Wilhelm Walloth
Das Schatzhaus des Königs
Wilhelm Walloth

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Fünftes Kapitel

Wir verließen Menes unter den Händen seiner Entdecker. Als er wieder aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit erwachte, fand er sich in einem Gemach oder besser einem Käfig eingeschlossen, in dem er kaum aufrecht zustehen vermochte und dessen Wände er mit den ausgestreckten Armen erreichte. Wo war er? Die schreckliche Gewißheit, daß der schändliche Prinz seine Drohung wahr gemacht, seinen Rachedurst dadurch befriedigt hatte, ihn in dies elende Gefängnis werfen zu lassen, überdrang ihn kalt. Und hatte er nicht trotz seiner Betäubung gefühlt, wie man ihn in diesen Kasten schob? Klangen ihm doch noch die höhnischen Worte des Tückischen im Ohre nach. Ja, diese Wände waren kein Phantasiegebilde, sie ließen sich betasten, sie hielten stand; er war das Opfer bübischer Rache geworden; das Gefühl innerer Beängstigung, welches uns erfaßt, wenn wir uns in einem bedrückend engen Raum befinden, der uns an der Bewegung hindert, überkam ihn mit solcher Macht, daß er in einem Anfall von Verzweiflung seine Fauste an Boden und Decke des Kastens wund schlug, aber die grausamen Wände gaben sein Gestampf, sein dumpfes Schmerzgestöhne höhnisch zurück, ohne sich zu öffnen; sie ließen ein metallenes Knarren und Summen ertönen, das dem armen Eingekerkerten wie triumphierendes Gelächter seiner Feinde erklang. Sterben? rief es in seinem sich krampfhaft zusammenziehenden und wieder gewaltsam ausdehnenden Inneren, sterben ist nichts! Aber auf diese Art sterben, oder was noch schlimmer, lebenslänglich in diesem Winkel zum Gerippe zusammengekauert hintrauern müssen!! O menschliche Bosheit, deine Erfindungskunst übersteigt die Blutdurst der Tiere. Manchmal glaubte er, der Ingrimm der Verzweiflung müsse ihm Kraft verleihen, den Boden des Käfigs zerstampfen zu können, doch wenn er sich umsonst abgemüht, sank er ermattet nieder, gleichgültig und stumpf auf die eisernen Platten starrend, die mit so unbarmherziger Festigkeit vor ihm aufragten.

Oh! wenn sie es doch wüßten, seine Freunde, welche Schändlichkeit man an ihm verübt! Warum wußten sie es nicht? Er begriff es nicht, daß sie es nicht wissen konnten, es war ihm, als müßten sie es längst erfahren haben, als hielte nur Teilnahmlosigkeit sie ab, ihm beizustehen. Die Trostlosigkeit malte ihm, was er dachte, in verrenkten, übernatürlichen Gestalten. Jede, auch die kleinste Empfindung, schwoll ihm zum Ungeheuerlichen an; die Gedanken überstürzten sich in seinem Hirn, wie ein Rudel losgelassener Hunde zerfleischten sie ihn und fraßen an seiner Seele. War er denn wirklich gefangen? Unmöglich! Er träumte bloß. Er rieb sich die Augen und starrte seine Hände an, er machte ein paar Schritte in dem engen Raum, warf sich in eine Ecke und hielt sich den Kopf mit beiden Händen zwischen den Knien fest, denn es war ihm, als müsse sein kreisender Schädel aus den Fugen brechen. Da reckte sich der Wahnsinn vor ihm auf, wie ein gigantisches, blutrotes, verzerrt lächelndes Gespenst! Er drückte die Augen zu –: »Fort! fort! ihr Bilder! was wollt ihr!« – Es war so still! Er tat einen Schrei, der lange in dem Metall des Kastens nachzitterte. Umsonst! Die fieberhafte Beengung legte sich bleiern auf seine Stirne, der Atem floh pfeifend aus seiner gequälten Brust; er fühlte, wie seine Augen zu bluten und sich aus den Lidern zu drängen begannen. Endlich zwang er sich zur Ruhe. Du mußt! was nützt diese Aufregung! Fasse dich, halte dir das Herz im zerspringenden Busen fest. Ringe wie ein Zwerg mit dem Riesen Wahnsinn – er muß unterliegen. Er verfiel auf den Gedanken, Stellen aus der Heiligen Schrift herzusagen, und dies Deklamieren ehrwürdiger Sprüche, tiefer Weisheit besänftigte ihn ein wenig. Myrrahs Bild stieg vor seiner Seele empor. Einen Augenblick hindurch vergaß er völlig, wo er sich befand; sein Herz schwoll auf; eine süße Wehmutstrunkenheit durchzog ihn; er konnte weinen. Diese Tränen! o welches Labsal sie für ihn waren, sie flößten ihm eine erhabene Ruhe ein, und sein trauriger Kerker erschien ihm wie sein Grab, in das man ihn gelegt, um ihn ausschlafen und träumen zu lassen. Allmählich ging diese ergebene Ruhe in Schlaf über, den zwar wilde Träume zu einem höchst unerquicklichen machten, der aber immerhin Schlaf war, süße Täuschung, ein Betrug, den der gepeinigte Geist sich selbst schafft. Ja, aber diese Träume! Er fühlte im Schlafe, daß er träumte. Stiehlt sich das tückische Schicksal sogar in unseren Schlaf, um uns zu martern? Mit einem Stöhnen erwachte er. Nun erst, denn es war Tag geworden, bemerkte er deutlicher wie gestern die Luft- und Lichtlöcher, die der Käfig rings an der Wand trug. Aber wie? Waren es gestern nicht sechs Löcher gewesen und jetzt waren es nur fünf? Und da stand auch neben ihm eine Schale mit Wasser nebst einem kleinen Brot! Wo kamen diese Gegenstände her? Es war nirgends eine verschiebbare Öffnung zu sehen. Sein Kerker fing ihm an geheimnisvoll zu werden. Wenn mir Speise gebracht wird, überlegte er, muß sich ein menschliches Wesen dem Gefängnis nähern, ich kann mich also auf jeden Fall mit diesem Überbringer des Brotes in Verbindung setzen, sobald er nahe genug an die Wand herangetreten. Vielleicht, daß dieser Mensch mehr Erbarmen fühlt, als sein Herr und mir einen Weg zum Entkommen öffnet, wenn ich ihm große Versprechungen mache. Menes trank hierauf von dem Wasser, zu essen vermochte er nicht. In trostloser Ergebenheit ward dieser Tag hingebrütet; er fühlte, wie lähmend dieses öde Nichtstun auf Geist und Körper wirkte. Dazu kam eine grenzenlose Abspannung aller seiner Kräfte, die ihm unaufhörlich bald kalten, bald glühenden Schweiß aus allen Poren trieb. Er sagte sich, daß, wenn sich seine Lage nicht bald ändere, er unrettbar völliger Geistesumnachtung anheimfiele, denn schon war er nicht mehr ganz Herr seiner Gedanken, schon begannen sich dunkle, unheimliche Schatten um sein inneres Auge zu legen. Er ertappte sich oft auf völlig sinnlosen Einfällen, unlogischen Gedankenverbindungen, und manchmal war es ihm, als müßte er sich vor sich selbst entsetzen. Wenn er sich so in seinem Käfig umblickte, überrieselte es ihn manchmal, als schüttete man einen Feuerregen über seinen Rücken, sein Gehirn krampfte sich zusammen, doch er kämpfte mannhaft dies vernichtende durchschauernde Angstgefühl nieder. Der Abend kam und er zwang sich, wach zu bleiben, um dem Geheimnis des Brotüberbringers auf die Spur zu kommen. Gegen Mitternacht hörte er ein leises Klingen.

Rasch fuhr er mit der Hand nach der Stelle, von wo ihm der Ton zu kommen schien; trotz der völligen Finsternis bemerkte er, wie ein kleines Türchen geöffnet ward, aus welchem eine Hand Brot und Wasserschale in den Käfig schob.

»Erbarmen! Erbarmen!« schrie er mit Anstrengung aller seiner Stimmkräfte, »rette mich, wer du auch sein magst; dein Lohn soll ein ungewöhnlicher sein.«

Die Türe fiel zu; man wollte ihn nicht hören. Zugleich knirschte es in allen Winkeln des Käfigs, als ob ihn ein Erdbeben erschüttert. Was bedeutet das? Diese Beobachtung raubte dem Unglücklichen alle Kraft, noch einmal zu rufen. Er wartete den Morgen zagend ab; eine furchtbare Entdeckung sollte sich ihm, als der erste Strahl der Sonne in seinen Sarg fiel, offenbaren – er bemerkte, daß von den fünf Luftlöchern, die ihm gestern Licht boten, nur noch vier vorhanden waren und – was sich ihm am schrecklichsten aufdrang, – daß sein Behälter sich von allen Seiten aus um zwei Fuß breit verkleinert hatte. Welch entsetzlicher Verdacht stieg in ihm auf! Er sah mit stieren Augen rings an den Wänden umher, er brach in Tränen der Wut und Entrüstung aus. Es war am Tage. Er konnte es sich nicht leugnen, diese unmenschlichen Eisenwände sanken auf irgendeine mit raffinierter Bosheit ausgedachte Weise, von außen in Bewegung gesetzt, jeden Tag mehr in sich zusammen. Das rätselhafte Knirschen, das er vernommen, war die Bewegung, das Rollen der mörderischen Maschine; er sollte bei lebendigem Leibe zerquetscht werden. Nahrung bot man ihm nur, um ihn lebendig einzusargen. Welche Aussicht! Daß man ihn töten wolle, davon war er überzeugt, das hatte er längst erkannt, daß aber der Mensch an der Qual des Menschen so tierische Befriedigung finden könne, das wagte er bisher nicht anzunehmen. Welchem Kopfe mußte dieser Plan entsprungen sein; wie konnten, wenn Götter lebten, sie solches Ungeheuerliche zulassen? Es begannen sich ihm von neuem die Gedanken zu verwirren, bis er schließlich gar nicht mehr fähig war, einen Gedanken zu fassen, eine Empfindung sich klarzumachen. Sein Geist war von der Vorstellung dieser erbärmlichen, unerhörten Todesart erdrückt, seine Seele wand sich wie ein zertretener Wurm unter dem Fußtritt der ehernen Notwendigkeit: zu dulden, zu leiden. »Und das muß ich mir von ihnen gefallen lassen, ich muß es lautlos tragen,« kam es manchmal traumartig über seine blassen Lippen. In lichten Augenblicken fluchte er allem, was da atmete, selbst von den Göttern wollte er nichts mehr wissen, sie schienen ihm von den Menschen geschnitzte, hohle Larven zu sein. Er wendete sich ab von dieser Welt, in der sich solche Ereignisse zutragen dürfen. Ja, selbst an Myrrah dachte er nur wie an ein täuschendes Luftgebilde, einen ausgeklungenen, süßen Ton; es begannen Zweifel in ihm aufzusteigen, ob sie überhaupt je gelebt, ob sie nicht vielleicht ihr Dasein nur seiner erhitzten Phantasie verdanke. Mit dumpfem Grauen erwartete er die folgende Nacht, die seinen Aufenthaltsort wieder um einige Fuß verkürzen, ihn noch sargartiger gestalten sollte. Als sich in dieser Nacht die Decke so weit herabsenkte, daß er nur sitzen konnte, wobei er sie mit dem Kopf berührte und er die Arme kaum mehr auszustrecken vermochte, rang er nach Bewußtlosigkeit. Er hätte den als Freund umarmt, der ihm einen Schlaftrunk gereicht, er wimmerte um Vergessen. Oh, könnte er sich doch töten, aber es fehlte ihm jede Waffe. Warum kann der Mensch nicht zu sich selbst sagen: Ich will sterben! und er fällt als Leiche zu Boden? Warum ist er zum Leben verdammt. Die Götter fesseln ihn herzlos an dies Dasein; er ist geboren, den Tod qualvoll zu erleiden, die Gewißheit desselben vor Augen zu haben. Er hatte, als sich das Brot hereinschob, gerufen – ebenso erfolglos, wie das erstemal. Nun kam die zweite Nacht langsam heran, noch eine und er war zermalmt. Oh, wäre diese Nacht schon da. Es wird dunkler in dem engen Behälter. Der Verlassene, dies Opfer mehr als tierischer Grausamkeit, liegt am Boden, den Kopf teilnahmlos herabgebeugt. Leicht ist's dem Weisen, erhaben zu sterben, wenn der Tod rasch, menschlich und schön an ihn herantritt, aber hier? Wer kann sich hier würdevoll auf die Schauer des Grabes vorbereiten, in diesem pressenden Sarg? Und dennoch wird Menes ruhiger, je näher das Furchtbare, Unaussprechliche an ihn herantritt. Es ist ja bald überstanden. Das Leben hat jeden Reiz verloren, es steht vor ihm wie ein magerer, ausgehungerter Sklave, den man mit einem Handwink entläßt. Geduldig erwartet er das metallene Knirschen des Kastens, das ihn um zwei Fuß enger schiebt, nur zuweilen steigt eine wilde Empfindung in ihm auf, als müsse er, die Eisenplatten auseinandersprengend, sich Luft machen. Er überwindet die Anfalle von Verzweiflung jedoch, indem er sich selbst laut Trost zuspricht, sich ermahnt und tadelt. Er will würdig sterben. Stirbt er doch für den König im Triumph der höchsten Pflichterfüllung. Das begeistert ihn, er kommt sich selbst größer vor, eine edle Trauer breitet sich über seine ermattenden Züge. Kommt der peinliche Augenblick immer noch nicht? Krachen die Dielen nicht? Er lauscht ergeben und stemmt die Ellbogen an die Wände. So verrinnt Minute auf Minute; das Luftloch verdunkelt sich, es wird Nacht. »Armer König, dein Schicksal wird noch trauriger sein als das meine,« flüstert er noch einmal seufzend vor sich hin, dann überfällt ein dumpfer Schlummer seinen Geist. Da läßt sich ein leises Krachen dicht neben ihm vernehmen, er fährt empor, er atmet schwer auf; sein Auge rollt kraß an den Wänden seines Kerkers empor, denn jetzt naht es; der letzte Augenblick naht. »O ihr Götter!« schreit der Erbarmungswürdige »steht mir bei!« Ein dumpfes Rollen, dem ein heftiger Knall folgt, betäubt sein Ohr; er fühlt, wie die Wände aneinanderrücken, wie die Decke sinkt. »Gnade!« kreischt er auf im Wahn, der hartherzige Maschinist würde ihn vernehmen. Darauf schwindet ihm glücklicherweise die Besinnung; er hat nur noch die dunkle Vorstellung davon, als ob ihn die sinkende Decke an die Schläfe getroffen, und als ob er samt dem ganzen Behälter in die Tiefe hinabglitte. Ein ohrzerreißendes Dröhnen, wie von zerbrochenen Ketten, Rollen und Stangen raubt ihm den letzten Rest von Bewußtsein.


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