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3

Ferdinand Carston, der neunte Earl von Creith, war eine schlanke, sympathische Erscheinung, aber ein etwas eigensinniger und querköpfiger Mann. Während seines ganzen Lebens hatte er versucht, Unannehmlichkeiten möglichst aus dem Weg zu gehen, und dadurch hatte er manchen Verlust erlitten. Er liebte es nicht, von seinen Rechtsanwälten, seinen Inspektoren und seinen Pächtern gestört zu werden, und man durfte ihn nicht mit Agenten behelligen. So kam es, daß er seine Leute kaum kannte und die wenigsten von ihnen sich die Mühe machten, ihm genaue Abrechnungen zu schicken. Von Zeit zu Zeit faßte er den guten Vorsatz, sich aus seinen Schulden herauszuarbeiten, und ließ sich auf Spekulationen ein. Da er sich aber weder um Geschäftsberichte kümmerte, noch sich nach der Güte der Geschäfte erkundigte, geriet er in immer größere Schwierigkeiten.

Und plötzlich tauchte ein sehr liebenswürdiger Finanzmann unter seinen Bekannten auf, der es unternahm, all seine unangenehmen Verbindlichkeiten zu regeln, die Klagen der Banken zu beschwichtigen und vor allem die aufdringlichen privaten Geldgeber zu beruhigen. Lord Creith war sehr dankbar dafür, verkaufte ihm die Anwartschaft auf die Güter der Creith und war nun mit einem Male nicht nur all seine Schulden los, sondern verfügte sogar noch über flüssige Mittel.

Er saß in seiner Bibliothek und las mit größtem Interesse in einem Auktionskatalog, als plötzlich sein Gast eintrat.

»Hallo, Hamon!« sagte er, ohne sehr erfreut zu sein. »Haben Sie schon gefrühstückt?«

»Joan war nicht hier.«

»Hat sie außerhalb gefrühstückt?« Lord Creith sah ihn über seine Brille hinweg an.

Hamon nahm sich einen Stuhl.

»Haben Sie schon jemals daran gedacht, was geschehen wird, wenn Sie sterben?« fragte er ohne weitere Einleitung.

»Nein – bestimmt nicht! Ich bin immer regelmäßig zur Kirche gegangen, obgleich die Abgaben und die Kirchensteuer ganz niederträchtige Belästigungen sind – und ich hoffe, daß mir die Himmelstür nicht verschlossen bleibt –«

»Ach, davon rede ich nicht. Ich meine, was nach Ihrem Tod aus der Familie Creith werden soll?«

»Den Titel erbt Joan – nach unseren Familiengesetzen kann auch die Frau erben«, erklärte der Lord unwillig. »Aber warum quälen Sie mich denn mit solchen Einzelheiten, mein Lieber? Wenn Joan die Güter und das Herrenhaus behalten will, müßte sie Ihre Frau werden. Ich hätte nichts dagegen. Wir haben schon früher ganz merkwürdige Kerle in unserer Familie gehabt, und ich glaube, das wird auch so bleiben. Meine Urgroßmutter hatte sogar ein hölzernes Bein.«

Mr. Ralph Hamon überhörte die Beleidigung, die in diesen Worten lag.

»Wenn Joan nicht selbst die Absicht hat, mich zu heiraten, dann könnten Sie doch Ihren großen Einfluß auf sie geltend machen.«

Lord Creith nahm umständlich seine Brille ab.

»Sie meinen, ich hätte einen großen Einfluß auf meine Tochter? Da irren Sie sich aber gewaltig. Sie nimmt nicht den leisesten Rat von mir an. Ich muß zwar zugeben, daß ich ein schlechter Ratgeber bin. Sie soll nur ruhig tun, was sie mag. Ihre verewigte Mutter war genau wie sie. Aber machen Sie mir doch nicht mit all diesen Dingen den Kopf heiß!«

»Nehmen wir einmal an, Joan lehnt meinen Antrag glatt ab«, erwiderte Hamon hartnäckig.

Lord Creith lächelte selbstbewußt und zufrieden.

»Ja, mein lieber Junge, dann sind Sie am Ende mit Ihrer Weisheit!«

»Sie müssen eben Ihren Einfluß geltend machen!« wiederholte Hamon verbissen. »Sprechen Sie doch mit ihr!«

Der Lord war wenig erfreut über diese Bitte.

»Also gut, ich werde mit ihr sprechen!« rief er erregt. »Übrigens vergaß ich, Ihnen zu sagen, daß Sie das Gut, das Sie haben wollten, nicht bekommen können. Ich habe bei Durchsicht der Papiere gefunden, daß es der Midland-Bank verpfändet war und daß sich diese schon vor einem Monat daraus bezahlt gemacht hat. Sie hat das Gut an diesen merkwürdigen Morlake verkauft. Was er damit anfangen will, weiß ich allerdings nicht. Er ist bereits Besitzer von Wold House –«

»Morlake! Das ist doch nicht etwa – James Lexington Morlake? Lebt er hier in der Nähe? Ist das der Amerikaner, von dem Sie mir neulich erzählten ...?«

Hamon sprach schnell und etwas zusammenhanglos. Die vielen Fragen waren Lord Greith zuwider, und er schloß müde die Augen.

»Ich weiß nicht, wer er ist ... ich habe nur seinen Namen erwähnt. Was haben Sie denn?«

»Nichts«, entgegnete Hamon barsch. »Denken Sie bitte daran, mit Joan zu sprechen.« Damit verließ er die Bibliothek.

Joan war in ihrem Zimmer, als das Mädchen sie rief. Sie erschien gleich darauf bei ihrem Vater, der schon wieder in seinen Auktionskatalog vertieft war.

»Ach, Joan, ich möchte dich wegen einer Sache sprechen – ja, ich besinne mich jetzt. Sei doch zu Hamon so nett wie nur irgend möglich, Liebling!«

»Hat er sich über mich beklagt?«

»Großer Gott, nein! Er hat nur wieder von seiner Absicht gesprochen, dich zu heiraten. Ich weiß ja nicht, wie du darüber denkst.«

»Soll ich es dir sagen?«

Lord Creith schüttelte energisch den Kopf.

»Nein. Es sind sicher Auseinandersetzungen damit verbunden, die mich doch nur langweilen. Du bist ja von der Lage verständigt und weißt, daß ich ihm alles verkauft habe ... den Herrensitz, die Güter, auch unser Stadthaus in London. Wenn du ihn nicht nimmst, bekommst du nur das bißchen Geld, das ich dir hinterlassen kann, wenn ich einmal – sterbe. Verzeih mir, wenn ich so offen bin. Du magst ihn natürlich nicht? – Das dachte ich mir schon«, erklärte er mit Genugtuung. »Sag mal, kennst du eigentlich diesen Morlake?«

Wenn er sie angesehen hätte, wäre er über ihr plötzliches Erröten erstaunt gewesen. Aber er schaute auf seinen Katalog.

»Wie meinst du das, Vater?«

»Ich erwähnte seinen Namen Hamon gegenüber – ich habe noch niemals einen Menschen so verwirrt gesehen wie ihn. Wer ist denn eigentlich dieser Morlake?«

»Ein Mann«, erwiderte Joan kurz.

»Wie interessant!«

Lord Creith blätterte in seinem Heft weiter.


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