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Fünftes Kapitel

Monsieur Duhamel hat den Krieg, die Belagerung und die Kommune überlebt, wird vermutlich keine geringere Gelegenheit benutzt haben, zu sterben, und ist also wohl noch heute einer der größten Tüftler und Erfinder im Maschinenbauwesen.

Er hat in seinem Hause Rue Blanche eine großartige Maschinenwerkstätte, in welcher er einige Hundert Arbeiter beschäftigt; er beschickt alle Ausstellungen und hatte auch in der grande exposition das Modell einer neuen Erfindung ausgestellt, das große Aufmerksamkeit erregte.

Mr. Duhamel beschäftigte sich weniger mit dem Bau von Maschinenriesen mit gigantischen Gliedern und großen Treibriemen; seine Domäne waren alle die Erfindungen und Verbesserungen in der Manufaktur, und in diesen war er eine Autorität.

Als Emil von Eichsfeld seine Mittel so zusammenschrumpfen sah, daß er berechnete, ohne unerwartete Erbschaften oder sonst ebenso unwahrscheinliche überraschende Glücksfälle seine Wohnung in den vornehmen Boulevardquartieren nicht mehr bestreiten zu können, fand er ein Appartement, das für einen eleganten Junggesellen noch immer anständig genug, in Monsieur Duhamels Hause, ließ seine Mobilien dorthin schaffen, und als der letztere bei diesem Einzuge einen Blick auf die Möbel seines neuen Hausbewohners warf, äußerte er sich gegen seine Tochter Georgette, mit der er eben beim Frühstück saß, der junge Mann schiene ihm anständig genug, um pünktlich seinen Mietzins innehalten zu können.

Es ist schon angedeutet worden, daß, wenn Emil sich mit irgend etwas Nützlichem zu beschäftigen Sinn hatte, dies die Mechanik war. Er zögerte deshalb nicht, sich Mr. Duhamel zu nähern, ihm seine Vorliebe für dieses Fach kundzugeben, und Mr. Duhamel sah zu seiner Freude, daß Mr. Exfeld, wie er ihn nannte, wirklich Sinn, Verständnis und Talent habe; er meinte auch, es sei schade, daß er nicht auch den nötigen Ernst dazu habe, dieses Talent praktisch zu verwenden.

»Monsieur Duhamel,« antwortete Emil, »wenn ich einmal kein Geld mehr haben werde, nehmen Sie mich in Ihre Werkstatt, und wir werden dann sehen, ob aus mir etwas zu machen ist.«

»Einverstanden!« sagte Mr. Duhamel, und von da ab verbrachte Emil täglich eine Stunde in Duhamels großem Atelier.

Ein junger Mann wie Emil muß geschildert werden, wie er wirklich ist – ein Kind seiner Zeit. Ob er nun in der Voraussicht, bald nichts mehr zu besitzen, zuweilen spekulativ darüber dachte, die kleine, zarte Georgette, Duhamels Tochter, sei unter Umständen eine ganz gute, vielleicht sogar sehr gute Partie, weil er keine Gelegenheit versäumte, ihr auf der Treppe oder bei sonstiger Begegnung Artigkeiten zu sagen, bleibe dahingestellt. Georgette dankte ihm stets durch freundliches Lächeln, sie spitzte ihr Mündchen beim Sprechen graziös, wenn sie dem jungen Krauskopf mit den feurigen Augen gegenüberstand, und äußerte sich zu verschiedenen Malen zum Vater, dieser Monsieur Exfeld sei recht liebenswürdig.

Jedenfalls aber rückte die Sache nicht vorwärts; es blieb bei gelegentlichem Austausch von Liebenswürdigkeiten; Emil suchte die kleine, zart gebaute Brünette mit dem weißen Sammetteint nicht gerade und sie begegnete ihm im Hause auch nicht öfter, als es ein rechtschaffener Zufall fügen konnte.

Da kam die Ausstellung. Monsieur Duhamel war ungeheuer beschäftigt, stets nervös aufgeregt, wenn er aus der Maschinenabteilung zurückkehrte, in der täglich neue Überraschungen ausgepackt wurden. Der Gedanke, daß irgendein anderer Erfinder sein Modell schlagen könne, ließ ihn Tag und Nacht nicht ruhen, und Georgette mußte fast täglich allein mit ihrer Wirtschafterin sein.

»Mein Gott, mein Gott, welch eine Wirtschaft!« seufzte sie einmal gegen Emil. »Der Vater existiert nicht mehr für uns, die ganze Familie ist zerstört!«

Auch im Atelier schien alles aus Rand und Band. Die Arbeiten ruhten zum Teil; Duhamel durchstreifte fortwährend mit seinen Contremaitres die Maschinenabteilung draußen und, wenn er nach Hause kam, hatte er den Kopf voll. Er war vom Schauen noch auf diese und jene Idee gebracht, die seine Erfindung hätte vervollkommnen können; es erging ihm wie jedem, der vom Rathause kommt, und das alles ließ ihn nicht mehr schlafen.

Sein größtes Unglück in diesem internationalen Chaos war für ihn als gewissenhaften Geschäftsmann, daß die meisten dieser Leute, welche die fremden Aussteller mit ihren Maschinen nach Paris gesandt, kein Französisch sprechen konnten oder es so schlecht sprachen, daß Mr. Duhamel nicht aus ihnen klug werden konnte.

»Welch ein Mangel an Bildung in diesen Leuten!« rief er immer. »Ihre eigene Sprache verstehen sie, und ist das ein Verdienst?«

Mr. Duhamel erging es wie jenem Zuaven der napoleonischen Besatzung in Rom, der von den Italienern sagte: »Jetzt sind wir schon zwanzig Jahre in Rom, und das Volk kann immer noch nicht Französisch.«

Duhamel ward in die Jury gewählt. Er bekam nach dem ersten Anlauf der Ausstellung fast täglich Besuch von seiten der fremden Aussteller in seinem Atelier, das eine Ausstellung für sich bildete, denn hier standen seine Maschinen in ganzen Reihen aufgepflanzt und arbeiteten unausgesetzt. Nur einer seiner Leute sprach gebrochen englisch. Kein Dolmetscher war zu haben, denn alle Sprachenkenner waren auf dem Marsfelde engagiert.

Da entdeckte er eines Morgens in Emil ein Juwel. Der schlenderte nämlich durch die Reihen seiner Maschinen und sprach mit dem einen seiner Gäste deutsch, mit dem andern englisch und mit wieder einem andern sogar italienisch und spanisch. Duhamel, als er das hörte, packte ihn und schloß ihn ans Herz. Welch eine Gelehrsamkeit in diesem jungen Mann, den er so lange unterschätzt, den er für einen Nichtstuer gehalten! Welche universelle Kenntnis, die sich doch nur durch ernstliches Studium gewinnen ließ!

Duhamel zwang ihn, das Frühstück bei ihm einzunehmen. Er strömte der Tochter gegenüber über von Lobeserhebungen, die den jungen Mann dankesfreudig anlächelte, und Emil nahm das alles hin mit einer Miene, als lohne es sich nicht, von seinen Verdiensten so viel Aufhebens zu machen.

»Sie müssen mir einen großen Dienst erweisen,« rief Duhamel beim Dessert schmunzelnd, seine ganze industrielle Seele in den Ton legend, » einen Dienst, für den ich ewig Ihr Schuldner sein werde! ... Ich bin in geschäftliche Beziehung mit einem reichen amerikanischen Geschäftsmann getreten, der für seine sämtlichen Fabriken mein System einführen will; es ist eine enorme Bestellung, die er machen wird; es handelt sich um eine Summe ... nun so was wie eine Million Franken, aber er spricht nicht französisch, wenigstens kann er sich in diesen technischen Dingen nicht verständlich machen. Mir fehlt also ein sachverständiger Dolmetscher, durch den ich mich umständlich mit ihm aussprechen kann ... Monsieur Exfeld, Sie sind hinreichend in das System meiner Maschinen eingeweiht, Sie kennen alle Details, Sie sprechen das Englische wie Ihre Muttersprache und ich suche vergebens nach einem Interpreten, der im gegenwärtigen Völkergewirre Lust oder Zeit hätte, sich für einige Tage ganz meinem Fache hinzugeben ... Mr. Exfeld, Sie dürfen alles von mir fordern für diesen Dienst!«

Georgette errötete bis zur Stirn. Alles! rief ein jungfräulich erbangendes Echo in ihrer reinen Seele. Der Vater verspricht ihm alles! Er wäre imstande ...!

Emil seinerseits wechselte die Farbe nicht um die geringste Nuance. Er saß da so ruhig, hörte Duhamels Versprechen so kühl an, als handle es sich um ein sumptuöses Dejeuner, mit welchem man in Paris geleistete Dienste unter gesellschaftlich Gleichberechtigten zu vergelten pflegt. Seine Gedanken also waren meilenweit von Georgettens mädchenhaften Besorgnissen entfernt; er sah nicht einmal die Glut, die sich langsam wieder auf ihren Wangen abtönte.

»Gott sei Dank!« beruhigte sich Georgette wieder, obgleich es noch gar nicht abgemacht war, was ihr das Liebste gewesen wäre, denn wenn der junge Mann auch ausgezeichnet zu dolmetschen verstand, in der Herzenssprache erschien er dem Mädchen wenig unterrichtet.

»Ich bin mit Vergnügen bereit, Monsieur Duhamel! Zu versäumen habe ich nichts! ... Wie heißt dieser Amerikaner?« setzte er mit etwas mehr Interesse hinzu.

»Mister Markland nennt er sich! O, Sie müssen ihn schon draußen gesehen haben, den korpulenten Mann mit dem großen rotblonden Bart, der stundenlang vor einer Maschine sitzt und, wenn ihm einer in anderer als der englischen Sprache etwas erklärt, immer nur oh, oh! oder yes, yes! antwortet.«

Georgette bemerkte jetzt, daß das Antlitz ihres Visavis in genau ihrem Farbenwechsel spielte.

»So, so, Mr. Markland! Allerdings, er ist sehr bekannt da draußen! Man sieht ihn überall ... So, so, der also ist es!«

Emils Gedanken gingen ganz in Mr. Markland und allem, was zu ihm gehörte, auf.

»Er soll ein ungeheuer reicher Fabrikant sein!« sagte er, um etwas zu sagen.

»Millionen über Millionen soll er besitzen! Niemand, ja er selbst nicht einmal, soll seinen Reichtum taxieren können«, versicherte Duhamel. »Sie begreifen also, wie sehr mir daran liegt, einen Mann wie diesen ...«

»Freilich, freilich! Ich stehe Ihnen ganz zu Diensten!«

Mr. Duhamel ließ die halb geschälte Birne in die Assiette sinken, erhob sich stürmisch und schloß Emil in seine Arme. Wenn Duhamel ihm seine Tochter als Frau offeriert und er gesagt hätte, er sei bereit, hätte Duhamels Gefühl nicht stürmischer sein können. Georgette errötete wieder. Sie mochte eben diesen Gedanken haben.

Als man sich nach vollständig gepflogener Verabredung vom Frühstück erhob, wagte Emil, Georgettens zarte, weiße Hand zu küssen. Es war ihm, als zitterten die kleinen gebrechlichen Finger leise in der seinigen; er schaute sie an und Georgette erschien ihm ungewöhnlich erregt.

Emil war wiederum weit entfernt, sich etwas dabei zu denken. Er war wieder im Geiste bei Mr. Markland und allem, was zu diesem gehörte. Er war sogar bei Mr. Bredson.

Erst als er sich auf der Straße, auf dem gewohnten Wege bergab zum Boulevard, zu seinem Café befand, kam ihm die Idee: diese kleine Georgette ist gefühlvoller als sie sich den Anschein gibt! Ich bin heute der Familie Duhamel um hundert Schritte nähergetreten. Vielleicht erwartet sie, daß ich noch einen Schritt weiter tue ... Wollt' ich das, die Gelegenheit wäre nie günstiger als jetzt! Aber, wie gesagt, ich will nicht! Ich habe vielmehr die kostbare Gelegenheit, mich in das Haus Mr. Marklands einzuführen, die schöne Lydia in der Nähe zu beobachten, ohne sie zu genieren, ohne daß sie eine Ahnung hat! ... Es ist gut, daß sie mich bisher noch nicht bemerkt; es war immer etwas, das mir ins Ohr flüsterte, ich solle mich zurückhalten ... Sonderbar, wie das Schicksal uns so heimlich leitet! ... Es fragt sich nur, ob es wirklich einen Zweck damit verfolgt!«

Emil kam heute später als sonst auf seinen Posten. Die amerikanische Gesellschaft war nicht mehr auf der Promenade und ein leichter Sprühregen mochte sie verjagt haben. Der einzige, den er vorbeistreifen sah, war Mr. Bredson mit seiner geschwollenen Backe, die sich eben in die üblichen Regenbogenfarben kleidete.


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