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19

Halb belustigt und halb verwundert schaute er sie an.

»Jane Smith?« wiederholte er. »Sie haben mich vor Hamon gewarnt. Ist er ein Freund von Ihnen?«

»Ach nein.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Aber er kommt öfters in das Dorf, in dem ich wohne – in Creith.«

»Sie leben in Creith? Ich kann mich aber nicht darauf besinnen, Sie schon gesehen zu haben.«

»Ich glaube, Sie kennen dort überhaupt niemand. Sie sind wenig gesellig. Und Leute unseres Standes sehen Sie wahrscheinlich überhaupt nicht an.«

Sie ließen sich in einer kleinen Nische nieder, und Joan behandelte den Kellner so sachkundig und gewandt, daß Jim Morlake sie erstaunt betrachtete. Er überlegte sich, wer sie sein könne und wie es kam, daß ihm dieses schöne Mädchen in Creith noch nicht aufgefallen war.

»Halten Sie sich schon lange dort auf?«

»Ich bin sogar dort geboren.«

»Woher wußten Sie denn, daß Hamon diese falsche Anklage gegen mich plante?«

»Ich vermutete es nur. Eine Freundin von mir wohnt in Creith House. Sie hat viel von Mr. Hamon gehört.«

Der Kellner brachte den Tee, und sie schenkte Jim ein. Er beobachtete sie nachdenklich und fuhr fort: »Ich habe einerseits Hamon unterschätzt und andererseits die Begabung dieses gewissenlosen Marborne überschätzt. Es war ein plumper und wenig intelligenter Versuch, mich zu fangen.«

»Sie werden von jetzt ab das Gesetz nicht mehr übertreten?« fragte sie ruhig. »Soviel ich beurteilen kann, müssen Sie ein großes Vermögen zusammengebracht haben.«

Er antwortete ihr nicht gleich, denn er hatte plötzlich das Gefühl, daß er sie doch schon gesehen haben müsse.

»Ich kenne Sie – Sie waren die junge Dame, die damals bei dem Gewitter beinahe vom Blitz getroffen wurde!«

»Ja«, gestand sie und errötete leicht. »Aber Sie haben doch damals mein Gesicht nicht gesehen?«

»Ich kann mich auf Ihre Stimme besinnen. Sie ist so sanft und einschmeichelnd, daß man sie nicht vergessen kann.«

Das sollte kein Kompliment sein, aber ihre Wangen färbten sich doch dunkler.

»Sie sagten mir an dem Abend, daß Sie zu Besuch im Herrenhaus seien – wie ist es dann möglich, daß Sie im Dorf wohnen?«

Jane Smith riß sich zusammen und hatte sich auch gleich wieder in der Gewalt.

»Ich habe gelogen«, erwiderte sie kühl. »Durch Lügen kann man sich nämlich am leichtesten aus schwierigen Situationen befreien. Wenn Sie es durchaus wissen wollen, Mr. Morlake – ich war damals im Herrenhaus angestellt.«

»Sie sind aber doch kein Dienstmädchen?« fragte er ungläubig.

»Natürlich, ich bin ein Zimmermädchen, und zwar ein sehr gutes.«

»Daran zweifle ich keinen Augenblick«, entgegnete er schnell. »Also daher wußten Sie das alles. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Miss Smith. Sind Sie noch im Herrenhaus beschäftigt?«

»Nein, ich habe meine Stellung verloren«, log sie weiter, »weil ich in jener Gewitternacht so spät nach Haus kam.« Das Thema wurde ihr aber doch allmählich zu gefährlich, und sie begann von etwas anderem zu sprechen. »Sie werden doch nun hoffentlich keine Einbrüche mehr verüben, nachdem Sie eben mit knapper Not einer Verurteilung entgangen sind?«

Er lachte laut.

»Ich sehe, daß Sie die Freuden eines Einbrechers nicht kennen und schätzen. Sonst würden Sie nicht so leichten Herzens von mir fordern, daß ich ein Leben aufgeben soll, das große Anziehungskraft auf mich ausübt. Der Richter war sicher sehr streng zu mir, aber ich kümmere mich nicht viel um Richter und das, was sie sagen.«

Sein scherzhafter Ton fand kein Echo bei ihr.

»Gibt es denn niemand, der Sie überreden könnte –«

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, Miss Smith«, erwiderte er liebenswürdig. »Ich erkenne die gute Absicht, die hinter Ihrer Bitte steht. Aber ich muß meinen eigenen Weg gehen, denn nur so kann ich Genugtuung und Zufriedenheit im Leben erreichen. Ich möchte Sie jetzt auch bitten, nach Hause zu gehen. Sie halten sich schon viel zu lange in der Gesellschaft eines Verbrechers auf. Wohnen Sie zur Zeit in London?«

»Ja, ich wohne – ich meine, ich bin hier bei Freunden«, sagte sie etwas verwirrt.

Er zahlte, und sie verließen zusammen das Restaurant.


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