Wilhelm Walloth
Das Schatzhaus des Königs
Wilhelm Walloth

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Fünftes Kapitel

»Hast du die Laterne?« frug Rebekka.

»Ja!«

»Und den Dolch?«

»Ja.«

»So schließe die Türe und folge mir hinaus auf die Straße. Oder gib mir lieber die Laterne, damit ich sie unter meinem Mantel verberge.«

Isaak klappte den Metallschieber vor das Licht der Laterne. Beide Geschwister schlichen sich leise die Treppen des Hauses herab, öffneten das Tor und traten hinaus auf die dunkle Straße, um ihr gefahrvolles aber auch lohnendes Werk, das Auffinden des ihnen verheißenen, glückbringenden Schatzes zu unternehmen. Beiden mochte es nicht gerade behaglich zumute sein, als sie, prüfende Blicke um sich werfend, im Schatten der Häuser hinhuschten; jedenfalls aber war Rebekka um ein gut Teil gefaßter als Isaak, welcher seiner inneren Erregung durch fast pfeifendes Atemholen Luft machte. Lange sprachen sie kein Wort miteinander; Vorübergehenden wichen sie scheu aus dem Wege. Sie hatten den ebräischen Stadtteil durchwandert; es war nun ihre erste Aufgabe, die Kette der Schildwachen zu passieren, welche dieses Viertel umgab, denn noch immer war den Juden verboten, ihre Häuser zu verlassen. Zwar einer Tänzerin gegenüber, das wußte Rebekka, nahm man es mit diesem Gesetz nicht so genau, nur für die Sicherheit ihres Bruders war es ihr bange.

»Halte dich dicht an meiner Seite,« sagte das Mädchen auf einmal erschrocken, »dort sehe ich zwei Krieger stehen.«

Sie wichen in eine kleine Seitengasse aus; aber auch hier war der Durchgang erschwert, denn ein etwas größeres Fenster ebener Erde warf vor ihnen einen breiten Lichtstrom auf das Pflaster und hinter diesen Scheiben sahen sie mehrere, vielleicht acht wildaussehende, ägyptische Diener der öffentlichen Sicherheit um einen Tisch zechend versammelt. Wüstes Gelächter erscholl aus der Türe dieses Hauses.

»Wäre es nicht vielleicht besser,« begann Isaak zögernd, »wir kehrten für diesmal wieder um? Morgen ist eine Nacht so gut wie heute, – es war ohnehin tollkühn, daß ich deinem Rate folgte.«

»Rede nicht so furchtsam, Bruder!« entgegnete Rebekka, »du machst mich lachen. Wie oft soll ich dir sagen, daß heute die beste Nacht für unser Unternehmen ist, die wir finden können. Gestern zog der große Ramses durch unsere Stadt nach Theben, heute ist Nachfeier des Festes, d. h. jeder ehrliche Bürger und jeder tapfere Krieger hat heute sein wohlverdientes Kopfweh zu verschlafen, das ihm der feurige Wein von Kakem zugezogen. Wenn wir heute den Schatz nicht finden, finden wir ihn nie mehr.«

»Wer weiß, ob dieser Schatz,« flüsterte Isaak, »nicht schon längst nach Theben gebracht wurde. Mich sollte es wundern, wenn er noch im alten Schatzhause liegt. Unser Vater war jung, als er das Gewölbe bauen half; lange Zeit ist indes verflossen.«

»Einerlei, wir versuchen unser Glück,« riet die Dirne, »ich gebe die Schlacht noch lange nicht verloren.«

Nun schoben sich beide in gebückter Stellung unter dem hellen Fenster des Schenkhauses vorbei. Sei es, daß einer der trinkenden Krieger den Schatten der beiden am gegenüberstehenden Hause gewahrte, oder daß vielleicht Isaak nicht vorsichtig genug unter dem Fenster hinschlich, kurz, kaum hatten sich die Geschwister etwa zehn Schritte von der gefährlichen Stelle entfernt, als sie hinter sich lautes Rufen vernahmen.

»Dort hinaus flohen sie.«

»Nein, hierher!«

»Ich sehe sie am Ende der Straße! Ah! ein Weib dabei.«

»Laßt sie uns anhalten. Gewiß sind es Juden.« So tönte es hinter den Fliehenden nach, die ihre Schritte zu verdoppeln suchten. Vergebens suchten sie zu entkommen, ihr Davoneilen mehrte nur den Argwohn der Verfolger; Rebekka blieb deshalb stehen und erwartete, gewaltsam sich fassend, die Näherkommenden.

»Was wünscht ihr von uns?« sagte sie keck.

»Hört die trotzige Dirne,« schrie ein stämmiger Wagenlenker, »sie tut, als seien wir die Schuldigen. Doch hübsch scheinst du zu sein, du Kecke.«

Damit zog er ihr das Kopftuch zurück.

»Wohin!« riefen andere, »wohinaus! Was habt Ihr bei Nacht in den Straßen zu tun? Ah! eine Laterne, ein Seil, gewiß gehen sie auf Diebereien aus.«

»Ich bin Tänzerin,« sagte Rebekka furchtlos, während Isaak sich über die angstscheue Stirne fuhr, »wenn ich euch mit Tanz oder Harfenspiel aufwarten kann? Des Verdienstes halber seht ihr mich noch so spät durch die Straßen wandeln.«

»Tänzerin, Tänzerin!« jubelte der Haufen.

»Doch dein Geselle daneben an,« frug der Stämmige, »der da steht, als wolle er sich zur Mumie einwickeln lassen, was tut der bei dir?«

»Mein Bruder,« warf die Dirne hin, »er beschützt mich gegen rohe Angriffe.«

Alle lachten.

Rebekka ward nun im Triumph in die Schenke geführt, während Isaak ohne weitere Umstände in ein kleines Waschhaus, das im Hofe lag, gesperrt wurde. Vor die Türe des Hauses stellte man eine Wache, da dieselbe nur mittels eines Holzriegels von außen verschlossen werden konnte. Rebekka trat in die Wirtsstube ein. Ihr Geist weilte sorgenvoll bei dem eingeschlossenen Bruder, sie strengte ihre ganze Erfindungskraft an, um einen Weg ausfindig zu machen, der sie und ihren Bruder aus dieser mißlichen Lage zu befreien imstande wäre; doch durfte sie davon natürlich nichts merken lassen; sie lachte und schrie so ausgelassen fröhlich, daß selbst schärfere Beobachter, wie diese weinerhitzten Krieger nicht erraten haben würden, was in ihrem ruhelosen, beklommenen Busen vorging. Man gruppierte sich um die Tänzerin, welche, nachdem sie die Kleider abgelegt, in die Mitte des Saales trat. Allgemeiner Beifall wurde ihrem Tanze gezollt; als er zu Ende war, hörte sie, wie eine Harfenspielerin, die sie zuvor nicht bemerkt, laut sagte: »Tanzen könne die Jüdin wohl, aber so geschickt die Harfe schlagen wie sie, das müsse sie wohl unterlassen.«

Rebekka drehte sich um und gewahrte eine frech aussehende, nackte Dirne, die sich auf den Knien eines jungen Bogenschützen üppig wiegte. Der junge Bogenschütze küßte seine Schöne und bestätigte: »Ja! so trefflich die Harfe schlagen wie Rodopis könne niemand in Ägypten.«

Da blitzte es durch Rebekkas erfinderisches Haupt! Ihr Plan war gemacht – gleichgültig warf sie hin: »Das käme doch noch sehr darauf an, sie erlaube sich zu behaupten, daß auch sie die Harfe nicht übel schlüge.«

So bildeten sich zwei Parteien; die einen erklärten Rodopis für unübertrefflich, die anderen nahmen Rebekka in Schutz. Rebekka schürte diesen Wortwechsel durch geschickt hineingeschleuderte Witzworte, die wie Brandfackeln in die Herzen der Weinerhitzten zischten. Sie spielte schließlich geschickt die Beleidigte und brach sofort in einen Strom erheuchelter Tränen aus, der natürlich das Mitleid und die Entrüstung ihrer Partei mächtig erregte. Der junge Bogenschütze lachte und küßte seine Dirne, indem er rief, wer Rebekka beschütze, verstände nichts von der Kunst des Harfenspiels, seine Ohren seien taub, wie die der stummen Kolosse. Man solle doch Rebekkas Finger vergleichen mit denen der zarten Rodopis; hieße das nicht Nilpferdfüße vergleichen mit Lotosblumen? Sei Rodopis nicht schlank wie eine Papyrusstaude, wenn sie sich im Winde wiegt?

Die Gegner bestritten das heftig.

»Weine nicht,« sagte der stämmige Wagenlenker, »wer dich schmäht, hat es mit mir zu tun. Diesem jungen Hunde werfe ich meinen Weinbecher an den Schädel, wenn er noch einmal wagt, dich mit Nilpferdefüßen zu vergleichen. Hier, nimm die Harfe und spiele uns ein Lied.« Kaum hatte Rebekka einen Akkord gegriffen, so erhob ihre feindliche Partei einen solchen Lärm, pfiff und schrie dermaßen, daß von ihrem Trinklied nichts mehr zu hören war. Ihre Partei rief nun: »Ruhe! Stille! Spielen lassen! Zuhören!«

Vergebens! Als nun schließlich, da das Mädchen unbekümmert weiter sang, ein Becher in die Saiten der Harfe geschleudert wurde, erreichte der Grimm des stämmigen Wagenlenkers den höchsten Grad, er riß die Harfe aus den Händen seiner Freundin und drückte sie so gewaltsam über den Kopf des Bogenschützen, daß diesem der Rahmen des Instruments auf den Schultern saß und die zersprungenen Saiten um den Kopf rauschten. Das war das Signal zum Kampf. In einem Augenblicke hatte sich ein dichter Knäuel von Armen, Beinen, Stühlen und Tischen gebildet. Die Weingefäße flogen, geschleudert von nackten Armen, wie Bälle durch das Gemach, die Glasbecher zersplitterten an den kahlen Köpfen der Kämpfenden, Schwerter und Beile wurden herbeigeholt; der Fußboden färbte seine bunten Ornamente bereits mit Blut. Diesen Zeitpunkt benutzte die Jüdin. Sie schlich unbemerkt zur Türe hinaus, öffnete den Riegel zu Isaaks Kerker und gab diesem durch Winke zu verstehen, was vorgefallen war. Ihr Bruder, der den Lärm des Streites vernahm, begriff sofort; der Mann, der ihn bewachen sollte, hatte längst dem anziehenden Reiz eines Handgemenges nicht widerstehen können, so daß die beiden Geschwister unbeeinträchtigt auf die Straße gelangten, von wo sie schleunigst den Hafen der Stadt zu erreichen suchten, um allen Nachstellungen zu entgehen.

»Bist du unbeschädigt?« frug die Schwester.

»Völlig,« gab er zur Antwort.

Weiter ward zwischen ihnen dieser aufhaltende Zwischenfall nicht erwähnt, denn der Gedanke, ihrem großen Ziele immer näher zu kommen, verschlang jede Empfindung. Sie hatten den Hafen erreicht, in dessen stiller Flut die gewaltige Riesin Memphis ihre granitenen Füße wäscht. Die Schiffe hoben ihre Maste in die Nacht empor, die steinerne Treppe erhob sich majestätisch vor ihren Blicken, aber nur der Nachtwind und das Mondlicht huschten über ihre enormen Stufen; weit hinter ihnen verloren sich die zahllosen, wirr durcheinander geworfenen Dächer im Dunkel, von welchen einige sich in den Abgründen des Himmels zu verlieren schienen. Das eintönige Plätschern der Wellen an den Holzbäuchen der Schiffe unterbrach zuweilen melancholisch die tiefe, menschenleere Stille. Leise löste Isaak einen kleinen Kahn vom Ufer, schweigend bestiegen sie denselben. Da die Pforte des Schatzhauses, wie der Vater beschrieben hatte, über dem Spiegel des Nil lag, konnten sie nur auf diese Weise in das Innere dringen. Isaak führte behutsam die Ruder und so rauschten sie, ohne Worte zu wechseln, den Nil hinauf an den ungeheuren Tempeln, Palästen, Privatwohnungen und öffentlichen Gebäuden von Memphis vorbei, die sich mit stummer, finsterer Feierlichkeit in den mondbeglänzten Wellen beschauten. Gleich schlafenden Riesen saßen sie da, diese Säulenhallen, gleich versteinerten Göttern, die das Ende der Welt abwarten, um sich dann drohend zu erheben, die Menschheit zu vernichten. Bald hatten sie die Stadt hinter sich. Auf der einen Seite des Flusses traten die gelben Kalkberge, im Mondlicht gespenstisch schimmernd, hervor, mit ihren Zinken drohend in den Himmel greifend; auf der anderen Seite rauschte ein Akazienwald. Fernher aus dem Gebirge tönte heiseres Gebell der Schakale oder der einsame Schrei eines Raubvogels. Papyrusstauden drängten sich dicht in den Fluß herein; der Ruderschlag schreckte die Vögel, die sich darinnen niedergelassen, empor. Da legte Rebekka ihrem Bruder leise die Hand auf die Schulter und deutete, als dieser fragend empor sah, nach dem Süden. Dort über dem Palmenhain erhoben sich zwei dicke, schwarze, schief ansteigende Klumpen nebeneinander in den mattblauen Nachthimmel – es waren die Pylonen eines Palastes.

»Wir sind zur Stelle,« flüsterte Isaak, »eines dieser Ungetüme ist unser Schatzhaus.«

Der Kahn näherte sich dem ersten Palast, der zweite tauchte aus dichtem Gestrüpp auf und nun, nach wenigen Ruderschlägen, lag, umgeben von breitästigen Sykomoren, das Schatzhaus, ein finsterer Koloß, vor den beiden hocherregten Schiffern. Klopfenden Herzens betrachtete der arme Jude das Gebäude. Das also war der Ort, von wo ihm sein Glück kommen sollte? Diese schweigenden, geheimnisvollen Mauern bargen die Schätze, die sein Elend in ein blühendes Paradies verwandeln sollten? Er ließ das Ruder sinken, ein Gefühl wie Ehrfurcht und Schrecken hielt ihm die Sinne gefesselt. Auch Rebekka hielt den Atem an; dies massig aufragende Steinungeheuer, vom Mondlicht phantastisch überrieselt, machte selbst auf ihr im ganzen unempfindliches Gemüt einen Eindruck finsterer Erhabenheit. Eine Zeitlang sah sie, von Schauern überlaufen, empor, bis wo das breite, flache Dach scharf in den nachtblauen Himmel einschnitt. Doch nun galt es handeln. Ihr scharfer Blick suchte bereits ängstlich an der schief vor ihr aufgerollten Riesenwand, die mit bunten Gestalten und Hieroglyphen übersät war, das Bild des Gottes Sebek mit dem Krokodilhaupt. Isaak wachte nach und nach ebenfalls aus seinem Erstaunen auf; das Gebäude, das ihm anfangs wie ein großer Sarg erschienen war, betrachtete er allmählich mit nüchternen Blicken; er sah schließlich nur eine große Geldkiste in ihm. Sorgsam, die Papyrusstauden zurückdrängend mit dem Ruder, legte er an der Wand des Gebäudes an.

»Siehst du den Gott Sebek?« frug er leise.

»Nein, noch nicht.«

»Halt, jetzt tritt der Mond hinter dem Gipfel der Kalkberge hervor – jetzt werden wir genauer prüfen können. Aber wie stille es hier ist. Kein Lüftchen regt sich, keine Welle. Doch! eben streifte mich ein kühler Wind. Sieh doch, wie uns die Berge zuschauen, mir scheint, sie nicken uns zu! Mir schaudert.«

»Sei nicht so töricht,« ermahnte Rebekka, »betrachte die Dinge, wie sie sind, nicht, wie sie dir scheinen.«

Fernherüber säuselte das Schilf; dicht neben ihnen ließ sich ein leises Schlürfen, ein eigenes Rollen vernehmen.

»Was ist das?« frug Isaak.

Das Schilf knickte, Wogen rauschten auf.

»Halt!« flüsterte das Mädchen, »vielleicht nähert sich ein Boot, verbirg dich im Papyrus.«

Das Rauschen der Wogen kam näher, die beiden Abenteuerer drückten ihren Kahn in das Gestrüpp, jeden Augenblick gewärtig, von einem vorüberfahrenden Segler entdeckt zu werden. Nun erfüllte ein Pusten die Luft, wie es Isaak noch nicht vernommen, gleich darauf schwamm eine schwarze Masse träg auf den Wellen heran.

»Beruhige dich,« lachte Rebekka, »ein Nilpferd hat uns in Schrecken versetzt. Sieh, es hat uns bemerkt, es ändert seinen Weg.«

Isaak hob, erleichtert aufatmend, seine Augen zu dem Palast empor; der Mond beleuchtete nun mit grünlichem, wehmütigem Glanze die schiefe Wand desselben. Beide ließen die Blicke über das Gewirr von bunten Gestalten schweifen, das da vor ihnen in die Höhe tanzte. Sie suchten lange!

»Halt! Dort!« rief Rebekka endlich.

»Wo?«

»Gib mir das Ruder, ich geleite den Kahn bis vor das Bild.«

Der Papyrus krachte unter dem Bug des Kahnes, bald schmiegte sich derselbe fest an die Riesenwand des Hauses. Richtig! da saß der Gott auf dem Thron, in der Hand die Lotosblume, das Krokodilhaupt starr emporgerichtet. Ein unheimliches, lebloses Bild, das aber in diesem Augenblick unserem Freunde zu leben schien. Ihm war, als könne es ihn mit der rotbraunen Faust erwürgen, er schauderte davor zurück, wie vor einer lebendigen Leiche.

»Soll ich durch den Druck öffnen?« frug Isaak.

»Ja, nur zu!«

»Ich fürchte mich!«

»Dummheit! So laß mich aufdrücken.«

Aber selbst die Hand Rebekkas zitterte sichtbar, wie sie sich der Lotosblume näherte. Isaak beleuchtete nun mit seiner Laterne das Bild, und selbst Rebekka zuckte davor zurück, denn es schien ihr, als schaue es ihr drohend ins Auge. Ärgerlich über diese Schwäche legte sie endlich ihre Hand auf die weiße Lotosblume. Ein leises Knacken ward hörbar, diesem folgte ein metallenes Klingen, wie wenn zwei Schwerter aneinander hingleiten und nun sahen die beiden überrascht, wie sich unter dumpfem Dröhnen, das unheimlich in dem Gewölbe des Gebäudes nachhallte, das Bild des Gottes in die Mauer langsam zurückschob. Das Tor war also von Erz, nicht von Stein, seine Rollen und Federn waren trotz der langen Jahre, in welchen sie unbenutzt lagen, dennoch frisch, elastisch, wie am Tag ihres erstmaligen Gebrauchs – oder, frug sich der Schatzfinder besorgt: sollten zuweilen Beamte des Königs das Innere dieses Gebäudes betreten, die Kostbarkeiten zu überwachen? Hatte die Tadellosigkeit des Mechanismus hierin seinen Grund? – Vor den Blicken der beiden Schatzgräber lag nun ein völlig dunkler Gang. Als wolle er in die Unterwelt führen, als sähe der, der sich ihm anvertraut, nie wieder die Sonne, starrte sein schwarzer Rachen die beiden an; ein trockener, eisigkalter Hauch, der sie schaudern machte, wehte ihnen aus diesem Abgrund entgegen, wie der Atem aus dem Hals eines Pestkranken. Zögernd trat Isaak mit seiner Laterne, die glatten, regelmäßigen Wände beleuchtend, in diesen Gang ein, während seine Schwester den Kahn an einer Wurzel befestigte, die aus dem Gestein sprang, um dann ihrem Bruder zu folgen.

»Vergiß nicht, das Tor wieder zu schließen,« sagte sie.

»Ich rate, wir lassen es offen,« meinte Isaak, »wer weiß, mit welcher Schwierigkeit sein Öffnen verknüpft ist, wenn wir wieder zurück wollen.«

»Nein, es muß geschlossen werden,« bestimmte Rebekka, »wie leicht könnte uns das offene Tor einem vorüberfahrenden Boot verraten.«

Sie sah noch einmal scheuprüfenden Blickes den Nil ab- und aufwärts, ob sich kein menschliches Wesen blicken ließ; da aber die Wasserfläche still im Glanze des Mondes schlief, die Ruhe nur zuweilen vom säuselnden Schilfgestade unterbrochen wurde, zog sie die eiserne Türe aus der Mauer und drückte sie sorgfältig in das Schloß. Nun standen sie allein in dem ungeheuren Gemäuer; Nacht, Geheimnis ringsum, weit entfernt von jeder Hilfe, entrückt dem menschlichen Leben, in einer Welt, in welcher die Finsternis Königin ist, und das Schweigen sich mit dem Tod vermählt. Ein fröstelndes Grausen überlief beide, als sie nun weiter schritten, von einem Gang in den anderen, erst geradeaus, dann eine Treppe hinab, dann wieder auf ebener Erde, dann wieder hinauf, dann durch einen großen, mit wild dämonischen Gestalten ausgemalten Saal, dann durch eine Kammer.

Nach einer viertelstündigen Wanderung hielten sie in einem größeren Saale an, der von Säulen getragen, an den Wänden Jagden, Kriegszüge, Opfer in grellbunten Bildern zeigte. Sie mochten bereits tief unter der Erde angekommen sein, und noch immer kein Zeichen, daß sie sich dem ersehnten Schatze näherten. Die Laterne des jungen Mannes zeigte nur, wenn ihr Schimmer durch die dicke, schwere Finsternis, an den Riesenwänden ohnmächtig dahinhuschte, Säulen, Wandgemälde, ein paar Urnen oder auch eine einsame Steinbank, auf die sich noch nie jemand gesetzt. Die Ruhe des Grabes, die hier unten weilte, die schwarze Luft, die sich bleiern auf die Brust legte, die trostlose Einsamkeit, der groteske Totentanz der Bilder an den Wänden, versetzte die beiden Wanderer in einen Zustand von unheimlich fröstelnder Aufregung.

»Wir müssen weiter, Bruder,« flüsterte die Schwester, vor ihren eigenen Worten erschreckend, die ihr hohl, tonlos von der kaum erhellten Decke herabfielen, »dort sehe ich den Ausgang aus diesem Saal – sieh! eine kleine Türe, die in einen Gang führt! Rasch, daß wir zu Ende kommen. Nun, was stehst du? Ist dir bange?«

»Gar nicht!«

»Nun, so gehe voran!«

»Ja, was ist denn das für ein dunkler Flecken, der mich da umschwirrt?«

»Es wird eine Fledermaus sein, was kümmert's uns. Nur Mut, Isaak, bedenke, daß wir dicht vor dem unermeßlichsten Glück stehen.«

»Wenn er nur noch vorhanden ist, der Schatz? Ich fürchte, wir haben uns umsonst hierher bemüht; das geht so weiter, Schwester – Säle, Gänge, Hallen, Kammern – sieh nur! wie riesig unser Schatten da an der Wand hinschwebt.«

»Was geht dich dein Schatten an. Sieh dich nicht um.«

»Mich friert, daß mir die Zähne aneinanderschlagen. Es ist gar zu tot hier unten.«

»Sprich nicht soviel, du steckst mich an mit deiner Furcht. Nun, was stehst du plötzlich erbleichend still? Laß doch die Laterne nicht fallen, dann können wir bis zum Untergang der Welt hier hausen.«

Isaak war, die Haare zu Berge, atemlos, schlotternd an Arm und Bein, mit allen Anzeichen des Entsetzens stehen geblieben, als er eben einen Pfeilervorsprung umschritten.

»Sieh doch,« hauchte er, »sieh doch – –«

»Siehst du Gespenster?«

»Komm hierher – weh uns! Ein Mann dort – sieh! schnürt sich die Sandalen – was tun? . . .«

»Wie sagst du? Ein Mann hier unten –? Du rasest!«

Rebekka trat vor, prallte aber sogleich, gerade wie es Isaak begegnet, zurück. Was war das? Wirklich? Ein lebendes Wesen? Hier unten? Vielleicht ein Wächter? Sie nahm die Laterne zur Hand und trat mutig einen Schritt vor, ein lautes: Wer da! erschallen lassend, welches seltsam dumpfe Echos wachrief – richtig, da stand ein Mensch in gebückter Stellung – sie schlich auf den Zehen zur Seite, den Schein der Lampe nach dem Wesen richtend – kaum hatte sie dies getan, so stieß sie, zu Isaaks größtem Erstaunen, ein lautes Gelächter aus – das Wesen entpuppte sich als ein mit auffallend frischer, naturwahrer Farbe gemaltes Bild. Beide atmeten nach dieser Entdeckung auf und schritten weiter. Wieder hatten sie mehrere Hallen durchwandelt, wieder derselbe eintönige Anblick, dieselbe schauerliche Grabesruhe in dem unterirdischen Palast; endlos schienen sich diese öden Gemächer fortzusetzen in solchen schneckenartigen Windungen, daß sich zu dem Gefühl von Verlassenheit, das die Geschwister empfanden, noch die erschreckende Aussicht gesellte, sich schließlich in diesem Gewirr von Gängen und Treppen zu verirren, denn schon lag der Docht der Lampe bloß, schon war die größte Menge des Öles aufgebraucht. Und was beginnen, wenn die Lampe nicht mehr ausreichte, den Ausgang aufzusuchen? Diesen Gedanken drängten die beiden möglichst zurück; aber bald! rief es laut in ihrem Innern, sehr bald! mußte sich der verhängnisvolle Eingang zum Schatze zeigen, sonst – – weiter verboten sie sich, die Zukunft auszumalen.

Sie standen jetzt vor einem ungefähr fünfzehn Fuß breiten Schacht, der augenscheinlich gegraben war, um dem Dieb Einhalt zu gebieten oder ihn zu verschlingen, wenn er unvorsichtig den Fuß weiter setzte. Rebekka sah zu ihrem Bruder empor. Isaak blickte ratlos in die Finsternis hinab. War es vom Schicksal bestimmt, daß ihre Habsucht nicht befriedigt werden sollte? Hatte der Vater vielleicht im Fieberwahn sein Geständnis gemacht? War nie ein Schatz vorhanden gewesen? Oder war er wieder aus dem Hause entfernt worden? War dieser Schacht wirklich das Grab ihres Glückes, ihrer Hoffnung?

»O Vater, du sandtest uns in den Tod,« murmelte Isaak erzitternd. »Wir müssen umkehren, Schwester, hier ist nichts zu finden, als Grabesruhe und Steinwerk. Komm! Gehen wir schleunigst, ehe die Lampe erlöscht. Mir schwindelt der Kopf, meine Glieder sind von diesen anhaltenden Aufregungen wie gelähmt; kaum halte ich mich noch aufwärts.«

»O Gott unserer Väter, ist es dein Wille, uns zu verderben?« frug nun Rebekka mit verhaltenem Groll. »Nein, Isaak, ich überlebe diese Schmach, diese grausame Enttäuschung nicht, die der Vater über uns verhängt. O, ich möchte den verstorbenen König Seti im Grabe bespeien, daß er mit seinen Schätzen Versteck spielt. Betrogen sind wir, uns narrt ein Dämon. Zu was noch leben? Wie malte ich mir bereits aus, wie ich mich durch die Straßen von Memphis in prächtiger Sänfte tragen lassen wollte. Ich hatte bereits im Geist einen Anzug, feiner, als derjenige der Königin; weißt du, Isaak, ich meine den Anzug, der, dünn wie Spinngewebe, die weißen Glieder des Körpers so reizend durchschimmern läßt. Ich sah mich schon bedeckt mit Edelsteinen. Mein Halskragen glitzerte von Perlen, ich ließ mir von schönen Zofen Narden und köstliche Salben über den Leib gießen, ich triefte von duftenden Ölen, ich spielte mit den Herzen der ersten Männer des Reiches – ich! Oh! in diesen Schacht möcht' ich mich werfen, denn aus diesen glänzenden Luftgebilden wird niemals Wirklichkeit, und das ertrage ich nicht.«

Eben wollten sich beide zum Gehen wenden; Isaak hatte bereits den Ausgang erreicht, da leuchtete Rebekka, ohne zu wissen was sie tat, noch einmal in den Schacht hinunter.

»Nichts? Gar nichts?« rief sie höhnisch.

Doch was war das? Was schimmerte dort in halber Höhe in der entgegengesetzten Wand des Schachtes? Ist es ein Schild? Noch einmal taucht sie die Laterne in den Schlund. Es blinkt wie Metall. Sie ruft ihren Bruder, auch dieser gewahrt die Scheibe. Sie besprechen sich.

»Ich will's versuchen,« murmelt Isaak aufgeregt, und schnürt sich ein mitgebrachtes Seil um die Hüften, tritt an den Rand der Schlucht und läßt sich langsam am Seile hinunter, während seine Schwester das Ende des Seiles um den Fuß einer Steinbank schlingt. Nun kann er mit den Zehen die Scheibe erreichen, er stößt wider dieselbe, es tönt hohl. Er läßt sich weiter herab, er hat das Metall mit der Hand erfaßt; ihm gehen die Augen über, so sehr pulsiert das Blut in seinem Kopf. Ein Griff ragt aus der Wand hervor. Er faßt diesen Kupferring, reißt ihn nach oben, noch einmal, noch einmal und – o trunkene Wonne! – Schacht, Licht, die Schwester, alles wirbelt ihm kreisartig um die Sinne – die Metallscheibe gibt nach, eine schmale Öffnung wird sichtbar. Aber ist das auch wirklich der Eingang zum geheimen Schatz? Er kriecht in die Öffnung hinein. Die bebende Rebekka, die Laterne mit den Zähnen packend, läßt sich ebenfalls am Seile herab und kriecht dem auf einmal mutig gewordenen Bruder nach, weiter, immer weiter, ohne ein Wort zu sprechen, halb wahnsinnig vor Erwartung; der schmale Kanal erweitert sich, ein purpurner Vorhang schließt ihn ab, sie reißen den Verhüllenden auseinander – was wird sich jetzt zeigen? – Eine kahle Wand? Eine Tür? Nein! nichts von beiden – der Schimmer der Laterne wird tausendfach zurückgeworfen, so lebhaft zurückgeworfen, daß die Geschwister die Hände vor die Augen halten, denn ihnen ist, als sprühten tausend Blitze aus diesem Raum, der sich in seiner ganzen funkelnden Großartigkeit vor ihren erschrockenen Blicken auftut. Triumph! rufen sie dann aus einem Munde; ihre Erstarrung macht einer fieberhaften Hast Platz, denn er ist gefunden, der Saal des Glücks, sie stürzen in sein Inneres, sie treten auf seine kostbaren Teppiche, sie betasten seine goldenen Urnen, seine Schalen, seine prachtblitzenden Tapeten, sie werfen sich auf seine Polster, sie greifen mit zitternden Fingern in seine mit Goldringen bis an den Rand gefüllten Kisten; das Ziel ist erreicht, das ist der langersehnte Schatz. Wie die Kinder durcheilen nun die beiden Erwachsenen diese unterirdische Welt des Reichtums; jeder Gegenstand wird, ohne irgend etwas davon zu nehmen, neugierig befühlt; nur Rebekka, rascher ihrer selbst mächtig, eignet sich sofort eine prächtige Perlenhalskette an. Als Isaak allmählich aus seiner freudigen Trunkenheit erwacht, leuchtet er vorsichtig an den hohlen Wänden des Saales empor, wobei ihm vor allem die Regelmäßigkeit auffällt, mit der die Reichtümer auf elfenbeinernen Tischen verteilt liegen. Gerade, als sei Ramses soeben erst durch die engen, teppichbelegten Gassen gewandelt, welche den Saal von allen Seiten durchschneiden, um sich an der Pracht seiner Kostbarkeiten stolzen Auges zu weiden, liegen rings die Gewänder, stehen die geöffneten mit Ringen oder Skarabäen gefüllten Truhen, hängen funkelnde Halsketten von goldenen Gestellen und bauschen sich die buntgewirkten Purpurpolster auf reicheingelegten Sesseln. Von Staub, von Moder ist hier nichts zu bemerken, wohl aber gewahrt Rebekkas scharfes Auge in einer mit Goldstaub ausgefüllten Schüssel noch den Eindruck der Hand dessen, der vielleicht vor fünfzig Jahren darinnen gewühlt. Freudigen Blickes deutet Isaak auf ein goldenes Schreibzeug, auf das silberne Modell eines Schiffes; Rebekka kniet in trunkenem Entzücken vor einem Putztisch nieder, bedeckt mit goldenen Kämmen, Leuchtern, edelsteinbesetzten Nadeln. Da, mitten in diesem Rausch des Entzückens zuckt plötzlich die Lampe der Geschwister ersterbend auf. Die Schwester springt entsetzt hinzu, um den Docht tiefer in das kaum mehr sichtbare Tröpfchen Öl zu tauchen und so wenigstens für den Augenblick das Erlöschen zu verhindern. Isaak steht wie gelähmt und sieht dem Sterben der Flamme zu. Keine Rettung? Im Übermaß ihrer Freude haben sie vergessen, wie spärlich es um die Nahrung ihrer Lampe beschaffen war; sollen sie jetzt inmitten ihres Glückes, umgeben von dieser Pracht, aus der sie mit vollen Händen schöpfen dürfen, umkommen? Schon neigt sich der Docht langsam zur Seite, schon stößt die Flamme dicken Qualm aus, als Zeichen ihres Endes, da fällt das Auge des zitternden Mädchens auf einen an der Wand glänzenden, prächtigen Silberleuchter. Rasch entschlossen fliegt sie mit ihrer Laterne herzu und berührt auf gut Glück mit der Flamme den Docht des hohen Kandelabers. Wird er zünden? Wird vielleicht noch ein Tröpfchen Öl in seinem metallenen Bauch geblieben sein? Fünfzig lange Jahre stand er unberührt, es ist undenkbar, daß der Brennstoff noch Leuchtkraft besitzt – und dennoch. Der Docht fängt Feuer; sie sind gerettet; der ganze Hohlraum der Lampe ist mit gelbem Öle angefüllt, genug, um ein Jahr lang den Docht zu tränken. Diese Entdeckung, so freudig sie im Augenblick von den beiden begrüßt wird, erregt jedoch auch ihre Besorgnis, denn sie verrät, daß von Zeit zu Zeit Inspektionen über diese Reichtümer abgehalten werden. Also ist Vorsicht nötig. Im Umdrehen stößt Rebekka zufällig an eine kleine Schatulle, diese fällt zu Boden und leert ihren glitzernden Inhalt auf den Teppich aus. Perlen, Edelsteine sind es, die in reicher Menge über den Boden rieseln, wie die Tautropfen, die ein Busch im Morgenwind abschüttelt. Rebekka läßt diesen Glanz lächelnd durch ihre Finger gleiten, während Isaak seine Taschen mit goldenen Ringen füllt. Der Schein der Lampe erhellt nun den Saal bis zur Decke; er strahlt in seinem eigenen Goldglanz, im Schimmer seiner Edelsteine, seiner Gemälde und Teppiche, Urnen und Schüsseln, wie ein Zauberpalast, wie ein Glutmeer, wie der Ort, in welchem die Sonne in den flammenden Nil versank. Längere Zeit vergeht schweigend; die Geschwister suchen nach Laune und Bedürfnis unter den Kostbarkeiten, ihre brennenden Augen schweifen hastig über die herrlichen Gegenstände; bald wird ein Kleinod gewählt, bald wird ein anderes wieder weggeworfen; man könnte sie vergleichen mit zwei Spaziergängern, die im Felde Blumen suchen, wenn nicht der ungeduldige Eifer, die zitternde Hast, mit der sie ihr Werk betreiben, diesen Vergleich unstatthaft machte. Plötzlich stößt das Mädchen einen Schrei aus. Ihr Bruder eilt herzu, er sieht sie am Boden über der umgestürzten Schatulle knien und, eine Papyrusrolle in den Händen, eifrig lesen. Ein geheimes Schubfach des elfenbeinernen Kistchens liegt zerbrochen.

»Was hast du?« fragte er. »Lag dieser Papyrus in der Schatulle versteckt? Zeig' her!«

»Ist es möglich,« hört er die Schwester flüstern.

»Nun? Laß mich wissen, was dein Herz also in Schrecken versetzt. Du erbleichst? Deine Hände zittern? Das ist man an dir nicht gewohnt.«

»Sie – die Tochter des Königs?« murmelt die Schwester.

»Wer die Tochter des Königs? Welches Königs Tochter?«

»Lies! Hier, lies!« ruft nun Rebekka mit bebender Stimme. »Lies! wenn das Wahrheit ist, was da auf dieser Rolle steht, wenn wir nicht träumen, wenn dieser Name, der hier angegeben steht, einem noch lebenden Wesen angehört . . . Dann, Isaak, was dann tun? Ich weiß nicht, ob wir uns zu dem Besitz dieses Dokumentes Glück wünschen, oder ob wir vor Wut und Verdruß rasend werden sollen. Lies! So lies doch und starre nicht so furchtsam auf das Blatt.«

»Es sind Hieroglyphen, die ich nicht verstehe,« sagte Isaak.

»Nun, so höre.«

Darauf beginnt Rebekka folgendes Schreiben vorzulesen:

»Ich, Seti I., der Sohn der Sonne, geliebt von den Göttern, geliebt von den Menschen, bekenne durch diese Schrift, die ich in dieser Schatulle aufbewahre, daß ich während meiner letzten Regierungsjahre mit Rahel, der Jüdin, in einem nicht zu billigenden Verhältnis gelebt. Rahel, die Jüdin, hatte mein Herz umstrickt, ich hielt sie für wahr und ehrlich, sie aber schmiedete mit dem Oberpriester Amni einen Anschlag auf mein Leben, weshalb ich sie in die Goldbergwerke Äthiopiens schickte, damit sie dort ihr Verbrechen büße. Diesem Verhältnis entsprang eine Tochter mit Namen Myrrah, welcher ich in Liebe zugetan war, deren Spur mir jedoch nach dem Tode Rahels verloren ging. Jetzt auf dem Totenbette, wo ich diese Schrift verfasse, überkommt mich Sehnsucht nach diesem Kinde und ich beschwöre jeden, dem diese Rolle in die Hände fällt, dafür Sorge zu – –« Von hier ab wurden die Schriftzeichen völlig unleserlich; deutlich ließ sich erkennen, daß sich die Hand des sterbenden Königs vergeblich bemühte, Ordnung und Zusammenhang in seine Buchstaben zu bringen, nur sein Name stand kräftig am Ende des Bogens.

Schon als er den Namen: Myrrah! vernahm, war Isaak erblaßt. Rebekka sah ihn nach Beendigung dieses Schriftstückes fragend an:

»Glaubst du in der Tat . . .?« stammelte Isaak.

»Was?« frug sie barsch.

»Was? Nun, daß Myrrah – du weißt, was ich sagen will!«

»Die Tochter des Königs ist?« lachte die Jüdin höhnisch.

»Alles trifft zu.«

»Was trifft zu?« frug Isaak.

»Myrrah hat mir einst ihre Lebensschicksale erzählt,« flüsterte sie, »daraus geht mir hervor, daß die in der Rolle erwähnte Rahel, die Mutter Myrrahs, die Geliebte Setis I. war. Auch mit der Verschwörung und den Goldbergwerken hat es seine Richtigkeit.«

»Täuschst du dich nicht?«

»Nein!«

»Myrrah! eine Königstochter?« rief Rebekka neidvoll, »der Gedanke ist mir unfaßbar. Die arme, schwache Myrrah unter dem Baldachin des Thrones geboren? Nein! das hätte ich mir nie träumen lassen, und wenn man mir zuvor einen wahnsinneinflößenden Schlaftrunk beigebracht.«

Rebekka durchwühlte noch einmal eifrig die Schatulle und zog gleich darauf ein kleines, auf Elfenbein gemaltes Bild aus ihrem Inneren. Sie wickelte das handgroße Elfenbeinblättchen aus seinen verhüllenden Leinwandbinden und hielt es dem erstaunten Bruder hin.

»Hat dies Gesicht keine Ähnlichkeit mit dem Myrrahs?« frug sie.

»Beim Himmel,« sagte er, »dieselbe Stirn und Nasenbildung; auch das eigentümlich Träumerische des Auges erkenne ich wieder.«

Beide saßen einige Augenblicke schweigend da. Es ließ sich jetzt nicht mehr daran zweifeln, daß Myrrah die Tochter des Königs war, und die Gewißheit erfüllte die beiden Finder des wichtigen Dokumentes mit Neid und Verdruß. Sobald dieses Schriftstück in die Hände des jetzt regierenden Königs oder eines seiner Beamten fiel, war Myrrah aus dem Staube ihrer Abkunft emporgehoben. Sie, die jetzt noch an den Ufern des Nil Blumen suchte, Kränze im Schweiß ihres Angesichts wand, tagelang in der glühenden Sonnenhitze an den Straßenecken ihre Ware feilbot, Schmach zu erdulden hatte, kaum ihre notwendigsten Bedürfnisse befriedigen konnte, sie wurde, sobald dies Dokument an das Licht der Sonne trat, wie mit einem Zauberschlage auf den Gipfel der Sterblichen gestellt. Wie glücklich war das Kind! Von selbst fiel ihm sein Glück in den Schoß.

»Wenn wir,« begann Rebekka leise, »wenn wir diese Rolle verbrennen, Isaak, wer ahnt die geheimnisvolle Verwandtschaft unserer Myrrah? Von dem Dasein dieser Rolle hat kein Sterblicher eine Ahnung in Ägypten und die Himmlischen pflegen zu schweigen auf ihren steinernen Stühlen. Wahrscheinlich wurde, da Seti sehr rasch starb, dies Testament, samt der Schatulle, in welcher es verborgen lag, hier im Schatzhause untergebracht, ohne daß es jemals ein Auge gelesen. Wir sind die alleinigen Wissenden; wenn diese Worte vernichtet werden, ist auch Myrrahs hohe Geburt vernichtet; sie ist, was auch wir sind, und Menes weiß nicht, wenn er ihren Mund küßt, daß er ein Königskind in den Armen hält, deren Liebe ein halbes Reich wert ist.«

Sie näherte das dünne Blatt der Lampe, um es auf ewig zu zerstören. Isaak aber hielt ihren Arm zurück.

»Halt,« rief er, »du kannst nicht wissen, wie uns diese Rolle einst zustatten kommen mag. Wer weiß, ob sie uns vielleicht später gute Dienste leisten wird, wenn wir uns bedroht sehen. Wir verbergen sie besser vor den Augen der Welt, dann ist sie gewissermaßen zerstört, kann aber von uns zu jeder Zeit benutzt werden.«

Rebekka fand diese Vorsicht gerechtfertigt und verbarg, nachdem sie noch einmal einen Blick darauf geworfen, die Rolle in ihrem Kleide.

»Danken wir dem günstigen Zufall,« sagte sie darauf heiter, »der uns dies Blatt in die Hände gespielt. Nun mag meine kleine Myrrah ihr Leben in Dürftigkeit zubringen, während wir im Reichtum schwelgen.«

»Wenn sie,« kicherte Isaak, »eine Ahnung hätte von dem königlichen Blut, das in ihren Adern rollt?«

»Oder wenn Menes diese Rolle entdeckt?« sagte Rebekka. »Nun, dafür, daß er sie nicht findet, soll gesorgt werden. Doch dies Dokument wird meinem Haß nur neue Nahrung geben, ich werde nicht aufhören, dies Königskind in Lumpen zu verfolgen. Ich nehme ihr sehr übel, daß ein König ihr das Leben gab; sie hat sehr unrecht an mir gehandelt, daß sie sich von einer königlichen Geliebten gebären ließ. Dies war ein Verbrechen und verdient strenge Strafe.«

Sie dachte dabei an Asso und den Plan, Myrrah mit ihrem Liebhaber zu überraschen. Asso hatte sich zwar in der letzten Zeit sonderbarerweise diesem Plane abgeneigt gezeigt, aber sie hoffte, die Witwe wieder für denselben zu gewinnen. Einige Augenblicke hindurch starrte sie, auf die Vernichtung ihrer verhaßten Nebenbuhlerin sinnend, in die bläuliche Flamme der Lampe, dann raffte sie hastig, wie aus einem finsteren Traume erwachend, ihre verschiedenen Kostbarkeiten zusammen, klopfte höhnisch lächelnd auf die Stelle ihrer Brust, an der sie das Testament des Königs verborgen und forderte Isaak auf, mit ihr das Schatzhaus zu verlassen, da der Morgen bereits seine purpurnen Flügel über Memphis erhoben haben mochte und sie vor Tagesanbruch wieder zu Hause sein mußten. Rasch packte auch Isaak seine Kleinodien in ein Bündel, füllte seine Kleider mit Gold an und trat, nachdem er seine Lampe an der des Schatzhauses getränkt hatte, den Rückweg an. Sie hatten Gänge und Säle lautlos durchschritten und standen wieder vor der Ausgangstüre. Sie wußten, daß sie dieselbe verschlossen hatten, aber sei es, daß dies nicht auf die richtige Art geschehen war, oder daß während ihres Eindringens ins Innere die Türe fester in das Schloß gefallen war, kurz, sie wollte sich trotz der vereinten Anstrengungen beider nicht mehr öffnen lassen. Rütteln, Schlagen und Ziehen half nichts, die Eisentüre blieb unbeweglich. Was tun? Beiden lief es eiskalt über den Rücken. Waren sie wirklich gefangen? Eingeschlossen in diesem Grab? Lebendige Mumien? Isaak riß sich an den vorspringenden Steinen die Nägel blutig und war nahe daran, in lautes Wehklagen auszubrechen, wenn nicht seine Schwester, allen ihren Mut zusammennehmend, ihm diese Schwäche untersagt hätte. Sie versuchte über diesen lästigen Aufenthalt zu scherzen, suchte ihn als eine Neckerei des Zufalls hinzustellen; ihre Blässe, ihr Zittern strafte jedoch ihre Heiterkeit Lügen. Isaak rüttelte nun wie ein Unsinniger an der Eisenplatte; das Echo gab ihm höhnende Antwort.

»Jehova! Jehova!« wimmerte er, mit dem Kopf an die Türe sinkend, »hilf deinen Kindern. Sprenge diese Wand, nur du vermagst es.«

»Behellige Jehova nicht mit solchen Kleinigkeiten,« versuchte Rebekka zu witzeln, »er hat Wichtigeres zu tun. Gehe! nimm die Laterne, eile noch einmal rasch zurück in den Saal, ergreife dort irgendein Instrument, mit dem sich die Stahlfeder der Türe, die ich durch diesen Spalt blinken sehe, zurückschieben läßt. Gehe, guter Bruder, und bekümmere dich nicht um den schnarchenden Jehova – wir sind selbst unser Jehova!«

Nach einigem Weigern entschloß sich Isaak, den Weg zurückzumachen. Rebekka wartete lange im Dunkeln; Minute auf Minute verrann; schon bereute sie, daß sie ihm nicht gefolgt. Die Dunkelheit umgab sie wie ein erdrückender Panzer, die Beklommenheit raubte ihr den Atem. Er kam immer noch nicht. Hatte er sich verirrt? War ihm ein Ungeahntes zugestoßen? Sie rief seinen Namen in die Nacht hinein – endlich glänzte ihr von weitem ein Licht entgegen. Das Licht kam näher, Isaak schwankte, ein Messer in den Händen haltend, heran. Dieses Messer setzte nun Rebekka in das Schlüsselloch, während Isaak sich gegen die Türe stemmte, sie zurückzudrängen. Endlich, endlich bewegte sie sich, langsam rollte sie in die Wand zurück. Sie waren erlöst aus den Banden des Todes, und da schaukelte sich auch zu ihren Füßen der geduldig harrende Kahn. Hastig sprangen sie hinein und ruderten heimwärts, denn schon glühten die gelben Kalkberge im Osten rötlichblaß, schon versank der Mond. Kühl blies der Wind; ein behagliches Schaudern überkam die Geschwister, sie streichelten zärtlich ihre mit Goldringen beladenen Säcke und malten sich bereits aus, was sie nun zuerst sich anzuschaffen benötigt wären. Fast gerieten sie in heiteren Streit über diesen Punkt, denn Rebekka strebte nach Schmuck, Isaak wollte eine schöne Wohnung gekauft wissen, womöglich eine Villa am Nil. Ihre Phantasie schwelgte in den üppigsten Bildern, sie wurden nicht satt, ihre künftige Haushaltung auszumalen, als sich aber die ersten Strahlen der Sonne glorienhaft über Memphis erhoben und Stadt und Fluß und Gebirg in diesem brennenden Sonnenkusse verschmolzen, küßten sich beide schweigend und gedachten des Vaters im dankbaren Herzen.

* * *

Am Morgen des folgenden Tages wurde Rebekka durch wiederholtes Rufen aus dem Schlafe gestört. Sie sah sich, prächtig angetan, auf dem ägyptischen Throne und verzehrte ebendaselbst eine Dattel, deren Überreste sie einem Priester an den kahlen Schädel warf, als dieses Traumgebilde durch das schon erwähnte Rufen und Pochen verwischt ward. Voll Bestürzung eilte sie an das Fenster und das erste, was ihr dort entgegenglänzte, war der kahle Schädel eines Priesters. Ist es derselbe, frug sie sich, noch halb träumend, den du eben mit Dattelkörnern beworfen? Doch sieh! die Glatze stieg aus einer bunten Sänfte, ein Sklave überdeckte die Ehrwürdige mit einem Kopftuch und vor Rebekkas erstaunten Blicken stand, das Leopardenfell umgeschlagen, in milchweißes Linnen gehüllt, ein stattlicher Priester. Der erste Gedanke, der ihr durch das erschrockene Gehirn zuckte, war: wir sind entdeckt, man hat unseren nächtlichen Gang belauscht! wir sind verloren!! Jedoch Schergen konnte ihr Auge nicht erspähen; um die Sänfte waren friedliche Diener beschäftigt; der eine von diesen entfaltete jetzt einen großen Schirm und hielt ihn über den mit dem Leopardenfell; während sich ein kleinerer, ebenfalls weißgekleideter Mann an die Seite des Priesters schlich. Beide schienen zu flüstern.

»Nun, wird denn bald hier aufgemacht,« rief eine rauhe Stimme vor der Türe, »läßt man den Oberpriester Psenophis warten?«

Rebekka öffnete und herein trat der stattliche Leopardenfellträger. Seine listig funkelnden Äuglein rollten lebhaft, als er Rebekkas ansichtig ward; er schien sie mit den Blicken betasten zu wollen und flüsterte seinem Nebenmanne einige Worte zu, die dieser lachend erwiderte.

»Was steht zu Diensten, hoher Herr?« sagte die Jüdin demütig, »o ihr Götter! Euer hoher Besuch, mein Gebieter, beschämt mich.«

Hierauf schlug sie, Schamröte erkünstelnd, die Augen nieder. Sie mochte denken, der Herr finde Gefallen an ihr, denn da er noch immer schwieg, ergriff sie ihre Handtrommel und frug, ob er einen Tanz begehre.

»Nur ein paar Stellungen,« sagte der Priester freundlich.

Rebekka warf ihre Tücher von sich, stellte sich auf die Fußspitzen, reckte die Arme gen Himmel und beugte sich kühn zurück, bis ihr Haar den Fußboden berührte.

»Genug,« sagte der Priester. Alsdann wendete er sich an seinen Begleiter.

»Sie wird dem König gefallen, denke ich,« flüsterte er, mit den Augenlidern zwinkernd.

»Mein Kind,« redete er alsdann die Jüdin wohlwollend an, »willst du mir einen Gefallen erweisen?«

»Jeden, o Herr!«

»Nun, so sei heute abend, sobald die Dunkelheit hereingebrochen, zu Hause,« sagte der Priester. »Weiter verlange ich nichts von dir. Alsdann wird ein Sklave zu dir treten, tue, was er von dir verlangt.«

»Jedoch –«

»Frage nicht,« sagte der Priester bestimmt.

»Tue, was dieser Sklave von dir verlangt. Du hast ein geschmeidiges, fischartiges Wesen an dir, du wirst dein Glück machen. Dein Glück! Hörst du?«

Er erhob sich, flüsterte der erstaunten Jüdin das Wort: Asso! zu und schritt rasch von dannen.

Nun erst ahnte Rebekka, um was es sich handelte. Mit der glühendsten Ungeduld erwartete sie die Nacht. Kaum war die Sonne verschwunden, so schmückte sie ihren Leib aufs reichste, wusch, badete und salbte sich, daß sie glänzte wie ein geschliffener Spiegel und lachte oft so überlaut auf, daß Isaak für ihren Verstand zu fürchten begann.

»Ich bin so glücklich,« sagte sie, »ich möchte die ganze Welt umarmen.«

Es war völlig dunkel geworden, als ein schwarzer Äthiopier von elefantenhaft breitem Gliederbau in das Gemach der Geschwister trat und nach Rebekka frug. Rebekka nannte den Namen: Asso! und sogleich verneigte sich der schwarze Riese demütig vor ihr.

»Heil dir!« sprach er, indem er ein großes Tuch entfaltete, »Heil dir, Herrin!«

»Was soll dies Tuch?« frug Rebekka erstaunt.

»Trete darauf,« sagte grinsend der Sklave.

»Gehe in das Nebengemach, Isaak,« befahl Rebekka.

Isaak ging, einen fragenden Blick hinter sich werfend.

»Befindet sich der König noch in den Mauern von Memphis?« frug Rebekka den Äthiopier leise. Dieser aber verzog seine Züge zu einem scheußlichen Grinsen, tat, als wisse er nicht, was sie ihn gefragt, und hatte, ehe sich Rebekka noch dagegen wehren konnte, das Tuch um ihren Leib geschlungen.

»Halte dich still,« lachte das schwarze Ungeheuer, indem er die menschliche Last mit Leichtigkeit auf seinen Rücken lud, »halte dich still, bewege dich nicht, man darf nicht vermuten, daß ich ein Weib trage. Es muß Geheimnis bleiben.«

»Ich werde ersticken,« keuchte Rebekka.

»Suche dir ein Luftloch,« entgegnete der Sklave, dem es ein behagliches Schmunzeln entlockte, als er die schönen Glieder der Tänzerin sich an die seinen schmiegen fühlte.

So ging es in die Nacht hinaus. Rebekkas Herz klopfte zum Zerspringen, denn, sagte sie sich, gehe ich meinem höchsten Ziele entgegen, so wird es von mir abhängen, vielleicht mit meinen Tänzerfüßen des Thrones geheiligte Stufen zu betreten! Sie zweifelte keinen Augenblick daran, daß man sie geradewegs in den Palast des Königs trage, und schon war ihr ränkevoller Geist mit dem Plane beschäftigt, die Gattin des Monarchen, die sittenstrenge Urmaa nofru-ra (eine Tochter des Königs von Syrien) aus den Armen ihres Gemahls zu verdrängen. Zitternd umklammerte sie den Nacken ihres Trägers und manchmal krauste sie dem schnaubenden Riesen zärtlich hinter den Ohren, der alsdann durch ein leises Kichern sein Wohlgefallen ausdrückte. Jetzt fühlte sie, daß er eine Treppe hinanklomm, flüsternde Stimmen umschwirrten ihr Ohr, durch das verhüllende Tuch glänzten Lichter, dicht neben sich hörte sie die Stimme jenes Priesters, der sie besucht. Sie drückte die Augen zu und ein Beben der Erwartung überlief ihren Leib . . . die langersehnte Minute schien gekommen.


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