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54

Zwei Schüsse fielen zu gleicher Zeit. Sadi Hafis stürzte mit einem Schrei in die Knie und brach zusammen.

»Schnell aufs Pferd!« sagte Jim und hob Joan in den Sattel.

In der nächsten Sekunde hatte er sich hinter sie geschwungen. Das starke Tier holte weit aus, obwohl es doppelte Last zu tragen hatte. Jim schaute über die Schulter zurück und sah, daß Sadis Gefolgsleute anhielten, um ihrem gefallenen Häuptling zu helfen.

»Zehn Minuten Vorsprung! Wenn wir Glück haben, entkommen wir ihnen!«

Er überließ die Richtung dem Pferd, das die Gegend genau kannte und dessen Augen in der Dunkelheit etwaige Hindernisse erkennen konnten. Von den Verfolgern war noch nichts zu sehen, aber Jim gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Wenn Sadi Hafis noch imstande war, einen Befehl zu geben, würden seine Leute bald hinter ihnen her sein.

Nachdem sie eine Stunde geritten wären, merkte Jim, daß das Pferd müde wurde. Er sprang ab und klopfte ihm die Mähne.

»Hier an der Küste war früher ein Wachthaus«, sagte er. »Aber ich weiß nicht, ob uns eine maurische Wache freundlicher gesinnt ist als Sadi Hafis.«

Sie schaute auf ihn nieder und versuchte, in den häßlichen Zügen eine Spur von dem Gesicht zu entdecken, das ihr so lieb und vertraut war.

»Bist du es wirklich, Jim?«

»Ja, natürlich!« erwiderte er lachend. »Ist meine Maske nicht gut? Es ist die alte Verkleidung, die ich früher immer trug. Wenn Sadi nur den Verstand eines Kaninchens gehabt hätte, würde er sich daran erinnert haben. Die Nase ist allerdings die größte Schwierigkeit, denn das Wachs wird in der Sonne warm und muß immer wieder nachmodelliert werden. Das andere ist dafür sehr einfach.«

»Aber du hast ja keine Zähne«, sagte sie, als sie die schwarze Höhle in seinem Mund sah.

»Doch, sie sind alle noch an ihrer Stelle! Eine Zahnbürste entfernt die Schwärze wieder.«

Vor Tagesanbruch hielten sie in der Nähe eines Baches, sattelten das Pferd ab und gaben ihm zu trinken.

»Ich fürchte, ich kann dir nichts zu essen anbieten«, sagte Jim. »Das einzige, was ich tun kann –«

Er streifte den Fellab ab, löste das schmutzige Hemd ein wenig, zog einen kleinen, wasserdichten Beutel hervor und ging zu dem naheliegenden kleinen Bach. Er ging als alter, häßlicher Mann und kam als Jim Morlake wieder zurück.

»Ich glaube, ich träume«, sagte sie leise. »Und wenn ich aufwache –« Sie zitterte.

»Du warst noch nie so wach wie in diesem Augenblick. Wir sind zwei Meilen von der Küste entfernt, und wenn Sadi nicht sehr dringliche Befehle gegeben hat, folgen seine Leute uns nicht bis hierher.«

Jims Vermutung war richtig. Sie sahen nichts mehr von den Verfolgern und erreichten das kleine Gebäude. Es stand unter dem Befehl eines spanischen Offiziers.

»Von hier aus müssen wir nun an der Küste entlangreiten und versuchen durchzukommen«, sagte Jim, nachdem er mit dem Offizier gesprochen hatte. »Die Spanier können uns nicht begleiten, denn die Franzosen sind eifersüchtig darauf bedacht, daß sie die Grenze nicht überschreiten. Aber ich glaube nicht, daß wir noch einmal belästigt werden.«

Am Abend schlugen sie an der Küste ein Lager auf und sahen die Lichter von Tanger beinahe vor sich. Jim hatte von dem spanischen Posten Tücher und Decken geliehen und breitete sie unter den Ruinen eines alten maurischen Wachthauses aus. Dann zog er sich zurück, um Wache zu halten.

Als Joan sich zum Schlafen niedergelegt hatte, dachte sie darüber nach, ob die Trauung wohl gesetzlich und bindend gewesen war, und sie hoffte mit aller Inbrunst, daß es so sein möchte.


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