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50

»Und die anderen Frauen? Sind das auch seine Gemahlinnen?« fragte Joan.

»Nein, hier ist nur eine Frau. Die anderen sind Dienerinnen. Sie ist erst vor einiger Zeit hergekommen. Seit vielen Jahren hat sie ihren Mann nicht gesehen.«

Joan wunderte sich, daß sie so vergnügt sein konnte. Aber die frische, gesunde Luft in den Bergen tat ihr gut und gab ihr neue Kraft. Oder war es vielleicht das Bewußtsein, daß die Zukunft ihr keine Überraschungen mehr bringen konnte? Ralph Hamon hatte diesen Zufluchtsort sicher schon seit langem vorbereitet.

Alles war herrlich, aber es blieb doch ein Gefängnis.– vielleicht noch etwas Schlimmeres.

Am andern Ende des Zimmers fiel Licht durch ein großes Fenster, das von außen durch ein geschmiedetes Gitter geschlossen war. Sie öffnete es und staunte über die Schönheit und Pracht des weiten Tales. In der Ferne konnte sie das Meer erkennen, und am Horizont tauchte der düstere Felsen von Gibraltar auf.

Im Tal bewegte sich etwas. Sie hielt die Hand vor die Augen, um sie gegen die hellen Sonnenstrahlen zu schützen. Es war der Bettler, der wohl nach Tanger zurückritt.

Sie schloß das Fenster, ging zum Eingang zurück und drückte auf die silberne Klinke. Zu ihrem Erstaunen gab sie nach, und eine große weite Halle öffnete sich vor ihr. Auch die Pendeltüren, die ins Freie führten, waren nicht verschlossen. Offensichtlich ließ man ihr hier also größere Freiheit, und sie war dankbar dafür.

Aber als sie in den Garten kam, erkannte sie, daß es hoffnungslos war, von hier entkommen zu wollen. Die Mauern waren selbst für ein maurisches Haus ungewöhnlich hoch. Oben waren sie mit unzähligen Glasscherben belegt, die im Sonnenlicht glitzerten und daran erinnerten, daß jeder Fluchtversuch vergeblich sein würde.

Trotz ihres festen Vorsatzes, tapfer zu bleiben, ging sie langsam und niedergeschlagen in das große Zimmer zurück, das augenscheinlich für sie reserviert war. –

Ralph Hamon hatte Nachricht von dem Gelingen der Flucht erhalten und ritt nun quer durch das unebene Gelände. Er triumphierte, daß er sein Ziel soweit erreicht hatte, und sein Blick ruhte wohlgefällig auf dem weißen Haus in den Bergen.

Dort war Joan Carston endlich sein eigen in des Wortes wahrster Bedeutung. Er hatte vorher in Tanger noch eine geheime Unterredung mit Mr. Bannockwaite gehabt, die auch zu seiner Zufriedenheit ausgefallen war.

Sadi Hafis ritt an Hamons Seite, aber er war lange nicht so froh gestimmt wie dieser. Er schaute düster drein und hatte noch kaum ein Wort gesprochen.

»Wir werden bald nach Sonnenuntergang dort sein«, sagte Ralph.

»Mag der Himmel wissen, warum ich überhaupt mitkomme«, erklärte Sadi unwirsch. »Sie haben all meine Angelegenheiten zu einem schlechten Ende gebracht!«

»Beruhigen Sie sich doch. Lydia hatte einen Aufenthalt in Lissabon. In ein paar Tagen ist sie hier. – Ach, Joan ist wirklich außergewöhnlich schön«, rief er begeistert.

»Würde ich sonst diese beschwerliche Reise machen?« fragte Sadi kühl.

Ralph Hamon wurde aufmerksam.

»Nun ja, Sie mögen Ihre Neugierde befriedigen und dann wieder gehen«, erwiderte er kurz. »Sie dürfen ihr Aufmerksamkeiten erweisen, wo sie am Platz sind – aber damit von Anfang an kein Mißverständnis herrscht, diese junge Dame heiratet mich.«

Der Scherif zuckte die Schultern.

»Frauen gibt es soviel wie Bettler«, entgegnete er gleichgültig und wies mit dem Kopf nach der wenig anziehenden Gestalt, die ihnen entgegenkam.

»Almosen, im Namen Allahs, des Allmächtigen und Allgütigen!« murmelte der zerlumpte Greis.

»Ein zahnloser, alter Teufel«, sagte Hamon und warf ihm eine Kupfermünze hin.

»Gott gebe dir glückliche Träume!« bedankte sich der Bettler mit singender Stimme und ritt langsam hinter den beiden her. »Mögen dir die Freuden des Himmels sicher sein und die Herrlichkeiten der Propheten! Laß mich unter dem Dach deines Hauses zur Nacht schlafen, denn ich bin ein alter Mann ...«

Sadi konnte als Maure diese Bitte mit philosophischer Ruhe und Gleichgültigkeit anhören. Ralph wandte sich zornig um.

»Mach, daß du fortkommst, du Hund!« brüllte er. Doch der Alte folgte ihnen unentwegt und wiederholte dauernd seine eintönigen Bitten.

»Lassen Sie ihn schwatzen«, sagte Sadi. »Wozu kümmern Sie sich überhaupt um ihn? Sie kennen doch Marokko lange genug.«

Der Bettler hielt sich ständig in einiger Entfernung von ihnen, und erst als sie ihm die Tür vor der Nase zuschlugen, kehrte er schimpfend und unzufrieden um. Später sah Ralph, daß das Pferd in der Umgebung graste. Eine blaue Rauchwolke stieg aus den Büschen zum Himmel auf, wo der Alte sein Lager bereitete.

Ralph Hamon hatte noch eine unangenehme Aufgabe vor sich, und er hatte es nicht besonders eilig, sie zu lösen. In einem kleinen Raum hinter der Halle speiste er mit Sadi zu Abend.

»Sie sind aber kein eifriger Liebhaber«, meinte der Araber. »Haben Sie sie schon gesehen?«

»Sie kann warten.«

»Dann werde ich ihr einstweilen meine Aufwartung machen«, erwiderte Sadi schmeichlerisch. »Sie sind kein Muselman, und ich denke, die junge Dame wird beruhigt sein, wenn sie einen wirklichen maurischen Edelmann kennenlernt und erfährt, daß wir auch gute Sitten haben.«

»Ich werde Sie später vorstellen, aber erst muß ich noch etwas anderes erledigen«, entgegnete Ralph kurz.

Die andere Aufgabe bestand darin, seine Frau zu sprechen, die er acht Jahre nicht gesehen hatte. Als er in ihr Zimmer trat, wollte er nicht glauben, daß diese dicke, düstere Frau einst ein schönes maurisches Mädchen von schlankem, wundervollem Wuchs gewesen war.

»So bist du doch endlich gekommen?« fragte sie hart. »All diese Jahre habe ich nichts von dir gehört oder gesehen.«

»Hast du etwa Hunger gelitten?« erwiderte er kühl. »Hast du kein Dach über dem Kopf gehabt?«

»Wer ist dieses Mädchen?«

»Sie wird bald meine Frau sein.«

Die Maurin sprang auf und zitterte vor Zorn.

»Warum hast du mich dann hierherholen lassen?« rief sie aufgebracht? »Soll ich wie eine Närrin vor meinen Dienerinnen dastehen? Warum hast du mich nicht in Mogador gelassen? Dort hatte ich wenigstens Freunde und Bekannte. Hier bin ich mitten in der Wildnis lebendig begraben. Soll ich deinem neuen Weib vielleicht als Sklavin dienen? Das tue ich niemals, Hamon!«

Er fühlte sich nun sicher.

»Du kannst nächste Woche wieder nach Mogador zurückkehren. Ich habe dich aus einem besonderen Grund hierherkommen lassen.«

Sie war hergebracht worden, damit Joan sie sehen und ihre eigene Lage besser beurteilen solle.

Er ging zu Sadi zurück.

»Ich gehe jetzt zu meiner Dame. Später werde ich Sie vorstellen.«

Er klopfte an die Tür des Wohnzimmers, und als keine Antwort kam, trat er ein. Joan saß vor dem großen Flügel und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Sie hatte sich gerade an das Instrument gesetzt, als Hamon in der Tür erschien.

»Wie geht es Ihnen – fühlen Sie sich schon ein wenig heimisch?« fragte er.

Eine Weile blieb er stehen und bewunderte ihre schlanke Gestalt und ihre ruhigen, gleichmäßigen Züge. Sie schenkte ihm überhaupt keine Beachtung. Er hätte ebensogut ein Diener im Herrenhaus von Creith sein können, der auf ihr Klingelzeichen erschienen war.

»Ist es hier nicht herrlich?« fuhr er fort. »Dies ist einer der schönsten Plätze Marokkos. Eine Dame könnte es hier schon ein oder zwei Jahre aushalten. Haben Sie meine Frau Nummer eins gesehen?«

Er setzte sich und steckte sich eine Zigarre an.

»Wollen Sie mit Nummer eins Mrs. Hamon bezeichnen?« fragte sie langsam.

Er nickte.

Sie hatte Ralph Hamon noch nie so vergnügt gesehen. Er machte einen so freien und fröhlichen Eindruck, als ob alle Sorgen von ihm abgefallen wären.

»Sie müssen mir erzählen, wie man hier Ehen schließt. Ich fürchte, daß ich darüber vollkommen unwissend bin.«

»Hören Sie zu, Joan. Ich werde Sie nicht nach maurischem Ritual heiraten. Es wird eine christliche Eheschließung werden, und ein wirklicher Geistlicher der englischen Kirche wird uns trauen. Ich habe Sie vorhin gefragt, ob Sie meine maurische Frau gesehen haben. Was denken Sie von ihr?«

Joan erwiderte nichts. Sie bemühte sich, seine Absicht zu erkennen.

»Was denken Sie von ihr?« fragte er noch einmal.

»Sie tut mir leid – sie war nicht gerade sehr höflich zu mir, aber trotzdem fühle ich Sympathie für sie.«

»So? Die Dame ist Ihnen sympathisch? Sie ist etwas fett und hat ein zu dickes Gesicht. In Marokko werden sie alle so, weil sie sich dauernd im Harem aufhalten müssen, keine Freiheit und nicht genügend Bewegung haben. Sie werden hier behandelt wie Vieh, in einem heißen Haus eingeschlossen, in dem Tag und Nacht furchtbare Luft herrscht. Joan, möchten Sie tatsächlich ein solches Leben führen?«

Sie sah ihm gerade ins Gesicht.

»Ich möchte überhaupt nicht Ihre Frau sein.«

»Möchten Sie das Leben einer maurischen Frau führen?« wiederholte er. »Oder möchten Sie nach europäischer Weise heiraten und Kinder haben, die später Ihren Namen tragen und den Titel Ihres Vaters erben?«

Sie erhob sich schroff und drehte ihm den Rücken zu.

»Nun gut, wir wollen diese Frage im Augenblick nicht erörtern«, sagte Ralph und stand auch auf. »Ich möchte Sie bitten, jetzt Sadi Hafis zu empfangen. Er ist ein guter Freund von mir. Seien Sie liebenswürdig zu ihm, aber nicht zu sehr. Er ist im Moment nicht gut auf mich zu sprechen, da er Lydia haben wollte. Sie hat ihn aber ausgeschlagen. Und ich wünsche nicht, daß er sich Hoffnungen auf Sie macht.«

Er verschwand und ließ sie mit ihren Gedanken allein. Nach einigen Minuten kehrte er mit Sadi zurück.

Joan erkannte sofort, daß dieser Mann eine ebenso große Gefahr für sie bedeutete wie Ralph Hamon, vielleicht eine noch größere. Mit Abscheu betrachtete sie Sadis dickes, ausdrucksloses Gesicht und seine dunklen, trüben Augen, mit denen er sie durchbohrte und ihren Wert einschätzte. Sie haßte ihn wegen seines Benehmens, seiner höflichen Sprache und seines glatten Lächelns. Der Maure blieb nur so lange, um Eindruck auf sie zu machen.

»Was denken Sie von ihm?« fragte Ralph, als Sadi fort war.

»Ich bin mir noch nicht klar über ihn«, log sie.

»Ein guter Freund, aber auch ein furchtbarer Feind«, erwiderte er vielsagend. »Ich wünschte, Lydia wäre vernünftiger gewesen.«

Plötzlich erhob er sich.

»Ich verlasse Sie jetzt – Sie werden Ihr Schlafzimmer finden? Ich wünsche Ihnen angenehme Träume!«

An der Tür wandte er sich noch einmal um.

»Eine christliche Frau hat es besser als eine maurische – hoffentlich haben Sie das jetzt eingesehen!«

Sie sprach noch immer nicht.

»In zwei Tagen heiraten wir.« Er lächelte ironisch. »Wünschen Sie, daß jemand zu der Hochzeit geladen wird?«

»Sie werden doch nicht wagen, einen englischen Geistlichen zuzuziehen?«

»Ach, glauben Sie? Aber Sie sollen sehen, er wird uns trauen, was Sie auch immer sagen und welchen Widerspruch Sie auch erheben mögen. Außerdem werden Sie einen alten Freund in ihm wiedertreffen.«

»Einen alten Freund?« fragte sie betroffen.

»Ja – Reverend Bannockwaite.«

Mit diesen Worten verließ er sie und schloß die Tür ab.


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