Wilhelm Walloth
Das Schatzhaus des Königs
Wilhelm Walloth

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Zweites Kapitel

Menes hatte Memphis verlassen. Der Abschied war von Asso mit Absicht so sehr verkürzt worden, daß, ehe Menes oder Myrrah recht zur Besinnung kamen, bereits Felder und Wälder sie trennten. Sie hatte Myrrah an den entlegensten Teil des Landgutes geschickt, um dort am Nilkanal Papyrusstauden zu sammeln, mit welchen sie Handel trieb. Menes wurde unterdessen hastig in eine Gondel gedrängt, die ihn in den Hafen bringen sollte, wo das größere Boot seiner harrte. Er selbst mochte einsehen, daß es besser sei, den Abschied auf diese Weise zu erleichtern, denn er frug kaum nach Myrrah, sprach überhaupt keine drei Worte während des ganzen Tages seiner Abreise. Seine zusammengepreßten Lippen, seine brennenden Augen ließen wohl auf die Erregung seines Inneren schließen, sein äußeres Benehmen jedoch verbarg seine Stimmung aufs sorgfältigste. Als er bereits in der Gondel stand und den tränenschweren Blick wie suchend über das Ufer gleiten ließ, bewegte er die Lippen zum Sprechen; da er aber fühlen mochte, wie in diesem Moment auch das kleinste Wort seiner männlichen Fassung ein Ende gemacht haben würde, erhob er die rechte Hand wie drohend und sah seiner Mutter mit einem Blick ins Auge, der in seinem tiefen Seelenweh alles sagte, mehr als es seine Zunge vermocht. Asso flüsterte ihm Trost zu und versicherte, getreulich über Myrrah wachen zu wollen; sie solle es haben in ihrem Hause wie in den Gefilden der Seligen. Als man Myrrah die Nachricht von der Abreise ihres Geliebten brachte, rang sie sichtlich nach Atem und verschloß sich darauf in ihrem Zimmer. Von dem Tage an, welcher ihr Menes geraubt, ging sie noch stiller wie zuvor ihren häuslichen Beschäftigungen nach, ohne sich in das Gespräch der übrigen Diener, zu welchen sie jetzt gehörte, zu mischen. Sie lebte lautlos für sich, mitten in dem Treiben des großen, reichen Hauses, einsam, abgeschieden von allem Umgebenden. Nichts vermochte ihr Interesse zu erregen; es war, als habe sich eine schwere Wolke um sie gelagert, welche ihr die Verbindung mit der Außenwelt verbot. Ihr Auge blieb tränenlos, aber der Ausdruck ihrer Züge erzählte von durchwachten Nächten. Ihrer Gebieterin begegnete sie mit scheuer Unterwürfigkeit, auch mied sie dieselbe, soviel es in ihrer Macht stand. Tadel wie Lob nahm sie mit derselben Gleichmütigkeit hin, man sah ihr an, daß sie eine Welt im Inneren trug, die sie mit der äußeren nicht in Berührung kommen lassen wollte. Das einzige lebende Wesen, mit dem sie schließlich noch umging, das ihr eine innigere Teilnahme erregte, war das kaum zweijährige Kind einer syrischen Sklavin, welche für die Reinhaltung der Gefäße zu sorgen hatte. Mit diesem Kinde beschäftigte sie sich, sobald es ihre Arbeiten erlaubten, an seine unschuldige Seele klammerte sich ihre vom Schmerz zernagte; dies Kind, mochte sie dunkel empfinden, war das einzige Wesen, dem sie nun, nachdem sie ihn verloren, trauen durfte; es war noch nicht fähig, sich zu verstellen, seine Liebe war aufrichtig; hier fand sie, was sie suchte – ungeheuchelte Hingabe, Trost und Erquickung. Als die kleine Netkro anfing, den alleinigen Umgang mit Myrrah langweilig zu finden, als sie sich weigerte, der Unglücklichen auf ihr Zimmer zu folgen, mußte die Arme sich wieder mit sich selbst begnügen, bis der Vater des Kindes, den der Zustand des Mädchens rühren mochte, auf ein Auskunftsmittel verfiel. Er gab Myrrah eine von ihm aus Holz geschnitzte kleine Gondel, welche dann auch bald Netkro wieder auf das Zimmer ihrer Freundin lockte; aber auch dieses Spielzeug besaß nicht lange Anziehungskraft auf das Kinderherz; nach wenigen Wochen mußte sich Myrrah die Hauskatze zur einzigen Gefährtin erwählen.

Natürlich fehlte es nicht am Spott der übrigen Dienerinnen. Wenn sie aufgefordert wurde, mit den Zofen den Ball zu werfen und sie sich ohne Gegenrede hinwegstahl, rief man ihr allerlei Necknamen nach.

»Sie hat die Sprache verloren,« lachte der Haushofmeister, wenn er ihr einen Auftrag gab und sie, nichts darauf erwidernd, ihn still ausführte.

»Sie ist eine Eule und wird erst bei Nacht lebendig,« lächelte der Gondelführer verschmitzt seinen Ruderknechten zu, wenn sie Kissen in die Gondel trug, um dieselbe zur Fahrt zu rüsten, und ohne sie eines Blickes zu würdigen, an den begehrlich dreinschauenden Gesichtern vorüberschritt.

»Sie dünkt sich mehr als wir, sie ist anmaßend,« sagte die erste Kammerdienerin Hassura, wenn die arme Jüdin überhört hatte, daß sie der Herrin den Morgentrunk nebst dem Gebäck an das Lager bringen möchte. Solange Menes sich noch im Hause befunden, war Asso dem Mädchen mit einschmeichelnder Freundlichkeit entgegengekommen, hatte sie »Mein Kind!« angeredet und ihr die Wangen gestreichelt. Von dem Augenblick an, als Menes das Haus verlassen, änderte sich das Benehmen des stolzen Weibes auffallend; sie bekümmerte sich kaum um ihre Schutzbefohlene, ja manchmal mochte es scheinen, als begünstige sie die Spöttereien der Diener. Ein Brief, den Menes von Theben aus an seine Mutter gerichtet und worin er Myrrah ihrer Sorge aufs dringendste empfahl, übte weiter keinen Einfluß auf die Handlungsweise der Frau. Myrrah gewahrte dies mit quälender Besorgnis; so sehr sie sich auch auf schlimme Tage gefaßt gemacht hatte, das, was sie nun zu erdulden gezwungen war, überstieg alle ihre Erwartungen. Aber selbst in ihrem tiefsten Seelenjammer schleuderte sie keine Vorwürfe auf das Haupt ihres Geliebten – er wollte ja ihr Bestes! sie mußte leiden, weil sein leichtgläubiges Herz sich in derjenigen geirrt, die er gezwungen war, als Mutter zu verehren. Ihre Unruhe stieg, als sie bald mehrere peinliche Beobachtungen machen mußte. Sie sah nämlich einmal, wie Asso, ehe sie sich zur Nachtruhe niederlegte, lächelnd dem Diener, der ihr den Abendtrunk zu reichen hatte, ein paar auf sie bezügliche Worte ins Ohr flüsterte, worauf dieser, ein keck aussehender, blutjunger Ägypter, feurige Blicke auf sie schoß. Myrrah entfernte sich, nachdem sie dies mit Abscheu bemerkt, hastig auf ihr Zimmer. Als sie die Türe geschlossen, hörte sie noch den jungen Diener häßlich auflachen. Bald darauf klopfte es leise an die Türe ihres Schlafgemachs, sie aber öffnete nicht.

Ein andermal schalt sie der Haushofmeister in Gegenwart der Gebieterin mit rohen Worten, ohne daß dieselbe es ihm untersagt hätte. Diese Scheltworte überraschten sie, der man bis jetzt nur Freundliches gesagt, dergestalt, daß sie an diesem Tag wie von einem bösen Traume befangen einherschlich. Einige Tage später stach sie, als sie sich ungeschickt beim Ankleiden benommen, eine der Zofen mit einer goldenen Nadel in den Oberarm, wobei die Gebieterin tat, als habe sie diese Roheit nicht bemerkt. Des armen, verlassenen Kindes Mißtrauen wuchs, als sich von Tag zu Tag immer deutlichere Anzeichen einstellten, daß die Witwe das Versprechen, welches sie ihrem Sohne in betreff seiner Geliebten gegeben, nicht nur nicht zu halten gedachte, sondern daß sie diesem Versprechen durchaus zuwider zu handeln sich befleißigte. Einst hatte Myrrah ein Gefäß voll Datteln, das sie der Herrin zu reichen hatte, zu Boden fallen lassen; der Griff blieb in ihren Händen, während die Schale sich davon lostrennte. Dies Lostrennen trat so plötzlich ein, daß Myrrah sofort den Verdacht schöpfte, man habe den Henkel absichtlich vorher von dem Gefäß gebrochen, um ihn notdürftig wieder daran zu kleben, damit ihr dieser Unfall aufgebürdet werden könne.

»Ich bin gewiß unschuldig, Herrin,« stammelte sie, »der Griff war kaum an die Schale befestigt.«

»Ja, ja,« höhnte der Aufseher Mut, »unschuldig! Die Luft ist wohl schuld an dem Zerbrechen dieser Kostbarkeit? Oder ein böser Geist, der sich auf ihren Rand setzte, als du sie anfaßtest?«

Sogleich versetzte der Erzürnte ihr einen Schlag mit der flachen Hand auf die Schultern. Myrrah wandte sich mit stummem, blassem Gesicht zu Asso; der schmerzliche Ausdruck ihrer Augen schien sagen zu wollen, sie habe so unbarmherzige Strafe nicht verdient; diese jedoch drehte sich um, dabei dem Aufseher hastig nickend, einen ermutigenden Blick zuwerfend. Der Aufseher versetzte ihr hierauf lachend einen zweiten Schlag, absichtlich dabei auf unverschämte Weise ihr Tuch vom Busen streifend. Das Mädchen, anfangs vor Entrüstung sprachlos, brach sodann in Tränen aus.

»Tue nicht so zimperlich,« bekam sie von der Herrin zu hören.

»Wenn dein Sohn wüßte, Gebieterin,« schluchzte die Gekränkte, »wie man mir seit den wenigen Wochen seiner Abreise hier begegnet – Oh! –« weiter ließ sie ihr Schmerz nicht kommen, ihre Stimme erstickte in einer nicht mehr zurückgepreßten Flut von Tränen.

»Nun? nun? dann? Was würde dann der Fall sein, wenn er es wüßte? Glaubst du wirklich, er dächte noch an dich?« entgegnete die Herrin barsch. »O, du Leichtgläubige! Sei nicht töricht, Kleine. Du mußt erzogen werden. Gebildet werden. Dankbar sein solltest du für die Züchtigung, die ich dir angedeihen lasse. Du hast ja doch nur das Gnadenbrot.«

»Oh! warum ließ ich mich betören, hierzubleiben,« flüsterte Myrrah, ihre Tränen gewaltsam unterdrückend, während Mut sie frech angrinste.

Myrrah schickte heimlich einen Boten nach Theben mit einem Schreiben an Menes, worin sie ihr Leid klagte und ihn bat, zurückzukehren; sie wüßte nicht, was sie, wenn keine Hilfe nahe, aus Verzweiflung begänne. Der Brief enthielt so dringende Bitten, so innige Klagen, daß er, wenn sich Menes nicht von Grund aus verändert hatte, unbedingt einen tiefen Eindruck in seinem Gemüt hinterlassen mußte. Das fühlte die Verlassene, daran klammerte sie sich mit all ihrer Hoffnung – und sie erhielt auf diesen Brief nicht die kleinste Antwort! Sie wartete von Tag zu Tag, von Woche zu Woche – vergeblich! War ihr Schreiben unterschlagen worden? War ihr die Antwort ihres Geliebten vorenthalten worden? Oder – doch unmöglich! Menes konnte sie so schnell nicht vergessen; gewiß! er hatte ihr geantwortet. Plötzlich, nach mehreren Wachen, änderte sich das Benehmen der vornehmen Dame. Wenn sie an Myrrah vorüberschritt, blieb sie stehen, betrachtete sie mit mitleidigen Blicken oder streichelte ihr gutmütig über die Hand, dabei ausrufend: »Armes Ding! schlimme Erfahrungen!« Dies sonderbare Gebaren wiederholte sich so oft, daß sich das Mädchen allmählich ernstlich die Frage vorlegte, was ihre Gönnerin denn nur mit diesen Worten bezwecke, denn irgendeine, ihr bis jetzt verborgen gehaltene Ursache mußte doch diesem auffallenden Betragen zugrunde liegen. Sollte Menes erkrankt sein? Doch warum teilte sie dies ihr nicht offen mit?

Eines Abends ließ Asso das Mädchen an ihr Lager rufen. Als sie eintrat, entfaltete die Dame eine Papyrusrolle, rückte den Schirm der Lampe zurück und frug Myrrah mit weicher Stimme:

»Liebes Kind, liebst du meinen Sohn noch immer?«

Das Mädchen sah betroffen empor.

»Gewiß, hohe Frau,« war ihre schüchterne Antwort.

»Ach! ach! du Gute! Wenn er nur ebenfalls einen so treuen Charakter besäße wie du! Ach, mein Sohn, mein leichtfertiger Sohn!«

»Er ist gut und treu,« flüsterte das Mädchen, über dessen abgehärmte Wangen bei der Erinnerung an ihn ein verklärendes Lächeln glitt.

»Gut und treu? Du Arme! Nein, denke dir, das ist er nicht,« sagte Asso, die Papyrusrolle seufzend entfaltend.

»Wer wagt es, ihn zu verleumden,« entgegnete Myrrah fast herausfordernd. »Ich weiß, daß ich auf seine Treue bauen kann, wie ich ihn kenne, kennt ihn niemand auf Erden. In meinen Augen soll ihn mir nichts herabsetzen.«

»Hier in diesem Brief wird mir gemeldet,« sprach Asso in bedauerndem Tone ruhig weiter, »daß er sich, denke dir, mein Menes, sich um die Hand Heseptas bewirbt, der Tochter des Oberfeldherrn! So angenehm mir nun eine solch vornehme Verbindung wäre, muß ich doch bedauern, daß seine Neigungen so schnell wechseln. Das wirft ein häßliches Licht auf sein Gemütsleben. Wie schnell hat er dich vergessen, gutes Kind. Ja, ich muß das sehr tadeln, es ist nicht zu billigen. Komm, gib mir deine Hand; ich will gut zu machen suchen, was er an dir verbrochen.«

Myrrah schüttelte das Haupt, redete jedoch keine Silbe. Die Witwe fuhr fort, von der Wankelmütigkeit ihres Sohnes zu sprechen und bemerkte nicht, daß sich allmählich eine große Träne unter der Wimper des Mädchens hervorstahl.

Mit den hastig hervorgestammelten Worten: »Das glaube ich nicht,« unterbrach endlich die Weinende den Redeschwall der vornehmen Dame.

Mitleidig lächelnd klatschte Asso in die Hände, und sogleich erschien ein Sklave, dem sie auftrug, den Boten, der diesen Brief aus Theben gebracht, vorzuführen. Dieser Bote erschien im Reiseanzug und beteuerte die Wahrheit des Briefes mit solcher Sicherheit, daß Myrrahs Busen von quälenden Zweifeln zerrissen ward. Sie wankte und mußte sich setzen.

»Ich habe einen Plan,« lächelte hierauf Asso geheimnisvoll, indem sie Myrrahs Ohr dicht an ihren Mund heranzog, »höre, wie wäre es, mein Kind, wir nähmen Rache an dem Treulosen! Er verdient Strafe!«

»Wie? Wie meint Ihr?« frug das Mädchen verwirrt.

»Nun sieh,« fuhr die andere fort, »wenn er erführe, du seiest seinem Beispiel gefolgt, du seiest, ohne ihn zu fragen, ohne seine Einwilligung, in den Stand der Ehe –«

Aber Asso hatte noch nicht ausgeredet, als Myrrah sie mit der entschiedensten Gebärde des Widerwillens unterbrach und eiligst das Zimmer verließ.

So sehr auch Myrrah an der Wahrheit dieser Nachricht zweifelte, schnitt sie ihr doch bei dieser raschen Mitteilung tief ins Herz. Sie fühlte in ihrer Bescheidenheit nur zu sehr, wie sie an allem, was die Männer fesseln kann, unter der reichen Tochter des großen Oberfeldherrn stand. Der Zweifel an der Treue ihres Menes war einmal in ihre Seele geschleudert und er tauchte von Zeit zu Zeit beim Arbeiten, beim Ruhen wieder auf, als beängstigender Traum oder düsteres Grübeln, so sehr sie sich auch klar machte, daß Asso keinen anderen Zweck verfolge, als sie zu betrüben, sie aus dem Herzen ihres Sohnes zu verbannen. War nicht dieser Heiratsvorschlag der deutliche Beweis, wie sehr Asso eine Trennung zwischen den beiden zustande zu bringen suchte? Aber Myrrah schauderte vor dem Gedanken, einem anderen anzugehören, zurück wie vor dem Tode, und selbst wenn Menes an der Seite eines fremden Weibes sein Leben, ohne ihrer zu gedenken, verbrachte – war es nötig, daß, weil er ihr untreu geworden, sie ihm wieder untreu werden mußte? Sie sah Menes am Hofe des Königs von Pracht umgeben, bewundert von schönen Frauen, die Frauen bewundernd, geehrt, umschmeichelt – aber kein Gefühl von Eifersucht stieg bei solchen Betrachtungen in ihrem Busen auf, kaum daß der Schmerz sich zu erheben wagte in ihr, sie wünschte ihm diese Triumphe, sie freute sich seines Glanzes. In unglücklichen Stunden schien es ihr sicher zu stehen, daß er sie vergessen habe; dann wieder machte sie sich Vorwürfe, an ihm auch nur einen Augenblick irre geworden zu sein. Zu einem war übrigens dieses Brüten gut; sie vergaß dadurch zu bemerken, wie man sie im Hause der Witwe immer geringschätziger behandelte. Hatte man es doch gewöhnlich nicht mehr nötig gefunden, ihren Platz bei Tische mit Speisen zu versehen; sie mußte oft tagelang Hunger leiden. Diese Herabsetzung fühlte sie jetzt, nachdem ihre Gedanken von jenem Zweifel hin und her gerissen wurden, nur noch wie durch einen dichten Schleier hindurch; die ganze Welt war ihr wie in Nebel gehüllt; selbst grobe Beleidigungen verloren ihr gegenüber ihren Stachel; sie konnte, ohne zu wissen, was sie tat, lächeln, wenn ihr eine Dienerin Schmähungen entgegenwarf. In diesem Zustand von Schmerztrunkenheit gewahrte sie auch nicht, wie ein dunkelbärtiger fremder Mann seit einigen Tagen im Hause verkehrte. Er schien oft stundenlange Unterredungen mit der Herrin zu pflegen, trat scheu, ja geheimnisvoll auf, warf, wenn er ihr auf dem Gange begegnete, Myrrah wohlwollende Blicke zu und wurde allmählich von der Witwe mit einer Art Freundlichkeit, ja Ehrerbietung behandelt. Die Diener steckten über die seltsame Erscheinung dieses schwarzen Juden neugierig die Köpfe zusammen; Gerüchte über seine Absichten tauchten unter ihnen auf; man brachte ihn in Verbindung mit Myrrah. Schließlich drang auch etwas von diesen Gerüchten in die Abgeschlossenheit der Jungfrau. Sie bekam abgerissene Reden über den rätselhaften Juden zu hören, die sie anfangs unbeachtet ließ, die sie aber später beunruhigten; man rief ihr Glückwünsche nach; ja der Gondelführer begegnete ihr auf einmal mit einer gewissen Achtung, der Aufseher des Hauses trug ihr sogar seinen Schutz an.

»Glückliches Geschöpf,« sagte ihr einmal die junge Zofe, von der sie einige Wochen vorher in den Arm gestochen worden war, »glückliches Wesen, über dir walten die Götter sichtlich. Aber wenn du dies Glück errungen hast, dann denke an mich! Daß ich immer deine beste, treueste Freundin war.«

Damit küßte die Zofe des Mädchens Wangen.

»Welches Glück,« fragte Myrrah verwundert, »soll ich mir erringen?«

»Welches Glück, ei du Schalk,« lachte die Schmeichlerische, »als wenn du das nicht längst erraten hättest! Ei du süßer Schelm, stellst dich unwissend?«

»Ich weiß gewiß nicht, von was du redest,« sagte Myrrah, deren Gutherzigkeit der boshaften Zofe längst vergeben hatte.

»Ha, ha,« lachte diese, »wie du bescheiden tust! Nun, nur so weiter, damit wirst du ihm gewiß gefallen, du kleine Beneidenswerte.«

Mit diesen Worten schlüpfte sie lächelnd hinweg, das Mädchen in ängstlicher Spannung zurücklassend. Was bereitete sich um sie her im stillen? Welches Unheil schwebte bereits mit ausgebreiteten Schwingen über ihrem Haupte? Von welchen Händen ward der Pfad, auf dem sie ging, untergraben? Es war ihr, als lege sich ein schweres Netz immer enger und enger um ihren Leib; sie fühlte, daß man einen Plan geschmiedet, sie nicht völlig zu vernichten, doch unschädlich zu machen für ewig. Immer bedrohlicher wurden die Anzeichen des herannahenden Sturmes, immer banger ward es der Unglücklichen ums Herz. Endlich sollte sich denn dies Geheimnis, das wie auf Fledermausflügeln durch das Haus schwebte, lösen, endlich sollte ihr offenbar werden, vor welchem Abgrund sie bisher schlafend gelegen, in welchen Händen sie ihr argloser, ahnungsloser Menes zurückgelassen.

Eines Abends saß Myrrah müde von des Tages Arbeit auf ihrem kleinen Zimmer; die Sonne schickte sich eben an, hinter einem Palmenwäldchen wie hinter einer Gardine zu verschwinden, um glühend rot ihr Bad im gelbflammenden Nil zu nehmen, dessen Wogen vor Sehnsucht brannten, bebten, den gewaltigen Râ, den Herrscher des Weltalls, in sich aufzunehmen. Myrrah hatte diesem Schauspiel durch ihr Fensterchen zugesehen; dann rückte sie ihr ärmliches, polsterloses Lager zurecht, setzte sich darauf und verzehrte eine halbverschimmelte Dattel, das einzige Abendbrot, das ihr für heute gereicht worden war. Die letzten Strahlen des Tagesgestirns sanken auf die kahlen Dielen des Gemaches und verliehen den rohen, öden Lehmwänden für einige Augenblicke den Goldglanz eines königlichen Prunksaales. Dann nahm allmählich der Purpurschein vom Himmel traurigen Abschied; die Dämmerung stahl sich schüchtern in das Zimmerchen. Das arme Kind hatte, fast stumpf, wenigstens teilnahmlos vor sich niedergeblickt. Die vielen schlaflosen Nächte, die beständige Herzensangst, die Qual der Ungewißheit über ihr Schicksal machten sich geltend; zu der geistigen Abspannung gesellte sich nun auch eine körperliche. Welchen Weg nahm ihr Leben? Was stand ihr noch alles bevor? Warum ließ Menes nichts von sich hören? Sie gestand sich selbst mit Schrecken, daß sie kaum mehr fähig sei, irgend etwas deutlich zu empfinden; es war eine völlige Gleichgültigkeit über sie gekommen; die Gedanken spielten willkürlich mit ihrem Herzen. So saß sie eine Zeitlang wie geistesabwesend; schon dämmerte es stärker, als die Türe leise aufgedrückt wurde. Kaum hatte sie dies bemerkt, so stand sie erschrocken auf, um sie wieder zu schließen; da schlang sich ihr ein weicher, warmer Gegenstand um Schulter und Hals. Sie stieß einen leisen Schrei aus; in ihrer Beklemmung war ihr, als habe ein männliches Wesen die Frechheit gehabt, sie zu umarmen, und schon wollte sie den Arm mit Entrüstung von sich stoßen, als dieser vermeintliche Arm begann ein leises Miau! auszustoßen. Die Hauskatze mit Namen »Schönlicht« war es, die sich zärtlich an das Mädchen schmiegte, von welchem sie manchen guten Bissen heimlicherweise erhalten, für den sie sich nun erkenntlich zeigen wollte. Freudig überrascht liebkoste sie das Tier, bei sich denkend: sie ist in diesem Hause die einzige, die mich liebt, die es ehrlich mit mir meint.

Das zärtliche Lecken des Kätzchens rührte heute wie nie das Herz der Armen, sie fühlte nun erst recht ihre Verlassenheit, sie fühlte, welch treue Gefährten die Götter den Menschen in den Tieren gegeben, und fand es nun weniger seltsam, daß die Ägypter ihre Tiere einbalsamierten. Da drangen durch das geöffnete Fenster von weither die Töne eines Liedes nach Hause kehrender Schnitter in ihr Zimmer; melancholisch, einförmig schwebte die Weise vorbei, wie klagender Windhauch im Schilf; Harfenklänge mischten sich darein. Brust und Haupt der Einsamen hoben sich unter dem Einfluß dieser erquickenden Töne; ihr Auge füllte sich mit stillem Glanze, und als es zufällig draußen am Himmel die hoheitblickenden Sternaugen auf sich gerichtet sah, da kam es über sie wie eine Art Begeisterung, wie eine selig schmerzliche Trunkenheit; ein, fast möchte man sagen, erhabenes Lächeln umspielte ihre schönen, kummerblassen Lippen.

»Nein, er liebt mich, er liebt mich; wie darf ich zweifeln,« rief es in ihr, »ich muß ausharren; nicht lange, so kehrt er zurück, mich zu befreien. Alle Pein will ich geduldig tragen, um seiner würdig zu heißen! Er liebt mich! Ich fühle es! Diese Töne, diese Sterne sagen es mir!«

Die Töne waren verklungen, aber die freudig gehobene Stimmung im Busen der Verlassenen war geblieben. Es wurde still, heiter in ihr; sie empfand sogar Lust darin, sich unglücklich zu fühlen; ihr ganzes Wesen, alles, was sie tat und dachte, schien vom Schmerz der Entsagung geadelt; sie schritt einigemal leicht und frei durch ihr kleines Zimmer wie eine Königin.

Doch diese Freude sollte nicht lange währen. Eben hatte sie sich gesetzt, den Kopf träumerisch an die Bettstelle schmiegend, ihren Geist um die ferne Gestalt des Geliebten schweben zu lassen, als sie derbe Tritte vor der Tür vernahm. Ein schwarzer Sklave trat ein.

»Folge mir zur Herrin, sie will dich sprechen.«

Myrrah riß sich gewaltsam aus ihren Schwärmereien.

»Ich komme,« sagte sie, ihre einfachen Kleider ordnend.

»Laß das,« erwiderte der Sklave.

»Was soll ich lassen?«

»Hier ist ein besseres Kleid für dich,« sagte der Schwarze, ein bisher verborgen gehaltenes Paket hervorziehend, »lege dein Kleid ab.«

»Warum? Dieses Gewand gefällt mir nicht.«

»Warum? Weiß ich das?« sagte der Sklave ärgerlich, »du sollst, das genügt. Ob dir das Gewand gefällt oder nicht, gilt gleich!«

Myrrah entfaltete das Gewand. Es war einer jener kostbaren Stoffe, wie ihn nur die vornehmen Ägypterinnen trugen, wie es diese Damen liebten, so außerordentlich fein gesponnen, daß diejenige, die damit bekleidet war, ebensogut ohne denselben hätte erscheinen können, denn er ließ den Körper, wie als läge er in den kristallenen Wogen einer Badewanne, durchschimmern. Myrrahs Schamhaftigkeit fühlte sich verletzt, als sie sich in diesem Gewand dachte, sie gab es mit entschiedener Gebärde zurück. Der Sklave entfernte sich, als sie bemerkte, sie könne dies Gewand nicht anlegen, es widerstrebe ihr, kam aber sogleich mit dem Befehl zurück, man würde sie zwingen, wenn sie sich weigere, es zu tragen. Widerwillig fügte sie sich dem Befehl, entkleidete sich, und als die neuen Falten um ihre durchschimmernden Glieder flossen, trat der Äthiopier, der zuvor das Zimmer verlassen, wieder ein.

»Ziere dich nicht,« sprach er zu der sich verschämt Abwendenden, sie wohlgefällig betrachtend, »du stehst jetzt im Begriff, dein Glück zu machen. Die Herrin wählte mit kluger Vorsicht dies Gewand, damit du dich vorteilhaft ausnimmst. Folge mir und fasse Mut. Es wäre besser, du trätest keck auf; deine Schönheit gibt dir schon das Recht, den Kopf hoch zu tragen, kleine Lotosblume.«

Zitternd folgte sie dem Voranschreitenden durch die dunkeln Hallen. Eine bange Ahnung flog, wie ein aufgescheuchtes Wild, an ihrer Seele vorüber; sie fühlte, daß jetzt die Stunde einer Entscheidung für sie gekommen war. Die Diener, die sie vorübergehen sahen, blieben schmunzelnd stehen, mit lauten Worten ihre Schönheit bewundernd, was ihr Begleiter mit einem Gesicht hinnahm, das auf große Dinge hinzudeuten schien. Endlich hielt der Sklave vor einer Türe. Lautes Gespräch scholl aus dem Inneren; Myrrahs Herz schlug zum Zerspringen, als bei ihrem Eintritt das Gespräch einen Augenblick verstummte. Sie befand sich in dem teppichbelegten Schlafgemach der Herrin. Auf einem großen Tisch, der mit Papyrusrollen bedeckt war, stand ein schöngeschnitztes Schreibgerät, mit dessen Rohrfeder Asso lächelnd spielte, während hinter ihrem Stuhl ein junges, sehr aufgeputztes Frauenzimmer stand und ihr gegenüber ein Mann saß, welcher eifrig eine der Rollen überlas. Die auf dem Tische stehende metallene Lampe warf einen rötlich trüben Schein auf dieses Mannes Antlitz, dessen scharfgebogene Nase bis jetzt noch auf die Rolle herabgebeugt war. Myrrah, nachdem sie sich gesammelt hatte, erkannte mit der höchsten Bestürzung in diesem schwarzbärtigen, gelblich blassen Leser Isaak, und in der mit Goldflittern behangenen, überladen geschmückten Schönen hinter dem Stuhl der Herrin, Rebekka. Zugleich kam ihr jene Gestalt wieder in Erinnerung, die sich seit einigen Tagen so häufig in ihre Nähe gedrängt, und der sie bis jetzt keine Beachtung geschenkt – diese Gestalt, das wußte sie nun, war Isaak gewesen. Zu welchem Zwecke hatten sich die Geschwister hier eingefunden? Sie warfen ihr oft so bedeutungsvolle Blicke zu, sie sahen sich oft geheimnisvoll lächelnd an, dann schauten sie wieder vielverheißend auf die Eingetretene. Was rief die beiden gerade in diesem Augenblicke hierher? Warum diese feierlichen Vorbereitungen? Hier schien irgendeine ernste Verabredung getroffen, ein wichtiger Entschluß gefaßt worden zu sein, der vielleicht folgeschwer in das Leben der Verlassenen eingriff. Das ganze Benehmen der Versammelten deutete auf eine vorzunehmende Tat hin, die vorher in reifliche Erwägung gezogen worden war, und deren Für und Wider man in heftigem Gespräch beleuchtet.

Myrrahs Gehirn ward wie von Schwindel erfaßt, sie sah und hörte kaum mehr, was um sie her vorging, erwartungsvoll blieb sie an der Türe stehen.

Jetzt erhob sich neben Asso ein schmaler, feingebauter Ägypter, den sie zuvor noch nicht bemerkt hatte, da sein zierlicher Leib von den massigen Körperformen der Herrin bedeckt war.

Lächelnd beugte er seinen kahlgeschorenen Schädel zu dieser herab.

»Lebe wohl,« sagte er mit der jovialen Stimme eines alten Hausfreundes, »lebe wohl, meine Teuerste; die Zeugnisse und Schriftstücke, welche die Ehe dieses jungen Mädchens mit diesem Manne betreffen, sind geordnet, es steht nichts mehr im Wege, es wird nur noch deine Unterschrift gefordert, Asso.«

Hatte Myrrah recht verstanden? Sprach man von ihr? Die Ohren summten ihr, sie mußte sich an dem Türpfosten halten.

»O Gott meiner Väter, was steht mir bevor!« rief es in ihrem tief aufseufzenden Busen, »welche Schändlichkeit soll hier verübt werden? Nein, es ist nicht möglich! Ich habe mich getäuscht, ich träume! Das ist alles ein böser Traum!«

Asso hatte sich erhoben.

»Ich danke dir, Metro, für deinen Beistand,« sagte sie, »du hast mir einen großen Gefallen erwiesen.«

»Gern geschehen,« lächelte der Nomarch von Memphis, denn das war er. »Du hättest dir übrigens denken können, daß eine Jüdin rechtlos ist, und daß du mit deiner Sklavin so ziemlich beginnen kannst, was du willst; solange du ihr nicht nach dem Leben trachtest, geht uns Beamten deine Behandlung nichts an.«

Immer banger legte es sich um das Herz des gequälten Mädchens, die Worte des Sprechenden brausten wie Katarakte an ihrem Ohre vorbei.

»Du willst schon gehen, Metro?« frug Asso mit angenommener Enttäuschung, »willst du mir meinen schönen Abend verderben? Du weißt, welchen Wert ich auf deine Unterhaltung lege, sie ist so erfrischend, so prickelnd, sie ist für mich, was das Lilienöl für eine schöne Mädchenbrust, sie glänzt und gibt Glanz, Duft.«

»Du weißt zu schmeicheln, wie ein assyrischer Höfling,« lächelte Metro, sein Gewand in elegante Falten legend, »wenn ich in deiner Nähe gut zu sprechen weiß, ist das sehr erklärlich, denn wen ließe die Schönheit gleichgültig? Allen anderen gegenüber bin ich plump wie ein Nilpferd, wenn jedoch dein Auge auf mir ruht, strömen meine Worte dahin, wie die Wolken aus der Weihrauchpfanne des Priesters.«

»Bleibe noch ein wenig!«

»Unmöglich, liebste Frau! Geschäfte und wieder Geschäfte,« sagte der hohe Beamte eilfertig, »kann unmöglich bleiben, so gerne ich deine Gegenwart genieße. Erstlich: Kosten der neuen Wasserbauten berechnen! Neue Pläne für dieselben durchsehen; Arbeiter auszahlen! Dann des Königs Bildsäule unter meiner Leitung wieder aufrichten – du weißt, sie liegt beschädigt am Fuße der Pyramide. Soll ein ähnliches Denkmal werden, wie das des Königs Möris am Mörissee! Dann Truppen nach Theben senden – Staatsgeheimnis – bst!«

Er legte wichtig den Finger auf den schmalen Mund.

»Ist es wahr,« flüsterte Asso, sich an des Nomarchen Seite stehlend, als sie das Wort »Staatsgeheimnis« vernahm, »ist es wahr, Urmaa-nofru-râ, die Königin, habe mit ihrem Stiefsohn dem König feindselige Absichten gezeigt? Man flüstert von einer Verschwörung gegen sein Leben – selbst Psenophis, der Oberpriester, soll –«

Rebekka hob bei diesem Wort lauschend das Haupt, jedoch der Nomarch fiel der hohen Frau hastig in die Rede.

»In diesem Punkte, weißt du,« sagte er mit gemachter Heiterkeit, »hört unsere Freundschaft auf. Weiß von nichts, darf nichts sagen. Weiber zu Vertrauten nehmen? Lieber den Wind dazu nehmen, lieber die Wellen des Nil oder die geschwätzigen Vögel im Rohr. Gute Nacht! Mög' Isis deinen Schlaf bewachen bis zum Morgen.«

Mit diesen Worten schlüpfte er behende durch die Türe, unserer Myrrah einen gnädigen Blick zuwerfend.

Isaak legte das Schriftstück auf den Tisch, das er bis jetzt in den Händen hatte.

»Es ist alles in Ordnung,« sagte er darauf mit kriechender Höflichkeit, »auch wage ich es, die Herrin daran zu erinnern, daß Myrrah eintrat.«

»Eingetreten? Ah! ich habe es übersehen,« entgegnete Asso sich umwendend. »Gut! So will ich ihr dies Glück verkünden, was hältst du davon, Rebekka?«

Ein listiges Augenblinzeln flog bei diesen Worten zu Rebekka hinüber, welche ein leises Kichern vernehmen ließ, das sagen zu wollen schien: ich bewundere dich, Herrin!

»Komm näher, gutes Kind,« wendete sich sodann Asso an die verschämt im dunkeln Hintergrund stehende Myrrah, »komm, gib mir deine Hand. Nicht wahr, ich sehe es deinen Augen an – du bist erstaunt, uns hier in feierlicher Versammlung sitzen zu sehen? Gib acht! was sich dir nun enthüllen wird, lerne die Vorsorge deiner mütterlichen Freundin kennen. Ja, gewiß! ich habe mir dein Wohl sehr angelegen sein lassen, ich habe manche Nacht schlummerlos mit dem Gedanken hingebracht: wie ich dein Leben werde am glücklichsten gestalten können. Du wirst mir dies, hoffe ich, nie vergessen.«

Sie strich mit ihrer warmen, breiigen Hand über die dunkeln Haare Myrrahs, während sie zu Isaak hinüber rief:

»Ist sie nicht schön, Isaak? Welcher Wuchs! Welcher schlanke, zarte Gliederbau! Ja, mein Sohn hatte Geschmack.«

Isaaks Blicke liefen funkelnd am Körper des Mädchens in die Höhe, was diese, obgleich sie nicht aufsah, mit Grauen fühlte. Eine unerklärliche Bangigkeit schnürte ihr den Atem in der Brust fest, es war ihr, als sei der letzte Augenblick ihres Daseins gekommen, oder als wolle man Menes vor ihren Augen hinrichten.

»Sieh! gutes Kind,« fuhr die Dame gnädig fort, »dieser achtbare Mann, den du kennst, hat sich entschlossen, nachdem ich ihm dazu geraten – um es unverhohlen herauszusagen – –«

Sie räusperte sich verlegen, die Worte wollten ihr nicht über die Lippen, endlich richtete sie sich errötend an Rebekka:

»Sage es ihr, Rebekka,« flüsterte sie.

Rebekka betrachtete ihre frühere Freundin mit einem halb mitleidigen, halb schadenfrohen Blick. Wohl mochte sie jetzt an die im Schatzhaus gefundene Urkunde denken – denn sie flüsterte ihrem Bruder die Worte: »Sieh! das Königskind,« in die Ohren und setzte dann laut mit scherzendem Tone hinzu:

»Isaak hat, mit Erlaubnis, oder besser auf Wunsch Assos beschlossen, dein Gatte zu werden.«

Nach diesem Ausspruch folgte eine Pause, aller Augen richteten sich neugierig forschend auf Myrrah.

»Sieh nur, wie sie drein schaut,« lachte Rebekka zu ihrem Bruder hinüber, der ein wohlwollendes Gesicht zu machen suchte, was ihm aber nicht gelang.

»Nun, du umarmst mich nicht?« sagte darauf Asso, »du nennst mich nicht deine gute Mutter? Schrick nicht zusammen und wirf keine solchen Blicke des Entsetzens auf den ehrlichen Isaak. Ich habe dich ihm zum Weibe bestimmt und er ist es zufrieden. Ich habe ihm im Westen von Memphis, an der Straße, die nach den Pyramiden führt, ein Landhaus gekauft, wo du mit ihm in glücklicher Ehe deine Tage hinbringen magst – sprich! wer hat mehr Ursache dankbar zu sein als du?«

Asso hatte in der Tat dem Juden eine schöne Villa geschenkt, sowohl, um ihn leichter zu bestimmen, die Hand des Mädchens anzunehmen, als auch, um der Geliebten ihres hintergangenen Sohnes einigen Ersatz zu gewähren. Sie glaubte durch diese Schenkung ihr Unrecht völlig gut gemacht zu haben. Isaak seinerseits kam dieses Geschenk sehr erwünscht, durfte er doch von nun an seine aus dem Schatzhaus des Königs entwendeten Schätze dem Tageslicht offen zeigen, ohne daß er das Erstaunen der Welt zu sehr zu fürchten brauchte. Die Welt würde jedenfalls Argwohn geschöpft haben, wenn ein unbemittelter Ebräer urplötzlich, ohne ersichtliche Ursache, sich in einen reichen Mann verwandelt hätte. So aber ließen sich unter dem Deckmantel eines Geschäftes allmählich die goldenen Wogen des Schatzhauses bequem ausschöpfen.

Welchen Eindruck die Enthüllung dieses grausamen Vorhabens auf Myrrah machte, läßt sich kaum schildern. Anfänglich hörte sie die Worte ohne ihren Sinn zu fassen; als man ihr dieselben noch einmal wiederholte, verriet nur ihre totenähnliche Blässe, der starre Ausdruck ihrer Augen und etwa das krampfartige Zucken ihrer bläulich gewordenen Lippen die innere Qual, welche ihr der Gedanke verursachte, für immer das Weib Isaaks sein zu müssen, und Menes schändlicher-, heimtückischerweise entrissen zu werden.

Das also war das Geheimnis, welches sie so lange umschwebt? Man wollte sie hinter dem Rücken ihres Freundes, der keine Ahnung von der Abscheulichkeit seiner Mutter, von der traurigen Verlassenheit seiner Geliebten hatte, gewaltsam an einen Fremden verheiraten? Und gar an den verhaßten Isaak? Die Größe dieser Unmenschlichkeit sank wie ein stürzendes Haus über ihr zusammen; ihre Gedanken irrten zerschmettert durcheinander; nur die eine Vorstellung drängte sich immer wieder durch alle anderen hindurch: Für dieses Leben hast du ihn verloren.

Dann wiederum rief es in ihr: »Oh, warum kann er nichts wissen von deiner Qual!« Es war ihr, als müsse sie ihn über Berg und Fluß erreichen mit ihrer Stimme, als müsse er in seinem fernen Theben unbedingt eine Ahnung haben von dem Elend, das man über sie zu verhängen im Begriffe stand. Wenn er jetzt schläft, muß ihm ein Traum sagen, was du leidest, wenn er froh bei Tische sitzt, muß ihm ein unerklärliches Weh, das ihn urplötzlich befällt, verkünden, was man mit dir vor hat. Es war ihr, als lief ein geheimnisvoller Faden von ihrem Herzen bis in das seine, und als könne es gar nicht anders sein, als daß er sogleich hier im Zimmer erscheinen werde. Dieser verzweiflungsvolle Wahn zerflog vor der Stimme der Gewalttätigen in sein trauriges Nichts.

»Nun! wie gefällt dir mein Plan,« frug diese wohlwollend, »bin ich nicht eine gütige Herrin? O, du solltest das Haus sehen, das nun dein Eigen sein wird, diese Zimmer, diese Tische, diese Polster!«

»Sie scheint noch ein wenig bestürzt,« sagte Isaak entschuldigend, »hohe Frau, wir müssen Geduld mit ihr haben, sie wird sich sammeln und uns dann Antwort geben; ich sehe ihr an, daß ihr dein Plan gefällt. Nicht wahr, liebes Mädchen?«

Rebekka mochte etwas wie Mitleid fühlen, als Myrrah ihr großes, verstörtes Auge zu ihr hilfsbedürftig aufschlug; sie reichte dem Mädchen, das umzusinken drohte, einen Becher voll Wasser und schob ihr einen Stuhl in die Nähe. Als Myrrah lange mit sich selbst gerungen hatte, um das unerwartet Schreckliche zu fassen, um nur wieder zur klaren Übersicht ihrer Lage zu kommen, als sie gewaltsam die sinnberückende Betäubung abgeschüttelt hatte, in der ihr Geist unterzugehen drohte, war das erste, was sich ihr in ihrer Not aufdrang, daß es jetzt darauf ankam, sich zu verteidigen. Dies Gefühl, daß, wenn sie sich nicht kräftig zu wehren verstand, ihre Zukunft endlosem Jammer preisgegeben sei, erfüllte sie allmählich mit einer Art nervös aufgeregten Mutes. Sie erhob sich zitternd von ihrem Sitz, sah stolz im Zimmer umher und warf einen Blick auf die Witwe, der diese erröten machte. Sie wollte das Äußerste wagen, selbst, wenn es ihren Untergang zur Folge hatte.

»Gebieterin,« stieß sie mit atemloser Hast hervor, »weiß dein Sohn von dieser deiner Absicht?«

»Das sollte dich nicht kümmern,« entgegnete jene möglichst gleichmütig.

»Verzeiht, es muß mich kümmern,« versetzte Myrrah mit fester Stimme, »ihm habe ich mich angelobt; er hat ein Recht auf mich; ohne seine Erlaubnis dürfen weder ich noch du einen solchen Schritt wagen. Er allein hat darüber zu entscheiden, ob ich das Weib Isaaks werden soll.«

»Ich habe darüber zu entscheiden, Dirne,« sagte Asso streng, »nicht er und nicht du. Ich versichere dir, Mädchen, mein Sohn wird niemals dein Gatte, solange ich Odem habe, wird er es nicht. Darauf darfst du schwören. Und damit eine Verbindung mit ihm für alle Zeiten unmöglich wird – deshalb sollst und wirst du Isaak zum Gatten nehmen. Ich will es! Sei vernünftig, zwinge mich nicht zu Gewaltmaßregeln; ergreife die Hand deines Glaubensgenossen, die er dir freundlich bietet. Glücklich preisen würden sich Tausende in deinem Fall. Du steigst von der armen Dienerin bis zur reichen Frau – was willst du mehr?«

»So willst du deinen Sohn hintergehen! betrügen!« rief nun Myrrah mit so lauter Stimme, daß die Rohrfeder aus der Hand Isaaks zu Boden fiel. »Willst mich zwingen, ihm untreu zu werden? Hüte dich! Wenn du mich nicht fürchtest, nicht vor meinen Vorwürfen bebst, so fürchte deine Götter, die ihr gerecht nennt, und die dein Unrecht mit Unwillen ansehen. Hüte dich vor der Stunde, da dein Herz auf der Wage liegt vor dem richtenden, gleich abwägenden Osiris, dem Richter im Lande der Toten; siehst du das Zünglein der Wage schwanken? Siehst du, wie die 42 Totenrichter dich mit scharfen Blicken durchbohren? Das heilige Tier des Toth, der Gott mit dem schauerlichen Hundekopf, berührt die Zunge der Wage; dein Herz steigt und steigt, es wird zu leicht befunden; und wenn du beteuern sollst, du habest zweiundvierzig Sünden nicht begangen – glaubst du, deine Richter ahnten deine Lüge nicht? Weißt du nicht, wie genau sie dort unten Buch führen über die Taten der Menschen?«

Asso suchte die Schauer abzuschütteln, die ihr die Beschreibung des Totengerichts eingeflößt.

»Die Totenrichter,« sagte sie wegwerfend, »rechnen diese Handlung zu meinen guten, nicht zu meinen schlimmen Werken.«

»Bedenke, was du tust,« rief Myrrah mit so dringendem Ton, als hinge an jedem ihrer Worte die Entscheidung über Leben und Tod. »Fürchte deines Sohnes Zorn, wenn er zurückkehrt; fürchtet beide seinen Zorn, denn er haßt Isaak, wie ich ihn hasse.«

Isaak zuckte zusammen.

»Denke daran,« fuhr Myrrah mit wachsender Aufregung fort, »welchen Seelenschmerz du dem Zurückkehrenden bereitest, wenn er mich an der Seite eines anderen findet? Kannst du das deinem Sohne antun und bist ein Weib? Willst du vielleicht seine Mörderin werden? Dann handle so! Willst du, daß er zu deinem Mörder werde? Dann magst du so handeln – du herzlose, unnatürliche Mutter.«

»Ich liebe meinen Sohn,« fuhr Asso auf, als habe sie dies Wort verwundet. »Ich liebe ihn; deshalb handle ich, wie ich handle. Ich weiß wohl, es wird ihm schmerzliche Überwindung kosten, dich an der Hand eines anderen zu sehen, jedoch er wird bald die Liebe seiner Mutter als Triebfeder hinter diesem Gewaltstreich entdecken, wird einsehen, daß sie so handeln mußte, und wird ihr dankbar die Hand küssen, daß sie ihn durch eine rasche, grausame, aber heilsame Operation von der Krankheit befreit, die ihm sein Leben zu verbittern drohte. Übrigens überlasse mir die Sorge, meinen Sohn zu beruhigen, denke an dein Wohl; wolltest du der Hemmschuh sein am Wagen seines Glückes? Das Steingewicht, das ihn von der Höhe, für die er bestimmt ist, herabzieht?«

»Tut es nicht, hohe Frau,« jammerte die Arme, die Hände flehend zu der Gebieterin emporhebend.

»Tut es nicht. Ich entsage Eurem Sohn; nie mehr will ich ihn sehen; gebt mir Erlaubnis, Memphis zu verlassen. Barfuß will ich mich von Stadt zu Stadt betteln, durch die Wüste bis nach Syrien; Euer Sohn soll nie mehr von mir erfahren, tot will ich sein für ihn; nur in Gedanken soll er mein sein – doch erlaßt mir das Schreckliche: dieses Mannes Weib zu sein. Möglich, daß Ihr es gut mit mir meint – hier ist Eure Güte Grausamkeit – lieber gebt mir Gift, als solch einen Eheherrn.«

»Närrchen,« lachte die Dame, »erkenne dein Glück, komme zur Überlegung.«

»Tut es nicht,« weinte die Unglückliche, ohne auf die Worte ihrer Feindin zu hören, »tut es nicht! Mehr kann ich nicht sagen.«

»Gebt mir die Feder, ich will unterschreiben,« sagte Asso, »mein Wille ist unerschütterlich.«

»Ihr macht mich elend,« rief Myrrah, die Hände faltend, »tut es nicht – laßt mich wandern –«

»Wandern?« gab die andere zurück, »damit du auf Umwegen nach Theben gelangst?«

»Mißtraut mir nicht – ich gehe nicht nach Theben, ich bin ehrlicher wie Ihr –«

»Ich kenne solche Beteuerungen. Im Augenblick der Verzweiflung macht man sie, man schwört, streng nach seinen Grundsätzen leben zu wollen, ist aber die Not gemildert, oder kommt Gelegenheit, dann verblassen allmählich die Versicherungen. Angenommen, ich ließe dich ziehen. Vier Monate lang zögst du nach Norden, der fünfte sähe dich auf dem Weg nach Theben.«

»Hohe Frau, Ihr irrt! Tut es nicht! Habt Barmherzigkeit! Seid Weib, nicht Hyäne! Kettet mich nicht an einen, den ich nicht lieben kann, das ist grausamer, als die langsamste Todesmarter.«

»Stille! – Nur dieses Mittel gibt mir Gewißheit, daß zwischen euch beiden eine Verbindung nicht mehr möglich ist; nur durch deine Ehe zwinge ich Menes, von dir zu lassen, dich als tot zu betrachten, nicht durch deine Abwesenheit, deine Trennung von ihm, die bald keine mehr sein würde. Ich darf von meinem Entschluß nicht abgehen, so sehr ich fühle, daß er hart genannt werden kann. Gib mir die Feder, Isaak, ich will das Dokument unterschreiben. Ich tue es wirklich mit Widerstreben – aber – ich finde eben kein besseres Mittel, so sehr ich überlege.«

Isaak brachte die Feder in den Farbstoff, sie der Witwe zu reichen. Myrrah verfolgte die Bewegungen der Frau mit höchster Spannung! Als die Feder die Rolle berührte, vermochte sie ihre Verzweiflung nicht mehr zurückzudämmen; alle Selbstbeherrschung, alle Unterwürfigkeit vergessend, fiel sie vor der Gebieterin zu Boden, mit der Kraft des Wahnsinns ihre die Feder haltende Hand von der Rolle zurückdrängend, dabei in die Worte ausbrechend: »So stehe du mir bei, Allmächtiger des Himmels!«

»Macht mich los von der Rasenden,« keuchte Asso.

»Nimm Vernunft an, Myrrah,« stöhnte Isaak, die Hingestürzte mit geheimer Lust betrachtend.

»Schreib' nicht,« wimmerte das bejammernswerte Opfer gewalttätiger Hinterlist. »O Menes, warum weilst du fern! Eile, fliege herbei! O wenn du dies wüßtest – kann mein Schrei nicht bis zu dir dringen? Verkünden es dir deine Götter nicht, was man dir antut? Alles bleibt stille, kein Lüftchen regt sich, alles schweigt und bleibt fühllos – sie schreibt – es ist geschehen – nichts kommt mir zu Hilfe – ich muß es dulden, das Unerträgliche. Ich muß es dulden!«

»Dulden,« stöhnte sie noch einmal aus tiefster, gequälter Brust hervor, dann sank sie mit dem Haupte machtlos auf die Tischplatte, während Isaak, unter tröstendem Zuspruch, sie sanft emporzuheben bemüht war.

Während dieser wie im Wahnsinn hervorgestammelten Worte Myrrahs hatte Rebekka mit kaltem Lächeln die Hände des Mädchens, die sich krampfhaft um den Arm der erschrockenen Asso gekrallt, losgewunden und so der Witwe Raum und Zeit verschafft, rasch ihren Namen unter die Rolle zu setzen. Die vornehme Dame atmete aufgeregt, als sie die Feder nach Beendigung des Unterschreibens auf den Tisch warf und ihr Blick auf die Zusammengesunkene fiel. Selbst ihr schien dieser Auftritt peinlich, sie mochte daran denken, welche Verantwortung sie in diesem Augenblick auf sich genommen, welche Folgen diese herrische Tat nach sich ziehen konnte. Nach einer kurzen Erholungspause klatschte sie in die Hände, worauf zwei Schwarze erschienen.

»Steht die Sänfte bereit?« frug sie mit noch unsicherer Stimme.

»Ja, Herrin,« erwiderte der eine.

»Gut! Isaak, ich überlasse es dir, dein Weib – denn diese Federstriche haben sie dazu gemacht – nach deiner Wohnung zu führen. Diese beiden Sklaven mögen dir bei diesem Werke behilflich sein, wenn es etwa nicht ohne Schwierigkeit ablaufen sollte. Die Sänfte steht bereit. Ich kann nicht länger hier verweilen.«

Asso hatte die Worte hastig hervorgestoßen und entfernte sich dann rasch, um nicht Zeuge der jetzt folgenden, herzzerreißenden Szene sein zu müssen. Isaak suchte sich dem Mädchen verständlich zu machen; umsonst; sie klammerte sich an den Tisch, taub allen Bitten und Befehlen. Es blieb dem vor Begierde zitternden Eheherrn nichts anderes übrig, als seine Frau gewaltsam, wie eine festgewurzelte Efeuranke, von dem Tische loszureißen, wobei ihm Rebekka behilflich war. Eben wollten die Sklaven auf den Wink des Juden zugreifen, da trat bei der bisher wie ohnmächtig Daliegenden eine auffallende Veränderung ein. Ein plötzlicher Gedanke mußte in ihr aufgestiegen sein, denn in kurzer Zeit hatte sie sich gefaßt; sie erhob sich, wobei es wie Triumph über ihr blasses Gesicht leuchtete. Dann gab sie mit einer stummen Bewegung der Hand zu verstehen, es sei nicht nötig, sie mit Gewalt in die Sänfte zu bringen. In ihrem Auge schimmerte es wie eine entfernte Hoffnung, als sie sich jetzt zu dem erstaunten Isaak wendete.

»Und du willst mein Gatte werden?« sagte sie mit einer gewissen höhnischen Ruhe.

»Ja,« sagte dieser kleinlaut, »wenn du erlaubst –«

»Und du fürchtest dich nicht vor mir?« frug sie weiter.

»Fürchten? Warum? Ich liebe dich!«

»Gut, ich folge dir!« brach sie das Gespräch mit seltsamem Lächeln ab.

Sie schritt allen voran nach der harrenden Sänfte. Als sie fast den Ausgang erreicht hatte, entschuldigte sie sich, sie habe ihr Kopftuch vergessen, sie müsse noch einmal zurück. Ein Sklave wollte es holen, sie jedoch hieß ihn bleiben, sie wolle selbst gehen. Rasch eilte sie den Gang hinab nach dem Zimmer, das sie soeben verlassen. Kaum hatte sie es betreten, so warf sie einen aufgeregten Blick ringsum.

»Dort sah ich ihn glänzen,« murmelte sie, »ja, er ist's.« Rasch schritt sie auf ein niedriges Eckbrett zu. Dort lag unter allerlei Schmuckgegenständen, Ketten, Armspangen und dergleichen ein kostbarer Dolch, wie ein alter Sünder unter unschuldigen Kindern. Hastig steckte sie den Glänzenden zu sich.

»Du sollst mein bester Freund werden, kleiner leuchtender Mörder,« sprach sie mit wildem Lächeln, ihn streichelnd, um ihn darauf unter ihrem Brusttuch zu verbergen. »Dich legte mir Jehova hierher, auf dich ließ er meine Augen fallen in meiner höchsten Not, du leuchtest mir wie ein Strahl von oben. Sei mir dienstbar!«

Sie wandte sich nach der Türe; sie bebte zurück, denn dort stand Isaak, ohne daß sie bemerkt hatte, wie er ihr gefolgt war.

»Was suchst du?« rief sie erschrocken.

»Dich,« sagte er.

»Hier bin ich, laß uns gehen.«

»Hast du dein Kopftuch gefunden?« frug er zärtlich.

»Du siehst es,« sagte sie, ihn scharf beobachtend.

Beide schritten nebeneinander der Sänfte entgegen, sie ungewiß, ob er Verdacht schöpfe, er liebestrunken, vor Sehnsucht kaum mehr seiner mächtig.

»Du mußt dich wärmer kleiden,« lispelte er weich, ihr seinen Mantel umhüllend, »die Nacht ist kühl.«

Als das Mädchen in der Sänfte Platz genommen, beugte er sich noch einmal zu ihr.

»Verzeihe mir, Myrrah,« flüsterte er bebend, »verzeihe mir . . .«

»Was soll ich dir verzeihen?«

»Daß – daß ich dich liebe,« kam es verlegen über seine Lippen.

* * *

Das Haus, welches Asso Isaak geschenkt, lag im Westen der Stadt inmitten eines Gartens. Der Jude hatte klugerweise dem Mädchen mehrere Tage Zeit gegeben, sich von dem Unerwarteten zu erholen, ihre Geister zu sammeln. Er hatte es mit ihr gemacht wie derjenige, der einen anfangs unbändig sich zeigenden Papageien zähmen will, er hatte sie sich selbst überlassen, hatte sie kaum einmal des Tages gesehen und wenig mit ihr geredet. An diesem Abend wollte er es wagen, zum ersten Male sein eheliches Recht von ihr mit aller Entschiedenheit zu fordern, denn mehrere Anspielungen auf dieses Recht hatte sie bisher unwillig zurückgewiesen; jetzt, nach dem Verlauf einer Woche, hoffte der sehnsüchtige Ehemann auf günstigere Ergebnisse, denn nun mußte sich die Widerspenstige an ihn gewöhnt haben. Und konnte denn überhaupt ein weibliches Herz lange dem innigen Drängen eines glühenden Mannes widerstehen? Ihr entfernter Geliebter mußte allmählich dem gegenwärtigen Liebhaber weichen; das stille Bild des Entfernten mußte verblassen vor dem Andrang des Gegenwärtigen; und war nur einmal ihre Phantasie genugsam erhitzt von reellen Liebkosungen, wie konnten die nur eingebildeten eines Abwesenden noch Anziehungskraft auf ihr Herz ausüben. Es kam alles auf die günstige Stunde an, und diese glaubte Isaak an einem lauen, träumerischen Abend, der sich wie der Mund eines Liebenden auf das Niltal senkte, gefunden zu haben. Er kleidete sich in feines Gewebe und betrat das flache Dach seines Hauses mit klopfendem Herzen, mit unsicherem Schritt. Dort saß sie, kaum bekleidet, in der Ecke auf den schwellenden Kissen; ringsum blähten sich wollüstig die dunkelroten, assyrischen Vorhänge, die dem Dach, welches sie einschlossen, ganz das Ansehen eines behaglichen Zimmers verliehen, durch dessen Decke neugierig der Mond schielte. Dort saß sie abgewandten Blickes. Isaak stand nun neben ihr, seine Lampe auf den kleinen Tisch stellend, auf welchen sein Weib den Arm stützte. Welch ein Arm! wie bogen sich seine Wellenlinien weich nach dem Haupte empor; er zitterte leise, dieser weiße Arm, und als ihn der Erwartungsvolle berührte, kehrte sie ihm ihr von der Lampe geheimnisvoll umspieltes Antlitz zu. Noch zögerte er.

»Wie glücklich könnten wir beide miteinander sein,« begann er endlich mit unsicherer Stimme.

»Glücklich?« hauchte sie schaudernd, »glücklich?«

»Wenn du diesen Menes vergessen wolltest. Reichtum und Ansehen ward mir zuteil, mir fehlt nichts mehr zu meinem Glück als deine Liebe. Was hängst du dein Herz an diesen Menes, der nicht deines Stammes ist? O Myrrah, wenn du mich nur mit der Hälfte der Liebe lieben könntest, die du diesem Fremden widmest, – ich wollte dir ein getreuer, zärtlicher Gatte werden, ein Gatte, wie du ihn vielleicht in Menes nicht findest, von dem du jetzt kaum weißt, ob er dein ihm ergebenes Herz nicht verlacht.«

Beide schwiegen. Die Nachtluft spielte mit den Teppichen, ein Nachtfalter umschwirrte die Lampe, tiefe Stille überall; weit draußen in der Dunkelheit zeigten einzelne glühende Punkte die Stelle, wo Memphis lag, auf dessen flachen Hausdächern die Bewohner der kühlen Ruhe genossen. Isaak legte seinen Arm um den Nacken des Mädchens, sie rückte hinweg, von Grauen geschüttelt.

»Isaak, ich flehe dich an,« sagte sie, »gib mir Wahrheit. Hat mich Menes vergessen? Du weißt es, o täusche mich nicht! Dir hat es Asso anvertraut.«

»Was fragst du mich nach Menes,« entgegnete er düster.

»War jene Botschaft erlogen? Liebt er mich noch? Isaak, bei allem, was dir heilig ist – rede!«

»Ich bin nicht hierhergekommen, mit dir über Menes zu reden,« gab er barsch zur Antwort, »ich wollte, die Schakale nagten an seinem Gebein, die Sandkörner der Wüste tränken sein Blut. Du weißt, was ich von dir fordere, zögere nicht länger, denn mit meiner Geduld ist es zu Ende.«

»Rufe deine Schwester,« preßte die Bebende hervor.

»Meine Schwester?«

»Sie nahm mich gestern in Schutz dir gegenüber, sie wird auch diesmal dich überreden, mich zu schonen –« Er starrte sie an.

»Jehova, welche Blicke – Isaak! töte mich! Komm, töte mich und ich will dich preisen!«

»Närrin, dich töten? Meine Schwester ist von hier weggereist,« entgegnete Isaak immer rauher.

»Weggereist? So habe ich niemand, der mir beisteht?« rief die Verlassene aus. »Weh mir! sie war in letzter Zeit gut gegen mich, deine Schwester. Wohin reiste sie?«

»Ziehe unser Gespräch nicht auf andere Gegenstände,« erwiderte der Jude hastig, »dies Mittel, das du auch gestern angewendet, habe ich jetzt durchschaut. Ich bin dein Gatte und will es nicht nur dem Namen nach sein.«

Noch zögerte das Mädchen mit ihrem ganzen Stolze, dem Verlangenden gegenüber zu treten, noch dachte sie sein ungestümes Herz durch Klagen zu rühren.

»Hab' Erbarmen, lieber Isaak,« bat sie, seine Hand ergreifend, »Gewalt hat dich mir zum Gatten gegeben, aber meine Liebe kann dir Gewalt nie und nimmer erringen – du kannst mich nie zu deiner Geliebten machen, höchstens zu deiner Sklavin, und ich hoffe, du bist zu edel, mich so tief zu erniedrigen. Wenn Menes zurückkehrt und mich so findet, wie er mich verlassen – o wie wird er dich belohnen, wie wird er dir danken. Nahe mir weiter nicht; laß mich deine Schwester sein, sei du mein Bruder; du sollst an mir eine aufopferungsvolle, unendlich dankbare Schwester finden, ein Wesen, das dich anbetet, deine Selbstüberwindung bewundert und dich wahrhaft liebt, – weil du entsagst! Wenn du mehr verlangst als ich geben will, muß ich dich hassen, aber zeigst du dich mir als großer Charakter, dann will ich die Deine sein – dem Geiste nach!«

Isaak sah nach diesen Worten schweigend zu Boden. Hätte seine Schwester neben ihm gestanden, so würde er, gewohnt den Winken der Scharfklugen zu gehorchen, abgelassen haben, diese Unschuldige zu verfolgen; er hätte sich seiner Rechte begeben; heute aber, da er sich als alleiniger Besitzer des Hauses fühlte, dämpfte nichts seine Begierden; die Bitten der Unglücklichen schienen sogar anfachend auf dieselben zu wirken. Sein innerer Kampf war bald entschieden. Mit einem tigerartigen Griff faßte er nach Myrrahs Arm; umschlang die sich Abwendende und war eben nahe daran, einen glühenden Kuß auf ihre Lippen zu pressen, als er einen kalten Gegenstand auf der Brust fühlte, der ihm einen Schrei entlockte und ihn zurücktaumeln ließ.

»Komm nur näher,« hörte er Myrrah ausrufen. Sie stand, tiefatmend, hoch aufgerichtet ihm gegenüber, die Augen von einem fast wilden Lichte erfüllt, ins Leere geheftet, einen Dolch in der zarten Faust. Nichts bewegte sich an ihr, als der Busen; die Locken hatten die Perlschnur zerrissen und hingen bis in ihren Nacken hinab; Isaak mochte, als er sie so stehen sah, nicht mehr an der Wahrheit jenes Dokumentes zweifeln, das Myrrah eine Königstochter sein ließ.

»Ich bin zu allem fähig,« stieß sie, mit Schmerz und Zorn ringend, hervor, »zu allem bin ich fähig, wenn du wagst, mich zu berühren. Ich war sanft, ich bin es nicht mehr, der Gewalt setze ich Gewalt gegenüber. Entweder du oder ich! Wenn ich dich nicht töten kann, so sollst du mich blutend zu deinen Füßen sehen! Wähle, wer von uns beiden aus dem Leben scheiden soll.«

Sie trat zurück, die Dolchspitze in ihren weichschwellenden Busen drückend. Ihr Gebieter starrte sie sprachlos an, – verbieten, sich zu töten, konnte er ihr nicht, hier war er machtlos.

»Ich gehöre Menes,« sagte sie dann mit leidenschaftlicher Entschlossenheit, »keinem sonst. Und kann er mich nicht umarmen, so soll keiner mich umarmen. Dieser Mund, diese Brust ist sein Eigentum, das ich ihm bewahren werde, jedem gegenüber. Dieser Leib ist sein Tempel, er ist sein Gott; eher zerstöre ich diesen Leib, als daß ich ihn entweihen ließe.«

Ihre gehobene Redeweise, der kühne Aufschwung, den ihr ganzes Wesen genommen, übten eine so niederschlagende Wirkung auf Isaak aus, daß er, einen scheuen Blick um sich werfend, das Dach sogleich verließ. Wohl mochte er seiner feigen Natur zürnen, aber was hätte er in diesem Augenblick anderes tun sollen, als sich fügen? Ihren Tod wollte er um keinen Preis herbeiführen, und das fühlte er, er hätte ihn herbeigeführt, wenn er auf seinem Wunsch beharrt; ihre Drohung bestand nicht in leeren Worten. Hätte er, nachdem er gegangen, die Unglückliche zusammensinken sehen, hätte er ihre unterdrückten mutlosen Seufzer vernehmen können, wohl wäre ihm seine verlorene Entschlossenheit wiedergekehrt. So aber verbiß er seinen Groll und gab einstweilen den Befehl, daß mehrere seiner Sklaven Tag und Nacht um das Haus schleichen sollten. So war er wenigstens sicher, Myrrah jede Flucht unmöglich gemacht zu haben; im übrigen stand ihm immer noch als letztes Mittel die Gewalt zur Seite, für heute begnügte er sich damit, seiner Gönnerin Asso von der zähen Widerspenstigkeit Myrrahs Kunde zu geben, um den Rat dieser entschlossenen Frau einzuholen.

* * *

Am Abend des folgenden Tages besuchte er das Schatzhaus. Nichts Störendes war ihm bis dahin begegnet, so oft er den geheimnisvollen Ort betreten. Diesmal aber fiel ihm auf, daß mehrere Gegenstände von Wert, deren Platz er genau kannte, weggestellt waren, andere sogar gänzlich fehlten. Sollte ein zweiter Dieb, gleich ihm, diesen Schatz bestehlen? Das war nicht anzunehmen. Als er genauer zusah, gewahrte er zu seinem unaussprechlichen Schrecken, daß man kleine Stäbe vor den verschiedenen Kisten errichtet hatte, an welchen Täfelchen mit Nummern gebunden hingen. Sollten königliche Beamte den Schatz durchsucht und die Entwendung der Kostbarkeiten bemerkt haben? Es überlief ihn heiß bei dieser Vermutung! Er nahm von den Ringen und Edelsteinen immer bloß die unterste Lage weg, ordnete die oberste wieder so, wie sie gelegen und war behutsam darauf bedacht, auch nicht das kleinste Stäubchen von seiner Stelle zu rücken, das ihn hätte verraten können. Auf diese Weise dachte er sich geborgen.


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