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10

Polizeiinspektor Marborne kam aus dem Büro seines Vorgesetzten und pfiff leise vor sich hin. Selbst sein Freund und Helfer, Detektivsergeant Slone, der ihm auf die Straße folgte, ließ sich durch sein Verhalten täuschen.

»Alles in Ordnung?« fragte er neugierig, als sie nebeneinander am Themseufer entlanggingen.

»Nein, nichts war in Ordnung. Es wäre beinahe Schluß gewesen. Der Alte sagte, er habe Beweise genug in der Hand, daß ich mich von dem Spielklubbesitzer Bolson hätte bestechen lassen. Er gab mir auch die Nummern der Scheine an, die Big Bennet mir dafür zahlte, daß ich seinen Bruder vor seiner Verhaftung warnte. Ich stehe auf der Liste der Leute, die pensioniert werden sollen. Sie übrigens auch. Der Alte sprach davon, daß auch Sie an allem beteiligt wären.«

Sergeant Barny Slone fühlte sich durchaus nicht wohl bei dieser Mitteilung.

»Es gibt nur eine Hoffnung und nur eine Lösung für uns – wir müssen die Sache unter allen Umständen durchführen«, sagte Marborne. »Es ist mir ja furchtbar unangenehm, wenn ich solchen Verbrechern wie Lieber und Colley zu Dank verpflichtet, ja von ihnen abhängig bin, aber ohne die geht es diesmal nicht. Bringen Sie also die beiden heute abend zu einem kleinen Essen in meine Wohnung.«

»Was haben Sie vor?«

»Ich will den Schwarzen festsetzen.«

»Ihn festsetzen – wie wollen Sie denn das machen?«

Aber Marborne gab keine weitere Erklärung.

»Ich weiß, wer er ist – oder vielmehr einer meiner Bekannten weiß es. Es wird die größte Sache, die wir je gemacht haben, Barny.«

Seit mehr als fünf Jahren war ›der Schwarze‹ die größte Sensation Londons. Er führte seinen Namen deshalb, weil er nur Kleider dieser Farbe trug. Kein Bankgewölbe und kein Stahlraum, kein Geldschrank war so sicher, daß ihn dieser kluge und geschickte Mann nicht hätte öffnen können. Seine Stärke bestand vor allem darin, daß er stets allein arbeitete. Er beschäftigte sich nur mit Bankdepots und hatte der Polizei bisher unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet.

Merkwürdigerweise wurde die Höhe der Summen, die der Schwarze erbeutete, niemals bekannt. Er plünderte nur Privatbanken, bei denen ›ehrenwerte Leute‹ ihre Depots hatten. Aber die dort verwahrten Dokumente konnten offenbar sehr unangenehm für ihren Ruf und ihre Stellung werden, wenn der Inhalt der Öffentlichkeit preisgegeben worden wäre. Manche versteckten auch ihr Vermögen dort und verloren dadurch die Zinsen, hatten aber die Gewißheit, ein größeres Vermögen zur Hand zu haben, wenn ihnen einmal der Boden in England zu heiß werden sollte. Natürlich sprachen diese Menschen wenig oder gar nicht über Verluste, häufig bestritten sie sogar, daß sie auch nur einen Schilling verloren hätten. Der Schwarze war allem Anschein nach ein großer Menschenkenner, denn alle seine Raubzüge waren wohlvorbereitet. Obwohl in den letzten fünf Jahren dreiundzwanzig Einbrüche zweifellos ihm zuzuschreiben waren, konnte man gegen ihn doch nicht die Anklage erheben, daß er eine bestimmte Summe gestohlen habe.

Um fünf Uhr nachmittags begab sich Mr. Marborne nach Grosvenor Place Nr. 307, wo Ralph Hamons Londoner Wohnung lag.

Hamon war dabei, Briefe zu schreiben, als der Diener den Beamten in das Arbeitszimmer führte. Er begrüßte den Besucher zuvorkommend. »Treten Sie doch bitte näher, Marborne, ich freue mich sehr, Sie zu sehen – haben Sie meinen Brief erhalten?«

»Ja, heute morgen.« Der Detektiv setzte sich. »Sie haben dreitausend Pfund verloren? Hoffentlich haben Sie sich die Nummern der Scheine notiert?«

»Selbstverständlich! Aber Sie wissen selbst, wie leicht es ist, gestohlenes Geld unterzubringen. Und wenn man es mit einem so gerissenen Burschen zu tun hat, braucht man sich keine Hoffnung zu machen, ihn durch diesen alten Trick zu fangen.«

»Sind Sie denn sicher, daß es tatsächlich der Schwarze war?«

»Ja, natürlich. Aber ich habe keine Beweise gegen ihn, nur einen Verdacht. Wir müssen auf unseren Plan zurückkommen, von dem ich Ihnen schon vor einem Monat erzählte.«

»Es ist aber eine verdammt schwierige Sache, eine Klage aufzubauen. Das wird eine ziemliche Summe kosten, Mr. Hamon. Ich habe es mir nach allen Richtungen hin überlegt, und obwohl ich die geeigneten Leute an der Hand habe, sind die Ausgaben doch größer, als die Geschichte vielleicht wert ist.«

»Ich riskiere selbst eine große Summe«, erwiderte Hamon erregt. »Die Hauptsache ist, daß wir ihn fassen. Er hält sich augenblicklich in London auf, aber das wird Ihnen ja bekannt sein.«

»Ich habe ihn, soweit es möglich war, beobachten lassen. Sergeant Slone ist hinter ihm her. Aber es ist nicht so einfach, wie Sie es sich denken. Nach unseren Dienstvorschriften können wir einen Mann nicht von Beamten beobachten lassen, wenn nicht eine offizielle Anzeige gegen ihn erstattet ist. Slone kann sich daher nur in seiner freien Zeit mit ihm beschäftigen.«

»Ich zahle ja auch gut«, entgegnete Hamon etwas ungeduldig. »Haben Sie denn wenigstens einen Plan ausgearbeitet?«

»Ja. In Blackheath steht ein Haus«, begann der Inspektor, »das einem früheren Kolonialbeamten gehört. Er wohnt mit seiner Frau, seiner Tochter und drei Dienstboten dort, ist sehr reich und hat eine wunderbare Sammlung alter Juwelen. Ich habe nun einen Mann an der Hand, der in fünf Minuten in der Wohnung sein und alle Schränke aufbrechen kann. Es wird nicht so leicht sein, die Juwelen zu bekommen, weil sie in einem starken Safe eingeschlossen sind. Aber damit brauchen wir uns ja auch gar nicht abzugeben. Die schwierige Sache ist nur, wie wir den Schwarzen zu dem Haus oder möglichst in das Haus bringen. Alle Alibis, die er etwa vorbringen könnte, müssen wir von vornherein ausschalten. Es ist vollständig zwecklos, ihn wegen eines Einbruchs in Blackheath zu verhaften, wenn er nachher beweisen kann, daß er zur selben Zeit in seinem Klub saß.«

»Können Sie denn überhaupt veranlassen, daß er nach Blackheath kommt?« fragte Hamon interessiert.

»Darauf bin ich doch gerade aus – aber es wird viele Vorarbeiten kosten. Morlake wohnt in der Bond Street und hat dort einen Mohren Mahmet und einen gewissen Binger, einen pensionierten Sergeanten. Der wohnt aber nicht bei ihm, er hat eine eigene Wohnung in der Blackheath Road. Deshalb habe ich auch gerade Blackheath ausgewählt. Gewöhnlich geht Binger abends nach Hause, selbst wenn Morlake sich in seiner Stadtwohnung aufhält; Sergeant Slone hat sich mit ihm angefreundet; Binger weiß natürlich nicht, daß Slone Polizeibeamter ist. Er gab sich die größte Mühe, den Mann zum Reden zu bringen, konnte aber bis jetzt nichts herausbringen – er schweigt über seinen Herrn.«

»Aber wie kann der Mann Ihnen denn helfen?«

»Sie werden sehen, daß er außerordentlich wichtig für uns ist. Morlake hat ihn gern – als er vor einigen Jahren einmal krank lag, besuchte er ihn jeden Tag in der Blackheath Road und schickte ihm seinen eigenen, teuren Arzt. Manchmal geht Binger zeitiger nach Hause, und wenn er das nächstemal früher heimkommt, wollen wir unseren Plan ausführen. Können Sie mir nicht irgend etwas von Morlake verschaffen – ein Taschentuch oder ein Notizbuch?«

»Nein. Ich bin noch nie in seiner Wohnung gewesen.«

»Das ist schade. Aber ich will sehen, was sich tun läßt. Es wird allerdings ein Stück Geld kosten – Sie müssen sich auf große Ausgaben gefaßt machen.«

Mr. Hamon nahm seine Brieftasche heraus und reichte dem Inspektor eine Anzahl Banknoten. Marborne verbarg seine freudige Erregung; seine kühnsten Hoffnungen waren übertroffen.

Mit dem Geld in der Tasche und in einer Stimmung, die der Höhe der Summe entsprach, trat er wieder auf die Straße, wo Slone auf ihn wartete. »Nun, hat er Moneten gespuckt?« fragte der Sergeant.

Der Inspektor zog die Augenbrauen hoch.

»Lassen Sie diese Redensarten!« sagte er ernst. »Mein Freund hat mir wohl eine kleine Summe für die nötigen Ausgaben überlassen, aber glauben Sie deswegen nicht, daß er die Bank von England ist. Ich habe ungefähr hundert Pfund für Sie bekommen. Zu Hause gebe ich Ihnen das Geld. Haben Sie Colley in meine Wohnung bestellt?«

»Er wartet schon den ganzen Nachmittag auf Sie. Lieber ist bis jetzt noch nicht gekommen, aber Holländer sind ja immer etwas langsam.«

Colley war klein und hatte ein runzliges Gesicht, auf dem sein verbrecherischer Charakter so deutlich geschrieben stand, daß man ihn auch ohne Gerichtsverhandlung hätte verurteilen können. Er wartete auf dem Gehsteig gegenüber der Marborneschen Wohnung und folgte den beiden, als sie ins Haus traten. In dem gemütlichen Wohnzimmer nahm er sich eine Zigarre aus der Kiste, die ihm gereicht wurde.

»Der Sergeant sagte, daß Sie mich sehen wollen, Mr. Marborne«, begann er.

»Ja, ich brauche Sie, Colley. Hören Sie gut zu. Ich habe einen Freund, der sich mit einem Bekannten einen Scherz machen will. Die Sache selbst geht Sie ja nichts an.« Er erklärte ihm eingehend, was zu tun sei; aber Colley fürchtete einen Hinterhalt der Polizei und ließ sich nur schwer überzeugen.

»Ich soll also möglichst schnell in das Haus einbrechen und rasch wieder verschwinden – das meinen Sie doch?«

»Nicht zu rasch«, verbesserte ihn Marborne. »Sie müssen schon ein wenig Spektakel und Aufruhr in der Wohnung machen – man muß merken, daß ein Einbrecher im Hause war.«

»Wenn der Mann aber ein früherer Kolonialbeamter ist, hat er sicher einen Revolver, und wenn er mich sieht, bevor ich ihn sehe, dann gibt es eine etwas einseitige Schießerei.«

Es dauerte noch eine ganze Stunde, bis Marborne Colley klargemacht hatte, daß die Sache gefahrlos und die Belohnung reichlich sein werde. Schließlich wurde vereinbart, daß er sich in der nächsten Woche auf Abruf bereithalten solle.

Als die Unterredung beendet war, wandte sich Marborne zu dem schwierigsten Teil der Aufgabe. Er verhandelte zu diesem Zweck mit Mr. Lieber, der mit großer Verspätung eingetroffen war und ihn nun begleitete.

»Es ist möglich, daß ich Sie nicht brauche, aber Sie können hier in der Gegend warten, falls Sie doch nötig sind. Kennen Sie Morlake?«

Der etwas behäbige Mann schüttelte den Kopf.

»Ist er ein Verbrecher?«

»Ja. Ich brauche eine Bestätigung seiner Persönlichkeit – genau wie im Fall Crewe, in dem Sie für mich gearbeitet haben. Ein Taschentuch, ein Notizbuch, Papiere, Briefe, irgend etwas muß ich von ihm haben. Es ist aber möglich, daß es auch so geht. – Hier sind wir angekommen – warten Sie an der Ecke und folgen Sie mir, wenn ich herauskomme.«

Binger öffnete dem Besucher und sah ihn mißtrauisch von der Seite an, da im Auftreten des Beamten etwas Offizielles lag.

»Ich weiß nicht, ob Mr. Morlake zu Hause ist«, sagte er vorsichtig. »Wenn Sie ein wenig warten wollen, werde ich nachsehen.«

Er schlug die Tür vor Marbornes Nase zu und ging in den großen, mit orientalischem Luxus ausgestatteten Raum, wo James Morlake, in ein Buch vertieft, saß.

»Er sagt, daß sein Name Kelly ist. Möglich, daß es stimmt, möglich aber auch, daß es nicht stimmt.«

»Was will er denn von mir?« fragte Morlake und schloß das Buch.

»Er erzählte mir, daß er Sie vor einigen Jahren in Marokko getroffen und eben erst Ihre Adresse bekommen habe.«

»Lassen Sie ihn eintreten«, erwiderte James Morlake kurz.

Marborne kam in den großen Raum und sah sich bewundernd um.

»Nehmen Sie Platz, Mr. Kelly. Ich habe allerdings keine Stühle, weil ich für gewöhnlich keinen Besuch empfange, aber vielleicht lassen Sie sich auf dem Diwan nieder.«

Der Inspektor setzte sich und lächelte geziert.

»Es ist allerdings schon lange her, daß ich Sie getroffen habe – Sie besinnen sich vielleicht kaum darauf, daß Sie mich vor ungefähr zehn Jahren im Hotel Cecil in Tanger zum Essen einluden?«

»Ich kann mich dunkel erinnern.« Morlake betrachtete ihn gleichgültig.

»Ich reiste damals für eine Porzellanfirma«, fuhr Marborne gesprächig fort. Er ließ seine Blicke umherschweifen, um irgendeinen kleinen Gegenstand aus Morlakes Besitz zu entdecken, den er bei einer späteren Gelegenheit als Beweisstück gebrauchen konnte. »Ich weiß nicht, ob Ihnen daran liegt, so zufällige Bekanntschaften aufrechtzuerhalten, aber ich erinnere mich jedenfalls sehr gern an unser Zusammentreffen.«

»Ich entsinne mich jetzt genau«, sagte Morlake, »obgleich Sie sich in der Zwischenzeit ein wenig verändert haben.«

Mr. Marborne schaute zu der prachtvoll verzierten Decke empor.

»Sie haben eine wunderbare Wohnung. Niemand würde denken, daß ein maurisch ausgestattetes Zimmer von solcher Schönheit in seiner nächsten Nähe liegt, wenn er die Bond Street entlanggeht.«

Plötzlich sah er, was er brauchte. Hinter dem Briefpapierständer lag ein kleines Lederkästchen mit Morlakes Monogramm. Es war zu schmal für ein Notizbuch, und er vermutete, daß es zum Aufbewahren von Briefmarken diente. Erst später, als er näher an den Tisch kam, bemerkte er, daß es ein flacher Behälter für Streichhölzer war.

Er erhob sich vom Diwan, ging durch den Raum, bis er dem aufmerksamen Morlake am Schreibtisch gegenüberstand, und legte die Hände auf die Tischplatte.

»Ich hatte nicht die Absicht, Sie irgendwie zu stören, ich wollte Sie nur noch einmal aufsuchen, weil ich gerade in London war und gern die Bekanntschaft mit Ihnen erneuern möchte. Hoffentlich habe ich Sie nicht zu sehr belästigt.«

Er hatte seine Hand auf das Streichholzkästchen gelegt und umschloß es jetzt. Der kleine Gegenstand war so winzig, daß er ihn mühelos in der Hand verbergen konnte.

»Ich freue mich immer, wenn ich einen alten Bekannten aus Marokko treffe«, sagte Jim. »Wollen Sie nicht etwas trinken?«

»Danke, nein. Ich möchte Sie nicht länger aufhalten«, entgegnete der Inspektor und ließ das Kästchen in die Tasche gleiten. »Wenn Sie einmal nach Liverpool kommen sollten, suchen Sie mich doch bitte auf – John L. Kelly.« Er nahm die Hand wieder aus der Tasche. »Sie finden meine Adresse im Telefonbuch – Lime Street 149. Ich habe mich sehr über das Wiedersehen mit Ihnen gefreut.«

James reichte ihm die Hand.

»Aber nebenbei bemerkt«, sagte er plötzlich, als der Detektiv an der Tür stand, »seien Sie doch so liebenswürdig und lassen Sie mir meine Streichhölzer hier – es wäre möglich, daß ich sie brauchte.«

Der Beamte schaute sich entsetzt um.

»Ihre – Ihre Streichhölzer?« stammelte er.

»Ja. Sie stecken in Ihrer rechten Hosentasche, Inspektor«, erwiderte Jim und schaute kaum von dem Buch auf, das er wieder ergriffen hatte.

»Ich habe keine Streichhölzer«, entgegnete Marborne laut.

»Dann geben Sie mir wenigstens die leere Hülle zurück. Wenn Sie Schwierigkeiten machen wollen, gehe ich zur Polizei und erzähle dort einmal verschiedenes über Sie. In der Marylebone Road gibt es einen großen Hehlerladen, und soviel ich weiß, bekommen Sie von den Geschäften zehn Prozent. – Ich bin überzeugt, daß Ihr Chef keine Ahnung davon hat.«

Marborne zuckte zusammen und wurde bleich. Er wollte sprechen, aber dann nahm er plötzlich die Streichholzschachtel aus der Tasche und warf sie zu Boden.

»Ich danke Ihnen vielmals!« sagte Jim höflich.

Das Gesicht des Inspektors wurde dunkelrot. Die kühle Verachtung Morlakes reizte ihn zu höchster Wut: »Ich werde Sie noch fassen – Sie sollen mir nicht entkommen!«

Binger zeigte sich zwischen den Vorhängen in der Tür.

»Begleiten Sie diesen Herrn hinaus und passen Sie auf, daß er meinen Schirm nicht aus dem Ständer nimmt!« befahl Jim.


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