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Zehntes Kapitel

Niemand hatte Lydia unten im Hause gesehen, denn der Portier plauderte vor einer Nachbarstür. Als sie den oberen Korridor erreichte mit dem Bewußtsein, als habe sie etwas Böses getan, sah sie Sam gebückt, mit dem Kopfe nickend, seine Schlaftrunkenheit dadurch überwindend, daß er seine große hölzerne Tabaksdose in der Hand hielt, die ihn beim Niederfallen weckte – auf dem Stuhl sitzen.

Klappernd fiel eben die Dose zu Boden. Er schaute erschreckt um sich, erkannte seine junge Herrin und richtete sich mühsam auf.

»O Miß Markland, es ist gut, daß Sie kommen«, sagte er müde. »Was ist dies alles! Mamsell Schüli war ausgegangen und ließ mir durch den Portier sagen, sie habe bei ihrer Mutter ihre Anfälle bekommen und sich dort zu Bette legen müssen. Fanny (die amerikanische Zofe nämlich) bittet um Verzeihung, daß sie Kopfschmerzen hat und sich auch zu Bett legen mußte ...«

»Wo ist der Vater?« fragte Lydia schnell.

»O, Mister Markland schläft schon seit zwei Stunden!«

»Es ist gut, Sam! Geh' auch zur Ruhe!« ...

Damit trat Lydia in ihr Schlafgemach.

Niemand war da, der sie hätte empfangen können. Ihr war's recht so. Die Zofen wären ihr beide heute lästig gewesen. Die Nachtlampe brannte unruhig und gab ein zuckendes Leuchtturmslicht. Sie sah es nicht.

»Ich will zu Bette gehen! Niemand soll mich mehr stören!« flüsterte sie, den Hut von sich werfend, vor den Spiegel tretend und in der matten Beleuchtung sich noch einmal in ihrem Grisettenkleidchen betrachtend ... »Ich will den Anzug verstecken. Niemand darf ihn finden! Niemand soll mir sagen, daß ich dort gewesen! ... Es war eine unverzeihliche Torheit! ... Und Eveline! Immer treulos, immer egoistisch, immer nur auf sich selbst bedacht! ... Ich werde sie entbehren können! Hat sie mir wohl einen Tag Ruhe gelassen, seit ich hier bin! Diese ewige Jagd nach etwas anderem und namentlich nach Abenteuerlichem! ... Ich zittere, wenn ich mir denke, was aus uns geworden wäre, wenn dieser Robert nicht ...«

»Wie frech sie ihm ins Gesicht sagte, sie finde ihn reizend! Denken konnte sie es sich! Wenn er nun zufällig Englisch verstanden hätte! ... Und wie fest, wie unschicklich sie sich an ihn hängte! ... Es ist schade um den armen jungen Mann, daß er in niederem Stande geboren, während er doch alles für einen Gentleman hat! Für die alte, vertrocknete Julie ist er wirklich zu hübsch, und was für elegante Manieren er hat! ...«

Lydia hielt das Selbstgespräch, während sie sich mit nervös unsicheren Händen entkleidete, und ohne alle jene unerläßlichen Toilettenumstände warf sie sich auf das Lager und zog die Bettdecke bis an die schönen Augen über sich.

Sie dachte an Eveline, die schuld an allem, und sich so unverantwortlich treulos benommen. Dann schloß sie die Augen und dachte an den Monsieur Robert, dessen Benehmen desto ritterlicher, und deshalb dachte sie an ihn am längsten, ja, es ist nicht unwahrscheinlich, daß sie ihn sogar in ihre Träume mit hinübernahm.


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