Wilhelm Walloth
Das Schatzhaus des Königs
Wilhelm Walloth

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Zweites Kapitel

Im nördlichen Teil von Memphis war den Ebräern gestattet, zu existieren. Hier hausten sie ängstlich, wie die Mäuse in ihren Löchern, flohen das Licht und dienten ihrem Gott. Ein Jude, der sich in die anderen Stadtteile wagte, war fast immer schlimmen Mißhandlungen ausgesetzt, so daß sich die armen Geknechteten nur in ihren engen, schmutzigen Straßen behaglich fühlten. Manchen von ihnen zwang freilich ihr Gewerbe, auch die übrige Stadt aufzusuchen; dann schwebten die zu Hause zurückgebliebenen Angehörigen so lange in Angst, bis der Weggegangene wieder innerhalb der Grenzen seines Bezirkes gesehen wurde. Draußen im ägyptischen Stadtteil wogte, sobald die Abendkühle es erlaubte, eine dichte, bunte Menschenmenge. Sobald die Sonne sich zum Scheiden rüstete, sobald ihre letzten Strahlen die Gipfel der Pyramiden mit Purpur übergossen, ward es lebendig auf den Straßen von Memphis. Da ließen sie sich aus ihren Portalen tragen in prächtig bemalten Sänften, getragen von glänzend-schwarzen Sklaven, die vornehmen Beamten, die reichen Frauen, vielleicht um ein Bad im Nil zu nehmen. Da bot der Bäcker sein Brett, belegt mit kleinen Kühen oder Krokodilen aus Backwerk, schreiend an; da konnte man die zierlichsten Töpferwaren, die durchsichtigsten Glasschalen bewundern. Die Krieger schritten klirrend auf und nieder, die Priester ließen ihre Instrumente rasseln, wenn sie in den Tempel zogen oder eine von Klageweibern umheulte, grellfarbige Mumie zur ewigen Ruhe trugen. Da kehrten die Gespanne der Ackerbauer, beladen mit riesigen Kornähren, vom Felde nach Hause; die kleinen rotbraunen Kinder wälzten sich im rauschenden Gold des Getreides und der schlanke, nackte Jüngling lenkte, träge an ihren glatten Leib hingelehnt, die breiten Stiere. Da glänzten Fackeln auf den versteckteren Plätzen; ihr unheimlich düsteres Licht rötete den geschmeidigen Leib der Tänzerin, die, von Harfenspielerinnen und entzückten Zuschauern umgeben, Liebe in die Herzen der jungen Männer wirft. Einer solchen Gruppe sah ein kaum zwanzigjähriger Jüngling zu. Träumerisch, selbstvergessen stützte er sich an den Eckpfeiler eines Palastes, sein großer Blick hing teilnahmlos an der nackten Schönen, deren Zehen im Purpurschimmer der Fackeln über einen kostbaren Teppich zitterten. Er erkannte an ihrer helleren Hautfarbe sofort die Jüdin. Sie warf ihm, der ihr ohne Zweifel von allen ihren Zuschauern am meisten wohlgefiel, zuweilen einen brennenden Blick zu, aber der junge Mann beachtete solches nicht. Als das Rauschen der Harfen sich nun lauter erhob, die Bewegungen der Zügellosen heftiger wurden, so daß ihre großen Ohrringe klirrend mitzutanzen begannen, nährte sie sich ihm durch einen kühnen Seitensprung und streifte dabei absichtlich mit ihrem schönen Arm den seinen. Der Jüngling, durch die heiße Berührung aufgeschreckt, sah ihr erstaunt in die lächelnden Züge, in das von Goldflittern überhangene Auge.

»Rebekka heiße ich,« flüsterte sie ihm zu, er aber wandte ihr verachtungsvoll den Rücken. Sie durchbrach den Kreis ihrer Zuschauer und rief ihm nach: »Fliehst du mich, weil ich eine Jüdin bin? Oh! ihr Ägypter haßt zwar die ebräischen Männer, aber ihre Frauen liebt ihr, wenn sie schön sind.«

Der junge Mann gab den lachenden Zuschauern durch eine unwillige Bewegung der Hand zu verstehen, daß er das Weib nicht kenne.

»Ich kenne dich, glaub' mir!« lachte sie, ihre blendenden Zähne blinken lassend, »du heißest Menes und bist der Sohn der reichen Aso, der Witwe des verstorbenen Oberhofmeisters unseres zu den Göttern eingegangenen Königs Seti I. Euer Palast liegt am Nilkanal, am südlichen Ende der Stadt, da, wo der Weg nach dem Mörissee führt. Willst du nicht bei uns bleiben, Menes? Ich liebe dich!«

Menes schritt, ohne die Jüdin noch eines Blickes zu würdigen, davon; ihm nach erscholl das Gelächter der Spottenden. Der unangenehme Eindruck dieser Szene war in der Seele des jungen Mannes, sobald ihn der volksbelebte Teil der Stadt aufgenommen hatte, verwischt. Aber andere Schatten stiegen in seinem weichen, zu träumerischer Schwärmerei neigenden Gemüte auf. Er war der Sohn einer vornehmen Frau, deren Gatte am Hofe des verstorbenen Königs zu Theben eine hohe Stellung bekleidet. Seine Mutter, an Glanz und königliche Pracht gewohnt, hielt auf äußeren Rang. Sie ging mit dem ehrgeizigen Gedanken um, ihrem einzigen Sohne die Stufen zu den höchsten Ämtern zu bahnen, sie wollte ihn in der Stellung des Vaters sehen, dem Herzen des Königs am nächsten; zu diesem Zweck hatte sie beschlossen, daß Menes nach Ablauf seiner Studien, deren er in Memphis bei mehreren Priestern oblag, sich zum König nach Theben verfügen solle, um dort einstweilen als niederer Hofbeamter in die Reihen der fürstlichen Diener einzutreten, bis ihm allmählich der Rang seines verstorbenen Vaters zuteil würde. Daß dieser ihm zuteil würde, daran war kein Zweifel; nur liebte es Ramses II., seine Großen zuvor zu prüfen, ehe sie die höchsten Würden bekleideten. Die vornehme Ägypterin war übrigens mit dem Betragen ihres Sohnes keineswegs zufrieden. Wie oft mußte sie die schmucklose Einfachheit seines Anzugs tadeln, die einem künftigen Höfling nicht zieme; wie oft beklagte sie sich über die Farblosigkeit seines Kopftuchs, das sie gerne buntgestreift gesehen hätte; wie oft ermahnte sie ihn, Ringe mit kostbaren Steinen zu tragen, die sie ihm schenkte; er stieß sie verdrießlich von sich, die Kostbarkeiten und ging am liebsten halbnackt, nicht etwa um die Blicke der Frauenwelt auf seinen tadellosen Wuchs, seinen zartgeschmeidigen Muskelbau zu lenken, sondern weil er, wie er sagte, nicht gerne in seinen Bewegungen gehemmt sei. Allerdings schmückte ihn sein bräunlich angehauchter Körper mehr, als jedes Kleidungsstück; darauf aber achtete er ebensowenig, als seine Mutter; sie wollte Farben sehen. Wie oft erwähnte sie mit einem tadelnden Seitenblick, er ginge mit Musikanten, Malern und Bildhauern (in ihrem Auge Gesindel) lieber um, als mit hochgestellten Männern von vornehmer Erziehung und wohlgesetztem Betragen. Schon als Knabe war es die Lieblingsbeschäftigung ihres Sohnes, seiner Phantasie durch Zeichnen Ausdruck zu geben. Papyrusrollen und Wände mußten seinem Stifte herhalten; oft hatte ihn der Priester dabei ertappt, daß er auf die heiligen Rollen, die er ihm zum Studieren vorgelegt, Osirisköpfe, kleine Nilpferde, Mumien u. dgl. mit flüchtiger Hand gemalt. Zwar von seiner Handschrift waren alle seine Lehrer hingerissen, denn die Hieroglyphen schienen unter seinen Fingern zu leben, jedoch über seinen Glaubenseifer in bezug auf heilige Dinge hatten sie eine weniger günstige Meinung. Der Knabe frug ihnen zu viel. Die priesterliche Weisheit mußte oftmals verstummen vor diesen scharf eindringenden Fragen, welche schonungslos Irrtümer und Unmöglichkeiten der Religion aufdeckten, diese sogar manchmal leisem Spott preisgaben. Allen war es klar, Menes sei dazu bestimmt, die Tempel der Könige mit Wandmalereien zu bedecken, aber wie durfte solches geschehen? War doch der Vater des Kindes Hofbeamter gewesen! Wie konnte der Sohn einen anderen Beruf ergreifen! Dieser Zwang nährte einen verbitternden Groll im Herzen des Kindes und steigerte ihn zur Verzweiflung in der Brust des Jünglings. Verzweiflung im Busen schritt unser Held weiter, immer weiter von Straße zu Straße. Wenn er irgendwo eine schön bemalte Wand, eine hübsche Säule erblickte, konnte er lange betrachtend davor stehen bleiben, dieses tadelnd, jenes lobend in seinem heißen Inneren. Er fühlte, wie er vor manchem Bilde Hochachtung empfinden mußte, wie er aber im ganzen alles, was er bis jetzt gesehen, übertreffen zu können sich wohl bewußt sein durfte. Schon waren die Straßen in nächtliches Dunkel gehüllt, schon sickerte der Goldstrahl des Mondes um die Säulen der Paläste, ihren riesigen Leibern eine unheimliche Majestät verleihend. Der kühle Wind, der vom Nil herüber zu wehen begann, zeigte Menes an, daß er sich dem Hafen von Memphis näherte. Er umschritt den pylonartigen Vorsprung eines großen Handelshauses, ging eine kleine, enge Straße entlang und stand nun sogleich den Schiffen des Hafens gegenüber. Da lag der alte Nil und trug geduldig seine Last. Außer ägyptischen Fahrzeugen waren es hauptsächlich phönizische, die hier vor Anker lagen. Töpferwaren, Getreide und Haustiere an das Land zu schaffen, waren die Sklaven vornehmlich beschäftigt; auch Öl oder Gold aus den Bergwerken Äthiopiens war zu sehen. Doch näherte sich der Betrieb des Handels seinem Ende. Nur hier und da schritt noch gravitätisch ein reicher Kaufherr, nachdem er die Seetüchtigkeit seines Schiffes, den Wert seiner Ladung geprüft, der inneren Stadt zu. Bald trat Ruhe ein auf dem sonst so belebten Platze; kleine Lichter erglänzten auf den Schiffen, kleine Rauchsäulen schlängelten sich aus den Kajüten, wo die Familie des Schiffers sich ihr Abendmahl bereitete. Zuweilen ließ sich vom Maste herab die Stimme eines fremden Vogels, der dem inneren Afrika entstammte, vernehmen; zuweilen streckte eine Antilope, die für den Ziergarten irgendeines hohen Beamten bestimmt war, ihren zierlichen Kopf durch die Luke, oder es landete das letzte Boot eines größeren Schiffes, seine Ladung Papyrusballen oder an Seilen hängende Fische ans Land befördernd. Alles schwieg, nur der alte Nil rollte seine kostbaren Wellen durch die Ufer, die ihr reiches Kleid von Blumen und Ähren heiter in seinen heiligen Fluten wuschen. Menes schritt dicht an den Fluß heran, tauchte seine Hand in das heilige Wasser und kühlte sich seine heiße Stirne mit der Flut, die kostbarer denn Gold ist. Vor ihm erhob sich der Bauch eines phönizischen Kauffahrers. Auf demselben spielten mehrere Matrosen das Fingerspiel, worunter auch ein schwarzer Äthiopier. Anfangs wurde das Spiel schweigend fortgesetzt, allmählich aber, als die Finger heftiger flogen, entspann sich ein lebhafter Zank zwischen den Spielenden. Eben wollte sich Menes, angeekelt von dem kindischen Gezänke der Matrosen, abwenden, als einer derselben ihn aufforderte, als Schiedsrichter aufzutreten. Menes lehnte bescheiden ab, er verstehe das Spiel kaum, er kenne den Zusammenhang der Streitigkeit nicht. Der derbe Phönizier sprang die Schiffstreppe hinab, packte ihn am Arm und setzte ihm mit lauter Stimme auseinander, er habe die Zahl der Finger richtig geraten, die ihm sein Nachbar entgegengestreckt, dieser aber leugne nun, wolle ihn betrügen.

»Zwei Finger hielt ich empor,« beteuerte der andere, »du aber sprachst: drei!«

»Nein,« tobte der erste, »du hieltest drei empor. Nicht wahr, Herr, es waren drei! Ihr saht es?« – Dabei warf er Menes einen Blick schlauen Einverständnisses zu.

»Meinetwegen hieltet ihr tausend Finger und die Fußzehen dazu empor,« lachte Menes ärgerlich, »ich sah und hörte nichts!«

Er entwand sich der Hand des Phöniziers und ging. Kaum aber hatte er den Ort des Zankes verlassen, als er neben sich eine weiche Stimme vernahm. Erschrocken sah er sich um; die Dunkelheit, die bereits eingebrochen war, ließ ihn zwei weiße, weibliche Gestalten undeutlich erkennen, von welchen eine, die andere mit sich fortziehend, auf ihn zu schritt.

»Myrrah,« lachte das Mädchen, »tritt näher, fürchte dich nicht, du darfst nicht so bescheiden tun, Kleine. Biete deine Blumen dem jungen Herrn an, er kauft dir gewiß einen Strauß ab – weil – nun, weil du hübsch bist!«

Menes sah, wie die Angeredete, ein zierliches Judenmädchen, ihm verlegen ein Sträußchen entgegenhielt.

Die andere drängte sich an ihn heran. Kaum hörbar flüsterte sie ihm in die Ohren:

»Sie ist jung, unerfahren, Herr! laßt die Gelegenheit nicht vorübergehen, ich werde Euch unterstützen.«

Dann lachte sie laut, sich zu der Verschämten wendend.

»Ei wie! ei was!« polterte sie grämlich, »stecke es dem Herrn an die Verzierungen seines Halskragens, er nimmt es dann gewiß! Nun! näher! komm! tritt dicht zu ihm!«

Wieder flüsterte sie Menes ein paar Aufforderungen ins Ohr, die diesen entrüsteten.

»Schweige mir,« sagte er ernst, »tückische Verführerin dieser Unschuldigen. Dich aber warne ich, die du dieser Wilden so willig folgst! Hüte dich vor ihren Lockungen.«

»Ei beim Apis und allen heiligen Krokodilen,« lachte die Begleiterin auf, »ich erkenne ihn jetzt erst? Er ist es! Es ist unser frommer Menes! Seht nur den sittenfesten Jüngling! Mit zwanzig Schilden hat er seine Tugend umgürtet!«

Lachend sprang sie an die Seite des Jünglings, nahm, ohne zu fragen, ihrer furchtsamen Freundin den Strauß ab und nestelte ihn an des jungen Mannes Kleidung. Dieser aber fuhr betroffen zurück, denn Rebekka, die Tänzerin, stand vor ihm. Er schleuderte unwillig die Blumen von sich; als jedoch zufällig sein erzürnter Blick auf das andere der beiden Mädchen fiel, stockte ihm das heftige Wort auf der Zunge, das er in Bereitschaft hatte. Er sah, wie das flehende, schwarze Auge Myrrahs ihn um Verzeihung bat, er sah, wie sie vorsichtig die gemißhandelten Blumen vom Erdboden aufhob, und wie sie sich dann bescheiden zum Gehen wendete. Ein gewisses Mitleid überkam ihn, er faßte das Mädchen bei der Hand.

»Dir zürne ich nicht,« sprach er mit weicher Stimme, »du scheinst sittsam und sanft, mein Zorn galt deiner Freundin.«

»Sie ist meine Freundin nicht,« fiel ihm das Mädchen hastig ins Wort.

»Nicht deine Freundin?«

»Nein, o nein.«

»Ich kann dich versichern, Jüdin, du erfreust mein Herz durch dies Bekenntnis. Aber warum gehst du mit ihr?«

»Wir wohnen in demselben Hause zusammen, Herr,« flüsterte sie, ihre ovalen, großen Augenlider niederschlagend. »Ich suche ihren Umgang nicht, sie drängt sich mir auf! Ich verkaufe Blumen an reiche Leute, Herr, da ich arm bin, wie alle Juden, und geschmäht werde, wie alle Juden. Rebekka gefällt mir gar nicht, sie will mich zu Bösem verleiten, denn dadurch, sagt sie, könne ich, wie sie es tut, viel erwerben.«

»Du aber gehst auf ihre Verlockungen nicht ein?«

»Lieber will ich verhungern,« entgegnete sie voll Abscheu, indem ein tiefes Rot ihre weiße Stirne überflutete. »Öffentlich tanzen, wie niedrig. O Herr! Doch es ziemt sich nicht, daß Ihr mit der Jüdin sprecht. Zwar es ist dunkel, man gewahrt uns nicht, doch es gibt so schlimme Menschen. Ihr bringt mich und Euch in Gefahr! Erlaubt Ihr, daß ich gehe?«

»Ich habe dir nichts zu erlauben,« sprach Menes befangen.

»So lebt wohl!«

»Darf ich dich – des Schutzes wegen, begleiten bis an dein Haus?« rief er der Gehenden nach.

»Es ist besser, ich gehe allein,« tönte es ihm aus der Dunkelheit zurück.

Sie verlor sich mit flüchtigen Schritten in den Straßen, Menes in einem eigenen Zustand träumerischen Hinbrütens zurücklassend. Noch klang ihm ihr weicher Flüsterton in der Seele nach, sein Auge suchte der Davoneilenden nachzuspähen; einige Zeit hindurch stand er regungslos auf demselben Ort. Da berührte ein warmer Hauch sein Ohr. »Nun, des frommen Jünglings Tugend fängt an, die Farbe zu verlieren,« kicherte es neben ihm. Ein rasches Umdrehen zeigte ihm Rebekkas listiges Gesicht, wie es hinter einer Mauer verschwand.

»Ich hasse dies Weib,« murmelte er vor sich hin, indem er sich zum Nachhausegehen anschickte. »Sie ist ein freches, widerwärtiges Geschöpf, und immer finde ich sie da, wo ich sie am wenigsten suche, wo sie mich am meisten belästigt. Gewiß sinnt sie mir Schlimmes, ihr Gelächter klang verräterisch.«

Im Weiterschreiten mußte er unwillkürlich wieder an Myrrah denken, wie sie so bescheiden die Augen vor ihm niederschlug und ihn fragte: »Ob sie nun gehen dürfe?« Wunderlich bestrickend klangen ihm diese Worte im Ohr. Ihr Herr zu sein, sie zum lieblichen Spielzeug zu haben, wie süß! Ein Lächeln spielte dabei um seine Lippen, das er aber sogleich mit Strenge unterdrückte. Er wollte sich auf andere Gedanken bringen, er dachte an seine Mutter, an die Stille der Nacht, an den Mond – vergeblich! das Bild der lieblichen Kleinen verfolgte ihn bis in sein geheimstes Empfinden. Wie töricht, ihn zu fragen: ob sie nun gehen dürfe? Aber sie ist eine Jüdin, ich muß sie aus meinen Gedanken verbannen, es ist nicht gut, sich mit Ebräern in Verkehr einzulassen. Wahrlich, hätte mich einer meiner Bekanntschaft mit dem Weibe plaudern sehen, mir würde Spott zuteil oder Strafe von der Mutter. So murmelte er vor sich hin, prüfende Blicke im Weiterschreiten um sich werfend. Die Nacht war nun völlig hereingebrochen, Straßen und Plätze lagen vom blassen Schimmer des Mondes kaum erhellt, die Volksmasse hatte sich ganz in das Innere der Stadt zurückgezogen. Menes hatte, verloren in seine Empfindungen, die bei seiner Naturanlage alle sofort mit einer tiefen, phantasievollen Heftigkeit auftraten, nicht auf den Weg geachtet. Bei der enormen Ausdehnung der Stadt waren ihm manche, besonders die jüdischen Stadtteile, fast völlig unbekannt, und ehe er sich's versah, geriet er in Unsicherheit, welche Straße ihn in den Palast seiner Mutter zurückführe. Wie ihm schien, näherte er sich dem am Nil gelegenen Teil des Judenviertels. Die Häuser waren niedrig, die Straßen enge und leer. Oft hatte es sich ereignet, daß Ägypter, die sich die Nacht hindurch in diesem Stadtteil aufgehalten oder ihn durchwandelt hatten, von keinem sterblichen Auge mehr gesehen wurden; sie waren habsüchtiger, rachsüchtiger Juden Beute geworden, ohne daß man je – selbst die Spur ihres Leichnams aufgefunden. Das Gewinkel der Straßen begünstigte dieses unsaubere Treiben, denn oftmals stießen die baufälligen Häuser so nahe aneinander, daß der Streitwagen eines Kriegers unfehlbar in dem Engpaß zerquetscht worden wäre, hätte er sich den Durchgang erzwingen wollen. Die aus rohen (mit Stroh untermischten) Backsteinen aufgeführten Wände dunsteten die am Tage eingesogenen Sonnenstrahlen glühend wieder aus; die kleinen blinzelnden Fenster berührten sich beinahe; der Mond wagte es kaum, in diese schwarzen, dem Laster, dem Schmutz und der Nacht geweihten Schachte hinabzulugen. Unserem Freund kam es in seiner Unbehaglichkeit vor, als wollten sich die Giebel über seinem Haupte schließen, wie Wellen. Immer weiter verlor er sich in den öden Windungen von Gäßchen; der Mond leuchtete ihm nicht, nur die kleine Lampe, welche die Buhlerin dicht an den Vorhang ihres Fensters gerückt, warf zuweilen einen traurigen Schimmer auf seinen einsamen Pfad.

»Ist es mir doch, als sei ich in das Labyrinth geraten und könne nie mehr den Ausweg finden,« murmelte er vor sich hin. Es schien ihm gefährlich, in einem der Häuser anzufragen, wo er sich befinde; einen Vorübergehenden hatte er bis jetzt noch nicht wahrgenommen, denn die Nacht war allmählich weit vorgerückt; es war ihm, als müsse er die Nacht in diesem Gewinkel statt in seinem Bette zubringen. Bald wandte er sich rechts, bald links, bald ging er die Gasse hinab, dann wieder herauf; schließlich wirbelte ihm der Kopf; dieses Kriechen durch endlose Schneckengänge brachte in seinem Hirn ein schwindelndes Gefühl hervor; alle seine Gedanken begannen sich im Kreise zu bewegen; die Häuser mit ihren Fenstern tanzten vor seinen Augen; er mußte sich erschöpft an den Pfosten einer Türe lehnen, um zu überlegen, ob er hier bis zum Morgengrauen warten solle. Kaum hatte sich sein ermüdeter Geist erholt, seine Verwirrung sich gelegt, als ein leiser Pfiff ganz in seiner Nähe ihm das Herz rascher schlagen machte. Gleich darauf wurden in der nächsten Gasse schlürfende Schritte laut. Sollte man ihn belauscht haben? Sollte man ihn verfolgen? Seine aufgeregte Phantasie begann zu schwärmen; was brachten ihm die nächsten Sekunden? Gespannt lauschte er auf das näherkommende Geschlürfe, das von den behutsam auftretenden Füßen mehrerer Männer herzurühren schien. Nun hielten die Schritte inne; dicht neben ihm, da, wo das Haus in die andere Gasse einbog, wurde geflüstert. Noch konnte er die Flüsternden nicht sehen, aber ihre Worte verstand er.

»Er ist ein Ägypter,« begann es neben ihm, »er ist vornehmer Leute Kind, laßt ihn unbehelligt weiterziehen; man wird uns verfolgen, tun wir ihm ein Leids.«

»Wenn er vornehmer Leute Kind ist,« hörte der Lauschende eine andere Stimme, die ihm sogleich als diejenige des phönizischen Matrosen auffiel, mit welchem er vor ein paar Stunden gestritten, »wenn er vornehmer Leute Kind ist, überlaßt ihn mir. Unser Schiff segelt morgen nach Äthiopien; wenn wir ihn im untersten Kajütenraum unterbringen, wird kein Gott von seinem Vorhandensein Kunde nehmen. Ihr sollt reichlich dafür belohnt werden, ihr Juden, und wir werden, wenn wir ihn in Äthiopien zum Sklaven machen, ebenfalls unseren Vorteil daraus ziehen.«

Menes erhob sich leise von seinem Stein, um der Gefahr, die bereits über ihm schwebte, zu entfliehen, denn an ein Verteidigen des Waffenlosen war bei solcher Übermacht nicht zu denken. Er hörte, wie seine Feinde leise miteinander stritten, augenscheinlich berieten sie die Art ihres Überfalls. Menes fühlte zum erstenmal in seinem Leben, daß der Mensch des Menschen ewiger Feind ist. Das Gefühl von Beklemmung machte in seiner Brust einer tiefen Entrüstung Platz; fast schämte er sich, daß er den Rückzug ergreifen mußte; er ballte die Fäuste, und wer ihm in diesem Augenblick ein Schwert in die Hände gedrückt, er hätte ihm verziehen, und wäre es sein Todfeind gewesen.

»Wenn es den Schurken gelingt, mich zu knebeln,« sagte er sich selbst, »bin ich verloren; sie führen aus, was sie beschlossen. Ich muß mich im Schatten der Häuser davonschleichen.«

Er hatte bereits den ersten Schritt getan, als er hinter sich ein Geräusch vernahm; gleich darauf fühlte er, wie sich ein Netz über sein Haupt senkte, welches man eifrigst bemüht war, ihm um den ganzen Körper zu schlingen. Eine gewandte Armbewegung befreite ihn von dieser Umschlingung.

»Tretet aus dem Dunkel, ihr Schurken,« rief er zurück, den schwarzen Gestalten entgegen, die sich um die Straßenecke drückten, »ich sage euch, es wird euch schlecht zustatten kommen, wenn ihr mit mir verfahrt, wie ihr beschloßt. Morgen bin ich zum Mittagsmahl bei dem Nomarchen von Memphis geladen, dem mächtigen Metro, welchen Ramses an seiner Stelle zurückließ; glaubt mir, sobald man mich bei diesem Mahle vermißt, bietet mein mächtiger Freund alle seine Bewaffneten auf, mich aus euren schmachvollen Schlingen zu erlösen.«

Diese rasch ersonnene Kriegslist verfehlte ihre Wirkung nicht gänzlich, die Gestalten flüsterten angelegentlich; sie schienen zu wanken. Vor Entrüstung und Aufregung zitternd, stand ihnen der verlassene Jüngling gegenüber, wohl fühlend, daß sein Leben unter einer Herde Panther weniger bedroht wäre, als unter diesen Habgierigen.

»Ist es dein Wille, großer Osiris,« hauchte er, »soll meine Laufbahn enden, eh' sie begonnen? Oh! als ich heute morgen erfrischt, glücklich in dein strahlendes Angesicht sah, großer Sonnengott, da lächeltest du mir gnädig zu und verbargst mir, welches Unheil mir der Gott der Nacht jetzt bereitet. Weh mir! wie trügerisch sind die Götter!«

Er tat ein paar Schritte, aber sofort war er von vier Gegnern umringt, die ihm jedes Entnommen unmöglich machten.

»Warum besucht Ihr den Stadtteil der Ebräer?« knirschte ihm die schneidende Stimme eines kleinen, schwarzen, adlernasigen Mannes entgegen, »was suchst du in diesen Gassen?«

»Ich verirrte mich vom rechten Wege,« sagte Menes trotzig.

»Glaubt ihm nicht, Freunde,« lachte der andere. »Er ist ein ägyptischer Spion, er will uns arme Ebräer belauschen, um uns bei Gericht zu verklagen.«

»Er stellt, wie alle, unseren Töchtern und Weibern nach,« beteuerte sein Nachbar, »tötet den Verführer.«

»Was hat er überhaupt in dieser Nachtzeit in unserem Viertel zu tun?«

»Er ist einer unserer Unterdrücker, den Gott – gelobt sei er – in unsere Gewalt gab!«

»Mache dich bereit,« hörte der Bedrängte den phönizischen Matrosen flüstern, »in die Gefilde der Seligen zu wandern. Sein Halskragen ist mit Perlen durchwirkt, goldene Schnallen zieren seine Sandalen, an seiner Hand sehe ich einen Smaragden glänzen. Wenn wir ihn in den Fluß werfen, wer ahnt etwas von seinem Dasein.«

Der Jüngling sah, wie der Matrose einen blitzenden Stahl aus seinem Gürtel löste. Die Genossen des Blutgierigen wechselten bedeutungsvolle Blicke.

»Gib mir das Messer,« keuchte der kleine Jude, »ich stoße es ihm von hinten in den Nacken.«

Das Messer ging in die Hände des Juden über, der sich anschickte, sich wie eine Katze zwischen die Hauswand und Menes zu schieben. Der junge Mann, der diese Bewegung bemerkte, drückte sich nun, um sich wenigstens den Rücken zu decken, fest in die verschlossene Türe des Hauses. So stand er bebend, zu allem bereit, starr in die gierig leuchtenden Augen des sich ihm nähernden Ebräers blickend. In dieser Lage verharren, das sah er ein, hieße, dem sichern Tod entgegengehen. Er faßte deshalb den verzweifelten Entschluß, über den Juden herzufallen, um sodann eiligst das Weite zu suchen. Näher, immer näher drängte sich der Ebräer. Schon fühlte Menes deutlich seine heißen Atemzüge; es war ihm, als müsse er die Türe, an die er sich lehnte, mit dem Rücken eindrücken, oder als könne er mit einem gewaltigen Satz über die Köpfe seiner Angreifer hinwegfliegen. Eben erhob der Jude sein Messer, als ihm Menes, ohne recht zu wissen, was er tat, einen furchtbaren Faustschlag auf den Mund versetzte. Mit blutenden Lippen, stöhnend, taumelte der Getroffene zu Boden. Seine Genossen unterdrückten einen Schrei der Wut und Menes sah ein, daß es jetzt um ihn geschehen sei; denn der Matrose bückte sich fluchend nach dem entfallenen Messer, während die übrigen zurücktraten, um sich durch einen Anlauf für den Überfall vorzubereiten. Schon machte sich der Jüngling, fest den Rücken an das Haustor stemmend, bereit, sein Leben wenigstens bis zum letzten Atemzuge zu verteidigen; schon hatte er die zitternden Fäuste zu wuchtigem Schlage erhoben, um die Zurückgetretenen zu empfangen, da kam es ihm vor, als gäbe die Türe, an welcher sein Rücken Schutz und Stütze fand, leise seinem Drucke nach. Noch hielten seine Angreifer mit ihrem Sturm zurück, noch war Rettung möglich. Ja! es war keine Täuschung – Menes ließ den Arm erstaunt sinken – die Türe erknarrte fast unhörbar in ihren Angeln, ein Riegel rollte leise zurück, eine kleine, weiße Hand schlüpfte aus dem kaum drei Zoll breiten Spalt, faßte unseren hilfsbedürftigen Freund am Kleide und zog ihn zwischen den Pfosten und die geöffnete Türe.

»Rasch herein,« hörte er flüstern. Willenlos folgte er der Hand, denn jede Minute war kostbar. So behutsam, wie sie sich geöffnet, schloß sich die Türe wieder; Menes stand nicht mehr auf der Straße, sondern auf einem dunkeln Hausflur. Das Öffnen, Hereinziehen und Schließen war so lautlos, so rasch vollführt worden, daß die Habgierigen draußen auf der Straße sich nicht zu erklären vermochten, nach welcher Seite ihr Raub entwischt sei. Menes wachte wie aus einem schweren Traume auf, als ihm eine bekannte Mädchenstimme zuflüsterte: »Folge mir, du bist gerettet. Sobald der Morgen anbricht, kannst du nach Hause kehren; bis dahin muß ich dich in meinem Zimmer vor Verfolgung schützen.«

»Myrrah?« hauchte Menes atemlos, »du – meine Retterin? Ich bin in deiner Wohnung? Ihr Götter, was beginnt ihr mit mir,« setzte er leise hinzu, »macht ihr mich elend, um mich im nächsten Augenblick glückselig zu machen?«

»Stille,« beschwichtigte das Mädchen, während sie auf den Zehen in ihr Zimmer schlich, ein mageres Öllämpchen am Kohlenbecken anzündete und ihren Schützling bat, ihr zu folgen, »stille, damit die übrigen Hausbewohner nichts von dem Abenteuer bemerken. Komm, laß mich die Türe verriegeln. Tritt leise auf, setze dich hierher und beruhige dich, du bist noch ganz verstört.«

Ihr Benehmen zeigte nicht die geringste Befangenheit, sie drückte den Zitternden, dessen Auge glühte, auf einen Stuhl.

»Deute mein Benehmen nicht übel, guter Jüngling,« fuhr sie darauf mit holder Bescheidenheit fort, »ich hörte, als ich mich eben zu Bette legen wollte, unter meinem Fenster flüstern; als ich den Vorhang hob, übersah ich sofort deine unglückliche Lage und dankte Jehova, daß er mir vergönnt, dir behilflich zu sein. O, unser Volk ist verbittert, zürne ihm nicht, wenn es zuweilen in die Ketten beißt, die ihnen das Blut aus den Adern pressen; Verzeihe uns, wir sind nicht alle so. Nein, gewiß nicht.«

Ihre Äugen füllten sich mit Tränen.

»Daß nicht alle so sind, fühle ich es nicht an dir?« lispelte der erschöpfte Jüngling, dem Mädchen die Hand reichend, indem er ihr dabei einen Blick zärtlichster Dankbarkeit zuwarf.

»Du sprachst sanft mit mir,« erwiderte sie, in sich versunken, »du verachtest mich doch nicht wie die anderen?«

»Du tust mir weh, Myrrah, wenn du also fragst? Warum soll ich dich verachten?«

»Ich wußte es,« rief sie, ihren Schützling mit freudigleuchtenden Blicken betrachtend, »deshalb rettete ich dir das Leben.«

»Einem dir völlig Fremden würdest du es nicht gerettet haben?« frug er, um ihren Charakter zu ergründen.

»Ich weiß es nicht,« sagte das Mädchen nachsinnend, »wenn er mich geschmäht, mich mißhandelt, wie die anderen Ägypter – oh! warum hätte ich ihm das Leben retten sollen?« setzte sie dann fast wild hinzu. Gleich darauf fuhr sie weicher fort:

»Aber dir, der du sanft und gut bist, hätte ich es bewahrt dein Leben, selbst wenn du mich nicht geachtet, denn dein Leben« – sie zögerte, ein Lächeln erblühte dann auf ihren Lippen, als sie fortfuhr, »dein Leben ist mir kostbar, ich wollte, es wäre eine seltene Blume, die ich unter Glas hüten und pflegen dürfte! Aber ich weiß nicht, warum ich das alles sage.« Sie ward ernst. Sie zürnte sich selbst. Hierauf nahm sie die Lampe und leuchtete ihrem Freund hastig in die erblaßten Züge.

»Dein Auge ist tief und edel, es blickt wie euer Sonnengott,« sprach sie träumerisch mehr zu sich selbst, als zu ihm, »dir würde ich in allen Stücken trauen, du kannst nicht betrügen. Sprichst du zu mir: lege dich vor den Rachen des hungernden Krokodils, ich würde es tun; würdest du mir zürnen, würdest du diese meine Brust schlagen oder bespeien, ich würde stolz darauf sein, von dir mißhandelt zu werden! Aber auch nur von dir – deine Grausamkeit wäre nur Wollust – jeden anderen aber, der dasselbe wagte, würde ich« – – in ihrem Auge brannte edler Zorn, sie hatte unwillkürlich die schöne, kleine Hand geballt. Da fiel ihr Auge auf seine Hand.

»Aber du blutest,« rief sie erbleichend aus, nach dieser Hand fassend. Ihr vorher so stolz blickendes Auge verdunkelte sich, als das feuchte Rot an ihren Fingern haften blieb; ein schmerzvoller Ton entrang sich ihrer Brust.

»Es ist nichts, Mädchen,« flüsterte Menes mit Anstrengung, denn das Benehmen Myrrahs hatte ihn, wie in einen süßen Halbschlaf gewiegt, »ich schlug meinem Angreifer auf den Mund; seine Zähne ritzten mir das Fleisch.«

»Das ist gut,« lächelte sie unter Tränen zu ihm empor, »du bist mutig.«

Diese Freudigkeit verwandelte sich sogleich wieder in die besorgteste Unruhe. Wasser war bald zur Hand, ein Tuch ebenfalls. Nun kniete sie nieder und streifte den Ärmel vom Gewand des Jünglings zurück, um sein Blut, das bis an den Ellbogen hinabgeflossen, aufzuwaschen. Als ihr dabei die schön gerundeten Muskeln seines Armes entgegenblühten, überzog ein ängstliches Rot ihre weißen Züge; nun erst schien ihr das Bedenkliche der ganzen Lage klar zu werden. Rasch strich sie das Gewand wieder über den Arm, stand auf, eilte an die Türe und sagte abgewendet:

»Bleibe du hier, ich will heute nacht auf der Matte des Hausflurs zubringen.«

»Eben erst sagten mir deine Lippen, Myrrah,« erwiderte ihr der errötende junge Mann, »daß du mir in allen Stücken trautest – es scheint, du traust mir dennoch nicht?«

»Das ist wahr,« lächelte sie nun, »ich war recht töricht.«

Menes, durch den Blutverlust geschwächt, stützte sich müde auf den Tisch, indem seine Glieder schlaff herabhingen.

»Armer Mann, leidest du Schmerzen?« frug sie besorgt. Er lächelte ermattet. Darauf schritt sie vertraulich zu Menes heran, setzte die Lampe auf den Tisch, holte aus einer Holztruhe ein altes kleines Brot hervor und stellte daneben ein Gefäß mit Milch nebst einigen Datteln.

»Dies ist meine Feiertagsmahlzeit,« sagte sie, »nimm, was dir die Armut bieten kann, du wirst hungern.«

Obgleich anfangs Menes, gerührt von der Einfachheit des Mahles und der Gutmütigkeit des Mädchens, dankend die Berührung der Speisen ablehnte, mußte er schließlich, um seine nötigende Wirtin nicht zu beleidigen, von der Milch etwas zu sich nehmen.

»Es ist keine Schweinemilch, die aussätzig macht,« hatte sie in traurigem Tone gelispelt, als Menes sich geweigert zuzugreifen. Daraufhin natürlich trank er. Kaum hatte Menes das Gefäß niedergesetzt und den Trank gelobt, so ließen sich auf der Treppe, die in das zweite Stockwerk führte, Tritte vernehmen. Erschrocken fuhr Myrrah empor.

»Man kommt von oben,« hauchte sie, »ich muß dich verbergen.«

Sie sah sich verlegen in dem Gemache um, das außer einem niedrigen, streuartigen Ruhelager, nebst einer Truhe, Stuhl und Tisch, nichts bot, hinter welchem sich Menes hätte verstecken sollen. Jedoch die Tritte kamen näher, die Not wuchs.

»Das ganze Haus ist von Juden bewohnt,« klagte die Jungfrau, »wenn sie dich erblicken – weh dir! weh mir! wir sind beide verloren.«

Nun hielten die Schritte an, dreimal pochte es an die Türe des Gemachs.

»Lösche die Lampe,« riet Menes leise, »ich kaure mich hinter die Truhe, stelle du dich, oder besser setze du dich auf dieselbe.«

Er sprang rasch hinter die Holzkiste, Myrrah zauderte, die Lampe zu löschen, jedoch schließlich blieb ihr, da es zum zweiten Male anpochte, nichts anderes übrig. Darauf eilte sie an die Tür, machte sie zwei Finger breit auf und frug: wer draußen sei, sie in ihrem Schlaf zu stören?

»Ich bin es –«

»Wer?«

»Ich! Isaak.«

»Du?« frug das Mädchen. »Und wie steht es um deinen kranken Vater?«

»Rebekka, meine Schwester, ist bereits seit vier Tagen nicht nach Hause gekommen,« jammerte Isaak, dessen Bekanntschaft wir bereits gemacht. »Sie schwärmt draußen umher, während ihr Vater im Sterben liegt, die gottlose Tänzerin.«

»Heute erst,« fiel ihm Myrrah ins Wort, »verkehrte ich mit ihr, sie hat sich manches erworben, sogar Gold. Ein reicher Bewunderer ihres Tanzes gab ihr drei goldene Ringe, sie könnte euch beide ernähren, wenn sie wollte.«

»Sie tut es nicht,« klagte Isaak, »ich muß meinen armen Vater hungern lassen. Da wir nicht mehr an den Pyramiden arbeiten können, wird uns auch die Nahrungslieferung entzogen, die uns sonst zuteil ward. Ich bin gekommen, gute Myrrah, – dein mildes Herz – nicht wahr, es ist unrecht, daß ich mitten in der Nacht –«

»Laß es nur gut sein,« sagte das Mädchen mit fast rauher Stimme, »du weißt zwar, daß ich dich nicht leiden mag, Isaak, aber deinen würdigen Vater kann ich nicht hungern lassen. Nimm hier den letzten Rest Milch nebst diesem Brot.«

Sie reichte dem demütig vor ihr stehenden Isaak die Speisen.

»Jehova mög' es dir danken,« stammelte er, »wenn ich dir einst ebenso aus der Not helfen könnte, es wäre der schönste Augenblick meines Lebens, gutes Kind.«

Angeekelt von seinem kriechenden Wesen wandte sich Myrrah ab und frug nur: »Liegt dein Vater noch immer stumm?«

»Du bist sehr gütig, daß du nach meinem Vater fragst,« sagte Isaak unterwürfig, das Brot mit gierigen Blicken betrachtend, »der alte Mann hat ein paar Worte gesprochen, jedoch er ist sehr matt, Rebekkas Lebenswandel stürzt ihn in die Grube.«

Myrrah schloß entrüstet die Türe, denn sie wußte, daß Isaak von jeher den Lebenswandel Rebekkas begünstigt und zu seinen habsüchtigen Absichten ausgebeutet hatte. Als die Lampe wieder das kleine Gemach beleuchtete und Menes aus seinem Versteck hervorgekommen war, drückte der Jüngling ergriffen die Hände des Mädchens.

»Du hast ein schönes Werk vollbracht,« sagte er.

»Oh, wenn sie nur nicht so schlecht wären,« murmelte sie betrübt vor sich nieder.

Hierauf erzählte sie, da Menes es von ihr zu hören wünschte, ihren ganzen Lebenslauf. Ihre Eltern hatte sie nie gekannt. Sie erinnerte sich noch dunkel, daß sie in frühester Jugend zwischen den Säulen eines Tempelhofs gespielt und daß sie dort zuweilen von einer vornehmen Dame besucht wurde, deren kostbare Sänfte noch jetzt ihr lebhaft vorschwebte. Alle Priester und Priesterinnen wichen dieser schönen, stattlichen Dame ehrfurchtsvoll aus, verbeugten sich vor ihr und frugen mit großem Respekt nach dem Befinden des Königs. Die mächtige Frau lächelte immer, scherzte fein mit ihrer Umgebung, reichte zum Abschied dem Oberpriester jedesmal einen goldenen Ring und frug, welche Fortschritte Myrrah gemacht, worauf ihr ein ältlicher Priester jedesmal die gewünschte Auskunft erteilte. Dieser Priester bewies ihr die größte Zärtlichkeit, sie lernte ihn wie einen Vater lieben. Eines Tages ließ sich die vornehme Dame in großer Erregung in den Tempel tragen. Einer langen stürmischen Unterredung, welche sie mit dem Oberpriester hatte, folgte allgemeine Bestürzung des ganzen Priesterkollegiums; die vornehme Dame sank zu Boden und weinte, der Oberpriester zerriß sein Gewand. Rasch eilten Tempeldiener herzu, um einen Stoß von Papyrusrollen zu verbrennen, welche irgendein Geheimnis bergen mußten; Myrrah freute sich bereits auf das lustige Feuer, aber der Eintritt von dreißig königlichen Schergen tat dem Werk Einhalt. Die Schergen durchstöberten die Rollen, die Worte: Verschwörung, Unterschlag usw. schlugen an Myrrahs kindliches Ohr; der Oberpriester wurde samt der vornehmen Dame auf Befehl des Königs zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in den äthiopischen Goldbergwerken verurteilt. Hier folgte in Myrrahs Erinnerung eine Lücke, sie findet sich in einem wilden, schwarzen Gebirge wieder, das von weißen Adern durchzogen, vielen Schachten den Weg in sein metallreiches Innere eröffnet. Tausende von Arbeitern sind dort beschäftigt, glänzendgelbes Metall aus Sand zu waschen, der zuvor in Mörsern zerstampft wurde. Die Sonne brennt, die Geißel der Aufseher treibt erbarmungslos zur Arbeit an. Sie selbst, das zarte Kind, muß Steine in Empfang nehmen, die aus den Schachten herausgewühlt werden. Ihre Hände bluten dabei, neben ihr kauert dieselbe vornehme Dame, die sich sonst in den Tempel tragen ließ, in zerrissenem Anzug, hohl, krank am Boden und gießt mit denselben Händen, die früher mit Perlen und Fächern spielten, Wasser über schmutziges Geröll. Manchmal empfängt sie einen schmerzlichen Blick von dieser Frau, manchmal einen brennenden Kuß, der ihr viel heiße Tränen an die Wangen drückt. Worte hört sie selten aus diesem blauen, welken Mund, nur von Seufzern quillt er über. Eines Tages sieht sie, wie diese Frau ein Schreiben empfängt, welches ihr ein königlicher Beamter vorliest.

»Gnade!« stammelt sie freudebebend, preßt leidenschaftlich die kleine Myrrah an ihre Brust und sinkt zu Boden.

Der Beamte beugt sich zu der Hingesunkenen nieder.

»Zu spät,« hört sie ihn gleichgültig sprechen, »die Freude hat sie getötet.«

Von diesem Zeitpunkte an bekümmerte sich keine Seele mehr um Myrrahs Dasein. Sie bettelte sich mühsam nach Memphis zurück. Dort war sie eifrigst bemüht, ihren Pflegevater aufzusuchen, jedoch vergebens. Gewerbsüchtige Ebräer bemächtigten sich des kleinen Mädchens, sie zum Tanzen oder allerlei Künsten abzurichten; dies scheiterte jedoch an der Sittsamkeit des Kindes. So lebte sie ein trauriges, gequältes Dasein dahin in den Jahren, die eigentlich der Freude geweiht sein sollten, ernährte sich mühsam durch kleine Handleistungen, Verkaufen von Blumen oder hungerte auch wohl, wenn ihre Schüchternheit zu groß war, sich auf der Straße zu zeigen. Menes hatte dies alleinstehende, verlassene Kind während ihrer Erzählung mit feuchten Augen, versunken in ihre lieblichen Züge, betrachtet. Als sie geendet, war es ihm, als spräche sie noch weiter, er wiegte sein Haupt träumerisch zu ihr hin und schien noch immer ihr Wort zu trinken.

»Der Morgen erhellt meinen Fenstervorhang bereits,« sagte sie nach einiger Zeit erstaunt, »wir haben die letzten Stunden der Nacht rasch hinweggeplaudert und es wird Zeit, daß du gehest, Menes.«

Menes fuhr aus seinem Sinnen empor. Ein Frösteln überschauerte ihn, als er darauf den Vorhang hob und die Straße in rötliches Grau getaucht vor ihm lag.

»Der kühle Morgenwind haucht vom Nil her,« sagte er ermattet, »du hast recht, Myrrah, ich muß gehen. Man wird zu Hause angstvoll meiner geharrt haben, ich werde nicht freundlichen Empfang von meiner Mutter zu erwarten haben. Aber mir gilt es gleich, durchlebte ich doch in dieser Nacht die schönsten Stunden meines eintönigen Lebens – Errettung aus Gefahr, das süße Gespräch mit dir, den Einblick in deine gute, schlichte Seele.«

Myrrah löschte die Lampe und öffnete die Fenster. Sie ward still, sie setzte sich bekümmert auf die hölzerne Truhe und schien an nichts mehr teilnehmen zu wollen, was um sie her vorging.

»Du hast mir bei meinem Abschied nichts zu sagen?« frug sie Menes zärtlich.

Das Mädchen schüttelte betrübt den Kopf.

»Wirklich nicht? Nicht, daß ich dich wiedersehen darf?«

Es erfolgte eine lange Pause. Beide standen sich, süße Qual im erregten Busen, gegenüber. Er wagte kaum verstohlen zu ihr aufzuschauen. Plötzlich schritt sie auf den Wandschrank zu, nahm ein Messer, das dort verborgen lag, legte es vor Menes nieder und hauchte abgewendet:

»Töte mich.«

Der überraschte Jüngling trat schaudernd einen Schritt zurück. Dann aber stürzte er vor, sie zu umarmen. Sie, als sie dies bemerkte, wich ihm aus.

»Wie kannst du doch solch sündhaftes Wort über deine Lippen bringen,« stammelte er vorwurfsvoll.

»Ich dich töten, der ich diesen Leib anbete, als sei er der einer Gottheit, der ich dich schützen möchte vor allem Unheil, vor Hunger, vor Schmähungen, der ich selbst der kleinsten Fliege nicht gönne, wenn sie über deine Hand laufen darf. Ich soll dich töten? Und weshalb wünschst du dir den Tod? Warum tust du mir dies Leid an, dich leiden zu sehen?«

»Bedenke, wer du bist,« fiel ihm die Jüdin ins Wort. »Willst du,« lachte sie bitter auf, »willst du deiner vornehmen Mutter sagen, du habest mit der Jüdin gesprochen, daß sie vor dir entflieht? Willst du ihr die Jüdin als Braut über ihres Hauses Schwelle tragen: O glaube mir, du achtest mich nicht, wenn du dir auch fest vornimmst, mich zu achten.«

»Lache nicht so wild, Myrrah,« rief Menes zitternd, »du tust mir weh! Wisse, daß ich dich achte, und hätte ich dich auf dem Felde die unsauberen Schweine hüten oder dich als Tänzerin den ekeln Reigen schwingen sehen. Nichts kann dich mir in Unehre bringen, nichts mich von dir vertreiben, dein Bild mir trüben, und wenn meine stolze Mutter mir darum zürnt, so mag sie es tun, ich bedarf ihrer nicht, deiner aber bedarf ich, um zu leben.«

Myrrah war in lautes Schluchzen ausgebrochen.

»Gehe! verlasse mich,« seufzte sie, »wenn du Spiel mit mir triebst, würdest du mich töten. Du stürzest mich, ich fühle es, ins Verderben. Mir wäre besser, ich hätte dich nie gesehen, oder ich stürbe gleich auf der Stelle, denn ich weiß nicht, was ich ohne dich beginnen soll, und mit dir leben darf ich nimmermehr.«

Der junge Mann versuchte die Weinende zu beruhigen, er gab ihr die zärtlichsten Namen, versicherte sie, daß er jeden Abend in ihr Haus schleichen wolle, daß er ihr einen ergebenen Diener täglich senden wolle, ihr Nahrung zu bringen, sie aber wehrte heftig alle seine Liebkosungen ab, suchte ihr tränenüberströmtes Gesicht zu verbergen und rief ein über das andere Mal: »Gehe! Oh, hätte ich dir nicht dein Leben gerettet, hätten sie dich und mich getötet.«

Nach vielen vergeblichen Versuchen, sich ihr verständlich zu machen, stand Menes auf.

»Du willst, daß ich gehe! Gut denn, ich gehorche dir,« sprach er mit schmerzlichem Trotz. »So will ich dich denn nie mehr wiedersehen. Lebe wohl und vergiß mich, wie ich dich zu vergessen suche.«

Schon hatte er die Türe erreicht, da sprang Myrrah auf, als ob sie ihn zurückhalten, sich an seine Brust werfen wollte, aber sie faßte sich gewaltsam, indem sie auf ihren Sitz zurücksank, die Arme und den Kopf erschlafft herabhängen lassend.

Menes ging.

Nach einigen Minuten flog durch das kleine Fenster ein Siegelring, den ein smaragdener Käfer zierte, zu Myrrahs Füßen nieder. Über eine halbe Stunde lang saß das Mädchen regungslos da. Draußen waren längst die Schritte ihres Freundes verhallt, die Straße füllte sich mit Menschen, die ihrem Gewerbe nachgingen; Aufseher traten in die Wohnungen, um Steuern zu erheben oder die jungen Männer der Ebräer zum Ziegelbrennen abzuholen. Wagen rollten, Sänften wurden getragen, das Brausen und Tosen einer Großstadt drang bis in das kleine Zimmer des Mädchens. Diese schüttelte endlich die schwermütige Erschlaffung von ihren Gliedern, hob vorsichtig den Smaragden vom Boden auf, küßte ihn, wickelte ihn in ein feines Tuch und barg ihn errötend an ihrer Brust. Hierauf nahm sie ihr Kopftuch, um an den Ufern des Nils Blumen zu suchen, damit sie Kränze und Sträuße daraus winden möchte, da heute abend ein vornehmer Ägypter solcher bedurfte, seinem Feste Pracht und Glanz zu verleihen. Als sie nach Ablauf von zwei Stunden ermattet in ihr niedriges Zimmer zurückkehrte – wer beschreibt ihr Erstaunen – da trug ihr Tisch eine kostbare Mahlzeit, wie sie solche noch nie gesehen, geschweige denn genossen. Gänsebraten, feines Gebäck, Datteln, Wein, breitete sich duftend vor ihren erstaunten Augen aus; sie jedoch ließ die Speisen unberührt.


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