in den Augen,
Führt' er eine weiße Stute.

Sprach der Falk: »Des letzten Dienstes,
Meister Fulko, magst du pflegen:
Spute dich, mit Weiheworten
Feste Eisen aufzulegen.

Spute dich, du kluger Meister,
Feste Eisen, gute Eisen
Aufzulegen meinem Tiere,
Denn wir haben weit zu reisen.

Weit zu reisen, Meister Fulko!
Drum von all den edlen Rossen
Nicht das beste, doch das treuste
Wählt' ich mir zum Fahrtgenossen.«

Stumm und traurig sah der Alte
Auf den Mann und auf das Fohlen;
Dann, sein Werkgerät ergreifend,
Fuhr er durch der Esse Kohlen;

Und mit zornig wüsten Schlägen
Schlug er, daß der Amboß stöhnte,
Schlug er, daß die Balken sangen
Und das Grundgemäuer dröhnte.

Flammen stoben, Funken spritzten;
Härter hieb der Schwerergrimmte,
Bis des Erzes glühe Stange
Wie ein Wurm sich wand und krümmte.

Plötzlich aber sank die Rechte,
Und, erfaßt von wildem Jammer,
Warf er auf den Herd das Eisen,
In den Winkel Zang' und Hammer.

»Nein, ich kann, ich kann nicht, Elmar;
Nein, du kannst, du kannst nicht gehen!
Um den Wiedehopf, den Gecken,
Sollen wir dich scheiden sehen?

Sind noch Götter? Unsre Götter
Zürnen, weil wir sie verlassen,
Und der weiße Gott der Christen,
Den wir hassen, muß uns hassen.

Büßung heischt der große Frevel!
Erst versöhnt an heil'gen Stätten,
Muß das Volk die Wehr ergreifen,
Und – der AlteDer Alte, Wodan wird uns retten.

Letzte Nacht in Sturmesbrausen
Fuhr er zürnend her vom Norden:
Sollt' er nicht? Warum, wir Toren,
Sind wir untreu ihm geworden?

Elmar, bleib! Geh vor, wir folgen;
Zieh dein Schwert: wir werden siegen!
Einmal noch im roten Banner
Laß das weiße Fohlen fliegen!

Elmar, bleib! Was dir geschehen,
Schande ist es, Schmach uns allen;
Gestern, an der Linde, hörtest
Du den Zuruf nicht erschallen?

Wir, der Werkmann und der Bauer,
Stehn zu dir, den Schimpf zu rächen:
Hünen, die wie Haferhalme
Frankenspeere spielend brechen;

Harte Hände, die in Scherben
Schild und Panzerrock zerschlagen;
Felsennacken, die den Reiter
Samt dem Roß zum Sumpfe tragen!

Und die Gegner? Immer lustig,
Reigenspringer, immer heiter,
Lockenkräusler, Salbenköche,
Zwölf ein Dutzend – und nichts weiter.

Weich Geziefer! Viel zu lange
Litten wir's; auf, uns zu wehren!
Klirrt das Land, der graue Kämpe,
Widukind, er wird es hören.

Täuschung ist es, Frankenfabel,
Daß der Held, im Kampf ermattet,
Sei verzagt zu Kreuz gekrochen
Und im Wessagau bestattet.

Niederwärts im Weserwalde
Schläft er nur im hohlen Steine,
Schlachtbereit mit Roß und Mannen,
Harrend, daß sein Tag erscheine.

Oft, wenn nachts die Wetter tosen,
Weckt er seine Schwertgesellen:
›Riefen nicht des Waldes Wipfel?
Mahnten nicht des Stromes Wellen?‹

Dann hinauf die blaue Weser,
Dann hinab die blanke Lippe,
Und ›zu früh zu früh!‹ erseufzend
Kehrt er heim zur düstern Klippe. –

Falk, mir deucht, jetzt ist die Stunde.
Hebt sich nur mit Waffenschalle
Reisig Volk in allen Gauen,
Kommt er und befreit uns alle.

Heergeräte weiß ich liegen,
Kunstgebilde kluger Zwerge,
Stahlgewand und alte Schwerter
Aufgehäuft im nahen Berge.

Laß das Bauernhorn erklingen!
Folgen wird dem Racherufe
All das Volk im Lederschurze,
All das Volk von Kamp und Hufe.

Zündend, schnell wie Heidefeuer,
Wird der Schrei die Welt durchfahren:
Ja, sie kommen, traun, sie kommen,
Schildgenossen, Schar auf Scharen!

Schlechte Menschen, schlechte Zeiten:
Allen wird, was sie verdienen,
Und die Freiheit nur den Wackern,
Die der Freiheit sich erkühnen.

Können wir's? Ich sah's am SüntelDie Niederlage am Süntel im Jahre 782 hätte für die Franken fast so verderblich werden können, wie die Varusschlacht den Römern war, wenn die Sachsen nicht, statt ihren Sieg zu verfolgen, sich aufgelöst hätten und heimgegangen wären.;
Zu uns stand der alte Woden:
Solch ein Tag! Des Blutes Ströme
Rissen Furchen in den Boden.

Nur ans Werk! Erst recht im Zorne,
Werden wir die Welschen schlagen,
Wie am Osning sie den Vätern
Und am Süntel uns erlagen.« –

Elmar sprach: »Welch glühe Kohlen,
Fulk, im alten Kopf dir brennen!
Schnee auf einem Feuerberge
Ist dein Silberhaar zu nennen.

Trauter Fulk, die Welt ist kühler!
Machst du heiß das Blut der Schnecke?
Glaubst du, daß ein Ruf die Träumer
Rasch vom Rat zur Tat erwecke?

Zwar die Menge grollt, sie hatte
Lust zum Zausen und zum Zerren,
Doch erschlafft auf ihren Höfen
Dehnen sich die Edelherren.

Ihren Mut erprobt' ich gestern!
Als ich stand in Not und Fährde,
Zagten sie, wie vor des Waldes
Grauhund zagt die Lämmerherde.

Blöde, die das Herz nicht hatten,
Eine Hand für mich zu heben,
Werden die zum Schwerte greifen,
Wenn es geht auf Tod und Leben?

Zwischen Mögen und Vollbringen
Liegt bei uns des Zauderns Öde
Und ein Sumpf; ein Tatenmörder
Ist der Sumpf der deutschen Rede.

Fulk, wohl mag dein Amboß ächzen
Unter schweren Hammerschlägen;
Dennoch hält er still; wir murren,
Ohne Faust und Fuß zu regen.

Pochten alle Männerherzen
Heiß wie deines, warm wie meines,
Kein vermeßner Frankensporen
Klirrte noch diesseits des Rheines:

O wir haben harte Hände,
Unser Leib ist Wall und Mauer;
Doch wir schleichen träg zum Werke,
Und im Werke fehlt die Dauer.

Nicht zum Kriege, nur zum Kampfe
Zieht der Sachse; schnell zu schlagen,
Ist sein Sinn, um heimzukehren
Und daheim den Hirsch zu jagen.

Länger lag er nie zu Felde,
Als er nicht den Pfühl entbehrte,
Als im Sack der Haferkuchen
Und der Trunk im LägelLägel, ein Fäßchen zum Mitnehmen von Getränk. währte.

Schelten würd' ich, spräch' ein Fremder,
Was ich scheltend von uns spreche:
Nicht des Feindes Macht, uns beugte
Göttergrimm und eigne Schwäche.

Darum hat der Lockenkräusler
Zehnmal uns im Kampf bezwungen,
Darum hat der Reigenspringer
Auf den Boden uns gerungen.

Fragst du, was ich möchte? Waten,
Waten bis ans Knie im Blute!
Was ich muß? Zu hoffen raten,
Ob mit Grimm und finsterm Mute.

Erzbewehrt an Ems und Lippe
Harrt der Feind in hellen Haufen,
Fertig zu willkommner Arbeit,
Wie bei Verden – uns zu taufen.

Schon zuviel ist edlen Blutes,
Warmen Bauernbluts geflossen,
Fruchtlos: schon zuviel der Äcker
Sind zerstampft von fremden Rossen.

Sollen wieder Hof und Hütte
Glühn in roten Flammensäulen?
Soll der hagre Wolf, der Hunger,
Wieder durch die Dörfer heulen?

Dreister Griff gebührt dem Dreisten,
Doch ins Tolle stürmt ein Toller;
BerserkbrauchBerserke, Berserkr, Barhemd, waren nackte Kämpfer, die sich durch ihre wilde Wut hervortaten. ist, nackt zu kämpfen,
Klugen Manns, in Helm und Koller.

Mag der Rat der Götter walten,
Menschenwitz kann wenig frommen:
Fulk, das eine ist gewesen,
Und das andre seh' ich kommen.

Laß mich gehn! – Von Hof und Heimat
Blieb mir heut am Scheidetage
Nichts – als eine Handvoll Erde,
Die ich auf dem Herzen trage.

Fulk, nun tu, was ich gebeten!«
Auf den Wangen Leichenblässe
Stand der Schmied, und schmerzlich stöhnend
Trat er langsam an die Esse;

Pochte, hielt und pochte wieder;
Endlich schritt er aus der Pforte,
Und die Eisen unterschlagend,
Raunt' er leise Wünschelworte:

»Frommes Rößlein, kluges Rößlein,
Eisen vier will ich dir legen,
Feste Eisen, gute Eisen:
Das ist Donars Hammersegen!

Geh zu Holz und geh zu Hause,
Immer geh auf graden Wegen;
Weit, was unhold ist, entweiche:
Das ist Donars Hammersegen!

Ward dir Weh und ward dir Wunde,
Blut zu Blute soll sich regen,
Bein zu Beine soll sich fügen:
Das ist Donars Hammersegen!

Trag den Reiter, treues Rößlein,
Allem Glücke gern entgegen,
Trag ihn hin und trag ihn wieder:
Das ist Donars Hammersegen!

Falk, nun fahre!« – Drauf der andre:
»Habe Dank, du frommer Meister!
Bürgen sind mir deine Wünsche,
Mit mir fahren gute Geister. –

Nun hellauf, du alter Knabe,
Diethelm, komm, nimm beide Hände,
Beide und die letzten Grüße,
Die dem Heimatland ich sende.

Weinst du gar? Es ist so bitter,
Alte Augen weinen sehen!
Falkenart ist starkes Mutes,
Falkenart – jetzt mußt du gehen!

Was der Mutter du verheißen,
Hast du brav und treu gehalten. –
Mit mir willst du? Soll der Franke
Auf dem Hof nach Willkür schalten?

Weißt du doch, zu Königseigen
Ist das Falkennest gesprochen
Und der kahle Königserbe
Morgen schon hineingekrochen.

Laß den greisen Kopf nicht sinken,
Diethelm, trockne deine Zähren;
Bleib und tu, was recht, und hoffe,
Wie ich hoffe heimzukehren! –

Imma, deiner holden Herrin
Neig' ich mich, sie ist mir teuer;
Sag ihr, – nein, nichts sag ihr, Imma,
Bin ich doch ein Vogelfreier!

Nimm das Schwert, den Ring hier, Imma;
Sag, der Ring sei zum Gedenken,
Sag, das Schwert sei zum Bewahren,
Will ein Gott mir Heimkehr schenken!

Jetzt von hinnen!« – Durch den Flieder,
Der das Rasendach beschirmte,
Fuhr der Wind; die letzten Beeren
Fielen, und das Laub verstürmte.

 
2.
Wo am Waldesrand der Tannen
Dunkle Äste talwärts schwanken,
Stand verhohlen eine Jungfrau
Zwischen Farn und Brombeerranken,

Regungslos, gekreuzt die Hände,
Vorgebeugt in tiefem Sinnen;
Tropfen wehten, kalte Tropfen
Auf ihr Kleid von weißem Linnen.

War sie aus dem Sarg gestiegen?
War die stille, marmorbleiche
Von den Armen, die da wandern,
Friedlos selbst im Friedensreiche? –

Starren Auges sah sie nieder
Nach der Schmied' am Erlenhage;
Wirbelnd in die grauen Lüfte
Stieg der Rauch wie alle Tage;

Und wie alle Tage rollten
Oben dunkle Wolkenbälle,
Und wie alle Tage rauschte
Durch das Tal des Baches Welle;

Und wie alle Tage dröhnten
Hammerschläge weit im Grunde;
Doch – jetzt fuhr sie auf, ein kurzer
Jammerschrei erstarb im Munde.

Vor der Schmiede Frau'n und Männer;
Einer hielt ein Roß am Zügel,
Einer nahm es, und hindannen
Ritt er sacht am Heidehügel,

Einsam, waldwärts: Busch und Bäume
Sah sie hinter ihm sich schließen;
Stumm, den Finger an der Lippe,
Winkte sie ein letztes Grüßen.

Dann, die Hände hochgehoben,
Sang sie leise: »Selig fahre,
Der da fährt, des Herzens stiller
Trautgesell seit manchem Jahre!

Wo er wolle, wo er wohne,
Weile Friede, wie da weilte,
Da die Reine des genesen,
Der der Welt die Wunden heilte.

Der der Welt die Wunden heilte,
Möge sein in Gnaden pflegen,
Mag' im fernen fremden Lande
Ihn geleiten und umhegen;

Ihn umhegen und geleiten,
Daß er gute Herberg finde;
All die Hüterschar des Himmels
Sei ihm holdes Fahrtgesinde;

Sei ihm treuer Weggenosse,
Der Tobias' Sohn gen Meden
Und zurück zu Herd und Hufe
Führte durch Gebirg und Öden!

Und du Hochgebenedeite,
Die zu helfen nie versagte,
Wenn ein Herz voll Harm und Sorge
All sein stummes Weh dir klagte:

Hehre Frau, zu deinen Füßen
Weint die Jungfrau: selig fahre,
Der da fährt, des Herzens stiller
Trautgesell seit manchem Jahre!« –

Kraftlos sank sie auf die Knie,
Tränen, bittre Tränen rannen,
Und des Herbstes kühle Schauer
Rauschten durch die finstern Tannen. –

Geh nun heim, du Kummervolle;
Deine Bitten, deine Klagen
Wird ein kleiner lichter Engel
Weinend in den Himmel tragen.

 
3.
Tiefer Wald! Von Stamm zu Stamme
Wob die Dämmrung graue Fäden,
Und die Bäume und die Tiere
Wechselten geheime Reden.

»Nahmt ihr wahr«, begann die Elster,
»Den vom Habichtshofe heute?
Traurig ritt er durch die Fichten,
Diesmal ohne Mann und Meute.«

Sprach der Markolf: »Weh dem Kranken,
Denn er reitet zu den Toten;
Leidvoll sah ich ihn umflattern
Dich, der Hel schwarzweißen Boten.«

Hähnchen mit der roten Kehle
Lachte heil, der muntre Schreier:
»Husch! Ich bin ein freier Vogel,
Und er ist ein Vogelfreier!«

Drauf die Fichte: »Bleich und schwankend
Hielt er sich mit Not im Bügel,
Und der Königsbote sah ihm
Lachend nach vom Heidehügel.«

Sprach die Eiche: »Festgewurzelt
Glaubt er sich wie meinesgleichen;
List ist stärker als die Stärke,
Denn der Stärkste muß ihr weichen.«

Seufzend sprach der Dachs: »Das Schwerste
Muß der frömmste Mann befahren:
Armer Falk, vor Unbill konnte
Freier Mut dich nicht bewahren!«

Sprach der Bär: »Gelingt's ihm übel,
Traun, mich soll es wenig grämen;
Schlug er doch den Stolz des Waldes,
Wikbert, meinen großen Öhmen.'

Sprach der Wolf und rieb die Tatzen:
»Wär' zur Stelle meine Sippe,
Morgen läg' auf rotem Rasen
Nur sein Wams und ein Gerippe!«'

Füchslein greinte: »Lachen muß ich,
Wenn sich meine Widersacher
Toll zerreißen und zerreißen:
Traun, am längsten lebt der Lacher!«

Rasch sich kugelnd sprach der Igel:
»Schelme seid ihr, gram dem Besten,
So voll Fäulnis, daß die Worte,
Die ihr sprecht, den Wald verpesten.«

Rief der Bussard: »Laß sie schwatzen!
Falkenart ist stolz und mutig,
Stets bereit, dem Trotz zu trotzen,
Sei auch Fang und Feder blutig.«

Rabe sprach: »Zum Dänenreiche
Geht sein Pfad, zu Königshallen
Fern im Nord; viel weiße Flocken
Werden auf den Weg ihm fallen.«

Wispelnd drauf die Eberesche:
»Hätt' er eine meiner Ruten,
Starker Zauber führt' ihn sicher
Über Heid' und wilde Fluten.«

Amsel sang: »Bei seinem Hofe
Wohnt' ich ruhig und in Ehren.
Was wohl meine Vettern sagen,
Wenn im Lenz sie wiederkehren?«

Dann der Specht: »Geheime Runen
Las ich zwischen Holz und Rinde;
Jeder liest sie nicht; ich hoffe,
Daß er bald den Heimweg finde.«

Sang die Lerche: Hier geblieben
War ich, um ihn gleich zu grüßen,
Wenn die ersten Blätterkeime
Am Holunderbusche sprießen.« –

Stille wurd' es; durch die Birke
Ging ein Wispeln und ein Wehen
Leise, leise wie im Traume,
Doch es war nicht zu verstehen.

Nur im Schilf ein heimlich Schwirren:
»Ihr, der Brucht behende Gleiter,
Glatte Wellen, eilt zur Nethe
Rasch hinab und hurtig weiter;

Hurtig sagt den Weserfrauen,
Daß sie ihm die Flucht verwehren;
Bleiben müssen sie im Lande,
Die wie er dem Land gehören.«

Doch der Uhu, einsam grollend,
Saß in dunkler Felsenritze;
Tief ins braune Brustgefieder
Bohrt' er seine Schnabelspitze:

»Welch ergötzliche Verblendung,
Welch ein Aufwand von dem Knaben:
Haben will er eine Meinung,
Seine Meinung will er haben!

Weise ist es, beide Augen
Auf das Fördersame lenken
Und in kluger Selbstverleugnung
Denken, was die Starken denken.

Was ist Recht? Gewalt'ger Wille,
Der da biegt und beugt die Köpfe,
Wie der Sturm, der alte Riese,
Biegt die schwanken Weidenzöpfe.

Freiheit ist die schöne Stimmung,
Mit Behagen, mit Vergnügen
In Verzicht auf eignen Willen
Fremdem Willen sich zu fügen.

Denn gemächlich und ersprießlich
Ist's, im Troß der Macht zu laufen,
Immer nur durch offne Tore,
Immer mit dem großen Haufen.

Und die Liebe, Dienst für andere?
Raserei, mir kaum zu fassen!
Denn verhaßt ist mir das Lieben,
Denn ich liebe nur das Hassen.

Beste Lust ist Lust am Schaden!
Tröstlich war's zu sehn, wie beide
Sich zerhackten, tolle Hähne,
Rot vom Zorn und blaß vom Neide.

Neid, du bist ein holder Knabe,
Zorn, du bist ein süßer Junge;
Neid, du hast so fromme Augen,
Zorn, du hast so sanfte Zunge!

Rupft euch nur, ihr armen Tröpfe,
Zupft und zaust euch Brust und Rücken
Mit den Federn, die da stieben,
Stopf' ich meines Nestes Lücken.«

Und der alte Neidhart lachte
Grimmig auf und murrte weiter:
»Spreizt ihr euch mit Menschenwitzen?
Stolzer seid ihr, nicht gescheiter!

Zwar mich hat der rote Prior
Nicht belehrt vom hohen Stuhle;
Zwar ich schliff bei Pater Biso
Nie die Bank der Klosterschule.

Euer Witz ist dumm und blöde,
Ganz verträumt und ganz verstübelt;
Ich, Minervas kluger Vogel,
Bin das Tier, das sinnt und grübelt.

Ich, Minervas kluger Vogel,
Bin das klügste von den Tieren,
Die da denken und begehren,
Weil sie hungern, dursten, frieren.

Was wir tun, das ist das Wahre,
Und ihr sollt uns nicht bezichten;
Will's mit der Moral nicht stimmen,
Müßt ihr die Moral berichten.

Eure Tugend? O ihr Schelme!
Einer ist des andern Büttel,
Ob ihr euch in Scharlach brüstet,
Ob ihr lauft im Leinwandkittel.

Dreht euch wohlig, faucht vor Wonne
Und wie warme Federpfühle
Bläht euch auf im Sonnenscheine:
Morgen weht ein Lüftlein kühle.

Übergütet euch in Güte,
Liebt und lobt euch gegenseitig:
Morgen macht ihr euch, ihr Frommen,
Selbst das Recht zu atmen streitig.

Eu'r humaner Liebesdusel
Ist gekünstelte Erregung,
Doch natürlich ist der Hunger
Und des Leibs bewußte Pflegung.

Fällt die Mahlzeit knapp und dürftig,
Geh' ich nachbarlich zu Gaste,
Frech und frei! Ein dummer Gimpel
Lebt und stirbt auf seinem Aste.

Vaterland? Mir gilt es wenig,
Wo ich jage, wo ich schmause:
Jagd, nur Jagd und gute Beute,
Und ein Uhu ist zu Hause.

Vaterland? Die dümmste Liebe
Ist, ein Vaterland zu lieben;
Dieser ward für seine Liebe
Aus dem Vaterland vertrieben,

Seines Unsterns muß ich lachen!
Ist die Welt um einen ärmer,
Wird sie reicher. Weg! Am meisten
Hass' ich träumerische Schwärmer!« –

Endlich schwieg er. Durch die Wipfel
Seufzte nur der Wind, der kalte;
Nachtgewürm, unholdes Wesen,
Kroch aus Gruft und Felsenspalte.

Denn gesunken war die Sonne;
Bläulichrote Wolkenfesten,
Wall und Mauerkranz und Zinne
Türmten sich im tiefen Westen.

Wo sich rechts und links die Berge
Nackt und schroff zum Tale neigen,
All den kleinen Bach hinunter
Klang ein Hufschlag durch das Schweigen.

Achtsam war der Gang des Rosses,
Sacht und sorglich schritt es weiter,
Gleich, als wiss' es wohl, es trage
Einen todeskranken Reiter.

Talwärts fort! Und leise quellend
Rann von Sitz und Sattelbinde
Dunkles Blut in schweren Tropfen
Und erstarrt' im Abendwinde.

Talwärts fort! Die Weser rauschte,
Graue Nebelfluten zogen;
Turm und Dach von Dreizehnlinden
Ragten aus des Dunstes Wogen.

Und die ew'ge Lampe glänzte
Durch die Dämmrung glüh und golden:
Nah der Pforte sank der Reiter
In des Herbstes letzte Dolden.

 
4.
Im Konvent zu Dreizehnlinden
Flackerten die Kienspanlichter
Düster auf der düstern Mönche
Tiefbekümmerte Gesichter.

In der weißgetünchten Zelle
Stunden sie um einen Wunden,
Den am Tor bei seinem Rosse
Spät ein Klosterknecht gefunden.

Sorgsam war er nun gebettet
Auf dem pelzbedeckten Lager,
Kaum noch atmend, kalt, bewußtlos,
Schlaff die Glieder, hohl und hager.

Durch das braune Lederkoller
Sickerte des Blutes Welle;
Stirbt er? Geht der Todesengel
Durch die stille Klosterzelle? –

Sprach der Abt: »Ich bin begegnet
Solchem Wuchs und solchen Zügen,
Wenn nicht meine alten Augen
Mir den alten Kopf betrügen.

Damals stand er hochgewaltig,
Frisch in Jugendfülle blühend,
Zornig, doch in edlem Zorne,
Wie Sankt Michael, erglühend.«

Wido drauf: »Ich kann Euch helfen;
Sollt' ihn niemand besser kennen,
Würd'ger Herr, vom Habichtshofe
Möcht' ich ihn den Falken nennen.

Als ich Euren Brief zum frommen
Bischof Badurad getragen,
Neulich, nah dem falschen Brunnen,
Sah ich ihn im Walde jagen.

Ja, er ist's; er trug dasselbe
Feingesteppte Wams wie heute;
Vor ihm lag ein feister Zwölfer,
Um ihn die erhitzte Meute.

Liebreich war er; Trank und Speise
Bot er mir, dem Wandermüden,
Und durch vielgekrümmte Schluchten
Hat er mir den Weg beschieden.

Doch er ist ein Wodansdiener
Und, wie heut ein Bettler sagte,
Vogelfrei, dieweil um Zauber
Ihn ein Frankenmann verklagte.«

Sprach der Abt: »Die Klostermauern
Sind gefriedet»Wenn jemand seine Zuflucht in eine Kirche genommen hat, soll ihn keiner mit Gewalt aus der Kirche treiben dürfen, sondern er habe Frieden.« Capitul. Paderbr. 1. . Auf, ihr Lieben,
Was bei Lukas steht im Zehnten,
Heischt die Pflicht an ihm zu üben!

Beda, walte deines Amtes;
Bruder Ailrat, was vonnöten,
Schaffe lind; wir andern aber
Wollen für den Kranken beten.

Kommt zum Chor!« – Die Männer schritten
Sacht hinab im düstern Gange:
»De profundis!« Eine Träne
Rollte auf des Priors Wange. –

Armer Elmar, irrer Waller,
Wirst du Heil und Hilfe finden?
Fromme Ärzte sind die Mönche
Des Konvents zu Dreizehnlinden.


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