Wilhelm Walloth
Das Schatzhaus des Königs
Wilhelm Walloth

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Viertes Kapitel

Ramses konnte bald unseren Freund nicht mehr entbehren. In Staatsgeschäften hatte er seinen Rat zu erteilen, er mußte den König auf Schritt und Tritt begleiten, er schlief neben dem Gemach des Königs, er aß mit ihm an einem Tische, er ging mit ihm auf die Jagd. Oft, wenn das Herz des Königs dumpfe Schwermut bedrückte, verscheuchte Menes diese trübe Laune auf die zarteste Weise. Dafür suchte sein Herr sich ihm auf alle Art erkenntlich zu erweisen; nicht nur durch Worte gab er ihm seine Zufriedenheit zu verstehen, Geschenke, oft der prächtigsten Art, besiegelten sein Wohlwollen.

So hatte er das Zimmer seines Lieblings aufs herrlichste schmücken lassen; Buntwirkereien glühten von den Wänden, Blumen prangten in Vasen, seine Speisen waren die ausgesuchtesten; er ließ ihm Gewänder von solchem Werte überreichen, daß Menes sich weigerte, sie anzulegen.

Da der Palast von einer geheimen Verschwörung unterwühlt schien, war das Leben in demselben das Leben auf einem sturmgepeitschten Schiff. Kein lautes Reden, nur Geflüster schwebte durch seine Hallen; scheues Auftreten, ängstliches Umblicken, furchtsames Befragen allenthalben, als ob der Pfeil, der einst dem König gegolten, noch immer durch die Luft zische, als ob hinter jeder Säule die Faust eines Mörders lauern könne. Keiner traute dem anderen; Wachen vor jedem Ausgange, Krieger in allen Höfen, in den Vorgemächern, rings um das Gebäude. Ramses hatte seinem Freunde die Aufsicht über diesen kriegerischen Schutz anvertraut, hatte ihn also dadurch zum Behüter seines Daseins gemacht.

Der Jüngling, obwohl stolz auf dies hohe Amt, liebte es dennoch nicht, aber er sah ein, daß er der einzige sei, dem sein Gebieter völlig sicher das Haupt in den Schoß legen dürfe. Menes verlegte das Schlafgemach seines Herrn in den Mittelpunkt des riesenhaften, stadtartigen Palastes; ringsum in den anstoßenden Gemächern verteilte er die treuesten Soldaten, so daß das Nachtlager des Königs mehr einem Feldlager glich, als einem Orte des Friedens. Die Königin nebst ihrem Sohne schliefen, nach Menes' Anordnung, im äußersten, wohl eine halbe Stunde entfernten Teile des Gebäudes. Natürlich begegnete Menes, seit er der Nächste am Thron geworden, seit er gewissermaßen das Fundament des Reichstempels bildete, vielen unfreundlichen, neidischen Blicken, er fühlte, daß sein Leben vielleicht nicht weniger bedroht sei, wie das seines Herrn, doch ließ er sich dadurch nicht irremachen. Einmal hatte der König nachts im Schlaf laut aufgeschrien; sofort schmetterten die Trompeten, rasselten die Trommeln; als Menes bestürzt an das Lager des Herrschers eilte, erklärte ihm dieser: er habe einen unheimlichen Traum gehabt. Von dieser Zeit an ließ der junge Mann Lampen in den Schlafgemächern aufstellen, die die Nacht zum Tage machten. Hui, der neuerworbene Diener, zeigte sich in jeder Hinsicht ergeben. Menes versuchte manchmal die Geheimnisse der Verschworenen, von denen Hui jedenfalls wußte, aus ihm herauszulocken, jedoch der Diener wich jedesmal aus, versichernd, er sei seinem Herrn treu bis zum Tod, nur solle man nicht von ihm verlangen, über das zu sprechen, was ihn zu jener Tat, die er jetzt bereue, getrieben. Ramses hoffte, diesen Menschen allmählich doch dahin zu bringen, ein Geständnis zu machen, welches ihm die Häupter der Verräter bezeichnete. Geschenke und freundliche Worte fruchteten nichts; Hui zeigte sich tief ergriffen, sobald sein Herr freundlich mit ihm sprach, aber er schwieg. Endlich beim Auskleiden, wobei er ihm behilflich zu sein hatte, stellte ihm Ramses ernstlich vor, wie sein hartnäckiges Schweigen nicht nur undankbar sei, wie er auch dadurch das Leben seines Herrn immer größeren Gefahren preisgebe.

»Wenn du,« sagte ihm der König, »mir die Häupter dieser Verschwörung nennst, kann ich sie strafen, vernichten und auf diese Weise mich für immer sicherstellen, schweigst du aber, so wächst die Zahl der Schändlich immer bedrohlicher an, bis sie mir eines Tages den Todesstoß versetzen werden.«

Hui, von dieser Milde beschämt, erwiderte nach längerem Kampf mit sich selbst, er wolle in dieser Nacht alle Namen der Häupter aufschreiben; dann könne man in seinem Zimmer diese Rolle finden, ohne daß er davon wisse; so habe er wenigstens seinen Eid: »keinem Ohr zu sagen, wer ihn zum Morde des Königs geworben«, nicht unmittelbar gebrochen.

Der König gab erfreut seinem Freunde Nachricht von dem Entschluß des Dieners. Beide, die ganze Nacht mit Vermutungen und Beratungen hinbringend, konnten kaum den Morgen erwarten, der ihnen diese wichtigen Aufschlüsse geben sollte.

»Ich werde sie in meinen Händen haben,« frohlockte Ramses, »und sie sollen mir büßen, selbst wenn mein eigenes Blut sich gegen mich empört.«

Als die beiden beim Grauen des Tages das Gemach Huis betraten, um sich in Besitz des Aufklärung bringenden Dokumentes zu setzen, fanden sie – Schrecken, Entrüstung überfielen sie – den armen Menschen blutbesudelt auf seinem Lager mit einer tödlichen Wunde in der Brust; die Rolle lag noch unbegonnen neben dem Lager am Boden.

Ramses erlebte einige fürchterliche Tage. Er schloß sich in sein Gemach ein, nahm keine Speise, saß sprachlos, schlummerlos, regungslos. Erst am dritten Tage durfte Menes vor ihn treten, der nicht weniger ergriffen war als sein Herr. Beide sanken sich, ihre Freundschaftsschwüre erneuernd, in die Arme und weinten. Also so weit gingen die Fäden dieser Verschwörung? Der König wurde belauscht? Man wußte von jedem Wort, das er sprach? Kannte jeden seiner Atemzüge? folgte jedem seiner Schritte? O, furchtbare Macht der Priester, der es gelang, alterprobte Treue zu untergraben, die ganze Umgebung des Monarchen mit ihrem Gifte zu durchfressen – mit welchen Mitteln war dieser unsichtbaren Schlange der Kopf zu zertreten?

»Der Boden wankt unter meinen Füßen,« war Ramses' erstes Wort, als Menes ihm nahte, – »ich bin hilflos, ich kämpfe gegen unverwundbare Geister.«

Menes gab aufbrausend den Rat, die Königin samt ihrem Sohne in die Verbannung zu schicken; jedoch Ramses wagte dies nicht. Er habe keine sicheren Beweise ihrer Schuld; es würde seinem Volke dieser Schritt zu unerwartet kommen; wenn er ohne Untersuchung so streng verführe, könnte man ihn der Ungerechtigkeit zeihen. Weder seinen Sohn noch seine Gemahlin wünschte Ramses von dieser Zeit an zu sehen. Sie durften beide nicht mehr vor seine Augen treten. Desto eifriger besuchte Urmaa den Tempel; alle Priester waren entzückt von ihrer Frömmigkeit. Man hob lobend hervor, sie bete für ihren Gemahl, der sie vernachlässige. Einige behaupteten, sie hätte schon mehreremal während des Gebetes nach dem Dolch gegriffen, da sie es nicht überleben wolle, wenn Ramses ihr seine Gunst entzöge. Oft konnte man die hohe Dame mit verweinten Augen in den Tempel schreiten sehen oder sie des Nachts rufen hören, sie fühle sich verlassen. Ihre Dienerinnen trugen mit geschäftiger Zunge in Theben umher, daß man fürchte, Ramses würde die zarte Seele seiner Gemahlin durch diese Härte töten. Menes ließ alle Speisen, die dem Monarchen vorgesetzt wurden, zuvor von zwei Negersklaven kosten. Als diese beiden Sklaven kurz nach der Ermordung Huis des Königs Morgentrank versuchten, verfielen sie darauf sogleich in Schlaf. Man beobachtete sie. Der eine kam nach Verlauf einer Stunde wieder zu sich, der andere wachte nicht mehr auf. Es war offenbar, die Milch war vergiftet und, wie Menes vermutete, mit jener Pflanze, für die sich die Königin kürzlich so lebhaft interessierte. Ramses schenkte dem von der Vergiftung wieder genesenen Negersklaven (dessen Körper man übrigens nie mehr völlig die frühere Kraft wiedergeben konnte) ein kleines Landgut, um seinen Untertanen zu zeigen, wie sehr er alle diejenigen zu belohnen wisse, die sich für ihn aufopferten. Vermehrt wurde der Verdacht, daß dieser Vergiftungsversuch von der Königin ausgegangen, dadurch, daß Menes einst, als er im Garten des Palastes gegen Abend lustwandelte, Urmaa-Nofru-râ begegnete, die sich sehr verwirrt aus einem Gebüsche stahl, indem sie eine Handvoll Blumen hastig hinter sich ins Gras warf, sobald Menes auf sie zuschritt. Befragt, was sie suche, erwiderte sie lächelnd, sie hätte ihrem Gemahl einen Strauß binden wollen. Sodann sprang sie eifrig von dem, wie es schien, für sie peinlichen Thema ab, erkundigte sich nach dem Befinden ihres Gemahls und gab zu verstehen, daß er sie nicht mehr liebe, daß er ihren Zärtlichkeiten ausweiche, was sie äußerst unglücklich mache. Ramses sei leichtfertig; schon als er in Memphis sich aufgehalten, hätte sie mit Entrüstung bemerkt, daß ihm eine jüdische Tänzerin wohlgefallen habe, welche ihm zur Nachtzeit heimlicherweise in den Palast gebracht wurde; sie wolle jedoch über diesen Gegenstand als züchtige Ehefrau schweigen; miteinander gebetet hätten die beiden jedoch schwerlich. Sie warf sich nun in die Brust, tadelte sehr strenge den Lebenswandel ihres Gemahls, der die Götter sicherlich erzürnen müsse, ließ durchblicken, daß sie mit den Göttern in viel innigerem Bunde lebe und daß sie alle Tage für das Seelenheil ihres Gatten bete, denn er wandle auf dem Pfade der Verdammnis. Sodann gelang es ihr, einige Tränen zu vergießen, zu wünschen, Ramses möge bereuen, und darauf mit viel Geschick, das auf ein tiefes Studium schließen ließ, in Ohnmacht zu fallen. Während sie ihre herbeigeeilten Dienerinnen hinwegführten, konnte man noch lange ihre Klagen das Echo des Palastes wachrufen hören. Die Dienerinnen liefen ab und zu, indem sie die Götter mit Fragen bestürmten, warum die gute Herrin so schwer zu leiden habe.

Unserem Freunde füllte Abscheu das Herz; ein böses Weib, dachte er, ist gefährlicher als ein feindlicher Mann, ebenso wie die Ureusschlange gefährlicher ist als der Löwe. Er berichtete dem König diese Szene mit so deutlichem Widerwillen gegen Urmaa, daß sein Gebieter ihn nur um so wärmer an sein Herz drückte, ihm für die Sorgsamkeit, mit der er über ihm wachte, dankend. Zugleich aber verfluchte Ramses den Tag, an welchem er, um den besiegten König der Syrer zu versöhnen, dessen Tochter zum Weibe genommen.

Doch noch ein anderes war es außer diesen Palastunruhen, was das Gemüt unseres Freundes in Spannung versetzte und ihn trotz der königlichen Gunst wünschen ließ, er könne diesem Ort der traurigen Pracht, des vergoldeten Elends und der Heuchelei baldmöglichst den Rücken kehren. Es kam ihm nämlich nach einiger Zeit vor, als ob Asa-Termutis ihm eine ungewöhnliche Teilnahme entgegenbringe, eine Teilnahme, die ihn oft beunruhigte; vergeblich suchte er sich einzureden, er täusche sich, vergeblich hielt er sich vor, seine Phantasie spiele ihm einen jener Streiche, wie sie ihren Schoßkindern oft spielt; die Königstochter sei vielleicht rasch erregbar, ungezwungen, und diese Temperamentseigenschaften halte er für heimliche Zuneigung. Sie treibt ihr Spiel mit dir, rief er sich zu, du dienst ihren königlichen Launen zum Balle. Wie sollte sie, die stolze Prinzessin, auf den unerhörten Gedanken verfallen, sich ihm, den eine weite Kluft von ihr trennte, mit anderen als rein freundlichen Empfindungen zu nähern? Er beobachtete sie schärfer, er bemerkte, wie sie, sobald er mit ihr sprach, errötete, sich verwirrte. Er überraschte sie einmal im Tempel des Amun, wo sie mit dem Ausdruck tiefsten Seelenleides auf den edeln Zügen vor dem Gotte lag. Als sie ihn bemerkte, konnte er sehen, wie sie mit Blitzesschnelle ihren Mienen den Anschein von Gleichgültigkeit zu geben suchte, was ihr jedoch sehr schlecht gelang. Manchmal war sie weich, sprach in hingebendem Tone mit ihm, dann wieder kehrte sie augenblicklich, ohne jeden vermittelnden Übergang, die Königstochter heraus, antwortete, als habe sie ihrer Würde vergeben oder ließ ihn sogar ihre Unzufriedenheit durchblicken. Besonders wenn er mit ihr bei Ramses speiste, benahm sie sich oft so stolz, so kühl, daß der König ihr einmal diese Härte vorwerfen mußte. Gleich darauf war sie so sehr umgewandelt, daß Ramses Ursache hatte, lächelnd ihre naive Vertraulichkeit zu zügeln. Menes verhielt sich diesen Launen gegenüber zurückhaltend; er dachte an Myrrah, und das Bild dieses einfachen Mädchens wurde, wie er fühlte, nicht verdunkelt von dem berauschenden Glanze des Königskindes, dessen Schönheit wohl blendete, dessen Geist überraschte, das aber nicht die nachhaltige Anziehungskraft besaß, die Myrrah eigen war. Die Königstochter hatte große Gefühle, witzige Einfälle, aber sie besaß nicht die bescheidene Demut, die auf Menes' Herz mehr Eindruck machte, als diese kühne Lebhaftigkeit. Wenn Menes sie abends nach ihrem Gemache, das über dem Hofe lag, begleitete, dankte sie ihm oft auf eine so auffallende Weise, daß der Jüngling erschrak. Zuweilen ertappte er ihren Blick, wie er trunken auf seinem Gesichte ruhte, so daß sie ihn dann errötend hastig abwandte; manchmal suchte sie ihn durch stolzes, beharrliches Anblicken aus der Fassung zu bringen, was ihr auch meistens gelang; noch besser aber brachte sie dieses zustande durch mutwillig geistreiche Fragen, die sie mit solcher Geschicklichkeit stellte, selbst beantwortete, veränderte und wieder stellte, daß unser Freund Mühe hatte, ihren Gedankensprüngen zu folgen, da seine Art zu denken mehr die gründlich langsame, als die leichte, sprühende war.

Ein Tag war es, der Menes besonders lange im Geiste beunruhigte, und als ihn Asa-Termutis am Morgen dieses Tages einlud, eine Gondelfahrt auf dem Nil mit ihr zu unternehmen, ließ er sich von dem eigentümlichen Schicksal, das ihm bevorstand, nichts träumen. Sie hatte ihm vorgeschlagen, ihr Felsengrab, an dem der letzte Axthieb geschehen war, zu besichtigen; er möge sein Urteil abgeben über Architektur wie Malerei. Eine schlanke, vergoldete Gondel, deren bunte Segel im Winde des kaum beginnenden Tages rauschten, schmiegte sich zu Füßen des mächtigen Palastportales, aus welchem nun die Königstochter, umgeben von ihren Frauen, holdselig-glückliches Lächeln auf den Lippen, trat: wie der Mond, wenn er aus dem Dunkel der Wolken auftaucht. Menes schritt neben ihr her, zuweilen den großen Schirm regulierend oder eine Falte ihres durchsichtigen Gewandes ordnend.

»Welcher frische, kühle Morgen,« sagte die Prinzessin heiter, während die kostbaren Sandalen ihres kleinen Fußes das schmale Brett betraten, das in die Gondel führte. Menes wollte ihr den Arm reichen, sie aber schwang sich lachend, gewandt, wie eine Tänzerin auf die Purpurpolster, welche schwarze Sklaven zurechtgelegt hatten. Die Gondel schwankte wie trunken, solch süße Last zu tragen. Menes nahm neben Asa-Termutis Platz, die Segel wurden gestellt und durch die aufbrausenden Wellen des alten Nil schwebte der Kahn mit seinen schöngeschmückten Insassen dem westlichen Ufer zu. Anfangs bannte der Anblick der herrlichen Landschaft ringsum jedes Wort; jedes Auge blickte bezaubert zurück nach dem stolz aufragenden Theben, wie es überglüht vom Morgenrot dalag, mit seinen Tempeln, Palästen, Säulenhallen und Palmen, gleich einem blutübergossenen, riesenhaften Ungetüm, dessen mächtige Glieder sich spiegelten im ängstlich zitternden Nil. Ein violetter Duft schwamm über dem ganzen Bilde, seine erschreckende Großartigkeit fast zur Lieblichkeit mildernd; ferner erhoben sich die Pylonen des Amun-Râ-Tempels wie zwei Steingebirge und in der fernsten Ferne tauchten scharfgezeichnet die Höhen des arabischen Gebirges gelblich hervor. Auf dem anderen Ufer, dem sie entgegensteuerten, blickten die schwarzen Wände der Totenstadt herüber, drohend, wie ein offener Sarg; weiter oberhalb sah man rotglühend die Steinkolosse des Amenophis auf ihren Stühlen sitzen, wie feurige Wächter des Morgenrotes, die Hände auf den Knien, die schweigenden Gesichter Theben zugekehrt, als könnten sie sich vor Bewunderung nicht fassen, all diese schimmernde Pracht zu schauen. Leise herüber wehte das Gemurmel der erwachenden Riesenstadt; man unterschied die Gesänge der Priester, das Ausrufen der Verkäufer, die Befehle der Kriegsleute. Dort öffneten nun die Bäcker, die Weber ihre Räume; der Schuster setzte sich an seine angefangenen Sandalen, der Färber ging an seine unsaubere Arbeit, die Fischer trugen ihre Netze, der Schreiner hobelte den Ziertisch eines Reichen oder belegte ihn mit kostbarem Holz und der Maler tauchte seinen Pinsel in die Farbe, um mit vorsichtigem Finger die Lotosblume oder das Krokodil auf das schönbauchige Porzellangefäß zu zaubern, aber auch der Mumienverfertiger schickte sich an, seine Leichen für ihre letzte Ruhe vorzubereiten. Allmählich erblaßte die Morgenglut; die Farben wurden schärfer, die Gestalten deutlicher; die Sonne übergoß Fluß und Stadt mit liebevoller Wärme.

»Wie eigen,« sagte die Prinzessin, »an einem so lebenerweckenden Morgen haben wir nichts Besseres zu tun, als unser Grab aufzusuchen. Und doch wieder natürlich. Wir sollen auch im Taumel der Freude nicht vergessen, daß wir nur mit Erlaubnis des Todes fröhlich sind, denn hält er uns nicht stets am Gängelband? Und sind wir nicht Marionetten, die er tanzen läßt?«

»Gewiß,« sagte Menes, versunken in den Anblick der herüberdräuenden Totenstadt. »Es ist gut, den Ort aufzusuchen, auszuarbeiten, schön zu bilden, an dem wir uns am längsten aufhalten. Die Wohnung des Lebenden gleicht einer schlichten Herberge, die er nach kurzer Rast verläßt, die Wohnung des Toten ist sein Reiseziel, dort soll er sich's behaglich machen.«

Die Prinzessin hing an des Sprechenden Lippen. Als er geendet, schwieg sie noch einige Zeit, dann sagte sie:

»Warum lieben wir aber dieses Leben, das uns nicht liebt, sondern uns unaufhörlich quält? Ist das Leben nicht wie eine Geliebte, die uns neckt, erzürnt, beleidigt, ja, wehe tut, und die wir trotzdem nicht verlassen mögen – weil – weil sie vielleicht doch so schön ist?«

Menes dachte an Myrrah; ein Rot der Erregung stieg nach seiner Stirn, das die Prinzessin bemerkte, vielleicht aber auf sich bezog. Ängstlich schielte sie nach ihm hin über, und als der Jüngling sich niederbog, um eine im Wasser schwimmende Blume zu haschen, bat sie mit schmelzender Stimme, er möge ihr diese Blume geben. Er tat es; sie dankte ihm mit einem Blick, dem Menes absichtlich auswich. Dies Ausweichen empfand Asa-Termutis; sie lehnte sich zurück und schwieg, bis das Boot am Ufer anhielt, wo ausgestiegen wurde. Von hier aus zog sich der Weg südlich nach einem kleinen Tal, welches, als man es erreicht hatte, den Anblick auf ein tief in das Felsgebirge führendes Tor bot. An diesem Tor von imponierender Höhe arbeitete man noch; die Rinnen des gewaltigen Verschlusses wurden eben eingemeißelt; hohe Gerüste führten hinauf. Sogleich bei dem Erscheinen der Prinzessin bot der Baumeister unterwürfig seine Begleitung durch die Räume an, welche huldvoll angenommen wurde. Einige Arbeiter mußten voranleuchten, auch Menes ergriff eine Fackel, um bequemer seinen eigenen Weg gehen zu können, wenn ihm der der anderen nicht zusagte.

»Also hier wird dieser Leib, einst zur Mumie verwelkt, beigesetzt?« sagte die Prinzessin mit einem Anflug von trübem Lächeln, in den finsteren Schacht hineinblickend. »Kühl und still ist es hier unten, mein Schlaf wird nicht leicht gestört werden. Hoffentlich ist es den Toten unmöglich, sich einen Schnupfen zuzuziehen, sonst fürchte ich, ich werde ihn tausend Jahre lang nicht mehr los.«

Man trat in den dunklen Schlund ein, der die kleine Versammlung zu verschlingen und nie mehr herzugeben drohte. Der Baumeister beschrieb kunstverständig den Bau der Kammern, Gänge und Säle, darauf hinweisend, die Gemälde seien die besten, die er bis jetzt gesehen, doch sollten die Fackelträger des Rauches wegen nicht zu nahe an die Wände herantreten, denn die Farben seien noch feucht. Menes' Liebe zur Kunst erwachte stürmisch; er vergaß alles um sich her, ganz in den Anblick der schimmernden Bilder vertieft, die im beweglichen Glanz der Fackeln zu tanzen schienen. Der ganze Reichtum des Königshauses war an den Wänden wiedergegeben; Pferde, Wagen, Sklaven, Krieger, Herden, Barken, Fischteiche drängten sich in buntem Gewimmel. Im zweiten Saal, den sie betraten, fanden sie den Maler auf einem Gerüst stehend, die letzte Hand an den Kopf eines Gottes legend. Die Prinzessin grüßte ihn mit einer an Ehrerbietung grenzenden Freundlichkeit.

»Ein stolzes Gefühl muß dich erfüllen, Meister,« redete sie ihn an, als er vom Gerüste herabkam, »da das Werk deiner Hände der Nachwelt Kunde geben wird von unserem Leben. Wie deutlich, wie rasch, wie leicht verständlich ist doch ein Gemälde, während die mühsam aufbewahrten Worte stets nur unvollkommen beschreiben können.«

»Diese Gemälde werden dauern,« sagte der Maler stolz, sich über die hohe Stirne streichend, »dreihundert Zimmer gab mir deine Hoheit zu bemalen, viele Tausend Gestalten schuf ich mit der Kraft meines Pinsels und fast darf ich mich einen kleinen Gott nennen, denn ich schaffe wie er.«

»Ihr seid zu beneiden, Maler,« sprach Menes ernst. »Leben zaubert Ihr dahin, wo der Tod wohnt. Die stummen Wände zwingt Ihr zum Reden und ein Bild des Menschendaseins wißt Ihr bedeutungsvoll an unserem Auge vorüberzuführen, von der Geburt bis zum Grab.«

»Feiert mich nicht zu hoch, junger Mann,« entgegnete leuchtenden Auges der Greis, »seht dort die Buchstaben am Gesimse – es ist ein Hymnus auf die Sonne – im Wort ruht eine größere Macht als in der Farbe. Das Wort vermag gewaltiger das Gemüt aufzuregen als die Gestalt; in wenig Worten könnt Ihr im Flug des Augenblicks mehr Bilder an mir vorüberziehen lassen, als ich in zwanzig Jahren kaum zu malen imstande wäre. Auch steht hier ein Mann, der dasselbe Lob verdient wie ich, der Erbauer dieses unterweltlichen Palastes.«

Nachdem der Architekt bescheiden das Lob abgelehnt, das ihm aus dem Munde der Prinzessin wurde, ging man weiter, immer tiefer in des Felsens Eingeweide.

»Mein Grab gefällt mir,« sagte Asa-Termutis mit düsterer Zufriedenheit zu Menes; »mir ist, als schwebe ich, ein Geist, der dem Licht entsagte, durch diesen meinen ewigen Aufenthaltsort. Sieh! diese reichen Säle vom düsteren Fackelglanz unheimlich beleuchtet, wie sie sich schweigend ineinander fügen, wie sie sich mit stummer Hoheit auftun vor uns und mit ihrer öden Großartigkeit uns beängstigen; kann der Tod pomphafter auftreten? Sollte man nicht glauben, die kolossalen Säulenreihen seien sein Triumphzug? Ein Gefühl von banger Wonne, ein süßes Grauen beschleicht mich, wenn ich mich in meinen zukünftigen Zustand hineinträume.«

»In diesen Sälen ruhen, abgeschieden von allem Lebendigen, die Einsamkeit und die Nacht zu Spielgefährten haben, allein mit diesen bunten Figuren, selbst nur noch eine bemalte Figur, ein Nichts, das einst Etwas war; ha! ha!« lachte sie dann auf, daß die Echos seltsam nachhallten; »kannst du dir vorstellen, wie ich als Mumie aussehen werde, Menes?«

Die beiden schritten, in Gedanken verloren, weiter, nicht auf ihren dunkeln Pfad achtend. Allmählich begann die Phantasie der Prinzessin unter dem Einfluß dieser erhabenen schweigenden Nacht zu schwärmen. Das Aufregende, Bedrückende, das uns befällt, wenn wir uns tief unter der Erde wissen, bemächtigte sich ihres leicht entzündbaren Gemütes. Sie wollte ernst sein und lachte, sie wollte lachen und dies Gelächter erstarrte zu Ernst.

»Wenn ich diese Glieder betrachte,« fuhr sie fort, »diese Glieder noch warm und lebensfrisch, wird mir seltsam zumut. Kannst du dir sie denken, eingewickelt in graue Streifen? Eine braune, vergilbte Mumie! Seltsam, daß dieselben Ohren, die jetzt noch begierig die Töne einsaugen, einst taub sein sollen, daß diese Augen, die so weit in die Ferne dringen, einst nichts mehr sehen, und gingen hundert Sonnen vor ihnen auf! Oh! der Tod ist ein großes Geheimnis.«

»Deshalb dienen wir ihm auch geheimnisvoll,« erwiderte Menes, angesteckt von der wilden Laune der Prinzessin. »Es ist erhaben, daß ein einziger Mensch, dem ein zwei Schritt großer Raum genügte, der allen Bedürfnissen entsagt, alle diese Säle allein bewohnen darf. Es ist erhaben, daß er der Herr dieser Einsamkeit ist und daß man ihn ehrt, fast mehr als einen Lebenden, denn die Toten verdienen unsere Ehrfurcht.«

»Über der Erde,« fuhr die Prinzessin in ihrer sich steigernden Fiebererregung fort, »über der Erde, welcher Tumult. Kriegerische Pracht zieht einher, von Fanfaren umtönt; der König besteigt den Thron, die Tribute unterworfener Völker stolz empfangend; der Priester beweihraucht seinen Gott, der Ehrgeizige ersinnt Ränke, den Goldgierigen lassen seine Reichtümer nicht ruhen, dem Liebenden hängt am Besitz eines einzigen Wesens die Welt – das Getreibe ist unendlich, der Lärm betäubend – und unter der Erde, welche Stille, welcher Gegensatz. Wie nichtig, wie des Hohnes würdig erscheint mir, da ich in diesen Räumen wandele, alles, wonach sich der Mensch sehnt, wonach er mit soviel Herzklopfen trachtet; wie deutlich sprechen diese Wände den Gedanken aus: wir sind tanzende Schatten.«

Menes, dessen Phantasie an der Finsternis, der öden Stille des Ortes sich nun ebenfalls zu entzünden begann, schritt immer hastiger weiter. Das Blut stieg ihm zum Gehirn und trotz der Kälte des Raumes überrieselte Schweiß seine Schläfe, sein Atem ging rascher.

»Ja,« sagte er, »manchmal kommt mir unser Wachen vor wie ein nur sehr leises Träumen, so daß man sagen könnte, wir schliefen, anstatt zu leben, unser Leben sei ein sehr wohlgeordneter Traum, der nur zu manchen Zeiten an das Erwachen streift, um dann wieder in desto größere Dumpfheit zurückzusinken. Denn ist das, was wir von den Dingen wissen, nicht bloß traumhafter Natur? Ist unser Überlegen doch nur ein unsicheres Tasten; selbst der klarste Geist tappt im Finstern.«

Er stockte, drehte sich um und blieb dann stehen.

»Was ist dir?« frug die Prinzessin, »warum erschrickst du?«

»Über mein Wort ›tappt im Finstern‹ –« erwiderte er, »fiel mir ein, daß wir ebenfalls im Finstern tappen. Siehst du nicht, daß wir uns im Eifer des Gesprächs von unseren Begleitern entfernt haben? Wir ließen sie weit hinter uns, wir müssen danach trachten, wieder zu ihnen zu stoßen.«

Als die Prinzessin sich mit dem Jüngling allein sah, in einem von der Fackel spärlich beleuchteten Gemach, weit von ihrem Schutze entfernt, schien sie zu erblassen; man sah ihr an, wie sie den hastigen Schlag ihres Busens zu dämpfen suchte. Auch Menes, wie sie bemerkte, fühlte sich eigentümlich bewegt. Seine Wangen, seine Augen glühten. War es nun die Aufregung des Gespräches oder die Bestürzung, sich allein mit dem Mädchen zu sehen oder hatte es eine andere Ursache, es überlief ihn ein heftiges Zittern; auch mußte er, wie er zürnend an sich beobachtete, gewaltsam seine Augen von der Königstochter wenden, da sich dieselben mit furchtsam süßem Ausdruck zuweilen unwillkürlich nach ihren Armen oder Schultern verirrten. Asa-Termutis eilte an den Eingang des Saales; er folgte ihr unsicher. Dort setzte sie sich einen Augenblick auf das hervorragende Ende eines Pfeilers, stand aber, als er näher kam, rasch auf, was ihr jedoch schwer zu werden schien, denn ihre Knie wankten sichtlich. Ihr Gesicht wendete sie stets von ihm ab.

»Ich glaube, hierher müssen wir gehen,« sagte er mit beklommener Stimme, »dies ist die Grabkammer, ich erkenne sie an den gelben Wänden; dort auf dieser Erhöhung soll der Sarg stehen.«

Sie befanden sich in einem weiten Pfeilersaal, in dessen Mittelpunkt sich ein Sockel erhob. Die Wände trugen auf goldgelbem Grunde Malereien, welche das Totengericht und die Seligkeit der Gerechtfertigten wiedergab. Auf diesen Gemälden erregte besonders der hundsköpfige Toth durch die Unheimlichkeit seines Ausdruckes, mit dem er das Zünglein der Wage lenkte, die Aufmerksamkeit.

»Rufe,« sagte die Königstochter mit herrischem Ton, »rufe nach Huassa, meiner Dienerin, sie wird dich hören, sie wird uns zurückführen.«

Menes wußte nicht, was er tun sollte, die veränderte Sprache der Prinzessin setzte ihn in Verwirrung; er schwieg unschlüssig.

»Warum schweigst du?« sagte sie streng.

»Rufe! Ich befehle es!« setzte sie hinzu.

»Gebieterin, sogleich,« stammelte er.

Da er noch immer verlegen schwieg, denn es befiel ihn auf einmal Furcht vor seiner eigenen Stimme, wendete sie ihr Gesicht zu ihm hin. Menes sah in zornige Züge, die sich jedoch, sobald sie des Jünglings tiefe Verlegenheit gewahrten, aufhellten; das herbe Wort schmolz im Munde der Prinzessin zu einem milderen, versöhnlichen um.

»Verzeihe,« versuchte sie zu lächeln, »ich war heftig. Ich wollte dich nur bitten, mich sobald als möglich zu meinen Begleitern zu führen; du kennst die bösen Zungen am Hofe, gib ihnen keine Nahrung, laß uns eilig das Gefolge erreichen.«

Menes schritt lautlos, mit hocherhobener Fackel voran. Am Zittern seines Armes konnte das Mädchen wahrnehmen, in welcher Gemütsverfassung sich der junge Mann befand. Sie hatten kaum einen kleinen Weg durch mehrere Hallen zurückgelegt, als ihnen schon wieder die Mauer haltzumachen gebot.

»Wo sind wir?« frug sie betroffen.

»Kenne ich mein eigenes Grab nicht? Hier aus dieser Kammer führt kein weiterer Gang, wir müssen umkehren.«

»Ich will rufen,« sagte Menes.

Nun strengte er seine Stimme an, daß die Echos unheimlich von Saal zu Saal rollten, aber keine Gegenstimme gab Antwort; die Prinzessin verriet keine Angst, im Gegenteil, eine sonderbare Heiterkeit verklärte geisterhaft ihre Züge; es kam plötzlich über sie wie eine krankhafte Erregung. Menes sah ihr ängstlich verwundert in die brennenden Augen.

»Mein Grab liebt mich so sehr,« lachte sie, »daß es mich bereits als Lebende in sich aufnehmen möchte. Das ist seine Rache an der Sonne, die Nacht gibt uns nicht mehr her.«

Ihr Blick fiel nun mit einer Art wilder Trunkenheit auf den jungen Mann, dem ihr Zustand immer unheimlicher ward; die Mißlichkeit ihrer Lage, das Beängstigende schien ihr plötzlich Freude zu bereiten.

»O, ich wollte,« sagte sie mit unheimlichem Humor, »man fände uns nicht mehr, ich wollte, sie vergäßen uns; hier ist es kühl und still, alles ladet zur hingebenden Ruhe ein; hier möchte ich schlummern in den Armen eines werten Freundes.«

Die letzten Worte erregten in Menes ein peinliches Gefühl. Sie schien dies nicht zu beachten, sondern legte, eigentümlich lächelnd, ihre Hand auf seinen Arm.

»Wie denkst du dir das Sterben hier unten?« frug sie dann träumerisch heiter.

»Durchaus nicht behaglich,« sagte Menes, »die finstere Todesstunde wird durch den Trost der Freunde, das Licht der Sonne wenigstens etwas erhellt; hier unten im Angesicht dieser erbarmungslosen Felsen, dieser tückischen Nacht denke ich mir das Sterben geradezu furchtbar.«

Ein Schauer schüttelte ihn, als er sich in dem weiten Gewölbe umsah, aus dem ihm Finsternis wie eine augenlose Augenhöhle entgegenstarrte.

»Hier unten,« setzte er hinzu, »würde mich Wahnsinn befallen, wenn ich ohne Fackel in dieser undurchdringlichen Nacht einherwandeln sollte. Bei dem bloßen Gedanken daran überlaufen mich Todesschauer. Nein! Nein! rasch fort von hier, mir geht der Atem aus, auf meiner Brust liegt's kalt.«

»Mir ist es anders zumut,« flüsterte die Prinzessin tief aufatmend, »ich verstehe dich nicht. Ich wollte, deine Fackel erlöschte, ich wollte, diese Mauern rückten zusammen, immer näher, immer näher, bis uns ein Raum blieb, so klein wie ein Sarg, und dann,« sie unterbrach sich, ihr Blick starrte irr, glanzlos ins Dunkel, ihre bläulichen Lippen waren halb geöffnet, als wollten sie die Finsternis schlürfen.

»Hohe Gebieterin, laß uns auf Rettung sinnen,« war seine beklommene Antwort. »Mir macht es weniger Vergnügen wie dir, hier unten dem Leben zu entsagen. Doch halt! – mir fällt ein, gab dir nicht der Baumeister den Plan des Grabes? Sieh nach, ich erinnere mich, daß du ihn in den Falten deines Gewandes verbargst.«

»Ei! wie du lebenslustig bist,« entgegnete sie mit einem Anflug von bitterer Verachtung, »sehnst du dich danach, das Licht der Sonne wieder zu schauen? Ich – ich hasse die Sonne. Die Welt ist mir verdorben wie stinkendes Nilwasser. Was gibt mir das Leben? Essen, Schlafen, Langeweile. Ich will nicht mehr an die Oberwelt gelangen, auch du solltest so vernünftig sein! Was hältst du davon, wenn wir – sonderbarer Einfall – nicht wahr? wenn wir einfach hier blieben? Es ist droben so hell und heiß.«

»Wie, Prinzessin?« frug er erstaunt, »was redest du? – ich flehe – suche nach dem Plan?«

»Dem Plan?«

»Unsere Lage ist gefährlich, er allein kann uns retten.«

»Ach so,« lächelte sie müde, »du willst leben. Verzeihe, ich dachte, du seist so klug wie ich. Nun, wo finde ich denn den Plan? – Liebst du wirklich das Leben so sehr, Menes?«

»Ich liebe es nicht,« sagte er entschieden, »aber ich möchte es nicht tatenlos verlassen.«

»Du hast recht! Du bist ein Mann,« entgegnete sie träumerisch, »ich aber bin ein Weib! Und nicht wahr, mein Freund, du fühlst es auch – es ist eine Art Unglück, ein Weib zu sein –! Ich wollte – doch genug – hier, nimm den Plan.«

Zögernd, langsam, wie im Traum gab sie ihm den Plan, ihm die Fackel abnehmend, damit er unbehindert sei. Er breitete die Rolle aus. Nach einigen Augenblicken hatte er sich orientiert. Eben wollte er sie wieder zusammenlegen, als der Schein der Fackel hastig flackernd über die Rolle huschte. Er sah erschrocken auf. Die Prinzessin hielt die Fackel in Händen, schwenkte sie seltsam, neigte sie bald zu Boden, drückte sie an die Mauer und führte diese sonderbaren Bewegungen mit einer Art Geistesabwesenheit aus, die sich durch ein dämonisches Lächeln auf ihrem erhitzten Gesicht erkennen ließ.

»Was willst du beginnen?« rief Menes verwundert, nachdem er eine Weile diesem auffallenden Spiele zugesehen, »die Fackel wird erlöschen.«

Sie hörte ihn nicht; der Ausdruck ihres Auges ward wie der einer Wahnsinnigen, ihre Lippen murmelten unverständliche Laute, ihr Körper begann zu beben. Noch einmal wiederholte Menes seine Aufforderung, ihm die Fackel zu geben; sie hörte ihn immer noch nicht, sie schien ganz in ihre düsteren Phantasien versunken. Nun hob sie die Fackel hoch empor. Menes, die Gefahr erkennend, sprang nach der Fackel, aber ehe er sie ergreifen konnte, lag sie, vom Arm der Prinzessin heftig geschleudert, am Boden. Dem lauten Aufschrei des jungen Mannes folgte dichte, schwarze Dunkelheit, die Fackel war erloschen. Zugleich war es, als fiel ein schwerer Körper zu Boden.

»Was hast du getan,« rang es sich verzweiflungsvoll aus dem Busen des wie gelähmt an die Mauer Taumelnden; »wir sind verloren.«

Ohne zu wissen, was er tat, tappte er sich an der Mauer weiter bis an den Ausgang; hier strengte er seine Stimme aufs äußerste an, brüllte und rief, daß die Wände bebten, nach den Namen der Dienerinnen. Die Dunkelheit war so dicht, daß er sie ordentlich zu fühlen glaubte. Seine Augen quollen aus den Höhlen, so sehr strengte er sie an, eine Spur ihrer Befreier zu erblicken, die Finger riß er sich blutig am Gestein, das er betastete, um den Ausweg zu suchen. Noch einmal rief er: »Hilfe! Hierher!« dröhnte es durch das Gewölbe. Diese Anstrengung raubte ihm bald den Atem, nur ächzende Töne kamen noch über seine Lippen. Wild jagten die Gedanken durch sein Hirn, sein ganzes Wesen schauderte zusammen bei den Vorstellungen, die in ihm auftauchten. Er rief den Namen der Prinzessin, von der er doch keine Antwort erhielt. Mühsam tastete er sich an den Ort, wo sie gestanden; sein Fuß stieß dabei an einen weichen Gegenstand; er beugte sich herab und ergriff zufällig ein Kleidungsstück, das ihm den Weg nach dem Haupte der zu Boden Gesunkenen zeigte. Sie aus ihrem Zustande zu erwecken, war ihm nicht möglich. Noch einmal suchte er den Ausgang, tastete sich von diesem aus weiter und war endlich so glücklich, den folgenden Saal zu erreichen. Doch bei diesen Bemühungen hatte er die Wand neben sich verloren, er stand von Nacht umgeben, ohne Stütze. Wohin sich wenden? Er schickte seine Stimme mit letzter Kraft durch die Finsternis – – Halt! war das nicht ein Ton aus der Ferne? Er rief, so laut er es vermochte – richtig! Das war Antwort! Das war eine menschliche Stimme, wie Gesang der Götter tönte sie in das Ohr des Bejammernswerten. Die ferneren Hallen röteten sich, Tritte wurden hörbar; der Feuerschein kam näher, das Jammern der Dienerinnen ward deutlicher vernehmbar; bald war der zum Tod erschöpfte, hoch aufatmende Jüngling vom bestürzten, suchenden Gefolge der Königstochter umringt. In wenig hervorgestoßenen Worten erklärte er das Vorgefallene, maß sich aber die Schuld bei, daß die Fackel erlöscht war. Alle dankten den Göttern für den glücklichen Ausgang des ernsten Ereignisses; die Dienerinnen weinten vor Freude, die Männer suchten ihre Bewegung hinter jubelnden Ausrufungen zu verbergen. Die Prinzessin fand man ohnmächtig am Boden liegen, sie erholte sich erst, als man sie in das Boot gebracht unter dem Einflusse des frischen Windes und des Übergießens mit Nilwasser. Menes saß in sich gekehrt am Steuer. Ihm stieg die quälende Frage auf: Hat sie mit Absicht die Fackel zu Boden geschleudert? Hatte ihre aufgeregte Phantasie den wahnsinnigen Entschluß geboren, hier unten mit ihm, den sie heimlich liebte und den sie doch nie den ihren nennen durfte, zu sterben? Zu Hause angekommen, wurde Asa-Termutis in ihr Gemach gebracht; ein hitziges Fieber stellte sich ein, wochenlang lag sie wild phantasierend zwischen Tod und Leben, ihre Gedanken weilten dann immer bei Menes; sie sah sich mit ihm in unterirdischen Gemächern oder auf dem Gipfel von Pyramiden. Bald war sie hoch entzückt, bald tieftraurig, bald wünschte sie zu leben, bald zu sterben, bald küßte sie ihren Vater, war ihm zärtlich, bald stieß sie ihn von sich, ausrufend, sie hasse ihn.


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