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Sechstes Kapitel

Mr. Markland hatte während der letzten acht Tage noch weniger Zeit als sonst gehabt, sich um sein Kind zu bekümmern. Wenn er sich aber erinnerte, daß ja auch seine einzige Tochter mit nach Europa herübergekommen, fragte er: »Sam, wo ist Miß Markland?«

Und Sam antwortete: »Miß Markland ist mit ihrer Gesellschaft ausgefahren«, oder: »Miß Markland ist im Grand Hôtel ...« Das beruhigte ihn um so mehr, als er wußte, daß Sam so und nicht anders antworten werde.

Miß Lydia pflegte am Vormittage zwei Stunden ihrer Toilette zu weihen, namentlich seit die Pariser Zofe ihr Amt angetreten und diese dasselbe durch tausenderlei kurzweilige Erzählungen von den Wundern der schönen Stadt zu schmücken gewöhnt war. Diese Zofe war aus einer Mansarde des Quartier latin hervorgegangen; sie wußte nicht genug von all den volkstümlichen Bällen zu erzählen, in welchem man das wahre, echte Pariser Kind finde; sie entzündete die Phantasie des lebenslustigen Mädchens durch ihre Schilderungen von Mabille, von der Salle Valentino, den Closeries und anderen Feengärten und erzählte so reizend, daß auch Eveline sich gern schon während der Toilettenstunde bei ihrer Freundin einfand, um den Erzählungen dieser Scheherezade zu lauschen.

Die unselige Schwätzerin setzte den Mädchen tausend Dinge in den Kopf, schilderte ihnen alle Pariser Freuden in glühenden Farben. Die Damen waren ja nur hier, um sich zu amüsieren, und sie gab ihnen den Leitfaden. Sie brachte Lydia auch einen ganzen Schwarm von Modistinnen ins Haus, deren Spielball diese bereitwillig ward, und so war denn das Mädchen die Vormittage ein Opfer der Mode, dem Eveline sich gerne zugesellte.

Man muß wissen, wie alles, was eine Fremde an sich trägt, in den Augen der Pariserin ohne Schick und ohne Geschmack, nicht » à la mode« ist, um zu begreifen, welch enorme Aufgabe sich auf die Schultern dieser beiden Mädchen wälzte, als alle diese Modistinnen im Einverständnis der Zofe ihnen bewiesen, wie ihre ganze Toilette amerikanische Geschmacklosigkeit sei, die vor dem Auge einer Pariserin nicht bestehen könne.

So waren die Vormittage nur der unerschöpflichen Sorge um die Toilette und den zahlreichen Kartons, welche die Modistinnen herbeischleppten, und die Abende der Sehnsucht gewidmet, alle die Zerstreuungen kennen zu lernen, welche die »Kapitale der Welt, der Kopf, der Verstand, der Geist der Welt«, um mit Viktor Hugo zu sprechen (der nur sagt, was jeder Pariser denkt), den Hunderttausenden von genußsüchtigen Fremden bot.

Eines schönen Morgens, etwa um zehn Uhr, führte Sam einen jungen Mann mit dunklem, krausem Haar und keckem Schnurrbärtchen in den großen Salon und bat ihn mit der knapp zugemessenen Höflichkeit, die man einem Ouvrier schuldig ist, auf Mr. Markland zu warten, der, nachdem er seine Toilette beendet, erscheinen werde.

Sam wies ihm nicht einmal einen Stuhl an. Er ging, seine Rockknöpfe zählend und mit der Hand nach der Schleife seiner weißen Krawatte tastend, wieder hinaus.

Emil von Eichsfeld, in der simplen bescheidenen Tracht eines Arbeiters, der eben aus seiner Bluse geschlüpft, stand da, den grauen Filzhut in der Hand. Das lebhafte schwarze Auge schielte im Salon umher und entdeckte die kleinen, auf einem Seitentische stehenden Maschinenmodelle, die ihm so wohlbekannt, da er den Winter hindurch oft stundenlang ihrer Zusammensetzung beigewohnt.

Er kam im Auftrage Mr. Duhamels. Markland erwartete ihn, denn er war ihm schon gestern im Atelier vorgestellt und Markland hatte sich herzlich erfreut gezeigt, mit einem Mechaniker sich aussprechen zu können, der nicht nur englisch, sondern auch den amerikanischen Dialekt verstand.

»Sie müssen bei mir bleiben; Sie müssen mich in der Ausstellung draußen begleiten, damit ich jemand habe, um mich verständlich zu machen. Ich werde Ihnen Ihren Zeitverlust zehnfach ersetzen!« hatte Markland gesagt und ihm dabei seine fleischige Hand auf die Schulter gelegt.

Emil war auf Duhamels Bitte eingegangen unter der Bedingung, Mr. Markland als Geschäftsführer vorgestellt zu werden, und Duhamel wie seine Tochter hatten das wie einen genialen Scherz betrachtet, gegen den nichts zu sagen war. Georgette hatte sogar herzlich gelacht, als er sich ihr in der Bluse präsentierte. Innerlich meinte sie, ihres Vaters Atelier habe noch nie einen so hübschen Ouvrier gehabt, der so mit den schwarzen Augen zu funkeln verstehe, wie dieser. Mr. Exfeld, setzte Duhamel hinzu, verdiene ein Pariser zu sein.

So hatte Emil erreicht, was er wollte – bei Mr. Markland eingeführt zu werden. Und so stand er da in dessen Salon, von ihm erwartet, freilich in einer gesellschaftlichen Stellung, die nicht eben die vorteilhafteste war; aber er hatte einmal den Boden unter sich und die Bluse wieder los zu werden, das war eine Kleinigkeit, sobald es die Umstände forderten.

Es war recht still um ihn und er war sehr allein. Draußen über den Boulevards hörte er die Wagen fahren, das Stimmengewirr der auf dem Asphalt Vorübergehenden. Er lauschte auf jeden Tritt draußen im Gang; aber nur Sams Füße schleiften an den Türen vorüber.

»Es wäre jetzt sehr hübsch, wenn der Vetter, Mister Bredson, einträte und mich erkennen würde.« Emil lachte bei dem Gedanken, obgleich er eine unangenehme Szene voraussehen mußte.

Jetzt hörte er Frauenstimmen. Sie kamen von drüben, drangen durch jene Tür. Das mußte Lydias Wohnung sein. Die andere, Eveline, ihre unzertrennliche Freundin, mußte bei ihr sein. Die Mädchen sprachen so laut, so lebendig, so lustig; sie lachten.

»Wenn sie hier durchkämen! Wenn sie mich sähen!« war Emils zweiter Gedanke. »Ich würde ...« Ja, was er tun würde? Nichts! Ein bescheidener Arbeiter, würde er die Damen gegrüßt haben und sie ... hätten vielleicht naserümpfend gar nicht Notiz davon genommen.

Jetzt öffnete sich jene Tür. Emil blickte mit einem ihm über den Rücken laufenden Schauder nach jener Richtung. Eine weibliche Gestalt, hinter ihr eine andere mit großen Kartons auf den Armen traten heraus. Emil ward während der einen Sekunde, welche die Kartons gebrauchten, um die Tür zu passieren, ein einziger Blick in den anstoßenden Salon gewährt, der allerdings von Miß Markland bewohnt wurde und in welchem sie ihre Freundinnen zu empfangen pflegte. Und der Blick öffnete ihm einen Himmel!

Er sah Lydia, noch im Hausgewande, schneeweiß wie ein Täubchen mit flatternden Spitzen an den Ärmeln, mit weißen Rosetten und Rüschen beladen, als wolle sie sich in die Lüfte erheben. Ihr blondes Haar hing fessellos über den Rücken; ihre beiden Arme, sich aus dem leichten Spitzenwust erhebend, eine bunte Gürtelschleife am Fenster gegen das Licht haltend, präsentierten sich dem Blick des Unberufenen; lächelnd schaute sie zur Schleife auf.

Neben ihr stand Eveline, schon im Promenadenanzuge, die stolze, schöne Eveline, ihre Gestalt in dem Morgenlicht badend, das durch das geöffnete Fenster hereindrang – auch sie versunken in den Anblick derselben Schleife.

Der Zugwind schlug das Fenster vor Eveline zu. Beide Mädchen blickten zu der halb offen gebliebenen Salontür. Beide sahen flüchtig und achtlos den fremden Mann an der Tür stehen – und Eveline, ohne den Bescheidenen eines weiteren Blickes zu würdigen, trat an die Tür und schlug sie ihm vor der Nase zu.

»Das sind die Nachteile des Standes, den ich eben repräsentiere, den Töchtern von Millionären gegenüber«, dachte Emil, sich das Bärtchen drehend. »Gleichviel, ich habe sie gesehen! ... Ich werde sie noch öfter sehen! Man nimmt von mir wenig oder gar keine Notiz, und das gibt mir Gelegenheit und Berechtigung, ohne die Furcht, lästig zu fallen, hier aus und ein zu gehen.«

Die Mädchen fuhren in ihrer lauten Unterhaltung fort. Übermütiges Gelächter, helle Glockenstimmen. Eveline drängte laut, Lydia solle ihre Toilette machen, dann ward's still. Die beiden Mädchen mußten sich in eines der hinteren Gemächer begeben haben.

Emil tat eben einen tiefen Seufzer und betrachtete sich in seiner Bourgeoiskleidung in dem großen Trumeau, als die Tür auf der anderen Seite des Salons sich öffnete und Mr. Markland erschien.

»O, Sie sind es!« rief er, Emil erkennend. Er schritt in den Salon, griff zur Schelle, und Sam erschien, als habe er schon auf der Schwelle gestanden.

»Sam, ein Frühstück für den Herrn, ehe wir an die Arbeit gehen!«

» Well!« flüsterte der alte Diener, den jungen Arbeiter mit einem schrägen Blick streifend, als erscheine das ihm doch der Ehre zuviel für einen simplen Ouvrier. Indes, er ging, denn das, was Mr. Markland wollte, war ihm ja wie Gottes Gebot, gegen das man wohl einmal murren, nimmer aber fehlen durfte. Und er kannte doch den »Wurm« seines Herren für alles, was Maschine war oder diese anging.


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