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Vierzehntes Kapitel

Mister James Bredson, Emils böser Geist, war's, der unbekümmert um Sams Einsprache in seines Oheims, Mr. Markland, Salon hereinpolterte, als Emil eben zu Duhamel an den Tisch getreten war.

Erschreckt beugte Emil sich über Duhamel, um nicht sofort erkannt zu sein, denn Bredsons Antlitz flößte wirklich Bestürzung ein, nicht nur ihm, sondern auch den beiden alten Herren, die ihre Crayons, mit denen sie eben zu rechnen im Begriff, aus der Hand sinken ließen und den Hereintobenden anstarrten.

Bredsons lange, dürre Gestalt trug eine übernächtige, derangierte Toilette. Die Krawatte saß ihm schief am Halse, die Schleife auf der Schulter, sein Hemd war zerknittert. Das Haar hing ihm struppig, ungekämmt um Stirn und Schläfe, sein Gesicht war bleich, fahl, sein Auge schoß, trotz der Verschleierung durch Müdigkeit, wilde Blitze.

Der Unglückliche war mit seinem jähzornigen Temperamente gestern abend in Tobsucht geraten, als er, von seinen Freunden wieder auf die Beine gestellt, den Gegner vergeblich gesucht. Einer der in derartigen Lokalen die Ordnung und Sitte überwachenden dreimastigen Sergeanten hatte ihm beschwichtigend, da er einen Fremden vor sich sah, die Hand auf die Schulter gelegt, und als Bredson, ein Schwächling mit der Kampfhahnsnatur, sofort eine Boxerstellung gegen ihn einnahm und ausholte, um den Sergeanten einen Stoß vor den Bauch zu geben, hatte ein anderer Sergeant ihn um den Rücken gepackt, und Mr. Bredson war trotz allem Demonstrieren seiner Freunde ins Violon gebracht worden.

Niemand hatte ihm dort etwas zuleide getan, man überließ ihn die ganze Nacht hindurch sich selbst und einer Gesellschaft, die er sich schwerlich ausgewählt haben würde.

Am Morgen ward er einem kurzen Verhör unterworfen, in welchem er sich wieder sehr heißspornig benahm; indes, man entließ ihn, nachdem er seinen Namen und seine Wohnung zu Protokoll gegeben, weil er ein Fremder war, die während der Dauer der Ausstellung der Rücksicht der Behörden empfohlen worden.

Racheschnaubend, ohne das Bedürfnis nach einem Frühstück, stürzte er sich in einen Fiaker. Die frische Morgenluft kühlte seinen Haß nicht; der Kutscher fuhr ihm nicht schnell genug; er spornte ihn durch Trinkgeld und bewies dem Manne, im Wagen hinter ihm stehend, daß sein Schimmel eine ganz elende Mähre sei ... Der Kutscher glaubte, einen Verrückten hinter sich zu haben, und schlug unbarmherzig auf sein Pferd.

So erreichte Bredson seines Oheims Markland Wohnung. Der sollte alles wissen, alles ohne Rückhalt. In Bredson brodelte und siedete es zum Überlaufen, und mit einem Sprung seiner langen Beine stand er vom Fiaker im Hause.

* * *

»Sagen Sie Herrn Duhamel,« wandte sich Markland eben an Emil, »daß mir selbst daran liege, heute wegen der drehenden Webemaschinen mit ihm zu definitivem Abschluß zu kommen« – da stürzte Bredson mit der Tür ins Zimmer herein, und Emil blieb das Wort auf der Zunge. Eiskalt lief es ihm über den Nacken.

Jetzt mußte die Bombe platzen. Er duckte sich, und Bredson spie sein ganzes Granatfeuer aus.

»Onkel ... Onkel!« rief er, atemlos an den Tisch schreitend. »Onkel! Es ist eine Schande, es ist eine Sünde und eine Schande! Ich dulde das nicht auf mir; ich ersticke vor Wut! Die Schmach! Die Beleidigung! Ich zerschlage alles, was mir unter die Hände kommt, ich kann nicht anders, goddam

Damit streckte er den langen Arm aus, packte das große Tintenfaß, stieß es auf den Tisch, daß der schwarze Springbrunnen über den Teppich floß, und fuhr sich dann mit der begossenen Hand über die Stirn, um die Strähnen des Haares über den Scheitel zurückzuwerfen.

Mr. Markland war nicht der Mann, der sich durch derartiges echauffieren ließ. Er schaute den langen Neffen an, wie er von den Augen bis zur Stirn mit Tinte gefärbt war, und richtete sich in seiner fleischigen Majestät auf, beide Hände in die Hosentaschen schiebend. Duhamel war entsetzt auf- und zurückgefahren; Emil wandte der Szene den Rücken.

Der junge Mensch war wie eine Furie. Das ganze Maß der Schmach, die er erlitten, schäumte wieder über, als es galt, sie zu schildern.

»Willst du so gut sein, dich ruhig zu benehmen?« fragte Markland mit Würde, eine seiner Bartkoteletten erfassend und um den Zeigefinger wickelnd. »Du siehst, ich habe wichtige Geschäfte; ich bitte dich also, mir deine Dummheiten später zu erzählen!«

Bredson starrte mit offenem Mund und aufgerissenen Augen den Oheim an. Seine Faust fiel auf den Tisch, daß dieser bebte.

»Dummheiten!« schrie er auf. »Dummheiten nennst du es, wenn ich unschuldig hier in öffentlichen Lokalen angegriffen, mißhandelt und für eine ganze Nacht ins Gefängnis geschleppt werde!«

Mr. Markland hörte mit unerschütterter Ruhe. Ein schadenfroher Zug legte sich um seine Nase. Die Hand sank vom Bart wieder in die Tasche zurück.

»So wende dich an die Behörden und suche dort dein Recht, aber nicht hier, wo ich wichtige Geschäfte zu erledigen habe.«

Bredson schäumte, aber diesmal vor Hohn. Er kreuzte die Arme auf der Brust und schaute den Oheim überlegen, siegbewußt an.

»So? An die Behörde?« zischte er, sich selbst kaum noch kennend. »Soll ich etwa Mister Marklands Tochter bei der Behörde verklagen, wenn sie ehrlos genug ist, sich mit fremden Männern des Nachts Arm in Arm in öffentlichen Lokalen zu zeigen? ... Soll ich, Mr. Markland?« Und ein helles Hohngelächter schloß diese Rede.

Der massive alte Mann stand da, plötzlich erschüttert, als habe er einen Schlag vor die Stirn ertragen. Sein Mund öffnete sich, seine Zunge war gelähmt. Aber der Gedanke, daß ein fremder Geschäftsmann diese Anklage gegen sein einziges Kind gehört, gab ihm die Fassung zurück.

»Was redest du, Bube?« fragte er, sich vorbeugend und beide Hände auf den Tisch stemmend. »Du sprichst von meiner Tochter, von Miß Lydia Markland!« ...

»Von Miß Lydia Markland!« Bredson war es ein ungeheures Behagen, diesen Namen wiederholen zu können, und er schrie ihn laut. Die schwer verletzte Eifersucht, die Demütigung, Lydia sogar am Arm eines Menschen gesehen zu haben, der seiner Kleidung nach weit unter ihm stehen mußte, der ihn schon einmal tätlich und fast blutig, wenigstens blutrünstig beleidigt, war zu jeder schmähenden Anklage bereit. Seine Wut gegen das Mädchen, auf das er, eines schwerreichen Mannes Sohn und Angehöriger der Familie, alleinigen Anspruch zu haben glaubte, zwang ihn, Lydia tief zu verachten. Er verlangte ihr Verderben; nur das konnte ihm genugtun.

Bredson sprach mit einer solchen Sicherheit, daß Markland sich für den Moment überwunden sah. Dieser senkte den Kopf; er stand sekundenlang wie betäubt. Dann richtete er sich an Duhamel.

»Es ist ein Mißverständnis«, sagte er zu letzterem, ohne zu erwägen, daß derselbe als Stockfranzose kein Wort verstanden. »Sie müssen jetzt auch die Aufklärung hören.«

Von Emils Anwesenheit schien ihm nichts bewußt. Schweigend ließ er sich auf seinen Stuhl sinken. Duhamel folgte seinem Beispiel.

»Jetzt sprich!« rief Markland Bredson mit tiefem Ernst zu. »Aber mit der Ruhe, die du mir schuldest, wenn du erwartest, daß ich dich anhöre.«

Bredson verbiß seine Wut. Er suchte nach der nötigen Ruhe zur Erzählung, und das kostete ihm Überwindung, denn in ihm kochte es noch immer.

Da wollte es das Unglück, daß Markland sich des jungen Dolmetschers erinnerte. Er hatte Überlegung genug gefunden, um sich zu sagen, daß Duhamel nichts von all dem verstehe, daß aber jener junge Mann ... und es handelte sich um sein Kind!

»Mein Herr, darf ich Sie bitten, uns einen Augenblick allein zu lassen? ... Dort drüben mein Zimmer ...« Er wandte sich damit im Stuhl zurück zu Emil.

Dieser machte eine halbe Bewegung. Er sah ein, daß es kaum noch ein Mittel gebe, Bredson zu entgehen, denn er mußte an ihm vorüber. Auch dieser hatte aufgeschaut. Er sah Emils Profil; er erkannte mit scharfem Auge seinen Gegner. Und während Marklands Arm nach seinem Zimmer beutete, quoll ein Gurgellaut aus Bredsons Kehle.

»Verdammt! ...« Damit sprang er um den Tisch, vorüber an Markland, und mit wenigen Sätzen stand er neben Emil, ihm die Hand auf die Schulter legend, mit der anderen seinen Arm erfassend, um ihn herumzureißen.

» Der ist es!« schrie Bredson. »Onkel, derselbe! Ich habe ihn!« Seine Hand wollte eben Emil hinten am Kragen erfassen, als er eine andere an seiner Brust fühlte, die ihn mit weit überlegener Gewalt auf Armeslänge von seinem Gegner hielt.

»Geben Sie Frieden, Ohnmächtiger!« entpreßte es sich Emils Munde. Er hielt ihn von sich, und Bredson drehte nutzlos die Arme umeinander, um ihn mit einem Stoß zu erreichen.

Markland und Duhamel waren aufgesprungen. Der erstere umfaßte Bredson von rückwärts.

»Ruhe gebiete ich!« rief er erzürnt. »Bursche, bist du von Sinnen!« Damit schüttelte er den Wütenden.

»Er ist es, der mit Lydia Arm in Arm gegangen! Ich mache ihn tot, den Schurken!« gurgelte Bredson, dem Emils Hand den Hals schnürte.

»Mr. Markland, ich beschwöre Sie, mich von diesem Herrn zu befreien!« rief Emil mit Ruhe, aber Entschlossenheit und drohend.

»James, dieser Herr wird nicht das Zimmer verlassen, ehe du gesprochen. Ich bürge dir dafür! Also rede!« Damit hatte Markland sich des Wütenden bemächtigt; er zog ihn mit kräftigem Arm zurück und gab Emil einen beschwichtigenden Wink. Auch seine Hand sank jetzt herab.

»Rede!« gebot Markland, Bredsons Handgelenk umklammernd, um ihn festzuhalten. Dabei warf er einen mißtrauischen Blick auf Emil, denn ohne Frage war etwas zwischen diesen beiden vorgegangen.

Bredson keuchte, aber er schien geneigt, sich auszusprechen. Markland deutete schweigend Emil an, sich auf die andere Seite des Tisches zu begeben.

»So wahr ich hier vor dir stehe, Onkel,« begann Bredson jetzt keuchend, »ich schwöre dir, ich habe Miß Lydia gestern abend gesehen, Arm in Arm mit diesem ... Schurken!« knirschte er zwischen den Zähnen, daß ihm der Gischt vor den Mund trat.

Markland maß Emil mit finsterem, strafendem Blick. Seine Brauen legten sich borstig über die Augen.

»Spricht er die Wahrheit, mein Herr?« fragte er mit einer Stimme, so weh, so zitternd, daß das tief verwundete Vaterherz herausschrie.

Der Gedanke, sein Kind so lange sich selbst überlassen zu haben, und zwar in einer fremden, so verführerischen Stadt, dieser Vorwurf überkam ihn plötzlich und mochte ihn schwer daniederdrücken.

Seine Brust hob sich arbeitend, sein Auge sog sich fest an der Miene des jungen Mannes, als wolle er bemessen, was er diesem zutrauen dürfe, und was diese Miene ihm antwortete, mochte trostlos genug sein.

Bredson hatte seinen Blick wie verschlingend auf Emil gerichtet. Er war bereit, ihn Lügen zu strafen, falls er leugnen sollte, und das letztere erwartete er seiner ganzen Haltung nach. Seine Rachsucht verlangte ein furchtbares, unnachsichtliches Gericht über die beiden Sünder und triumphierend sah er, wie seines Gegners Auge vor dem Mr. Marklands den Boden suchte.

Tiefe Stille, während welcher Duhamel bald den einen, bald den andern anschaute und sich den Kopf zerbrach, was das alles bedeuten könne.

Da schnellte Bredsons Gestalt plötzlich empor, er schoß einen satanfreudigen Blick auf Markland, denn Emils Stimme sprach eben ein lautes »Ja«.

Und gleichzeitig hatte dieser sich hoch, bewußt aufgerichtet, um Marklands Blick zu begegnen.

»Ja! Ich habe keine Ursache, das Geschehene zu leugnen.«

Markland erzitterte bis in den kleinsten Nerv. Das Benehmen des jungen Mannes imponierte ihm, desto höher aber stieg sein Zorn.

»Monsieur Duhamel, wer ist dieser Mann, den Sie mir da ins Haus zu bringen wagten?« wendete er sich in schlechtem Französisch an diesen.

Duhamel erschrak. Ihm ging ein Licht auf, daß sein junger Freund irgend etwas verbrochen haben müsse. Er schaute wieder bald Emil, bald Markland an.

»Ein Schurke, ein Betrüger ist er!« schrie Bredson, als er sah, daß er recht bekam.

Emil zog mit Ruhe seine Karte hervor und überreichte sie Markland.

»Ein Freund der Familie dieses Herrn, dem ich aus Artigkeit als Dolmetscher diente!« sagte er mit Fassung. »Habe ich gegen Miß Markland gestern gefehlt, indem ich ohne ihr Wissen eine unschuldige Rolle an ihrer Seite übernahm, die einem andern ebenso Unschuldigen bestimmt war, so möge sie mir verzeihen. Es geschah nur aus wahrem, innigem Interesse für eine so reizende Dame, der mich in meiner wahren Lebensstellung zu nahen ich den Mut nicht hatte, weil diese mir zu unbedeutend erschien ... Ihnen, mein Herr,« wandte er sich zu Bredson, »stehe ich zu jeder Genugtuung bereit.«

Damit überreichte er auch diesem seine Karte. Bredson nahm sie verächtlich; er warf einen spöttischen Blick darauf.

» O! Monsieur le baron de Eichsfeld!« buchstabierte er korrigierend und laut auflachend. »Ein Baron, der sich als Arbeiter in fremde Häuser eindrängt! ... Onkel, hörst du wohl? Und, wie mir scheint, unter dem Mantel des Herrn da!«

Er deutete auf den ganz verdutzten Duhamel. Auch Markland wandte sich jetzt, von der Karte aufschauend, mit eisiger Kälte und Gemessenheit zu diesem. Dann machte er ihm plötzlich eine verabschiedende Verbeugung, raffte seine Papiere vom Tische und setzte die vor ihm stehende Schelle in Bewegung.

»Unsere Geschäfte, Monsieur Duhamel, sind zu Ende!« sagte er kalt, in seinem schlechten Französisch ... »Sam,« fügte er heiser hinzu, als dieser eben eintrat, »sage dem Herrn Baron da – er deutete verächtlich auf Emil, »er werde mich verpflichten, wenn er sich über meine Schwelle bemühe! ... Komm, James, wir sprechen weiter!«

Damit nahm er Bredsons Arm, zog diesen mit sich fort und verschwand in seine Zimmer.


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