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Zwölftes Kapitel

Monsieur Duhamel stellte sich bereits nach neun Uhr mit einem Heft unter dem Arm ein. Sam versprach ihm, Mister Markland von seiner Ankunft zu unterrichten, und Duhamel, seinen jungen Freund noch vermissend, trat, den Kopf voll wichtigster Geschäftsgedanken, ans Fenster und schaute zerstreut auf die Straße.

Markland ließ auf sich warten, und Duhamel war doch alles am endlichen Abschluß gelegen. Gestern war der erstere wieder halb unschlüssig gewesen; wenn er nun überhaupt anderen Sinnes geworden wäre! ... Duhamel befand sich infolge des langen Alleindastehens in immer zunehmender Aufregung. Wäre wenigstens sein junger Freund schon da!

Endlich traten beide fast gleichzeitig durch zwei verschiedene Türen ein. Mr. Markland erschien, entgegen den düsteren Befürchtungen Duhamels, sehr guter Laune; er war ganz in weißen Stoff gekleidet, wie zur Sommerpromenade. Er wünschte seinem Geschäftsfreund mit aufgeräumter Miene einen guten Morgen und reichte ihm die breite, fleischige Hand. Dann streifte er den eintretenden jungen Mann mit einem protegierenden Gönnerblick, dessen Gruß erwidernd, und nahm keine Notiz von dem Ernst auf Emils Gesicht, noch von dem zwar einfachen, aber doch ungewöhnlichen Gentlemankostüm, in welchem dieser heute erschien.

In der Tat zeigte das Antlitz des jungen Mannes heute nicht die Lebensfreudigkeit, die dasselbe sonst so ansprechend und sympathisch machte. Seine immer so glänzenden Augen schienen müde und verschleiert; sie blickten wie Augen, durch die ein unruhiges Gewissen schaut. Er war bleich, sein Blick auf Markland, die Art, wie er sich näherte, war voll Mißtrauen und Unsicherheit, sein Benehmen etwas hölzern.

Beide Herren achteten nicht darauf, denn beide hatten ihre Geschäfte im Kopf. Emil trat zerstreut ans Fenster und trommelte mit den Fingern auf das Gesims.

Auch seine Kleidung deutete an, als sei er der bescheidenen Rolle plötzlich müde geworden und suche einen Übergang zurück in die ihm gebührende Stellung. Ebenso war sein Verhalten den Männern gegenüber unabhängiger, er warf zuweilen einen Blick in das Zimmer, als langweile ihn die Aufgabe, die er bisher in so freudiger, aber banger Erregung geleistet.

Aber, wie gesagt, die beiden Geschäftsmänner, wie sie eben sich an ihre Rechnungen und Zeichnungen setzten, waren weit entfernt, von seiner Stimmung Notiz zu nehmen, und er lauschte auf jedes leiseste Geräusch, das von drüben kommen konnte.

»Monsieur Exfeld! Ich bitte!« störte ihn jetzt Duhamels Stimme und eine höflich einladende Handbewegung, als die Abschlußverhandlung beginnen sollte.

Emil stand versunken im Lauschen da. Er schrak auf und näherte sich zaudernd dem Tische inmitten des Salons, an welchem beide saßen. Ihm war's gerade jetzt, als habe er drüben Lydias Stimme gehört, und dabei war's ihm gewesen, als fühle er noch des schönen Mädchens Arm auf dem seinen, als hauche ihn ihr Atem an, als ...

Gewiß, drüben in Lydias Nebensalon waren Stimmen laut geworden, ziemlich laut und lebhaft sogar. Ihm fuhr's eisig durchs Mark. Lydia mußte seine Intrige schon klar geworden sein; wenn sie der französischen Zofe gestern abend erzählt hatte, was ihr widerfahren, mußte alles verraten sein. Der wirkliche Monsieur Robert hatte seine Geliebte unfehlbar im Kaffeehause getroffen, denn alle Liebespaare dieses Standes haben in Paris bestimmte Cafés, welche sie besuchen, und wenn ihr Lydia von dem galanten Schutz erzählt, den ihr derselbe Robert da draußen hatte angedeihen lassen, während er doch bei seiner Liebsten gesessen; ja, wenn sie sich auch erst heute morgen darüber ausgesprochen ... ohne alle Frage war es bereits zum Eklat gekommen, und wer war der Usurpator, der sich des wirklichen Roberts bunte Krawatte und damit jene neidenswerte Berechtigung angemaßt! ...

Man brauchte ihn nur hier im Salon zu sehen, zu erkennen ... Gewiß, Lydia, die eben, wie er zögernd zu Duhamel trat, so laut drüben sprach, sie gab jetzt ihrer Entrüstung Raum, und er, der Intrigant, der Prätendent, war nur wenige Schritte von ihr entfernt, nur eine Wand trennte sie von ihm, eine Tür, die sie nur zu öffnen brauchte ...

Emil rief seinen Mut, seine ganze Keckheit zusammen, die ihn noch nie im Stiche gelassen. Mochte geschehen, was da wolle, er hatte eine Unwahrheit gesagt, eine Intrige gesponnen, um sich zum Ritter der Dame zu machen, um sich Lydia zu nähern – Sie mochten das erfahren, ja, sie sollten es erfahren! Er besaß Geist genug, um die Sache im vorteilhaften Lichte darzustellen. Lydia mußte ihm auch vergeben, wenn er das Motiv erklärte, wenn er offen eingestand, wie lange er sie schon insgeheim, in größter Bescheidenheit angebetet; und dergleichen vergibt ein Mädchen immer, wenn es nur das Genie bewundern kann, mit dem es ausgeführt worden.

Lächelnd drehte sich Emil eben, neben Duhamel tretend, das Schnurrbärtchen, als die Haupttür des Salons stürmisch aufgerissen wurde. Emil erschrak; er duckte unwillkürlich den Kopf und beugte sich zu Duhamel hinab.


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