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Siebentes Kapitel

Unserm Helden wollt' es alsbald erscheinen, als habe er seine Sache doch ganz verkehrt angestellt. Allerdings stand er täglich auf dem heißen Boden, nach dem er sich gesehnt; er atmete eine Luft mit seiner Angebeteten, er hörte jeden Morgen ihre Stimme im Nebensalon, konnte sogar unterscheiden, was sie mit ihrer von ihr unzertrennlichen Freundin plauderte. Aber das war acht Tage hindurch alles.

Mr. Markland besuchte die Ausstellung nur noch nachmittags, und Emil mußte ihn zuweilen begleiten; der ganze Morgen beschäftigte ihn an den Modellen, die Duhamel ihm vorführte. Es war ein Gerassel und ein Geklapper in dem großen Salon, dem jeder aus dem Wege ging, namentlich aber Lydia, die ihren Weg aus ihrem Salon und zu demselben stets durch die hinteren Räume nahm.

Duhamel und sein Maschinenmeister waren den ganzen Morgen hindurch anwesend. Emil mußte als Dolmetscher dabei sein und sich die Umarmungen des ersteren gefallen lassen, wenn seine Verhandlungen mit Mr. Markland einen so vortrefflichen Fortgang nahmen. Emil aber gestand sich selbst, daß seine Angelegenheiten leider keine Aussicht hatten, von der Stelle zu rücken.

Zu seiner Verzweiflung mußte er mehrmals auch Mister Bredsons Stimme im anderen Salon hören. Lydia scherzte mit ihm; er schien bei den beiden Mädchen der Hahn im Korbe zu sein! Die Situation ward für Emil täglich brennender, seine Hoffnungen täglich trauriger.

Eines Morgens erschien er früher im Salon. Sam ließ ihn ein mit dem Bemerken, Mr. Markland liege noch im Bette. Emil erklärte, er sei so früh hergeschickt.

Niemand war außer ihm im Salon. Scheinbar absichtslos setzte er sich ganz in die Nähe der Tür zu Lydias Zimmer. Verächtlich schaute er auf die Maschinenmodelle, die Herrn Duhamel so glücklich, ihn so unglücklich machten.

Er brauchte nicht zu fürchten, hier gestört zu werden. Selbst Sam kam ja nur, wenn er gerufen ward. Drüben war noch alles still; aber aus dem Hintergemach drang des Mädchens helle, lebensfreudige Stimme, deren Klang den jungen Mann elektrisch durchzitterte. Jetzt kam die Stimme näher, dann ganz nahe. Emil sprang auf. Er hörte Lydia mit ihrer Zofe in leidlichem Französisch sprechen. Er wagte es, sich an das Schlüsselloch hinabzubeugen – und da streifte eben ein schneeweißes Morgengewand vorbei. Er sah einen rosigen Arm, wie den eines Engels aus den Wolken, aus dem Nebel der Spitzen herausschimmern. Aber das war nur vorübergehend, wie ein Blitz. Warum waren die Schlüssellöcher so klein! Ehedem in guten, alten Zeiten waren sie so groß wie eine Pistolenmündung!

Duhamel sollte heute später kommen; Emil wußte es. Nur die Sehnsucht, ihr einmal ungestört nahe sein zu können, hatte ihn so früh hierher gezogen. Aber was hier anfangen! Immerfort durch das Schlüsselloch schauen, immer nur der Stimme lauschen? Ein Druck mit der Hand auf das Türschloß und er stand vor ihr. Aber das wäre Wahnsinn gewesen. – –

Jetzt hörte er flüchtige Schritte auf dem Gange, dann helle, lustige Laute – das war Evelines Stimme. Die treue Freundin konnte ja nicht ausbleiben. Emil hörte, wie die Zofe beauftragt ward, zur Schneiderin zu eilen. Es mußte das ein furchtbar wichtiger Auftrag sein; die Schneiderin hatte nicht Wort gehalten! Man kennt das ja! ... Es ward still drüben im Zimmer.

Beide Mädchenstimmen erklangen jetzt aber ganz nahe an der Tür. Sie mußten beide zusammen dasitzen. Emil glaubte, durch das Schlüsselloch die Spitze eines sehr unruhigen Mignonfüßchens auf einem gestickten Schemel zu unterscheiden; dem Füßchen gegenüber stand ein leerer Sessel, und gerade der mußte leer sein. Emil lauschte mit verhaltenem Atem.

»Es wäre schändlich, wenn sie uns im Stiche ließe!« hörte er Eveline sagen, und in dem Augenblicke breitete es sich wie ein weißer Schleier über den Sessel, Emil sah zwei kleine Hände die Falten eines weißen Negligés ordnen, die Spitzen zurechtlegen; er sah diese Hände an einer Brustschleife nesteln; er sah zwei blaue, lebhafte Augen, ein frisches Mädchengesicht, von blonden, noch ungeordneten Locken an den Schläfen umspielt – es war Lydia, die sich ihrer Freundin gegenüber gesetzt.

»O, sie hält Wort!« öffneten sich Lydias rote Lippen, während ihre Hand ein trockenes Palmenblatt als Fächer bewegte. – »Sie kommt, verlaß dich darauf!« – »Heut ist der Tag!« fuhr Eveline fort. »Ich freue mich wie ein Kind auf diesen Scherz! Alle Fremden besuchen den Ort, warum wir nicht; aber es ist so viel origineller, wenn wir ganz allein dahingehen; den tölpelhaften James können wir unmöglich mitnehmen. Niemand braucht davon zu wissen, niemand kann uns erkennen. Der Fiaker muß uns an der Ecke erwarten, damit wir jederzeit wieder fort können. Miß Blenker, die in voriger Woche dort gewesen, war ganz entzückt davon. Es wird ein köstlicher Spaß, Lydia, wenn wir so beide, als gewöhnliche Grisetten verkleidet, uns unter die anderen mischen, ganz unscheinbar und anspruchslos! Tun kann uns ja niemand etwas, wenn wir nur zusammenhalten, denn diese Franzosen sind ja alle galant bis zum geringsten Arbeiter hinab. Aber daß eine die andere ja nicht verläßt; das ist die Hauptsache!«

Lydia hörte mit freudig erregter Miene zu, und doch schien ihre Miene eine heimliche Besorgnis nicht ganz verbergen zu können. Sie zupfte an den Schleifen ihres Negligés.

»Ohne dich wagt' ich's nicht!« sagte sie langsam. »Aber du hast Courage! Du bist ja auch schon viel mehr orientiert hier!«

»Wie du furchtsam bist! Die vornehmsten, ja die höchstgestellten Damen machen sich hier den Scherz. In den Tuilerien, bei der Kaiserin, wurde von den Damen oft erzählt, wie sie heimlich, unerkannt, hier und dort gewesen.«

»Wär's nicht besser, wenn wir doch James oder einen der anderen jungen Männer zu unserem Besuch mitnähmen?« fragte Lydia.

»James, nein! Auch keinen anderen! Was würde da aus unserm Spaß! Und was läge schließlich auch für eine Gefahr darin, wenn uns der eine oder der andere dort den Hof zu machen sucht! Ich würde zum Scherz sogar darauf eingehen können und mich dann heimlich davonmachen. Wir sind ja fremd hier! Du bist wirklich zu furchtsam, Lydia! Zudem finden wir ja auch einen Schutzgeist dort! Julie, deine Kammerjungfer, hat ja ihren Bräutigam oder Geliebten, Monsieur Robert, den sie als einen sehr gentilen Arbeiter rühmt, beauftragt, uns dort schützend zu umschweben. Wir sollen ihn an einer rotblauen Krawatte erkennen. Im Notfalle haben wir ihn dort. Um neun Uhr also halte dich bereit; wir steigen hier an der Ecke in den Fiaker!«

Und Eveline erhob sich, sie tanzte durch das Zimmer; sie stimmte einen der übermütigen Chansons an, den sie in der Operette gehört; sie brach in helles Lachen aus; sie riß auch die unentschlossene Freundin in ihrem Übermut mit fort und Emil hörte, wie beide Mädchen, in ihrem Frohsinn die Bouffetänze nachahmend, im Zimmer jubelten. Dann plötzlich schallte eine andere Frauenstimme dazwischen, der Tanz war unterbrochen, und die französische Zofe, von ihrer Mission zurückkehrend, rief hereinstürzend: »Hier ist alles, was wir brauchen!«

Emil vernahm aus den freudigen Rufen der Mädchen, daß es sich um Kostüme handle. Er hörte nur, wie Lydia und Eveline ohne Zweifel schon eine Kostümprobe machten, und abermals brach dann der Jubel aus. Sie klatschten sich in die Hände, sie tanzten im Zimmer umher, und die Zofe erschöpfte sich in Ausbrüchen der Bewunderung.

Endlich war's wieder still. Sie schienen den Salon verlassen und sich nach hinten begeben zu haben.

Emil stand da und fuhr sich mit der Hand an die Stirn. Um sich das Gehörte ruhig zurechtzulegen, taumelte er zu seinem Stuhl zurück und ließ sich in denselben sinken.

»Um neun Uhr steigen wir an der Ecke in den Fiaker!« Das war das einzige Positive, was er erlauscht hatte. Die Mädchen hatten in ihrem Übermut irgendein Abenteuer vor, und unschwer war es, dasselbe zu erraten. Es handelte sich offenbar um einen heimlichen Besuch irgendeines der großen, zauberhaft ausgestatteten Volksbälle, deren Beschreibung die Phantasie der Mädchen entzündet haben mußte. Eveline, die in den höchsten Kreisen erfahren, daß die vornehmsten Damen sich die Zerstreuung bereiteten, diese Etablissements unerkannt zu besuchen, hatte den Gedanken angeregt, die Zofe in ihrem Bedürfnis, der Herrin zu Gefallen zu sein, hatte ihn unterstützt und für den Notfall den Schutz ihres Geliebten versprochen. Alle Fremden besuchten diese Bälle; die Mädchen wollten sich also auch den Spaß machen, aber allein, heimlich, und darin lag ja der Reiz.

»Um neun Uhr an der Ecke!« wiederholte sich Emil ... »Gut! Auch mein Fiaker soll pünktlich bereithalten. Keine von ihnen kennt mich, am wenigsten in diesem Kostüm. Sie erscheinen als Grisetten, ich brauche mich nicht mehr zu verstellen, wenn ich als Arbeiter komme! Heute, Emil, könnte dein Weizen blühen, wenn du Glück hast ... Nur der Geliebte der Zofe, der sie als Schutzgeist umschweben soll, könnte mir lästig sein ... Sie sollen ihn erkennen an einer blauroten Krawatte; ich werde ihn also auch an derselben erkennen. Gut denn, pünktlich um neun Uhr! ...«

Duhamel erschien. Mr. Markland trat herein. Emil war an diesem Vormittag so zerstreut, daß er nur mit halbem Ohr hörte, was der eine dem anderen sagte und die Unterhaltung aufs konfuseste übersetzte. Unwohlsein vorgebend, entfernte er sich zu Duhamels großem Leidwesen, der gerade heute so Wichtiges mit Mr. Markland zu sprechen hatte.

»Bredson, unseliger Bredson, heute schlag' ich dich aus dem Felde!« Damit verließ er den Salon in demselben Augenblick, wo die Mädchen in luftiger Sommertoilette an ihm vorbeihuschten, ohne von ihm die geringste Notiz zu nehmen.

Sam war Zeuge, wie der junge Arbeiter, als sei er in eine Bildsäule verwandelt, höchst respektwidrig den vornehmen jungen Damen nachschaute, wie er dann plötzlich ihnen nach die Treppe hinabstürmte, um, immer nur Lydias Sylphidengestalt vor Augen, den Mädchen in kurzer Entfernung über die Boulevards zu folgen, bis der Zufall ihnen den verhängnisvollen Mr. Bredson entgegenführte, der sich in seiner aufdringlichen, kordialen Weise an ihre Seite heftete und ihn zwang, sich unter die Menge zu mischen, um eine Begegnung zu vermeiden, die zu Kollisionen hätte führen können.

»Um neun Uhr!« hallte es immerfort an Emils Ohren. Als er seine Wohnung aufsuchte, um das Kostüm zu wechseln, begegnete ihm Georgette, die ihm immer mehr Aufmerksamkeit zeigte und mit flötender Stimme fragte, wie er sich befinde. Er wußte das selber nicht. »Um neun Uhr!« sprach er tief versunken vor sich hin, sie auf der Treppe zurücklassend. Und Georgette blickte ihm anfangs nur betroffen, dann errötend nach. Sie erinnerte sich nicht, ihn nach der Zeit gefragt oder gar ein Rendezvous von ihm begehrt zu haben. Er konnte sie ja täglich sehen, da ihr Vater stets unten im Atelier oder draußen in der Stadt war und sie ihm oft genug gesagt hatte, sie langweile sich! ...


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