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11

Als sich die Tür hinter dem wütenden Marborne geschlossen hatte, eilte Binger zu seinem Herrn zurück.

»Es war ein Detektiv«, flüsterte er heiser.

»Das weiß ich.« Jim unterdrückte ein Gähnen. »Er hat mir meine Streichhölzer gestohlen – ist das nicht der beste Beweis dafür?«

»Gehen Sie heute abend aus?« fragte Binger besorgt.

»Nein, ich bleibe hier, aber Sie können trotzdem gehen. Sagen Sie Mahmet, daß er mir Kaffee bringt, ich werde heute noch lange arbeiten.«

Als Binger sich entfernt hatte, legte Morlake sein Buch hin und ging langsam im Zimmer auf und ab. Gleich darauf kam der maurische Diener herein und brachte ein Tablett mit allen Gegenständen, die zur Zubereitung von Kaffee notwendig waren.

Jim beobachtete ihn und griff wieder zu seiner Lektüre, als Mahmet gegangen war.

Er überlegte, was Marbornes Besuch zu bedeuten habe. Der Mann hatte sich in seiner Naivität doch tatsächlich eingebildet, daß er ihn nicht kenne. Aber James Morlake kannte alle irgendwie bedeutenden Detektive vom Yard dem Gesicht nach sehr genau.

Warum also mochte Marborne gekommen sein? Ein halbes Dutzend Lösungen fiel Jim ein, aber keine befriedigte ihn vollkommen.

Um halb zwölf stand er auf. Er entschloß sich, doch noch auszugehen, und wechselte die Schuhe. Als er die Tür öffnete, sah er einen Brief auf dem Fußboden liegen, der offenbar durch die Türspalte geschoben worden war. Die Adresse war mit Bleistift geschrieben und lautet nur: ›Mr. Morlake.‹ Darunter stand noch: ›Eilt!‹, und zwar mehrmals unterstrichen.

Schnell riß er den Umschlag auf und las die wenigen, rasch hingeworfenen Zeilen. Dann runzelte er die Stirn, faltete den Brief wieder zusammen, tat ihn in das Kuvert zurück und steckte es in die Tasche.

»Mahmet, hast du draußen jemand gehört?« fragte er, als der Diener auf sein Klingelzeichen erschien.

»Nein, Effendi, ich habe niemand gehört, seitdem der Sekretär gegangen ist. Ich war immer in der Halle hier.«

Morlake nahm den Brief aus der Tasche.

»Lag das schon hier, als Binger fortging?«

»Nein, Effendi.«

Der Brief mußte also gebracht worden sein, während er die Schuhe wechselte.

Wieder schob er die Warnung in die Tasche und trat auf die Treppe hinaus. Als er auf der Straße erschien, stand Inspektor Marborne auf der gegenüberliegenden Seite im Schatten eines Toreingangs und klopfte Lieber auf die Schulter.

»Das ist er«, flüsterte er ihm zu.

Der Taschendieb nickte, ging quer über die Straße und folgte dem großen, schlanken Mann, der langsam Piccadilly hinabschlenderte.

An der Ecke blieb Morlake stehen und schaute sich unentschlossen um, als ob er nicht wüßte, nach welcher Seite er sich wenden sollte. In diesem Augenblick rannte ihn ein kleiner, dicker Mann an, der es anscheinend sehr eilig hatte. Der Zusammenstoß war ziemlich heftig.

»Ruhe, Ruhe, mein Freund!« sagte James Morlake.

»Entschuldigen Sie bitte vielmals!« erwiderte Lieber und setzte seinen Weg mit größter Hast fort.

Morlake schaute etwas belustigt und spöttisch hinter ihm her.

Inspektor Marborne wartete an der Ecke der Air Street, und als Lieber in diese verlassene Straße einbog, ging er auf ihn zu und schloß sich ihm an.

»Nun?« fragte er schnell.

»Ich habe etwas.« Lieber steckte die Hand in die Tasche. »Es war zwar kein Taschentuch oder eine Schachtel, aber ein Brief.«

Ungeduldig riß ihm der Inspektor das Schreiben aus der Hand. Er blieb unter einer Straßenlaterne stehen und untersuchte das Beutestück.

»Der Brief ist an ihn gerichtet. Jetzt haben wir ihn!«

Er zog den Inhalt aus dem Umschlag und las. Aber der triumphierende Ausdruck verschwand dabei allmählich wieder aus seinen Zügen.

Der Text des kurzen Schreibens lautete:

›Mein lieber Morlake,

Ralph Hamon hat einen Polizeibeamten namens Marborne angestiftet, Ihnen eine Falle zu stellen.

Jane Smith.‹

»Zum Teufel, wer ist denn Jane Smith?« fragte der Inspektor.


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