Wilhelm Walloth
Das Schatzhaus des Königs
Wilhelm Walloth

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Zweiter Teil

Erstes Kapitel

Im Parke der reichen Witwe Asso steht ein kleiner tempelartiger Bau, um dessen Dach breite Sykomoren rauschen, die das Silber des Mondes, das auf ihren Blättern ruht, herniederträufeln in die Spalten, die Gesimse und Fenster des zierlichen Häuschens. Rings um dasselbe zieht sich dichtes Gebüsch, welches sich auffallenderweise, trotz der vollkommenen Windstille unaufhörlich bewegt. Bald blinkt es in seinem finsteren Geäst hell auf, bald glaubt man, es sei lebendig geworden und werde nächstens davoneilen. Zuweilen fällt greller Fackelschimmer auf die Wand des Pavillons, dann liegt er wieder völlig im Dunkeln. Zuweilen knirscht der Kies unter der Wucht eines Schrittes, bald verstummt jedes Geräusch in der Umgebung des Hauses. Auch aus den Fensterläden des Tempels blitzt es manchmal; die aufgescheuchten Nachtvögel und Schmetterlinge umkreisen ängstlich seinen bemalten First und setzen sich auf den Katzenkopf der kleinen Sechetstatue, die sich an den rechten Türposten lehnt, und die verwundert ihr schwarzes Gesicht in die Nacht hinausstreckt. Sieht sie nicht die kleine schwarze Sechet, wie sich eine dunkle Gestalt bis an die Türe schleicht? Die Gestalt legt das Ohr dicht an die Bretter, winkt einmal nach dem Gebüsch zurück, in welchem ein weißer Mantel auftaucht und zieht sich sodann wieder auf den Zehen zurück. Was hat das zu bedeuten? fragt sich die schwarze Sechet, aber ihre Marmorarme liegen fest auf ihrer Brust, sie kann sie nicht erheben, um an die Türe zu pochen; sie kann nicht, was sie vielleicht gerne täte, ihre Stimme erheben, um den Bewohnern des Tempels, ihren Schützlingen, ein warnendes Zeichen zu geben. Denn, während die Umgebung des Gartenhäuschens unheimlich im gedämpften Glanze der Fackeln erzittert, bergen sich in seinem Inneren zwei Glückliche, die keine Ahnung haben von dem, was sich um sie her bereitet. In dem reich ausgestatteten Gemach sehen wir auf einem von goldenen Füßen getragenen Ruhelager, eine blasse, zarte Mädchengestalt, zu deren Füßen ein junger Mann auf kostbar eingelegtem Schemel sitzt, die Hände des Mädchens von Zeit zu Zeit innig an seine Lippen drückend. Er hält einen Stift in den Fingern und versucht die Züge des Mädchens auf eine Papyrusrolle zu zeichnen, wobei er erst auf das Mädchen, dann auf das Blatt schaut, auf dem sich Linie an Linie reiht. Auf dem runden, farbenstrahlenden Tische aus edelm Holz brennt eine zierliche Lampe; die Wände des kleinen Gemachs sind teils vergoldet, teils bemalt; von der Decke herab hüllen assyrische Teppiche die Fenster und geben dem ganzen Raum eine behagliche Stimmung. Niedliche Glasgefäße glänzen in den Nischen, und die grüne Statue der Isis thront vor einem kleinen Zimmeraltar. Der junge Mann hält mit seiner Arbeit inne, da das Mädchen ihr Gesicht plötzlich abwendet.

»Zeichne mich nicht,« bittet sie, »ich bin nicht schön genug dazu.«

Sauft nimmt sie ihm Stift und Blatt aus den Fingern, errötend ihr Bild betrachtend.

»Es mag ähnlich sein,« fährt sie fort, »aber ich kann mich nicht selbst betrachten ohne Abscheu. Lege es weg.«

»Ich hätte so gerne deine Züge aufbewahrt,« entgegnet ihr der Jüngling mild.

Sie schüttelt den Kopf wehmütig lächelnd.

»Das taugt nicht,« flüstert sie.

»Warum?«

»Es kommt nur vor wie ein Unrecht gegen den Schöpfer, ihm nachmachen zu wollen, was er so viel schöner geschaffen,« spricht sie mit gesenkter Stirne.

»Mir graut immer, wenn ich Bilder sehe. Eure Gemälde in den Tempeln kann ich nie betrachten ohne Angst. Mir ist dann, als hätte der Maler Wesen geschaffen, die leben möchten und doch nicht leben können. Mich dauern immer die armen gemalten Menschen oft so sehr, daß ich um sie weinen könnte.«

»Du gute Seele,« lächelte der Jüngling.

»Ja, ja!« fährt sie heiterer fort, »als Kind betete ich stets für die gemalten Menschen euerer Tempel. Einmal brachte ich ihnen von meinem Brot, aber sie wollten es nicht annehmen, sondern sahen mich so starr an, daß ich zitternd davonlief.«

»Wie ist dir,« fragt nun der junge Mann zärtlich, »du siehst zwar noch blaß aus, doch scheinst du kräftiger zu sein?«

Er reicht ihr hierauf einen Becher, an dessen weingerötetem Rand sie nippt.

»Mir ist wohl,« flüstert das Mädchen, in welchem wir nun, da sie sich ein wenig in die Höhe setzt, Myrrah erkennen, »mir ist wohl! denn bist du nicht so freundlich gegen mich? Pflegst du mich nicht seit jener schrecklichen Stunde, wo du mich aus den Händen jenes Abscheulichen befreitest, mit wahrhaft mütterlicher Sorgfalt? Eigenhändig trägst du mir Speisen herzu, hältst mich, die Gefahr nicht achtend, hier versteckt in diesem Hause und gibst dir unsägliche Mühe, meinen trüben Geist zu erheitern.«

»Was mir, hoffe ich, gelungen ist?« fragt Menes.

»Ja! ich habe nun den Schrecken überwunden,« sagt Myrrah, indem noch immer ein Schauder ihren schönen Leib überrieselt, wenn sie an das nächtliche Abenteuer denkt.

»Nie mehr,« entgegnet ihr Menes, »will ich dich an diese häßliche Geschichte erinnern, Myrrah. Wir wollen sie vergessen, denn zwei Tage lang lagst du, obgleich dein Körper unverletzt war, zwei Tage lang lagst du in Fieberphantasien hier auf diesem Polster, so sehr griff dieses widrige Ereignis deine zarte Seele an.«

»Es war eine furchtbare halbe Stunde, die ich durchlebte,« flüstert Myrrah, »aber du hast recht, schweigen wir davon.«

Dennoch war dies Ereignis die Begründung von Menes' Glück, denn seine rasch eingreifende Hilfe füllte das Gemüt des Mädchens mit so reicher Dankbarkeit an, daß von diesem Augenblick alle ihre Bedenken schwanden, die sie bisher ihren Freund meiden hießen; sie liebte ihn, sie lernte seine edle Aufopferungsfähigkeit kennen, und als er nun gar sich mit liebenswürdiger Unbeholfenheit zu ihrem Krankenpfleger gemacht, glaubte sie in ihm einen Menschen zu besitzen, wie er nicht zum zweiten Male auf diesem Erdboden gefunden wird. Wie mußte sie oft trotz ihrer Schwäche lächeln, wenn er ihr die Kissen zurechtschob, oder mit edler Schamhaftigkeit sie, die Kranke, anfaßte, um ihr das Sitzen zu erleichtern. Wie lieblich stand seinen männlichen Zügen diese weibliche Verlegenheit, wie strenge wußte er oft seine aufglühende Empfindung zu dämpfen, wenn er sie in den Armen hielt, wie sehr ehrte sie dieses charaktervolle Entsagen.

Nach einigem Schweigen nötigte Menes das Mädchen, von dem Antilopenfleisch zu kosten, das er ihr gebracht. Myrrah lehnte ab und sagte ganz leise: »Menes, ich denke mit Schmerzen an die Stunde, in der wir uns trennen müssen, aber sie ist nahe herangekommen; länger kann ich deine, für dich so gefahrvolle Gastfreundschaft nicht in Anspruch nehmen; dieser Tempel hat mich lange genug beschützt, bedenke, wie leicht er uns einst verraten könnte. Du selbst gestandest mir, daß du mehrmals des Nachts verdächtige Gestalten um die Anhöhe schleichen sahst; man ahnt vielleicht schon im Palast deiner Mutter, daß hier nicht alles so steht, wie es sollte – und dann bin ich jetzt kräftig genug, um wieder an meine Arbeit gehen zu können.«

Menes beruhigte ihre Angst; er versicherte ihr, seine Mutter glaube, durch seine Reden getäuscht, er gäbe sich hier, in diesem abgelegenen Tempel, fremdem Gottesdienste hin; diese seine unschuldige Heuchelei verehre jeden Eintritt und lasse sie völlig ungestört.

»Halt! Hörst du nichts?« rief plötzlich Myrrah.

»Wo?«

»Draußen vor der Türe?«

»Nein.«

»Mir war, als hörte ich den Kies knirschen.«

»Es wird der Wind gewesen sein,« beruhigte Menes.

»Menes, ich halte es hier nicht länger aus,« sagte die furchtsame Myrrah. »Morgen mit dem ersten Strahl der Sonne kehre ich heimwärts. Ich will dir nicht länger diese Last aufbürden, dich in Gefahr stürzen. Fast acht Tage schwebe ich deinetwegen in dieser Angst . . . aber höre nur! beim Himmel! das war ein menschlicher Fuß.«

»Unmöglich, Liebste!« sagte Menes lachend, »die Furcht läßt dich Geräusche vernehmen, die nicht sind. Meine Mutter ist längst zur Ruhe gegangen, der ganze Palast schläft wie ein Grab. Komm, lege dein niedliches Haupt an meine Wange und laß uns träumen von seliger Zukunft. Dieser Tempel war, erzählt man, von je der Liebe geweiht; unsere Voreltern sollen darin der Astarte geopfert haben, und ich will es gerne glauben, denn ich fühle noch ihre bestrickenden Weihrauchdünste wehen, die sich in den Tapeten festgesetzt. Auch erzählt man, König Seti habe, als er einst bei meinem Vater gewohnt, hier in diesem Tempel eine Jüdin heimlicherweise geliebt.«

Als Menes nun auf die Zukunft zu sprechen kam, wollte Myrrah hiervon nichts wissen. Auch der leiseste Gedanke an ihre Zukunft erweckte ihr Grauen. Sie fühlte, daß eine Ehe zwischen ihr und Menes so unmöglich sei, als wenn man die Pyramide des Cheops durch ihren Ohrring hätte drängen wollen.

»Eher,« sprach sie mit aufgeregter, zitternder Stimme, »eher wird die Lybische Wüste ein See, als uns deine Götter das Glück der Vereinigung bereiten.«

Menes wendete verschiedenes ein, auch von Flucht sprach er. Nach Äthiopien wollten sie entfliehen, sich in den Bergwerken verbergen, oder sie wollten eine Oase in der Wüste aufsuchen, um dort von der Welt geschieden zu leben wie zwei Vögel. Myrrah, weniger schwärmerischen Sinnes als Menes, wies ihm die Unmöglichkeit des Fluchtversuches nach.

»Nein,« sprach sie leise, »schweige mir von solchen Träumereien; unser Glück besteht darin, daß wir mit einander unglücklich sein dürfen. Das ist das einzige, was uns das Schicksal erlaubt, mein süßer Freund.«

Sie fiel ihm um den Hals, während sie unter Tränen schluchzte: »Oh, warum mußte es soweit zwischen uns kommen. Warum folgte ich dir hierher, warum rettetest du mich, als es mein Wille war, dem Leben zu entsagen, aus dem Rachen des Krokodils. Und doch! wenn ich dir ins Auge schaue, wenn ich am Klopfen deines warmen Herzens fühle, wie du mich liebst, o! dann muß ich mir doch gestehen, daß es noch ein Glück für mich gibt, daß deine Liebe die Bitterkeit meines Schicksals versüßt und meinem Leben einen Wert verleiht – ja! ich will leben und leiden um deinetwillen.«

Menes beugte sich in unendlicher Ergriffenheit über das schmerztrunkene Mädchen, die Worte versagten ihm, er vermochte ihr nur durch Streicheln, Küsse und Liebkosungen anzudeuten, daß er alles Weh, das er über sie gebracht, mit ihr teilen wollte, daß er keinen anderen Gedanken im Herzen trage, als sich ihrem Dienste zu weihen, mit derselben Begeisterung, wie sich ein junger Priester seinem Gotte weiht. Myrrah sank endlich ermattet auf ihr Lager zurück, ihr Schmerz löste sich in weiche Wehmut auf, sie sprach nur noch davon, wie sie ihn unglücklich gemacht, da er die elende Jüdin liebe, und häufte Schmähungen auf sich selbst. Eben wollte Menes ihr sagen, daß sie ihn beleidige, wenn sie behaupte, er habe sein Herz an einen (wie sie sich selbst nenne) unwürdigen Gegenstand gehängt, als ein Geräusch, das auch ihn aufschreckte, die Stille des Gemaches unterbrach.

»Sagte ich es nicht,« flüsterte die bebende Myrrah, »wir sind belauscht. O Jehova, schütze uns.«

»Stille,« hauchte Menes, »laß uns horchen.«

Leise ward am Riegel der Tür geschoben, er klirrte.

»Es ist, wie ich sagte,« lispelte das Mädchen im Tone der Verzweiflung, »wir sind verloren.«

Menes' Gedanken begannen sich bei dieser Entdeckung zu verwirren, er starrte nach der Tür, als sollte ihm von dort ein Geist erscheinen; erst das barsche Wort: »Aufgemacht!« welches in das Gemach gerufen wurde, flößte wieder Leben in den Versteinerten. Er eilte an das Fenster, nach vieler Mühe gelang es ihm, dasselbe zu öffnen; schwarze, hinhuschende Gestalten, blutroter Fackelglanz, das Gemurmel vieler Stimmen belehrten ihn, daß hier kein Ausweg sei. Nun wurden Werkzeuge an das Schloß gelegt, er erkannte deutlich die befehlende Stimme seiner Mutter, eine Stimme so schneidig, so hart, daß er unwillkürlich nach der armen, in ihre Tücher gehüllten Myrrah blicken mußte, denn es war ihm, als könne dieser lieblose Ton dies zarte Herz durchbohren. Welch einem Auftritt sah er entgegen! Er hätte Tränen des Ingrimms weinen mögen, obgleich er sich vorkam, wie ein ungezogenes Kind, das Strafe verdient hat und das nun vor der Geißel seines Meisters steht. Er hatte den herabgefallenen Fenstervorhang über Myrrah ausgebreitet, kaum aber war ihm klar geworden, welche klägliche Rolle er, sobald sich die Türe öffnete, spielen mußte, so stieg ein lebhaftes Trotzgefühl in ihm auf, mit einem entschiedenen Ruck befreite er Myrrah von der Umhüllung.

»Nein,« rief er, »sie soll mich nicht gleich einem Verbrecher, der sein Verbrechen verbergen möchte, vor sich zittern sehen.«

Sein für gewöhnlich so zaghafter Charakter konnte in entscheidenden Momenten eine ungewöhnliche, fast übertriebene Festigkeit annehmen. Er blickte mit düsterem Trotz nach der Türe, die unter den Axtschlägen seiner Feinde erbebte.

»Hast du eine Ahnung davon,« frug er seine Geliebte, »wer uns verraten hat?«

Diese jedoch vermochte nicht mehr zu reden, sie klammerte sich zitternd am Arm ihres Freundes fest. Die Türe erknirschte, keine Minute lang konnte sie mehr widerstehen. Mit pochenden Schläfen saß der Verratene da und sah die Türe zusammensinken, ihm war zumute, als könne er alle seine Verfolger mit dem Blitz seines Auges niederwerfen.

»Laß sie kommen, mein Kind,« sagte er, »wen soll ich fürchten? Doch meine Mutter nicht? Und wenn ich sie fürchten muß, nun, so soll auch sie mich fürchten lernen, denn ihr Sohn verantwortet, was er getan, und opfert mit Freuden die Liebe seiner Mutter, wenn er die deinige dafür gewinnen kann. O, so ist's recht! schlagt zu, ihr Äxte. Ich benutze diese Gelegenheit mit Freuden, meiner Mutter zu zeigen, wen sie eigentlich zum Sohne hat und wie weit ihre Herrschaft über mein Leben geht.«

Kaum hatte er die Worte gesprochen, so fiel prasselnd die Türe ins Zimmer. An der Türe erschien alsbald Rebekka, mit schlauem Gesicht auf das Paar deutend und wieder in der Dunkelheit verschwindend. Menes hatte der Tür absichtlich den Rücken gekehrt, er saß so stille, so sicher, als kümmere ihn der Überfall nicht und als gälte er einem anderen. Eine Hand, die sich schwer auf seine Schulter legte, veranlaßte ihn, den Kopf zu heben. Er stand langsam auf.

»Du, liebe Mutter?« sprach er höflich, »nimm dir einen Stuhl, setze dich nieder.«

Mit diesen Worten stellte er einen Stuhl neben Asso, die keines Wortes mächtig, mit verglasten Augen, bald Menes, bald die schluchzende Myrrah ansah.

»Bitte, nimm Platz,« wiederholte Menes mit erzwungener Gleichgültigkeit, während seine Mutter, durch das ernste, gefaßte Benehmen ihres Sohnes völlig in Verwirrung gesetzt, vergeblich danach rang, die Wut, die Entrüstung, die in ihr kochte, durch Worte zum Ausdruck zu bringen.

»Du erstaunst, liebe Mutter? Nicht doch! Das solltest du nicht. Ich bin dir Aufklärung schuldig und will nun offen sein. Höre mich also an! Vorerst vernimm, wer jenes Mädchen, das du hier bei mir siehst, ist, und unter welchen Umständen ich sie in meinen Schutz genommen.«

Nachdem Menes, scheinbar völlig gefaßt, einige Diener zurückgewiesen, die sich in die Tür gedrängt hatten, um Zeuge des Auftrittes zu sein, begann er ruhig seine Erzählung. Er hob besonders hervor, daß Myrrah ihm einst das Leben gerettet, und gab deutlich zu verstehen, daß er sie liebe, auch entschuldigte er seine Heimlichkeit nicht, ließ aber durchblicken, daß ihm nicht viel daran gelegen sei, wie dieselbe von seiner Mutter aufgefaßt wurde. Es war das erstemal, daß Menes in Gegenwart seiner Mutter zeigte, er habe einen eigenen Willen; noch niemals hatte er mit solcher Sicherheit geredet, noch nie so fest seine Rechte verteidigt. Dies imponierte der Frau! Sie fühlte etwas von der Geistesüberlegenheit des Mannes über das Weib, einen Augenblick war sie in der Tat von dem entschiedenen Benehmen des Jünglings eingeschüchtert.

»Du bist in kurzer Zeit zum Manne gereift,« sagte sie verlegen.

»Du hast recht,« erwiderte er, »die Liebe hat mein Gemüt gekräftigt. Ich überschaue die Welt von einem höheren Standpunkt aus und weiß auch nun, wie weit die Rechte eines jeden gehen.«

»Du willst mir, wie es scheint, das Recht verweigern, in dieser deiner Angelegenheit mitzureden – ist es so?«

»Es kommt darauf an, was du für Rechte geltend machst,« sagte er kalt.

»Und wenn ich nun deinen Schritt verwerfe?«

»Wer hindert dich daran, das zu tun?« sagte er lächelnd, »aber wer hindert mich daran, deine Verwerfung nicht zu beachten?«

Asso schoß einen bösen Blick auf ihren Sohn; sie fühlte, daß sie ihm gegenüber ziemlich machtlos dastand, desto heißer konzentrierte sich ihre Wut auf die Jüdin. Vielleicht wäre ihr Grimm nicht so rasch zum Ausbruch gekommen, wenn nicht Myrrah, der es unerträglich war, Mutter und Sohn in Feindschaft geraten zu sehen, aufgesprungen wäre, um sich der stolzen Dame zu Füßen zu werfen.

»Verzeihung,« weinte die Geängstigte, »ich bin eine Jüdin! Verzeihung, hohe Frau. Wenn Ihr die Mutter dieses Jünglings seid, werft Euren Groll auf mich, nicht auf sein schuldloses Haupt.«

Diese Worte gaben der Witwe ihre Fassung zurück; die Übermacht der in ihrem Busen aufgespeicherten Entrüstung ließ sie die Gegenwart ihres Sohnes völlig vergessen. Sie schleuderte einen Zornblick auf Myrrah, drängte die Arme der Flehenden zurück, die sich um ihre Knie schlingen wollten, und brach in ein konvulsivisches Gelächter aus.

»Rebekka hatte also dennoch recht? Das also ist die Göttin, der er in diesem Tempel zu Füßen liegt? Das also ist die Schlange, die ihn verführt,« preßte sie hervor, »die ihn abhalten will, dereinst mit Rang und Würde geziert seiner Mutter Ehre zu machen? Diese ist es, die alle meine Pläne mit dem Hauch ihres verfluchten Mundes zerbläst?«

Dann holte sie tief Atem, betrachtete die vor ihr Kniende mit höhnischen Blicken und stieß sie mit dem Fuße zurück, während Menes blaß, mit brennenden Augen der Entwicklung dieser Szene folgte, bis jetzt nicht fähig, tätigen Anteil daran zu nehmen.

»Liebe Kleine, wie gelang es dir, den Vogel in dein Netz zu locken?« kreischte die Rasende. »Tatest du spröde? Weintest du ihm täglich vor? Oder entzückte ihn deine Keckheit? Hat er dir versprochen, dich zum Weibe zu nehmen?«

»Hohe Frau, habt Geduld mit mir, ich will Euch alles sagen –« weinte sie.

»Ich frage, ob er dir versprochen hat, dich zum Weibe zu nehmen?«

»Gebieterin – ich habe –«

»Ich will Antwort!«

»O Menes, hilf mir – sie tötet mich –«

»Hat er dir das versprochen?«

»Er hat es – jedoch –«

»Er hat es? Ha! also er hat es wirklich? Sehr gut,« lachte nun Asso auf, ohne auf die Nähe dessen zu achten, von dem sie redete. »Soweit ging der Schwärmer? Der Knabe? Ich weiß in der Tat nicht, ob ich über diesen Einfall lachen oder ob ich dich und ihn ernsthaft zur Rechenschaft ziehen soll! Ich glaube fast, zwei Wahnsinnige vor mir zu sehen, mit welchen man Nachsicht haben muß.«

Menes hielt mit Gewalt an sich. Er preßte die Faust aufs Herz.

»Er hat es mir versprochen, hohe Frau, mich zu seinem Weibe zu nehmen,« sagte nun Myrrah mit etwas festerem Tone, »aber nie, nie werde ich eine solche Ehe annehmen. Ich weiß, daß ich sein Weib unmöglich werden kann! Ich weiß, daß es meine Abstammung verhindert, daß es überhaupt alle Umstände verbieten. Nie stand mein Wunsch so hoch, ihn zu besitzen, aber wenn Ihr mich fragt, ob ich ihn geliebt, dann muß ich sagen: Ja! sofern ich die Wahrheit sagen will! Und darin, hohe Frau, darin, daß ich ihn liebte, werdet Ihr doch wohl keine Schande für Eure Familie erblicken. Lebt wohl, hohe Frau! Lebe wohl, Menes! Ich verlasse diesen Ort und meide euch beide auf immer. Menes, nimm meinen innersten Dank für deine opferwillige Freundschaft, für den schönen, aber unmöglichen Plan, den du gehegt hast. Ich gehe, und mit mir weicht hoffentlich der Gegenstand der Zwietracht aus eurem Hause. Folge mir niemand nach!«

Sie ergriff mit zuckender Heftigkeit ihr Tuch, um sich zu entfernen, aber sie hatte noch nicht die Türe erreicht, als sie in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrach, und mit den gestammelten Worten: »Alles vorbei –« sank sie, den Kopf an den Türpfosten gelehnt, langsam zu Boden.

Soweit hatte sich Menes beherrscht, als er jedoch sein geliebtes Wesen so von Schmerz übermannt sah, kehrte er sich entrüstet zu seiner Mutter.

»Da sieh her, Erbarmungslose, was du getan,« rief er. »Steh' auf, gutes Kind. Sie soll dir nichts anhaben, solange ich in deiner Nähe bin! Stehe auf! Ich werde, ob sie gleich meine Mutter ist, nicht dulden, daß sie dich beleidigt.«

Asso erkämpfte ein Lächeln, das jedoch einem Grinsen der Wut täuschend ähnlich sah.

»Fängst du an,« sagte sie, »ihr beizustehen? Natürlich! Der eine Rebell unterstützt den anderen. Ich erinnere dich daran, daß ich die Herrin des Hauses bin und daß mir Mittel zu Gebote stehen, meinen Willen durchzusetzen.«

»Wenn dir an der Liebe deines Sohnes nur soviel gelegen ist, wie an der Liebe deines Haushundes,« entgegnete Menes, »so wirst du diese Mittel nicht in Anwendung bringen, sondern dich mit ihm in Ruhe zu verständigen suchen.«

»Mit einem Rasenden verständigen? Dein Verstand scheint bereits in eine solche Verwirrung geraten zu sein, daß ich kein Wort mehr mit dir zu reden vermag. Übrigens, wenn du von meiner Mutterliebe sprichst, so erkenne sie darin, daß ich dir dieses Mädchen zu entziehen suche.«

»Du verstehst weder mich,« erwiderte Menes, »noch dieses Mädchen.«

»Und du gehst wirklich mit der Absicht um, sie zu deinem Weibe zu machen?«

»Es ist mein fester Wille!«

Asso besann sich einen Augenblick, indem sie ihrem Sohne prüfend in die Augen sah.

»Menes, sei nicht töricht,« entgegnete ihm darauf Asso mit einer Milde, über deren Plötzlichkeit er erstaunte. »Lasse dich nicht betören von einer gewandten Gauklerin. Ich kenne ihre Tränen und ihre Edelmutsphrasen; ich kenne dergleichen Weiber, deren Reden du für bares Gold nimmst, indes es elendes Blei ist. Mein guter Sohn, es tut mir leid, dir die Augen öffnen zu müssen, damit du nicht, einem gaukelnden Phantom nachjagend, in den Abgrund stürzest. Um aller Götter willen, hüte deine rasche Phantasie vor den Reizen solcher Weiber; sie richten dich zugrunde, denn, während du treuherzig eine Oase zu betreten glaubst, stehst du plötzlich einsam in der glühenden Wüste. Sei nicht wie der Nil, teile nicht deine Gaben so ohne Unterschied jedem lächelnden Gesichte aus, sondern prüfe, wähle sorgsam.«

»Und wenn ich nun geprüft hätte?« frug Menes.

Er sah seiner Mutter forschend ins Auge; der sanfte Ton, den sie angenommen, tat ihm wohl. Er fühlte, wie er weich ward; daran, daß sie heucheln konnte, dachte der Offenherzige nicht.

»Folge mir, mein Sohn, laß dies Mädchen ziehen,« fuhr Asso fort, »hänge dein edles Herz nicht an eine Unwürdige.«

»Mutter,« entgegnete ihr der Sohn, »du scheinst zu glauben, ich sei das Opfer niedriger Heuchelei geworden?«

»Das glaube ich.«

»Ich danke dir für die sorgliche Überwachung meines Lebensweges, jedoch muß ich dich bitten, nicht eher zu urteilen, als bis du geprüft hast. Ich schwöre dir, daß in diesem Judenmädchen kein unedler Tropfen Blut fließt. Mir ward Gelegenheit, ihr Herz zu durchschauen. Du bist im Irrtum.«

Asso lächelte schlau. Dann frug sie:

»Willst du mir erlauben, einen kleinen Versuch mit dieser Dirne anzustellen, der dich rasch bekehren wird?«

Ohne die Antwort des erstaunten Jünglings abzuwarten, streifte sie einen kostbaren Schmuck von ihrer Brust und hielt ihn, der wohl einem Landgut an Wert glich, der Jüdin vor die Augen.

»Ich biete dir diesen Schmuck von großem Werte an, Jüdin,« sagte sie, »wenn du meinem Sohne offen die Wahrheit sagst. Ganz offen – verstehst du mich? Höflichkeit wäre in diesem Falle Heuchelei!«

»Was soll ich ihm sagen?« frug Myrrah verwundert.

»Sage ihm, du warst ein einfältiger Leichtgläubiger, den ich am Narrenseil führte. Ich liebe dich nicht! – sage ihm das, und dein ist dieser Schmuck, der dich für immer der Nahrungssorge entreißt.«

»Gib acht, Menes,« setzte sie hinzu, »nun sinkt die Schminke.«

Jedoch Myrrah schwieg. Ein Ausdruck innerster Entrüstung überflog ihre Züge, sie blickte der Dame groß ins Auge.

»Ah!« rief Asso lachend, »nun legen wir die Großmutsmiene an. Du glaubst uns über deinen Charakter täuschen zu können, indem du Edelsinn heuchelst. Nun, so werden wir zu anderen Mitteln greifen. Höre! Du erhältst sogleich hundert Geißelhiebe, wenn du nicht augenblicklich eingestehst, du habest meinen Sohn verführt, um ihm Gold abzulocken! Gestehe also!«

Asso klatschte in die Hände; sofort erschienen zwei schwarze Sklaven an der Türe.

»Reißt dieses Mädchen vom Boden auf,« befahl sie, »und peitscht sie! Gib acht! Menes, wie rasch sie aus anderem Tone reden wird.«

Es trat eine Pause ein. Die Sklaven ordneten grinsend ihre Geißelriemen, Menes starrte in sprachloser Überraschung seine Mutter an.

»Gestehe,« herrschte Asso, »ich halte mein Wort. Du siehst dich in meine Hände gegeben. Ein offenes Geständnis kann dich retten.«

Menes trat mechanisch einen Schritt vor und stammelte einige Worte. Seine Mutter lächelte ihm beschwichtigend zu und forderte die zitternde Myrrah von neuem auf, zu gestehen.

»Jehova ist mein Zeuge,« hauchte diese, »daß mir niedrige Absicht fremd war – geißelt mich!«

»Greift zu, Sklaven,« sagte Asso ungerührt, »beim ersten Hieb wird sie gestehen, was ich wünsche. Dergleichen Weiber bringt nur körperlicher Schmerz zur Vernunft.«

Schon erhoben die hinzugetretenen Sklaven die Stäbe über dem Haupte der Unglücklichen, schon senkte diese ergeben ihren schönen Nacken. Da konnte sich Menes nicht länger beherrschen. Ein kräftiger Stoß warf den ersten Herangekommenen zu Boden. Dann schritt er mit entschlossener Miene so dicht vor seine Mutter, daß diese unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.

»Mutter,« preßte er dumpf hervor, »beim großen Sonnengott beschwöre ich dich, reize meine Geduld nicht länger. Ich bin dein Sohn und habe dir seither stets gehorcht, hier aber gebietet mir die Pflicht und das Gefühl für Menschenrecht, deiner Hartherzigkeit Einhalt zu tun. Wenn du aus Liebe zu mir solche Grausamkeit begehen willst, muß ich dir versichern, daß ich alsdann deine Liebe herzlich gern entbehre, deine Liebe, von der ich bis zu diesem Augenblick eben nicht viel zu sagen weiß. Kein Gott und kein Mensch wagt Hand an dieses Kind zu legen, und nimmst du deinen unmenschlichen Befehl nicht sogleich zurück, so vergesse ich, wen ich vor mir habe.«

Diese entschlossenen Worte trieben der Mutter eine Blässe auf die Wangen, von der man nicht sagen könnte, ob sie Furcht oder Wut bedeutete. Nach einigem Zögern winkte sie den Sklaven, abzulassen. Gleich darauf zwang sie ihren Zügen ein mühsames Lächeln ab.

»Du weißt, mein Sohn,« begann sie schüchtern, »daß ich keinen anderen Wunsch im Herzen nähre, als dich glücklich und mächtig zu sehen. Diesem Wunsch schreibe es zu, wenn ich im Augenblick mich zu einer allerdings unschönen Handlung hinreißen ließ.«

Menes atmete auf.

»Es freut mich,« sagte er, »daß du dich selbst richtig beurteilst.«

Man sah nun ihren Zügen an, wie sie bestrebt waren, einen immer zutraulicheren Ausdruck anzunehmen. Sie schien das eben Vorgefallene als einen kleinen Scherz hinstellen zu wollen, und gab zu verstehen, daß sie die Prüfung des Mädchens nicht bis zu tatsächlicher Körperstrafe fortgesetzt haben würde.

Mitunter jedoch entfuhr ihrem freundlichen Auge ein versteckter Zornblick, der alle ihre schönen Worte, ihre glatten Bewegungen Lüge strafte.

»Möglich, daß ich mich täusche, mein Kind,« sprach alsdann die korpulente Dame mit gewinnender Liebenswürdigkeit, ihre Hand auf ihres Sohnes Arm legend. »Dies Mädchen ist vielleicht nicht so schlimm von Charakter, als ich argwöhnte; vielleicht sogar besitzt sie alle Tugenden, welche du an ihr wahrnimmst, ich gebe es freudig zu. Jedoch mußt du mir erlauben, noch so lange einen gelinden Zweifel zu hegen, bis ich durch eine mehrmonatliche Beobachtung auch mein Herz von den Tugenden überzeugt habe, die das deine an diesem Mädchen entdeckt. Diese Zweifel, hoffe ich, werden bald zerstreut sein; jetzt bestehen sie freilich noch, aber, wenn du sicher auf den Charakter deiner Geliebten bauen kannst, so überlasse sie mir, ich will sie in die Schar meiner Dienerinnen aufnehmen. Stimmt das mit deinen Wünschen überein?«

Hierauf lächelte sie süß zu dem Jüngling empor, der keinen Augenblick an der Aufrichtigkeit ihres Rates zweifelte. Was sollte er befürchten? Konnte er nicht den Göttern danken, wenn Myrrah eine gute Versorgung erhielt? Und wenn sie die Probe bestand, war es nicht möglich, daß Asso dieses Verhältnis mit immer günstigeren Augen ansah? Daß sie schließlich, gerührt von der Liebenswürdigkeit des Mädchens, keinen Anstand mehr nahm, die Verbindung zu segnen?

»Du besinnst dich, mein Sohn?« frug die Witwe.

»Nein,« erwiderte er, »ich gebe meine Einwilligung. Dieser edle Entschluß zeigt mir dein mütterliches Herz, zeigt mir dein schönes Wohlwollen. Nichts wünsche ich sehnlicher, als daß du die Vorzüge dieses Mädchencharakters kennen lernen mögest, damit du dein Urteil so bald wie möglich änderst.«

»Wenn sie sich so zeigt,« flüsterte Asso, »wie du von ihr denkst, wollen wir sehen, was sich weiter tun läßt. Ich will ihr eine Mutter werden und euer Glück soll in mir kein Hindernis finden, jedoch –«

Menes hatte, als er diese Worte vernahm, seiner Mutter Hand ergriffen.

»Ja,« fuhr diese fort, »ich werde eurer Vereinigung alsdann nicht länger im Wege stehen, jedoch solange ich sie prüfe, deine kleine Braut, muß ich – ich bin es ihr schuldig – auch deine Liebe auf eine Probe stellen.«

»Das ist nicht mehr wie recht und billig,« sagte Menes, »sprich, gute Mutter! Ich scheue keine Prüfung, ich unterwerfe mich einer jeden, die du mir auferlegst.«

»Habt ihr euch beide,« fuhr Asso fort, »längere Zeit nicht gesehen, so werdet ihr über euere Neigung am klarsten werden. Die Zeit ist der beste Prüfstein der Liebe; ihr müßt euch trennen, um, seid ihr euch treu geblieben, euch desto inniger zu vereinigen. Während ich Myrrah als meine Tochter im Hause behalte, fordere ich von dir, Menes, daß du deinem Berufe nachgehst. Dir winken bereits die Ehrenstellen am Hofe des Königs, und erst gestern erhielt ich einen Brief des Oberkämmerers, worin er um eine Audienz für dich bei Ramses nachsuchen will. Es ist Zeit, daß du die Staffel betrittst, die dich auf den Posten deines verstorbenen Vaters geleitet, du kannst nicht mehr länger in Memphis müßig wandeln, das fühlst du selbst.«

Mit Ungeduld hing das Auge der Witwe, nachdem sie also gesprochen, an den Zügen ihres Sohnes, der träumerisch zu Boden sah. Ohne Zweifel war sie aufs äußerste gespannt, was er auf diese ihre Forderung erwidern werde, denn sie wechselte mehrmals die Farbe und wischte sich den Schweiß hastig von der Stirne. Als Menes immer noch schwieg, verdüsterten sich ihre Blicke immer mehr, erst als er plötzlich zusammenzuckte und ihr groß in die Augen sah, versuchte sie wieder ihr eigenartiges Lächeln.

»Nun, Menes,« sagte sie, »ich wünsche deine Meinung zu hören. Bist du so schwach, dich nicht von Myrrah trennen zu können, die du doch in guten Händen weißt! Sieh nur, dein Mädchen besitzt mehr Mut wie du.«

Myrrah war vom Boden, auf dem sie bis jetzt gekauert, aufgestanden; ihre Züge drückten die beängstigendste Unruhe aus; auch sie wartete mit bebender Spannung auf die Antwort ihres Menes. Dieser richtete sich nun an seine Geliebte.

»Was soll ich tun, Myrrah?« frug er. »Gib du mir deinen Rat zu hören.«

»Wie?« rief Asso, »ein Mann fordert, den Rat eines unerfahrenen Kindes zu hören? Hast du keine eigenen Entschlüsse? Hängst du von fremdem Willen ab?«

»Ich frage dich, Myrrah,« sagte Menes, »noch einmal, soll ich gehen? Dich verlassen? Du schüttelst traurig dein liebes Haupt? Aber dennoch werde ich es müssen. Meiner Mutter kann ich nicht unrecht geben, sie meint es gut mit mir und, wenn ich ihrem Wunsche folge, erzeige ich mir selbst den größten Dienst.«

Er trat zu der Erblassenden heran.

»Du bist stark genug, die Prüfungszeit, die wir uns beide auferlegen müssen, geduldig zu ertragen,« sagte er, sie umschlingend, »komme, tritt zu der Frau, die dein Wohl und das meine zu fördern versprochen, reiche ihr die Hand. Sie hat durch ihr rasches Handeln einen ungünstigen Eindruck auf dich gemacht, jedoch sie kann auch weich und gut sein, wie du bemerkst. Sieh! sie lächelt dich freundlich an, sie will dich zu ihrer Tochter machen; fasse Zutrauen zu der, die ich achten und verehren muß. Sie ist nicht so, wie sie sich dir anfangs zeigte.«

Asso faßte die Hand der Widerstrebenden.

»Mein Kind,« sagte sie mit sanfter Würde, »von deinem Benehmen wird es abhängen, ob ich dich lieben lernen kann. An mir soll es nicht fehlen, ich werde mir Mühe geben, mich an dich zu gewöhnen. Sei heiter, denn deiner harren glückliche Tage.«

Da Myrrah regungslos mit niedergeschlagenen Augen dastand, wendete sich die Witwe an Menes.

»Du siehst,« sagte sie, »meinen guten Willen, mir dies Herz zu gewinnen; es ist nicht meine Schuld, wenn sie meine Liebe abweist.«

»Gönne ihr einige Tage Ruhe und Überlegung,« entgegnete Menes, »ich bin davon überzeugt, daß sie sich an dich anschließen wird. Noch zittert der Schrecken dieser Überraschung in ihrer Seele nach; wenn sich der Sturm gelegt, wird sie klarer einsehen, welche Wohltat sie durch dich genießt. Überlasse sie nur meinem Troste.«

Asso wandte sich zum Gehen, ihr Auge glänzte wie das eines sieghaften Feldherrn. Hatte sie es doch erreicht, was sie wünschte, ihren Sohn diesem tatlosen Leben entrissen und einem ruhmvolleren entgegengeführt zu haben.

Menes pries sich glücklich, daß die Dinge, die so ernst begonnen, eine so schöne, hoffnungerweckende Wendung genommen hatten; der Sturm, der drohend herangebraust war, löste sich nun in milden Duft auf; er hatte, wie er sich sagte, das Herz seiner Mutter besiegt; auch nicht die leiseste Wolke des Argwohns trübte den Horizont seines Glückes. Die Zukunft glänzte vor seinem Blick wie die Landschaft nach der Überschwemmung des Nil; die kurze Trennung von der Geliebten diente ja nur der Seligkeit zur Würze, und da diese Trennung unvermeidlich war, wie gut, daß er nun wenigstens Myrrah zufrieden im Arm des Reichtums wußte. Auch Myrrah, die sich anfangs unter Tränen dagegen sträubte, die Dienerin einer solchen Frau zu werden, gab schließlich den sanften Vorstellungen ihres Geliebten Raum und erklärte ihm, daß sie willenlos, was er von ihr wünsche, tun werde, daß sie jedoch gegen Asso eine unüberwindliche Abneigung gefaßt. Sie beschwor ihn, nicht jedem Worte seiner Mutter Vertrauen zu schenken, sie riet ihm zu prüfen, zu beobachten; Menes jedoch wies fast mit Entrüstung die Zweifel zurück, die das Mädchen in die Offenheit Assos setzte. Er tadelte ihr Mißtrauen und versicherte, seine Mutter ließe sich zwar leicht hinreißen, jedoch sei ihr Charakter höchst achtbar und unantastbar.

»Ich habe dich gewarnt,« entgegnete Myrrah, »mehr kann ich nicht tun. Jedoch ich werde, auch wenn er mir Unheil bringen sollte, deinem Befehl folgen und will mich befleißigen, deiner Mutter zu gefallen. Sie soll nie über mich zu klagen haben.«

Hierauf verfügten sich alle nach dem Palast zurück, Asso leutselig plaudernd an ihres Sohnes Seite wandelnd, Myrrah schweigsam und Rebekka den Dreien im Tanzschritte singend vorauseilend.

* * *

Von diesem Tage an hatte sich Menes nicht mehr über seine Mutter zu beklagen. Obgleich sie seine Zusammenkünfte mit dem Mädchen überwachen und dieselben öfter unterbrechen ließ, war doch ihr Betragen tadellos, behandelte sie die Geliebte ihres Sohnes mit der Achtung, die einer solchen gebührte. Menes ließ es nicht an Dankbarkeit fehlen; man hätte scherzweise sagen können, er verwandelte sich in den Geliebten seiner Mutter, mit soviel Höflichkeit trug er ihr den Sonnenschirm nach, mit soviel Galanterie bot er ihr bei Tafel die Schüsseln. Die Mutter ging auf seinen Scherz ein, nahm das galante Betragen einer viel umworbenen Hofdame an und wußte, graziös wie in ihren jungen Tagen, mit dem Palmblattfächer ihres Verehrers Schulter zu schlagen. Der vertrauungsvolle Jüngling wußte sich die oft nachdenklichen Falten der mütterlichen Stirne nicht zu deuten, seine Menschenkenntnis reichte nicht aus, um hinter der glatten Freundlichkeit dieser Weltdame das ewig arbeitende Herz der Intrigantin schlagen zu hören, und so lebte er in kindlicher Unbefangenheit dahin, im Wahne, seine Mutter füge sich seiner Autorität, während es sich gerade umgekehrt verhielt. Von seiner Abreise war bis jetzt nicht weiter die Rede gewesen; er schien ein Gespräch hierüber zu meiden.

Eines Tages jedoch, als er durch die unteren Räume des Hauses schritt, um daselbst nach den Bruchstücken einiger alten Papyrusrollen zu suchen, fielen seine Blicke auf zwei bis obenhin mit prächtigen Gewändern angefüllte Reisekisten. Er beachtete dieselben nicht weiter, sondern schritt, nachdem er die Rollen vergebens gesucht, in das Gemach seiner Mutter, sie in heiterem Tone fragend: ob sie vorhabe, zu verreisen. Asso ergriff die Gelegenheit, sich über den Nutzen, welchen das Reisen einem unerfahrenen Menschen bringen könne, zu verbreiten, schilderte in lebhaften Farben eine Fahrt auf dem Nil, malte die Pracht Thebens und ließ vor ihres Sohnes Augen den Palast des Königs erstehen. Ein junger Mann, der noch nie seine Heimat verlassen, sagte sie, sei wie ein Schwert, welches noch nie aus der Scheide gezogen wurde, beide seien in gewissem Sinne verächtlich. Da Menes, der wohl fühlen mochte, worauf seine Mutter es abgesehen hatte, einen hastigen Blick durchs Fenster warf, als empfände auch er den allen Jünglingen eigenen Drang, in die Ferne zu schweifen, schritt Asso energischer auf ihr Ziel los.

»Möchtest du reisen, möchtest du reisen?« frug sie, ihn erregt beobachtend.

Menes seufzte auf. Sollte er reisen? Er kam so schwer zu einem Entschluß. Seine Phantasie, durch die Beschreibungen der Mutter entzündet, schwelgte bereits in der Ferne. Er sah sich in der Wüste von brennendem Sand umwirbelt, er sah sich auf den Wellen des Nil, vorübergleitend an herrlichen Baudenkmalen; eine verzehrende Neugier, die Geheimnisse Meröes zu entschleiern, kam über ihn, die seltsame freudige Erregung der Reiselust füllte ihm die Brust. Vor dieser Reiselust mußte sogar die Liebe zurücktreten; war es doch so süß, in der Ferne an die Geliebte zu denken, zu wissen: wenn du wieder nach Hause kehrst, empfangen dich offene Arme. Asso wußte ihren errungenen Vorteil klug zu benutzen, und als nun Myrrah mit niedergeschlagenen Augen in das Gemach trat, bemächtigte sie sich derselben sogleich, küßte und streichelte ihre Wangen, kurz, gab auf alle Weise zu verstehen, in welch guten Händen das Mädchen während Menes' Abwesenheit ruhte. Und dennoch konnte sich der Jüngling nicht entschließen, das Haus seiner Mutter zu verlassen; von einem Tag auf den anderen verschob er die Abreise; es war, als flüstere ihm sein guter Dämon Warnungen ins Ohr, über deren Rätsel zu brüten er nicht Zeit genug finden konnte. Wie oft hatte er sich gesagt: Der kommende Morgen sieht dich nicht mehr in Memphis! Aber ein zaghafter Blick aus Myrrahs Gazellenaugen brachte stets seine Entschlüsse wieder zum Wanken.

* * *

Asso mochte Gründe haben, ihren Sohn nicht zur Abreise zu drängen, sie vermied selbst allzuviel Gewicht auf die Beschleunigung derselben zu legen. Menes war ein zuvorkommender Sohn, wie ihn sich eine Mutter nur wünschen kann. Er trug Asso auf den Händen, war stets um sie beschäftigt, half ihr sogar beim Ankleiden und unterstützte seine Myrrah in ihren häuslichen Beschäftigungen, in welche sie allmählich eingeweiht wurde, da sie ihr Amt bereits angetreten. Das Verhältnis von Mutter und Sohn schien sich gänzlich umgewandelt zu haben, Scherz und Lachen trat an die Stelle der früheren verdrossenen Schweigsamkeit. Menes bezeugte seine Dankbarkeit in tausend Kleinigkeiten, ja er ließ sich sogar dazu herab, das ihm verhaßte Brettspiel zu erlernen, das seine Mutter allabendlich meist mit dem Nomarchen spielte, und brachte es in kurzer Zeit dahin, fast regelmäßig den Sieg davonzutragen, was Asso zu der Bemerkung veranlaßt: er habe ein entschiedenes Talent zum Feldherrn. Sogar an den Geruch einer gewissen Blume, den Asso über alles liebte, gewöhnte er sich, obgleich er ihm fast Übelkeit erregte. Er hatte indes seine Mutter im Verdacht, daß sie nur deshalb diesen Duft jedem anderen vorzog, weil ihn der verstorbene König Seti für den feinsten erklärt. Auch über den Stuhl, auf welchem dieser König gesessen, da er das Haus Assos mit seinem Besuche beehrt, und der wie ein Heiligtum aufbewahrt wurde, erlaubte sich Menes keine Scherze mehr. Mehr denn fünfzigmal ließ er sich geduldig diesen Besuch des Königs schildern, da er wußte, wie sehr Asso diese Tage als den Glanzpunkt ihres Lebens betrachtete, ja er unterdrückte stets das aufsteigende Lächeln, wenn sie nicht ohne Stolz erwähnte, daß der Sohn der Sonne sich nicht satt an ihrem damals sehr niedlichen Fuße habe sehen können, und daß er seinem Bildhauer den Befehl gegeben, diesen Fuß in Gold nachzubilden. Über die mysteriöse Liebesgeschichte des Herrschers schwieg sie standhaft. Myrrahs Leben war, verglichen mit ihrem früheren, ein blühender Rosenbusch. Sie aß mit Menes und Asso an einem Tisch, was natürlich den Neid der Dienerschaft heftig hervorrief, sie brauchte nicht viel zu arbeiten, sie hatte ein bequemes Zimmer, und dennoch blieb sie schweigsam, verschlossen. Kaum, daß ihr Menes' Zärtlichkeit ein wehmütiges Lächeln entlockte. Wenn er sie über ihr Betragen zur Rede stellte, nahm sie zwar für kurze Zeit ihre heitere Miene wieder an, jedoch ihr Lachen klang so erzwungen, ihre Zärtlichkeitsbeweise waren so feierlicher, ernster Natur, daß Menes sie einst betroffen ansah, wähnend, er habe ihre Liebe verloren. Da jedoch, als er ihr dies sagte, brach sie in einen Strom von Tränen aus, sank vor ihm zu Boden und rief: »Menes, gedenke meiner, wenn du im Königspalast zu Theben wandelst!«

Hierauf eilte sie hinweg. Es war klar, sie malte sich die Versuchungen aus, deren Menes am Hof zu Theben ausgesetzt sein würde und ihr liebendes Herz erbebte, wenn sie sich verglich mit den reichen Töchtern der vornehmen Königsbeamten. Menes eilte ihr erschrocken nach; auf seine Beteuerungen erwiderte sie nichts; Tränen waren ihre ganze Antwort. Wenige Tage später kam ein Schreiben des Oberkämmerers an, welches Menes nach Theben rief und ihm gute Aufnahme im Königspalast versprach. Als Asso ihrem Sohne diesen Brief vorlas, überwältigte ihn ein heftiges Zittern. Er war keiner von denen, welche die Zukunft leicht in zu rosigem Lichte erblicken; bange Vorgefühle stiegen in ihm auf und eine gewisse süße Beklommenheit bemächtigte sich seiner, wie sie der fühlt, der mit warmen Gliedern in einen kalten Strom springen will. Myrrahs Zukunft war gesichert – die seinige fröstelte ihn unheimlich an, wie der Eingang zu einem Felsengrab.


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